Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Grüne Bericht, den der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgelegt hat, weist einen Fehlbetrag von 2 Milliarden DM auf. In Wirklichkeit dürfte dieser Fehlbetrag höher liegen. Die besseren Un-
terlagen des nächsten Jahres werden diese Annahme rechtfertigen.
Der Vergleichslohn in Höhe von 3500 DM pro Jahr stützt sich auf 2400 Arbeitsstunden der gewerblichen Wirtschaft, während in der Landwirtschaft im Durchschnitt 2700 Stunden jährlich gearbeitet werden. Die Sonntags- und Feiertagsarbeit fand keine besondere Berücksichtigung. Eine Berücksichtigung allein dieser Mängel bei der Aufwands- und Ertragsrechnung würde den Fehlbetrag erheblich erhöhen.
Diese Situation ist trotz bedeutender Hilfsmaßnahmen, die in den letzten Jahren eingeleitet wurden, eingetreten. Die dafür allein im Jahre 1955 aufgewendeten Mittel einschließlich der Länderhaushaltsmittel überstiegen eine Milliarde.
Die Bundesregierung hat nunmehr aus dieser Lage die Folgerung gezogen und dem Parlament ein Hilfsprogramm für das neue Haushaltsjahr mit einem Gesamtaufwand von 980 Millionen DM vorgelegt. Dieser Be trag dürfte einschließlich der Länderhaushaltsmittel 1 Milliarde beträchtlich übersteigen. Wenn auch die eingesetzten Mittel nur die Hälfte des festgelegten Fehlbetrages ausmachen und die Höhe dieser Mittel manche besorgte Agrarpolitiker unbefriedigt läßt, so kann doch gesagt werden, daß dieses Hilfsprogramm eine ausbaufähige Grundlage darstellt.
Ein wesentlicher Mangel des Hilfsprogramms liegt darin, daß die kleinbäuerlichen Betriebe und die besonders gefährdeten Betriebssysteme — wie die Grönlandbetriebe — nicht die erforderliche Pflege erfahren. Der Wegfall der Umsatzsteuer in Höhe von 190 Millionen DM berührt rund eine Million Betriebe mit einem Flächenanteil von 17 % nicht, da sie umsatzsteuerfrei sind. Auch die Verbilligung des Dieselkraftstoffes durch Subventionen und durch Zollwegfall in Höhe von 120 Millionen DM hat keine nennenswerte Auswirkung auf die Kleinbetriebe. Das gleiche gilt für die 40 Millionen zur Konversion kurzfristiger Verschuldung und die Übernahme von 16 Millionen DM Lastenausgleichsabgabe, da die Kleinbetriebe meist einen Einheitswert aufweisen, der innerhalb der Freigrenze bei der Lastenausgleichsabgabe liegt.
Der Mitteleinsatz, der den Klein- und Grünlandbetrieben Hilfe bringen soll, hält sich in bescheidenen Grenzen. Gerade diese Betriebe sind, wie der ,,Grüne Bericht" ausweist, besonders gefährdet. So sind z. B. zur Förderung der Milchwirtschaft nur 10 Millionen DM eingesetzt. Sie sollen in der Hauptsache für die Zusammenlegung der unwirtschaftlich arbeitenden Molkereien und zur Förderung einer stärkeren Beteiligung der kleinbäuerlichen Betriebe an der Milchleistungskontrolle verwendet werden. Dieser Posten ist, an der Bedeutung der Aufgabe gemessen, unzureichend. Allein bei der Würdigung der Ergebnisse der Milchleistungskontrolle wird dies deutlich. Von 5,7 Millionen Milchkühen standen 1,6 Millionen unter Kontrolle und erzielten eine Jahresleistung von 3820 kg Milch pro Kopf. Die unkontrollierten Kühe — das sind 4,1 Milionen — lagen mit 1236 kg unter dieser Leistung. Die jährlichen Kontrollkosten betragen nach den Ausführungen des Herrn Bundesministers 16 DM. Bezöge man die unkontrollierten Kühe in die Kontrolle ein und übernähme die Kasten, so wäre ein jährlicher Betrag von 65 Millionen DM notwendig. Wenn es in einem angemessenen Zeitraum, sagen wir, in etwa sechs Jahren gelänge, durch Futterberatung und Milchkontrolle die Bestände an leistungsschwachem Milchvieh an die durchschnittliche Leistung der bisher kontrollierten Kühe heranzuführen, so wäre mit einem Mehrertrag von rund 5 Milliarden kg Milch jährlich zu rechnen, und das ergäbe rund 1,5 Milliarden DM mehr an Einnahmen, die unzweifelhaft gerade den Kleinbetrieben und den Grönlandbetrieben zu Hilfe kommen würden. Wenn man diese Aufgabe progressiv in sechs Jahren durchführte, so wären bereits im ersten Jahr volle 10 Millionen DM hierfür erforderlich. Hier, meine Damen und Herren, liegen echte Erzeugungsreserven, die mit allem Nachdruck und dankbar wahrgenommen werden sollten.
Die für die Schulspeisung eingesetzten Mittel in Höhe von 6 Millionen DM sind im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe, auch im Hinblick auf den Werkmilchpreis, zweifellos zu gering. Wenn auch der Herr Bundesminister vorhin darauf hingewiesen hat, daß Länder und Gemeinden nicht bereit sind, sich zu beteiligen, so sind wir doch der Meinung, es sollte nichts unversucht bleiben, Länder und Gemeinden an diese Aufgabe heranzuführen. Brächten der Bund 50 Millionen DM und Länder und Gemeinden die gleiche Summe auf, dann würde man unzweifelhaft einen erheblichen Fortschritt in der Milchwirtschaft erzielen. Man würde den Werkmilchpreis zum mindestens um 1 Pfennig anheben können und an die Unkostendeckung heranführen. Ein solcher Einsatz wäre eine schnell wirkende Maßnahme zur Verbesserung der Ertragslage der kleinbäuerlichen Betriebe und der gesamten Grünlandwirtschaft. Darüber hinaus würde dieser Einsatz auch einen Beitrag zur Hebung der Gesundheit unserer Jugend darstellen, der sich auch über die Schulzeit hinaus in einem höheren Milchverbrauch auswirken würde. Ein Beispiel dafür ist England.
Die Förderung der Eier- und Geflügelwirtschaft, eine fast ausschließliche Aufgabe der Kleinbetriebe, wurde überhaupt nicht berücksichtigt. Der Eierverbrauch liegt bei rund 9 Milliarden Stück; davon werden 3 Milliarden eingeführt. Der Verbrauch von Mastgeflügel beträgt 90 000 t; davon werden 30 000 t eingeführt. Hier liegen also weitgehende Erzeugungsreserven, die im Interesse der Ertragslage der Kleinbetriebe unserer Meinung nach ungesäumt genutzt werden sollten.
Die Erhöhung der Zinsverbilligung für Umbauten und Neubauten landwirtschaftlicher Gebäude, die mit 6 Millionen DM angesetzt ist, erscheint ebenfalls zu niedrig. Um- und Neubauten sind bei Strukturverbesserungen unvermeidlich und erstrecken sich im wesentlichen auf den Kleinbetrieb. Der augenblickliche Kapitaldienst von 4 % ist zu hoch und müßte um weitere 1 bis 2% gesenkt werden, um auf raschestem Wege die völlig überalterten Gebäude den modernen Erfordernissen einer rationalisierten und mechanisierten Hofwirtschaft anzupassen.
Der um 80 Millionen erhöhte Ansatz von Mitteln zur Flurbereinigung läßt eine Steigerung von 200 000 ha bereinigter Feldflur im Jahre 1955 auf 400 000 ha erwarten. Bei einer Gesamtfläche von 6,5 Millionen ha, die in die Flurbereinigung einbezogen werden müssen, werden bei dem in Aussicht genommenen Tempo immerhin noch 15 Jahre zur Bewältigung dieser Aufgaben notwendig sein. Meine Damen und Herren, eine Aufgabe, die mehr
als 2 Milliarden DM erfordert, verpflichtet die Bundesregierung, jeder weiteren Besitzzersplitterung Einhalt zu gebieten. Die Bundesregierung sollte deshalb ungesäumt idem Parlament ein entsprechendes Gesetz vorlegen.
Dem Erlaß der Lastenausgleichsabgabe für Betriebe in den Niederungsgebieten für die Dauer von 3 Jahren in Höhe von insgesamt 48 Millionen DM kann meine Fraktion nicht zustimmen, auch wenn diese Mittel dem Lastenausgleichsfonds aus Haushaltsmitteln erstattet werden. Wenn Hilfe in dieser Höhe notwendig ist, dann mag sie in anderer Weise bereitgestellt werden. Der bescheidene Ausgleich der einseitigen ungeheuren Belastung der Vertriebenen durch Verlust der Heimat, der Berufsgrundlagen und aller Vermögenswerte sollte symbolhaften Charakter haben
und für den Abgabeleistenden eine Ehrenpflicht sein.
Der Herr Bundesminister hat leider kein Wort für die schwere Lage der eingegliederten Ostbauern und Siedler gefunden, die durch fehlende Eigenmittel, hohe Pachtleistungen und hohe Rentenleistungen wohl am schwersten durch die derzeitige Ertragslage belastet sind.
Es ist notwendig, daß hierfür angemessene eingesetzt werden, damit der ersten Vertreibung nicht eine zweite folgt.
Noch schwerer ist der soziale Notstand der noch nicht eingegliederten heimatvertriebenen Bauern, die ja auch zum bäuerlichen Berufsstand gehören. Der Herr Bundesminister hat in seinem Leistungsbericht darauf hingewiesen, daß bis jetzt 65 827 Vertriebene eingegliedert sind, davon ein Drittel auf Vollerwerbsstellen und zwei Drittel auf Nebenerwerbsstellen. Das sind leider nur 15 % aller heimatvertriebenen Bauernfamilien, während 55 % — das sind 200 000 Bauernfamilien — berufsfremd geworden sind oder nicht mehr eingegliedert werden können, weil sie überaltert oder verstorben sind. Demgegenüber warten noch 162 000 Bauernfamilien seit 10 Jahren auf Eingliederung. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik verfügt über 2 Millionen ha Moor- und Ödland, von dem nach Auffassung der Fachleute mindestens 500 000 ha kultivierungsfähig oder -würdig sind. Leider sind in den Jahren von 1946 bis 1954 nur insgesamt 7500 ha Moor- und Ödland kultiviert worden,
ein mehr als bescheidenes Ergebnis. Es ist unbegreiflich, daß diese große Bodenreserve und das große wertvolle Potential der ostvertriebenen Bauern in so ungenügender Weise genutzt worden sind. Das Heer der landlosen Bauern wird in Kürze noch eine erhebliche Vermehrung durch rüstungs-
und industrieverdrängte Bauern erfahren. Zur Erhaltung der bäuerlichen Substanz und zur Stärkung der mittelständischen Kräfte, die die beste Abwehr gegen die kommunistische Infiltration darstellen, sollten deshalb ungesäumt schnelle und durchgreifende Maßnahmen getroffen werden.
In ursächlichem Zusammenhang mit diesen ungenutzten Möglichkeiten stehen auch die Einsparungen, die der Herr Bundesfinanzminister in den letzten vier Jahren bei den im Bundesvertriebenengesetz und im Siedlungsförderungsgesetz vorgesehenen Mitteln gemacht hat. Sie betrugen jährlich 75 Millionen DM; das sind insgesamt 300 Millionen DM in diesen Jahren. Es ist an der Zeit, daß auf diese Einsparungen zur Lösung der dringenden Aufgaben zurückgegriffen wird. Leider hat der Herr Bundesfinanzminister im neuen Haushalt — unter Berücksichtigung des Vorgriffs, der ja nach der Reichshaushaltsordnung abgedeckt werden muß — nicht mehr Mittel zum Ansatz gebracht als im Vorjahr, obgleich die Haushaltsmittel im laufenden Jahre bereits im vierten Etatsmonat aufgebraucht waren. Zur Verbesserung der Agrarstruktur gehört auch die Siedlung und hier insbesondere die Eingliederung der heimatvertriebenen Bauern.
Die Alterssicherung des Bauern streifte der Herr Bundesminister gestern nur mit wenigen Worten. Er hat aber heute Gelegenheit genommen, noch einmal darauf zurückzukommen. Er weist darauf hin, daß ihre Lösung im Rahmen der geplanten Sozialreform erfolgen soll, und ist der Meinung, daß sie unerläßlich sei. Ehe die Sozialreform zum Abschluß kommt und ihr Ergebnis sich in der Altersversorgung der Bauern auswirken kann, werden mindestens noch zwei kostbare Jahre vergehen. Nach den Ausführungen des Herrn Bundesministers für Vertriebene, Kriegsgeschädigte und Flüchtlinge vom 4. Dezember vorigen Jahres im Vertriebenenausschuß haben wir in der Bundesrepublik noch 128 700 Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, die mehr als 65 Jahre alt sind und keine Familienangehörigen haben, die für eine Hofübernahme im Sinne einer gesicherten Erbfolge in Frage kommen. Fast 90 % dieser erbenlosen Betriebe liegen jedoch in der Größenklasse unter 5 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche und sind daher, soweit es sich nicht um Intensivbetriebe handelt, nur als Nebenerwerbsstellen oder aber — bei gegebener Voraussetzung — nach Zusammenlegung zu Familienbetrieben für die Eingliederung verwendbar. Hier liegt eine erhebliche Reserve für die Eingliederung, die nur 'deshalb nicht genutzt werden kann, weil die Altersversorgung für die derzeitigen Betriebsinhaber fehlt.
Meine Fraktion hat seit Jahren auf diese Landreserve hingewiesen, ohne daß die notwendigen Maßnahmen zur Lösung des Problems getroffen wurden. Eine weitere Vertagung erscheint uns unvertretbar. Es sollte deshalb eine Übergangslösung gesucht werden, die in die Sozialreform übernommen werden kann.
Der Herr Bundesminister stellt die Hereinnahme von ausländischen Saisonarbeitern in seinem Programm als eine notwendige Hilfsmaßnahme heraus. Wir sind der Meinung, daß die vorhandenen Arbeitsreserven längst nicht voll ausgenutzt sind und daß bei entsprechenden organisatorischen Maßnahmen der Bedarf an Arbeitern bei weitem gedeckt werden kann, besonders wenn die Landwirtschaft die gleichen Löhne wie das Gewerbe zahlt. Es handelt sich also im wesentlichen um eine lohnpolitische Frage. Ich darf darauf hinweisen, daß 40 % aller Landarbeiter Heimatvertriebene sind und daß in den Arbeitsspitzen 8000 Landarbeiter — meist Verheiratete — arbeitslos sind. Der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften beträgt 13 000. Im übrigen stehen 162 000 ostvertriebene Bauernfamilien bereit, deutschen Boden zu bewirtschaften.
Wir lehnen aus diesen Gründen die kollektive Hereinnahme von italienischen Saisonarbeitern ab.
Auch wir vertreten die Auffassung, daß Beratung, Schul- und Berufsausbildung in der Landwirtschaft in steigendem Maße ausgebaut werden müssen, damit wir einen Betriebsführernachwuchs bekommen, der den gesteigerten Aufgaben und Anforderungen gewachsen ist. Das Ziel in der Ausbildung muß der obligatorische Betriebsführernachweis werden. Ich glaube, wir sind es dem bäuerlichen Berufsstand schuldig, daß wir das nachholen, was in anderen Berufen seit Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit ist.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird dem vorgelegten Hilfsprogramm für die Landwirtschaft in der Erwartung zustimmen, daß die aufgezeigten Mängel bei der Durchführung des Programms berücksichtigt werden. Wir stimmen diesem Programm zu, weil wir der Meinung sind, daß die wirtschaftliche Benachteiligung eines so großen und bedeutenden Berufsstandes so schnell wie möglich beseitigt werden muß. Die Grüne Front sollte aber die gleiche Einsicht aufbringen, wenn es sich um die Behebung der viel größeren Notstände bestimmter sozial schwacher Schichten unseres Volkes handelt.
Jede Steigerung der Kaufkraft dieser schwachen Schichten dürfte durch einen höheren Lebensmittelkonsum, insbesondere bei den landwirtschaftlichen Veredelungserzeugnissen, ausschließlich der Landwirtschaft zugute kommen.
Meine Damen und Herren, auch wir sind glücklich darüber, daß in der Lösung der Agrarproblematik so weitgehende Übereinstimmung gefunden werden konnte.