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ID0211500600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1955 6155 115. Sitzung Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1955. Geschäftliche Mitteilungen 6155 C Vorlage des Berichts des Bundesministers der Finanzen über Maßnahmen der Bundesregierung betr. Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Hauptstadt Berlin" und Architektenwettbewerb „Wiederherstellung Reichstagsgebäude" (Drucksache 1907) 6155 C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 1. Dezember 1955 betr. Genfer Außenministerkonferenz, europäische Sicherheit, Wiedervereinigung Deutschlands, Ost-West-Kontakte (Entschließungsanträge Drucksachen 1898, 1909) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Genfer Außenministerkonferenz der Vier Mächte (Drucksache 1723) 6155 C Ollenhauer (SPD) . 6155 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 6162 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 6163 B, 6166 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 6165 D, 6166 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 6172 A Dr. Gille (GB/BHE) . 6178 D Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 6185 A Kraft, Bundesminister für besondere Aufgaben . 6185 C Dr. Brühler (DP) 6185 D Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . 6187 D Abstimmungen 6188 A Nächste Sitzung 6188 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 6188 Die Sitzung wird um 9 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Kopf 31. 3. 1956 Mensing 1. 3. 1956 Dr. Starke 28. 2. 1956 Jahn (Frankfurt) 9. 1. 1956 Moll 1. 1. 1956 Peters 1. 1. 1956 Neumann 31. 12. 1955 Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 17. 12. 1955 Dr. Luchtenberg 16. 12. 1955 Dr. Reichstein 16. 12. 1955 Dr. Graf (München) 15. 12. 1955 Schröter (Wilmersdorf) 15. 12. 1955 Frau Rudoll 14. 12. 1955 Eberhard 10. 12. 1955 Stahl 9. 12. 1955 Leukert 5. 12. 1955 Frau Albertz 2. 12. 1955 Dr. Baade 2. 12. 1955 Bauknecht 2. 12. 1955 Bazille 2. 12. 1955 Diekmann 2. 12. 1955 Even 2. 12. 1955 Hansen (Köln) 2. 12. 1955 Dr. Horlacher 2. 12. 1955 Frau Hütter 2. 12. 1955 Jacobi 2. 12. 1955 Dr. Keller 2. 12. 1955 Kramel 2. 12. 1955 Kriedemann 2. 12. 1955 Dr. Maier (Stuttgart) 2. 12. 1955 Menke 2. 12. 1955 Dr. Mocker 2. 12. 1955 Dr. Mommer 2. 12. 1955 Neuburger 2. 12. 1955 Frau Pitz 2. 12. 1955 Dr. Pohle (Düsseldorf) 2. 12. 1955 Rasner 2. 12. 1955 Struve 2. 12. 1955 Wagner (Ludwigshafen) 2. 12. 1955 Dr. Wahl 2. 12. 1955 Welke 2. 12. 1955
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der enttäuschende Verlauf der Genfer Konferenz beherrscht unsere heutige Debatte. Genf war eine bittere Lehre. Es ist die Frage, ob wir sie richtig verstanden haben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten hat gestern im Verlauf der Regierungserklärung die Vorgeschichte und den Verlauf der Genfer Konferenz dargelegt und hat schließlich eine Bilanz gezogen. Wir haben soeben die Darstellung des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, des Herrn Kollegen Ollenhauer, und seine kritischen Bemerkungen zu den Ausführungen des Bundesaußenministers gehört. Wir hatten schließlich die Freude, ein Wort des Bundeskanzlers dazu zu hören, des Bundeskanzlers, der nach längerer Krankheit zum erstenmal in diesem Hause wieder das Wort genommen hat. Ich möchte doch die Gelegenheit benutzen, unsere Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, daß er wieder gesund unter uns ist.

    (Allseitiger Beifall.)

    Ich kann nicht verhehlen, daß sehr vieles in den Ausführungen des Fraktionsführers der sozialdemokratischen Fraktion mich tief befriedigt hat, nicht deswegen, weil ich etwa ein Einschwenken der sozialdemokratischen Politik auf unsere Linie feststellen oder unterstellen möchte, sondern ganz einfach deswegen, weil ich glaube, bemerken zu dürfen, daß wir uns tatsächlich, auch wenn wir uns über sehr wichtige Probleme noch uneins sind, über andere, nicht minder wichtige Probleme der deutschen Politik in Übereinstimmung befinden. Das ist eine außerordentlich wichtige Feststellung.
    Herr Kollege Ollenhauer, wenn wir bei solchen Diskussionen zu einer gegenseitigen Klärung unserer Standpunkte kommen wollen, dann müssen wir, glaube ich, dreierlei ernsthaft versuchen. Wir müssen erstens einmal prüfen: Sind wir uns eigentlich über den Sachverhalt, den gesamten außenpolitischen Sachverhalt, einig? Zweitens: Ergibt sich eine solche Einigkeit auch in dem Versuch einer Deutung oder Analyse dieses Gesamttatbestandes? Und endlich natürlich drittens: Kommen wir daraufhin zu gemeinsamen Schlußfolgerungen für unsere Außenpolitik?
    Ich fürchte, es wird auf jedem dieser drei Gebiete noch erhebliche Uneinigkeiten geben. Aber ich will einmal den Versuch machen, in meinen folgenden Ausführungen dabei einiges zu klären.
    Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich zunächst etwas vorwegnehme, was banal klingen könnte, nämlich die Feststellung, daß ich manchmal den Eindruck habe, daß wir das wichtigste Grundfaktum der gegenwärtigen Weltsituation und also auch unserer Situation, von dem soeben der Bundeskanzler gesprochen hat, nämlich das Phänomen Sowjetrußland, doch nicht genügend zur Kenntnis nehmen. Jüngst hat mir unser früherer Bundestagskollege der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Eichler, „geschichtsphilosophische Wanderungen" vorgeworfen, die nach Genf korrigiert werden müßten. Ich fürchte, er hat mich mißverstanden. Meine Darlegungen in diesem Hause bei früheren Gelegenheiten waren vielmehr Wanderungen in die Geschichtsphilosophie der Sowjetunion, eine Geschichtsphilosophie, die eine ebenso grundlegende und bedeutungsvolle Tatsache ist wie die wirtschaftliche und militärische Macht der Sowjetunion selbst. Es ist gut für uns, wenn wir versuchen, in dieser marxistisch-leninistischen Geschichtsphilosophie einigermaßen bewandert zu sein.

    (Sehr gut!)

    Jüngst fiel bei der Diskussion in der Beratenden Versammlung des Europarats von einem der dortigen Repräsentanten das Wort: Mon dieu, die Russen haben ihre Interessen, der Westen hat die seinen, und man muß eben versuchen, wie man übereinkommt. Ich fürchte, das ist genau die Auffassung, die ich für falsch halte. Gewiß ist auch Sowjetrußland eine Macht, und zwar eine sehr bedeutende Macht im herkömmlichen Sinn des Wortes; aber Sowjetrußland ist mehr. Diese Macht will nicht nur


    (Kiesinger)

    die Herrschaft des Kommunismus in ihrem eigenen Lande und Staate befestigen, sie erstrebt — offen zugestanden — die Durchsetzung der Weltrevolution. Dadurch, daß man das vielleicht hundertmal wiederholen muß, stumpft man dagegen ab; aber es ist eine Wirklichkeit, die äußerste Gefahr ankündet.
    Aber darüber hinaus bedeutet die Tatsache der kommunistischen Ideologie in den Köpfen der verantwortlichen sowjetrussischen Führer doch mehr. Es bedeutet eine besondere Methode des Denkens und eine durch dieses Denken bestimmte Taktik und Strategie ihres politischen Handelns. Dieses Denken prägt auch ihre Sprache und gibt ihren politischen Begriffen einen genau bestimmten, auf das Ganze ihres politischen Dogmas bezogenen Sinn.
    Obgleich wir das alles im Grunde genommen wissen, neigen wir doch dazu, uns je und je täuschen zu lassen und diesen Tatbestand zu übersehen, und zwar nicht nur da, wo die Sowjetrussen selber Begriffe wie „Koexistenz" prägen, sondern noch mehr da, wo sie Begriffe und Worte verwenden, die in der freien Welt gebräuchlich sind, wie etwa „friedliebend", „demokratisch", „demokratische Organisationen" und z. B. „freie Wahlen".
    Damit komme ich zu einer These, die Herr Kollege Ollenhauer aufgestellt hat. Es hätten sich gerade in diesem Punkte zwischen der Berliner Konferenz und der Konferenz in Genf erhebliche Veränderungen in der Haltung der Sowjetunion ergeben. Er sagte in diesem Zusammenhang, daß inzwischen der Preis höher geworden sei, wie er denn auch in Zukunft immer höher werden müsse. Herr Molotow hat zwar in Genf gesagt: Ja, in Berlin waren wir mit gesamtdeutschen freien Wahlen einverstanden; aber inzwischen haben sich so viele Dinge zugetragen — nicht etwa nur die Eingliederung der Bundesrepublik in die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft, nein, insbesondere die Änderung der politischen und gesellschaftlichen Struktur in der — sogenannten — Deutschen Demokratischen Republik —, daß wir jetzt damit nicht mehr einverstanden sein können. Aber was hat denn Herr Molotow in Berlin zu dem Punkte „Freie Wahlen" wirklich gesagt? Es ist wichtig,, daß wir das feststellen; denn nur dann können wir zu der These, die auch Herr Ollenhauer sich — wie manche andere — zu eigen gemacht hat, Stellung nehmen.
    Herr Molotow hat in der Rede vom 4. Februar 1954 im Grunde genommen genau dieselben Ausführungen zum Problem der freien gesamtdeutschen Wahlen gemacht wie in Genf.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    In Genf ist er nur in einigen Punkten konkreter geworden. Lassen Sie mich bitte daran erinnern. Fr forderte damals in Berlin: Vorbereitung des Entwurfs eines gesamtdeutschen Wahlgesetzes, das einen wirklich demokratischen Charakter der gesamtdeutschen Wahlen, die Teilnahme aller demokratischen Organisationen an den Wahlen und die Durchführung von Wahlen unter den Verhältnissen wirklicher Freiheit gewährleiste, die den Druck auf den Wähler von seiten der Großmonopole ausschließe, sowie Sicherung freier Betätigung demokratischer Parteien und Organisationen und Nichtzulassen des Bestehens von faschistischen, militaristischen und anderen Organisationen, die der Demokratie und der Erhaltung des Friedens feindlich sind.
    Was soll das heißen? Das ist doch genau dasselbe, was er in Genf gesagt hat. Er will eben in Wahrheit keine freien demokratischen Wahlen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wenn er von wirklich freien und demokratischen Wahlen, von Zulassung demokratischer Organisationen außer den Parteien spricht, wenn er sagt, daß faschistische, militaristische und andere Organisationen - das sind doch ganz einfach nichtkommunistische Organisationen —

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    nicht zugelassen werden sollen, wo soll da der Unterschied gegenüber Genf liegen? Er hat sich schon in Berlin ebenso grundsätzlich zum Problem der freien Wahlen geäußert wie in Genf, wo er die Vorzüge der Einheitsliste in Sowjetrußland und in der sogenannten DDR, verglichen mit dem demokratischen westlichen Wahlsystem, pries. Das hat er auch in Berlin schon getan. Er hat damals gesagt, man dürfe sich nicht einfach auf den Automatismus solcher Wahlen verlasen, und er hat mit großem Sarkasmus Herrn Eden vorgeworfen, daß er sich für formalen Konstitutionalismus, für Fragen des Wahlverfahrens und ähnliches begeistern könne; man brauche nach Herrn Edens Auffassung offenbar nur ein gutes Wahlgesetz anzunehmen, und dann würde alles schon ganz von selbst klappen. Er hat deutlich genug gesagt, wie er sich es denkt: Die Deutsche Demokratische Republik repräsentiere diejenigen Kräfte, die die rascheste Vereinigung Deutschlands auf demokratischer und friedlicher Grundlage gewährleisten sollten.
    Ich glaube, mit diesen wenigen Sätzen habe ich den Nachweis geführt, daß sich in der Frage sogenannter freier gesamtdeutscher Wahlen der sowjetrussische Standpunkt von der Berliner Konferenz bis zur Genfer Konferenz nicht im mindesten geändert hat, auch wenn Herr Molotow dies behauptet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Herr Kollege Ollenhauer hat in diesem Zusammenhang uns und den westlichen Mächten den Vorwurf gemacht, daß man es versäumt habe, im Jahre 1952 die in der sowjetrussischen Note angebotene Lösung der Deutschlandfrage durchzuführen. Ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer, Sie können beim besten Willen nicht beweisen, daß die Sowjetunion im Jahre 1952 wirklich zur Lösung des Deutschlandproblems, die wir alle unbedingt fordern müssen und fordern, bereit war, nämlich auf der Grundlage — nun einmal von uns aus gesagt
    — wirklich freier gesamtdeutscher Wahlen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das muß man doch versuchen festzustellen!)

    — Ich wende mich jetzt gegen die These, daß man eine historische Gelegenheit versäumt habe. Ich möchte meinen, es war von vornherein klar, was die Sowjetunion wollte. Sie hat sofort drüben die Zone gleichgeschaltet, sie hat in der Zone ihr politisches System eingeführt. War man etwa der Meinung, daß sie, nachdem sie das einmal getan hatte, nachdem sie also dem Kommunismus eine so weit vorgeschobene Position geschaffen hatte, diese Position leicht wieder aufzugeben bereit wäre? Ich glaube, wir sind uns diese Feststellungen schuldig,

    (Abg. Dr. Mommer: Also keine Hoffnung auf die Wiedervereinigung?)



    (Kiesinger)

    weil sonst ein geschichtlicher Mythos entsteht. — Nein, Herr Kollege Mommer, ich komme auf diese Frage, ob es eine Hoffnung für die deutsche Wiedervereinigung gibt, selbstverständlich zurück. Es gibt nach meiner Meinung nur nicht die Erfüllung der Hoffnungen, so wie Sie es sich in der Vergangenheit vorgestellt haben und vielleicht auch heute noch vorstellen.

    (Abg. Hansen [Köln] : Also Wiedervereinigung abschreiben?)

    — Nein, die Wiedervereinigung durchaus nicht abschreiben! Warten Sie! Haben Sie ein bißchen Geduld! Dann will ich Ihnen zusätzlich zu dem, was hier schon gesagt worden ist, darlegen, wie wir uns die Dinge denken. Wir sollten uns nicht gegenseitig immer und immer wieder den geringeren guten Willen zur Wiedervereinigung vorwerfen.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Beifall in der Mitte.)

    Ich sprach davon, daß wir versuchen müssen, festzustellen, ob wir uns über den Sachverhalt „Phänomen Rußland" einig sind, also darüber, daß wir es dabei nicht nur mit einer herkömmlichen Macht und ihrer Interessenpolitik, sondern mit einem von den Sowjetrussen zugegebenen weltrevolutionären System zu tun haben. Dabei macht es wenig Unterschied, ob uns Sowjetrußland erklärt: „Wir werden diese Weltrevolution von uns aus mit allen möglichen propagandistischen und politischen Mitteln fördern" — das haben ja die sowjetrussischen Führer in den letzten Jahren des öfteren gesagt —, oder ob sie uns etwas beschwichtigend erklären: „Ihr seid ja ohnehin alle zum Untergang verdammt; diese Revolution wird sich überall ohne unser Zutun durchsetzen", so wie mir einer der sowjetrussischen Führer sagte, „genau so wie sie sich ohne unser Zutun in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und in Rumänien durchgesetzt hat."

    (Lachen in der Mitte und rechts.)

    Der Außenminister hat in der Regierungserklärung zehn — meine Damen und Herren: zehn!
    — außen- und innenpolitische Vorbedingungen aufgezählt, die nach der Meinung der sowjetrussischen Führer, nach der Meinung Herrn Molotows in Genf im Laufe einer langen Periode verwirklicht werden müßten, um schließlich eine Regelung der deutschen Frage zu ermöglichen. Sind wir uns darüber einig, daß das ernsthaft gemeinte Vorbedingungen Sowjetrußlands sind? Wenn wir das aber sind, meine Damen und Herren — und Herr Ollenhauer hat in seinen Ausführungen zum Ausdruck gebracht, er glaube, daß es ernsthafte Bedingungen seien —, und wenn wir uns einig sind, was diese Bedingungen bedeuten: erstens nur eine Lösung der deutschen Frage über die Einigung zwischen uns und der sogenannten DDR, zweitens Aufrechterhaltung des kommunistischen Zustandes in der DDR jetzt und nachher in einem wiedervereinigten Deutschland und drittens die in sehr konkreter Art gemachten Andeutungen über eine Änderung der sozialen und politischen Struktur auch der Bundesrepublik als Bedingung für die Wiedervereinigung —, dann, meine Damen und Herren, erscheint der Vorwurf, den die Opposition der Verhandlungsführung in Genf macht, der Vorwurf, daß man es unterlassen habe, an die Sowjetrussen die Frage zu stellen, wie sie sich zu dem künftigen militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschland stellen, doch verhältnismäßig geringfügig.
    Ich möchte mich gewiß keiner Übertreibung schuldig machen. Aber ist es denn nicht so, daß Sowjetrußland sehr klar gesagt hat, wie es sich den künftigen politischen Status eines wiedervereinigten Deutschland vorstellt? Auch bei größter Objektivität muß man feststellen, daß dieser Status so aussieht, daß die Sowjetunion offenbar nur ein Deutschland zu akzeptieren bereit ist, das entweder vollkommen sowjetisch ist oder in dem der von Sowjetrußland geführte Kommunismus einen dominierenden Einfluß hat.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    In einem solchen Deutschland ist die Frage nach dem militärischen Status natürlich sinnlos; denn jeder Soldat innerhalb eines solchen Deutschlands würde dem Machtbereich Sowjetrußlands dienen.
    Aber haben wir auch bemerkt, daß Herr Molotow in Genf einen Schritt weitergegangen ist? Er hat ja gar nicht nur Nachdruck gelegt auf das Fernbleiben Gesamtdeutschlands aus irgendeinem westlichen Verteidigungssystem, er hat nicht nur Nachdruck gelegt auf das künftige politische System Gesamtdeutschlands, das kommunistisch oder stark kommunistisch beeinflußt sein müsse, er hat auch der Illusion, so glaube ich, ein Ende gemacht, daß Sowjetrußland bereit sei, ein wiedervereinigtes, bündnisloses Deutschland zu akzeptieren, das irgendwelche nennenswerten Streitkräfte hätte. Er hat in Genf gesagt: Für die europäischen Völker bildet ein solches Deutschland eine Gefahr, unabhängig davon, ob es Teilnehmer militärischer Gruppierungen der Westmächte oder selbst Organisator militärischer Gruppierungen in Europa ist. Das heißt doch: nicht einmal ein neutralisiertes waffenloses Deutschland ist Sowjetrußland zu akzeptieren bereit.

    (Widerspruch bei der SPD. — Abg. Kühn [Köln]: Das ist ein falscher Zungenschlag von Ihnen!)

    — Ich lese es Ihnen wörtlich vor; die Sache ist ja wichtig genug. Es ist die Rede vom 8. November 1955. Wer die Zusammenstellung des Auswärtig en Amts „Die Außenministerkonferenz in Genf" in Händen hat, findet diesen Ausspruch Molotows auf Seite 169 unten. Dort heißt es:
    Für die europäischen Völker bildet ein solches Deutschland eine Gefahr, unabhängig davon, ob es Teilnehmer militärischer Gruppierungen der Westmächte oder selbst Organisator militärischer Gruppierungen in Europa sein wird. Werden wir der Umwandlung Deutschlands in einen militaristischen Staat
    — nicht die Eingliederung in die NATO —
    keinen Riegel vorschieben, so wird die Gefahr eines neuen Krieges sich unermeßlich erhöhen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Darf ich eine Frage stellen?)

    — Ich bitte sehr.


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Kiesinger, Sie sagten, daß auch ein neutrales, waffenloses Deutschland von Herrn Molotow für eine Gefahr erklärt worden sei. Beim zweiten Vorlesen habe ich den Eindruck nicht gehabt, daß Molotow so gesprochen hat.

(Abg. Schoettle: Das war ein falscher Zungenschlag!)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich habe mich tatsächlich versprochen. Hier handelt es sich also darum, daß Molotow nicht bereit ist, ein neutralisiertes Deutschland mit einer nennenswerten Streitkraft zu akzeptieren. Ich bitte um Entschuldigung.