Rede von
Dr.
Gerhard
Schröder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf eines Zweiten Gesetzes über den Bundesgrenzschutz hat den Zweck, den Bundesgrenzschutz in seinem derzeitigen Bestand an Personal und Material für den Aufbau der Streitkräfte einzusetzen und ihn gleichzeitig insoweit von seinen polizeilichen Aufgaben zu entbinden. Die Motive, die die Bundesregierung bei diesem Entwurf leiten, sind teils in der Begründung niedergelegt, teils auch sonst schon öffentlich zum Ausdruck gekommen.
Die Heranziehung des Bundesgrenzschutzes für diesen Zweck erscheint einerseits geboten, auf der anderen Seite erscheint der Bundesgrenzschutz in mancher Beziehung für diesen Zweck besonders geeignet. Die für eine Grenzpolizei an der Sowjetzonengrenze anfallenden Aufgaben hatten es erforderlich gemacht, den Bundesgrenzschutz in zusammengefaßten Einheiten truppenmäßig zu organisieren, wenn er seinen Aufgaben im Ernstfall gerecht werden sollte. So konnten im Laufe der letzten Jahre wertvolle Erfahrungen im Truppendienst und in der Truppenausbildung gesammelt oder bewahrt werden. Diese Erfahrungen sind ein wichtiger Beitrag, den der Bundesgrenzschutz bei Aufstellung der Streitkräfte leisten kann. Er ist um so wertvoller, als die soldatische Tradition unseres Volkes seit 1945 durch eine zehn Jahre währende Zäsur unterbrochen wurde. Durch den Mangel an Ausbildungskräften und an sonstigen im laufenden Truppendienst geschulten Offizieren und Unteroffizieren sowie Verwaltungsbeamten ist eine Lücke vorhanden, die jetzt zum Teil vom Bundesgrenzschutz ausgefüllt werden kann.
Es kommt hinzu, daß die Überführung in die Streitkräfte zweifellos dem Wunsch eines großen Teiles der Beamten des Bundesgrenzschutzes entspricht. Diese Wünsche wurden im Laufe der letzten Monate immer häufiger an mich herangetragen, ohne daß ich ihnen entsprechen konnte, wenn ich nicht die Intaktheit der Verbände durch ungeregeltes Ausscheiden von Personal einbüßen wollte. Auf die Dauer — und dies bemerke ich sozusagen nur in Klamern — hätte man übrigens wohl auch im Hinblick auf die in Art. 12 des Grundgesetzes garantierte berufliche Freizügigkeit den Übertritt nicht verweigern können.
Der Gesetzentwurf gibt gegenüber dieser unkontrollierbaren Auflösung des Bundesgrenzschutzes einer Regelung den Vorzug, die den gesetzlichen und organisierten Übertritt der Beamten im Rahmen ihrer bisherigen Verbände vorsieht. Dieser Weg hat den unbestreitbaren Vorteil, daß die einzelnen Verbände im ersten Stadium der Aufstellungszeit erhalten bleiben. Sie werden, wie Sie schon wissen, den Grundstock für drei Grenadierdivisionen bilden, die wahrscheinlich schon sehr bald einsatzfähig sind.
Im Bundesrat und auch in der Presse haben sich gegen diese Überführung keine Bedenken erhoben bis auf einen Einwand, zu dem ich mich hier mit einigen Worten äußern möchte. Er betrifft die angebliche Gefährdung des inneren Gefüges der Streitkräfte. Es ist behauptet worden, daß die Re-
formideen des Bundesverteidigungsministeriums durch den restaurativen Geist, der im Bundesgrenzschutz herrsche, in Frage gestellt würden. In diesem Zusammenhang sind Äußerungen gefallen, die ich nicht unwidersprochen lassen kann. Als der Bundesgrenzschutz im Jahre 1951 aufgestellt wurde, blieb er zuerst von Mißtrauen und Argwohn nicht verschont. Ich weiß, daß sich damals einige wenige Zwischenfälle ereignet haben. Ich glaube jedoch kaum, daß es eine Truppe gibt, in der Ereignisse dieser Art völlig ausbleiben können. Entscheidend ist für mich, daß der Bundesgrenzschutz als Institution in der ganzen Zeit seines Bestehens Anerkennung und Vertrauen im Volk, bei der Grenzbevölkerung, bei den Parteien des Bundestags und bei den Bundesländern gefunden hat.
Ernsthafte Einwendungen gegen den Geist und gegen die demokratische Zuverlässigkeit dieser Truppe sind nie erhoben worden und konnten nie erhoben werden. Ich möchte heute und an dieser Stelle den Männern danken, die zum Teil schon im Jahre 1951 unter damals noch recht mißlichen Umständen wieder die Uniform angezogen haben, um mit sehr unzulänglichen Mitteln die Aufgabe der Grenzsicherung zu übernehmen.
Ich kann meiner Genugtuung und meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß der Bundesgrenzschutz, dessen Aufstellung vielen damals noch als ein gewagtes Experiment erscheinen mochte, eine Einrichtung geworden ist, die ihre Aufgaben in vorbildlicher Weise gemeistert hat und die in ihrer Haltung und in ihrem Geist als ein sehr willkommener und sicherlich wertvoller Bestandteil der neuen Wehrmacht gelten darf.
Nach diesen allgemeinen Ausführungen lassen Sie mich noch einige Sätze zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzentwurfs sagen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes beginnt eine Vier-Wochen-Frist, innerhalb derer der Beamte sich entscheiden muß, ob er der gesetzlichen Überführung in die Streitkräfte zustimmt oder ob er sie für seine Person ablehnen will. Innerhalb dieser Erklärungsfrist von vier Wochen kann auch der Bundesverteidigungsminister den Übertritt einzelner Beamter ablehnen. Sein Ablehnungsrecht ist an das Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister geknüpft. Ein Recht zur Ablehnung hat außerdem für die Grenzbeamten vom Oberst aufwärts der Personalgutachterausschuß. Das Personalgutachterausschuß-Gesetz findet keine unmittelbare Anwendung, weil es nur für Bewerber gilt, nicht aber für Beamte, die kraft Gesetzes in die Streitkräfte übergeführt werden. Im Interesse der Einheitlichkeit der personalpolitischen Maßnahmen hielt es die Bundesregierung jedoch für geboten, dem Ausschuß die Möglichkeit der Intervention zu geben. Es handelt sich hier um Beamte, die bereits jahrelang für würdig befunden wurden, an führender Stelle in einer Polizeitruppe, noch dazu der einzigen Truppe des Bundes, auf dem verantwortungsvollen Gebiet der Grenzsicherung Dienst zu tun.
Es darf also angenommen werden, daß auch der Ausschuß der Überführung der Beamten in den Soldatenberuf nur dann widersprechen wird, wenn besondere Gründe vorliegen sollten. Ich werde dafür Sorge tragen, daß die Personalakten dem Personalgutachterausschuß so rechtzeitig zugehen, daß er die Prüfung bis zum Ablauf der gesetzlichen Monatsfrist vornehmen kann. Nach Ablauf der Frist besteht somit völlige Klarheit in bezug auf die personellen Verhältnisse. Zu diesem Zeitpunkt wird dann auch der Auftrag an den Bundesminister für Verteidigung wirksam, aus den übergeführten Verbänden des Bundesgrenzschutzes Verbände der Streitkräfte zu bilden.
Der Paßkontrolldienst wird von dieser gesetzlichen Überführung nicht erfaßt. Das bedeutet natürlich nicht, daß sich nicht auch einzelne Angehörige des Paßkontrolldienstes um Übernahme in die Streitkräfte bewerben können. Von der gesetzlichen Überführung in seiner Gesamtheit mußte der Paßkontrolldienst ausgenommen werden, weil das Personal für die Paßnachschau zur Verfügung bleiben muß. Außerdem ist der Paßkontrolldienst nicht in Einheiten organisiert, so daß insoweit die Voraussetzungen, von denen der Gesetzentwurf ausgeht, nicht vorliegen.
Lassen Sie mich schließlich noch wenige Worte zu dem § 4 des Entwurfs sagen, der ausdrücklich bestimmt, daß das erste Bundesgrenzschutzgesetz vom 16. März 1951 unberührt bleibt. Im Bundesrat hat die Frage des Weiterbestehens des Bundesgrenzschutzes zu einer längeren Debatte geführt. Ich bin dem Bundesrat dankbar, daß er sich hierbei in seiner Mehrheit für den Fortbestand und damit für die Wiederauffüllung des Bundesgrenzschutzes ausgesprochen hat. Meine Damen und Herren, ich kann das Hohe Haus nicht eindringlich genug darum bitten, sich dieser Auffassung anzuschließen. Sosehr ich auch die wichtigen Gesichtspunkte der Wiederaufrüstung anerkannt habe und anerkennen muß, sowenig habe ich doch damit zum Ausdruck bringen wollen, daß der Bundesgrenzschutz überflüssig sei. Die politischen Verhältnisse an der Sowjetzonengrenze und gerade die letzte Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone erfordern heute dringender denn je, daß der Bundesregierung ein polizeiliches Instrument zum unmittelbaren eigenen Einsatz zur Verfügung steht. Wir dürfen uns gegenüber politisch demonstrativen Massenaktionen von jenseits des Eisernen Vorhangs, deren wir immer gewärtig sein müssen, nicht allein auf die NATO-Divisionen und den NATO-Automatismus verlassen. Die Bundesregierung muß hier freie Hand haben, unabhängig von NATO so lange wie möglich für eine Lokalisierung von Grenzzwischenfällen mit geeigneten polizeilichen Mitteln Sorge zu tragen und dadurch die Entstehung militärischer Konflikte mit ihren unabsehbaren Folgen zu verhüten. Es wäre falsch, diese verantwortungsschwere Aufgabe allein den Bereitschaftspolizeien der Länder aufzubürden.
Die polizeiliche Sicherung der Zonengrenze ist nicht
Sache einiger Länder, sondern sie ist eine Aufgabe,
die uns alle betrifft, also eine echte Bundesaufgabe.
Wir werden mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes einen wesentlichen Beitrag zu dem beschleunigten Aufbau der Streitkräfte leisten. Die polizeiliche Sicherung des Bundesgebietes dürfen wir darüber nicht vernachlässigen. Ich möchte dem Hohen Hause versichern, daß die Bundesregierung
alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um den Bundesgrenzschutz so schnell wie möglich wieder aufzufüllen. Ich bitte das Hohe Haus schon jetzt, uns auch bei dieser Aufgabe zu unterstützen.