Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich Ihnen eingangs schon die Versicherung abgebe, daß ich mich erstens angesichts der vorgerückten Stunde, dann aber auch angesichts der zum Teil ausgezeichneten Reden, die gehalten worden sind, sehr kurz fassen werde.
Die Sowjetunion hat auf der vor kurzem beendeten Genfer Konferenz alle Hoffnungen zerstört, die man auf den Genfer Geist ursprünglich gesetzt hatte. Es hat sich gezeigt, daß das Lächeln, das bei verschiedenen Gelegenheiten von ihren führenden Männern gezeigt worden ist, wirklich ein gefährliches Lächeln gewesen ist. Denn es erweckte bei vielen Hoffnungen auf eine grundlegende Änderung der sowjetischen Haltung und eine Abkehr vom Geiste, man muß wohl besser sagen, vom Ungeiste Stalins. All das ist zerronnen, wie es die Realisten vorausgesehen und vorausgesagt haben. Die einzige Bedeutung von Konferenzen wie der jetzt in Genf liegt darin, daß man jedesmal klarer sieht, woran man ist, und daß die Richtigkeit der bisherigen Politik des Westens und der Bundesregierung ihre Bestätigung findet.
Die einzige Alternative auf Genf ist die intensive weitere Verfolgung und Stärkung des Europagedankens. Wir Deutschen müssen wie bisher alle Kraft einsetzen, die anderen westlichen Völker aber auch. Die Lebensgefahr, die vom Osten her droht, muß mit aller Deutlichkeit ins öffentliche europäische Bewußtsein gerückt werden. Es muß ganz klar werden, daß für die Sowjetunion die Wiedervereinigung Deutschlands nur insoweit von Interesse ist, als sie die Bolschewisierung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik auf Gesamtdeutschland ausdehnen kann. Dieses kommunistische Gesamtdeutschland soll den Russen dann als Sprungbrett für die Bolschewisierung Europas dienen. Der Kommunismus wird sich nach dem Glauben und nach dem Bekenntnis seiner Bekenner noch in diesem Jahrhundert auch in Europa ausdehnen. Molotow hat mit größter Brutalität am 8. November die Einstellung der Sowjets dargelegt. Er hat unter anderem die Bundesrepublik als einen Staat bezeichnet, in dem die großen Monopole und die Junker ihre Herrschaft aufrechterhalten haben, und hat weiter in krassestem Gegensatz dazu erklärt, die deutschen Werktätigen hätten in Gestalt der Deutschen Demokratischen Republik zum erstenmal in der Geschichte ihr wahres Vaterland gefunden, einen deutschen Staat, in dem nicht große Monopolherren und Junker regierten, sondern das schaffende Volk selber Herr seines Schicksals sei. Das sind Aussagen wider alles bessere Wissen. Natürlich ist Herrn Molotow bekannt, daß ^s einen Tag von höchster historischer und politischer Bedeutung, nämlich einen 17. Juni 1953 gibt, wo sich wehrlose Menschen eines versklavten Volkes erhoben haben und gegen die Machthaber und die Moskauer Präfekten im deutschen Osten aufgestanden sind und wo gerade das schaffende Volk, das angeblich erstmals ein wahres Vaterland gefunden hat, gegen seine Bedrücker aufgestanden ist. Natürlich weiß er, daß die Zahl der Flüchtlinge in diesem „wahren Vaterland" gerade in der letzten Zeit immer mehr zunimmt, daß Tausende von Bauern ihre ererbte Scholle verlassen, man kann sich vorstellen, nach welchen furchtbaren inneren Kämpfen. Natürlich weiß Molotow, daß die notwendigsten Lebensmittel in der sowjetisch besetzten Zone immer knapper werden und daß die deutschen Menschen vielfach bitterste Not leiden. Und so frage ich: warum scheut man so sehr freie geheime Wahlen in der sogenannten DDR? Die Werktätigen müßten doch eigentlich durch sie ihre Dankbarkeit für ihr wahres Vaterland beweisen, in dem angeblich sie die Herren sind.
Außer diesen Lügen und heuchlerischen Scheinheiligkeiten aber hat Molotow in Genf mit zynischer, brutaler Offenheit auch die Ziele der Sowjets dargelegt. Hier ist es wirklich nicht nötig, alles aus der Sprache der täuschenden Worte in die Sprache der wahren Absichten zu übersetzen, wie es der Herr Bundeskanzler einmal geraten hat. Es ist alles von vornherein sehr klar. Die Sowjetunion denkt nicht daran, freien Wahlen in der von ihr besetzten Zone zuzustimmen und ein Pfand herauszugeben, weil sie es als Sprungbrett für das kommunistisch zu machende Europa verwenden will und weil sie Rückwirkungen auf ihre Satellitenstaaten fürchtet. Ein Nachgeben in der Deutschlandfrage könnte ja vielleicht der Weckruf werden für revolutionäre Bewegungen gegen das herrschende Regierungssystem in Polen vor allem, in der Tschechoslowakei und in Bulgarien.
Vollkommen irrealistisch ist es auch, anzunehmen, man brauche nur den Verzicht auf die Pariser Verträge anzubieten, um ein in Freiheit wiedervereinigtes Deutschland zu erhalten. Schon vor Genf, während der Genfer Konferenz und hinterher hat die SED, haben die Herren Grotewohl und Konsorten die gleiche Tonart angewendet. Sie verlangten, bei einer Wiedervereinigung müßten auch in der Bundesrepublik die großen Betriebe enteignet und volkseigen werden, die Landwirtschaft müßte kollektivisiert, sämtliche Bündnisse aufgehoben werden, Presse und Rundfunk unter kommunistischen Einfluß kommen. Das heißt, das Programm der seit 1945 planmäßig bolschewisierten Diktatur, die sich DDR nennt, soll auf allen Gebieten durchgeführt und auch Westdeutschland bolschewisiert werden.
Ich könnte jetzt auch noch einige bedeutende Männer, die sich jedenfalls in der Sowjetzone bedeutend vorkommen, zitieren und mit ihren Zitaten das, was ich gesagt habe, kurz belegen. Ich kann mir das aber schenken.
Und mit diesen Exponenten Moskaus sollen wir direkt verhandeln, mit ihnen gar einen Gesamtdeutschen Rat bilden, mit ihnen, deren Regime sich nicht auf einen freien und in demokratischer Weise zustande gekommenen Volkswillen zu stützen vermag!
Neben diesem realpolitischen gibt es aber auch einen moralischen Grund im Hinblick auf die mit der Menschenwürde und unserem Freiheitsbegriff nicht zu vereinbarenden Verhältnisse in der Sowjetzone, die die einschmeichelnde Parole „Deutsche an einen Tisch!" entlarven als eine rein sowjetische Vokabel. Mit gesamtdeutschen Beratungen will man den Hebel ansetzen für eine Bolschewisierung ganz Deutschlands. Die Taktik ist sonnenklar. Man will bei gutgläubigen Deutschen infiltrieren, es ginge nur durch Gespräche zwischen Bonn und Pankow. Aber durch solche Gespräche will Pankow nur die eigene Position stärken. Wer sagt, wenn Dr. Adenauer mit den Russen verhandele, dann könne es die Bundesregierung auch mit Pankow tun, der vergißt, daß die Sowjetunion ein fremder Staat ist, zu dem man diplomatische Beziehungen unterhalten kann. Bei der sowjetisch besetzten Zone handelt es sich aber um einen Teil Deutschlands, der zur Zeit nichts ist als ein russischer Satellit, der von der Wiedervereinigung in Freiheit ferngehalten wird. Direkte Verhandlungen könnte Bonn nur mit legitimen, aus freien, geheimen Wahlen hervorgegangenen Vertretern führen. In voller Klarheit sei es noch einmal gesagt: Für die Bundesrepublik bedeutet die Wiedervereinigung die uns zustehende Zusammenführung des deutschen Staatsvolks zu einer einheitlichen Nation und ist damit zugleich ein Mittel, ja das Hauptmittel zur Entspannung und zur europäischen Sicherheit. Für die UdSSR soll sie ein Mittel zur Vergrößerung ihrer Basis für die Bolschewisierung Europas sein.
Die Westmächte haben daher ein ganz reales eigenes Interesse an der Wiedervereinigung. Das hat die Genfer Konferenz, wie ja auch in verschiedenen Reden hier ausgeführt worden ist, deutlich gezeigt. Alle drei Westmächte haben sich dankenswerterweise deutlich dafür eingesetzt und werden es auch weiterhin tun. Sie haben erklärt, daß sie in ihren Bemühungen um Beseitigung der Ungerechtigkeit und des Unrechts der Teilung Deutschlands nicht nachlassen werden. Der bri-
tische Außenminister hat von dem „abscheulichen ostdeutschen System" gesprochen.
Meine Damen und Herren, die Aussagen verschiedener englischer Zeitungen, die heute den Status quo propagieren, dürfen uns in dieser Sache nicht irremachen. Denn die konservative Regierungspartei und die Labour-Opposition anerkennen unser unverbrüchliches Recht auf die Wiedervereinigung. Die Wiedervereinigung, die ja nun leider vielfach zu einer Frage des Kampfes und der Propaganda gegen die Außenpolitik der Bundesregierung gemacht worden ist, indem man den Anschein erweckte, unserer Regierung liege weniger an der Wiedervereinigung als anderen, ist tatsächlich eine Frage des politisch Möglichen. Ihre Lösung kann nur auf Umwegen und mit Geduld erreicht werden. Auch hier gilt das Wort: „Geduld ist die Tugend eines besiegten Volkes".
Wir müssen uns immer wieder daran erinnern, wie tief unten wir am 8. Mai 1945 waren und was bisher eben durch die weise Politik der Geduld erreicht worden ist.
Hätte man einem von uns — und ich appelliere jetzt an Sie alle — nach unserem grauenhaften Zusammenbruch 1945 gesagt: Im Jahre 1952 oder gar 1955 werdet ihr das und das erreicht haben, aus einem reinen Objekt der Politik werdet ihr wieder ein Subjekt der Politik geworden sein, eure Stellung in der Welt wird wieder eine angesehene sein, — ich glaube, wir alle hätten denjenigen, der uns derartiges Anno 1945 nach dem Zusammenbruch gesagt hätte, für verrückt gehalten.
Es ist eine sehr bittere, aber realistische Erkenntnis, wenn wir sagen: Lieber eine Vertagung der Wiedervereinigung auf unbestimmte Zeit als eine Wiedervereinigung in Unfreiheit für alle Zeit!
An die Kraft zum Durchhalten, vor allem an die unserer Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone, werden damit höchste Anforderungen gestellt. Aber wir alle, alle in Gesamtdeutschland, müssen die Dinge sehen, wie sie tatsächlich sind. Sie erfordern den festen Willen, die bisherige konsequente Politik fortzusetzen und in keinem Punkte schwankend zu werden. Meine Fraktion weiß, daß ich das Wort, das ich jetzt zitieren will, gerne zitiere, und ich habe es auch schon mehrfach in der Fraktion zitiert. Goethe war bekanntlich nicht nur ein Dichter, sondern auch ein Staatsmann. Er hat im Jahre 1797 aus politischer Weisheit heraus geschrieben:
Denn der Mensch, der in schwankenden Zeiten auch schwankend gesinnt ist, der vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter.
Und nun kommt das, was für uns heute vor allen Dingen in Frage kommt:
Doch wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich!
Auf dieses „fest auf dem Sinne Beharren" kommt alles an. Die Wiedervereinigungsfrage muß auf der Ebene der Großmächte gehalten und darf nicht auf Zwiegespräche zwischen Bonn und Moskau heruntergedrückt werden.
Nach dem ergebnislosen Verlauf der zweiten Genfer Konferenz ist die Weltlage wieder außerordentlich kritisch und gespannt. Gerade darum müssen wir dafür sorgen, keinerlei Zweifel an der Zuverlässigkeit und Festigkeit unserer Politik aufkommen zu lassen. Ist es darum hoffnungslos geworden mit der deutschen Wiedervereinigung, wenn man erkannt hat und es klar ausspricht, warum es rebus sic stantibus nicht dazu kommen wird und daß ein großes Warten uns bevorsteht? Nach wie vor muß die Wiedervereinigung in Freiheit unser oberstes Ziel sein.
Dabei müssen wir uns und den Deutschen in der Sowjetzone immer vor Augen halten, daß Regimes, die sich auf Unmenschlichkeit gründen, in der Geschichte noch immer zum Untergang bestimmt waren. Wir müssen uns weiter immer wieder vor Augen halten, daß nicht wir Menschen, sondern der Herrgott der Herr der Geschichte ist und daß es von uns nicht voraussehbare Imponderabilien in der Geschichte gibt, die unsere Staatsmänner ausnützen müssen. Und über allem muß stehen, daß nur das verloren ist, was die Seele aufgibt. Genf ist kein Ende, wenn wir nicht wollen. Gerade jetzt wäre das Bekenntnis aller deutschen Parteien zu einer gemeinsamen Politik überragend wichtig.
Für uns Deutsche darf der negative Ausgang von Genf nicht zum Auftakt politischer Auseinandersetzungen werden, die nur der Sache des Kremls dienlich sein könnten. Wir Deutschen müssen den Gedanken der europäischen Einheit, die untrennbar von der deutschen Einheit ist, immer wieder und immer intensiver gen Westen tragen.
Die russische Gefahr ist groß, riesengroß. Aber wir dürfen sie auch nicht übertreiben. Wir dürfen nicht in die Situation des Kaninchens, das da vor der Schlange sitzt, kommen. Auch diese Dinge müssen realpolitisch gesehen werden. Wir müssen dieser Politik ohne Furcht entgegentreten, sogar häufig offensiv, ohne Angst und mit klarem Wollen. Wenn wir uns so verhalten werden, kann Genf letztlich ein zu preisender Anfang werden. Bereit sein aber ist alles.