Rede von
Dr.
Josef Ferdinand
Kleindinst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir konnten nicht den Eindruck erwecken, daß wir dem im öffentlichen Leben viel diskutierten Problem einer Verwaltungsreform aus dem Wege gehen wollten. Aber wir müssen es in die richtige Perspektive bringen. Wir müssen nicht von Einzelheiten ausgehen, sondern die Aufgabe in ihren großen Zusammenhängen sehen. Wir müssen von Wirklichkeiten ausgehen.
Die Aufgabe hat nicht nur eine finanzielle, sie hat noch viel mehr eine funktionelle Seite im Staate.
Diese funktionelle Seite ist, wie ich mit Freude sehe, auch in den Anträgen der SPD-Fraktion angesprochen worden. Wenn ich diese funktionelle Seite hervorhebe, so bedeutet das: nicht ein Zuviel an Nebeneinander von allgemeinen und Sonderbehörden, keine Auseinanderreißung der Verwaltungserfahrung, vor allem auch keine Auseinanderreißung der politischen Verantwortung. Die politische Verantwortung muß in einer einheitlichen Verwaltung zur Geltung kommen. Das sind diese funktionellen Aufgaben, die eine Verwaltungsreform ins Auge fassen muß.
Ich darf gleich darauf hinweisen, daß diese Aufgabe nicht allein in Deutschland zur Lösung steht, sondern in allen Ländern, auch in Ländern, die während des Krieges neutral geblieben sind. Ich werde noch auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen.
Nun wurde vielfach gesagt, es hätte doch keine Bedeutung, diese Aufgaben anzugreifen; man müsse sich in einer gewissen Resignation damit abfinden, daß es im Zuge der Zeit nun einmal zu einer Ausdehnung der Verwaltung und der Verwaltungsaufgaben komme. Ein Treibenlassen aber dürfen wir uns nicht zuschulden kommen lassen. Wir haben hier die Verantwortung gegenüber dem Staatsbürger und gegenüber dem Staat, auch wegen der finanziellen Belastung.
Aber eines muß ich hervorheben, auch gegen-
über dem Herrn Kollegen Bergmeyer. Es ist falsch, zu sagen, daß auf diesem Gebiet nie irgend etwas geschehen sei.
Ich mache darauf aufmerksam, daß trotz der Ausdehnung der Verwaltungsaufgaben und der Verwaltungseinrichtungen infolge der ersten Inflation die Finanzausgleichsgesetzgebung des Dr. Luther zustande gekommen ist, der doch aus der Kommunalverwaltung und aus dem Deutschen Städtetag kam, daß er schon damals die Vereinfachung auf dem Gebiet der Fürsorgeverwaltung durchgeführt hat. Zwischen 1924 und 1932 sind eine Reihe von großzügigen Maßnahmen ergriffen worden, besonders in Württemberg, auch in Bayern. Ich erinnere
auch an die neue Verwaltungsordnung, die damals in Thüringen eingeführt worden ist.
Dann kam die große Wirtschaftskrise zwischen 1929 und 1932, die die Fortführung derartiger Maßnahmen unmöglich gemacht hat, weil die sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben gedrängt haben und weil damals mit der Devisenbewirtschaftung usw. wieder neue Einrichtungen geschaffen worden sind. Darnach kam das Dritte Reich mit der übermäßigen Einrichtung von neuen Verwaltungszweigen und vor allem von Verwaltungen — ich erinnere nur an den Reichsnährstand —, die teils staatlich, teils berufsständisch waren. Die Leichtigkeit, mit der damals — auch mit der Finanzierung durch Papiergeld —
diese Verwaltungen aufgebläht worden sind, wirkt natürlich heute auch noch nach.
Weiter kam die Kriegsverwaltung. Es bleibt natürlich etwas davon hängen, wenn ein Volk zwei Kriegsverwaltungen und zwei Inflationen mit ihren Auswirkungen auf die Verwaltung mitgemacht, sich durch den Art. 48 an die Leichtigkeit des Erlasses von Verordnungen gewöhnt und im Dritten Reich die Gesetzgebung durch die Ministerialreferenten kennengelernt hat. Das führt dazu, daß man bei jeder Gelegenheit von uns ein Bundesgesetz oder eine Novelle verlangt. Das wissen Sie ja alle aus den Petitionen und Eingaben, auch daß man glaubt, für jede Aufgabe eine neue Organisation schaffen zu müssen.
Ich habe die Gründe genannt, aus denen sich allmählich der Glaube verbreitet hat, daß das Organisatorische allein oder der Erlaß eines Gesetzes allein schon die Verhältnisse ändern könne. Es handelt sich, wie Herr Kollege Menzel richtig gesagt hat, nicht nur um eine Aufgabe des Bundes, sondern auch um eine Aufgabe in den Ländern. Da muß ich auf eines hinweisen: Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, als ob wir in das Organisationsrecht der Länder eingreifen wollen.
Herr Bergmeyer, das ist aus Ihren Ausführungen nicht hervorgegangen, sondern daraus konnte man das Gegenteil entnehmen. Wir haben aber im Grundgesetz bei den Vorschriften über die Ausführung der Gesetze die Verbindung mit der Länderverwaltung. Auch darauf hat der Kollege Menzel hingewiesen. Wir haben die Auftragsverwaltung; wir haben in erster Linie die Durchführung der Gesetze durch die Länderverwaltung, und wir haben die Möglichkeit der Errichtung eigener Bundesbehörden.
Das ist der Zusammenhang, auf Grund dessen auch die Länderverwaltungen in den Bereich dieser Prüfungen einbezogen werden können. Außerdem habe ich gar keinen Zweifel, daß die Erfahrungen der Länder aus früherer und aus der neuesten Zeit in der Gesetzgebung und in der Ausführung der Gesetze sehr wohl in den Rahmen dieser Aufgabe passen. Die Länder werden sich dieser Aufgabe nicht verschließen, werden auch ihrerseits ihre Erfahrungen in der Verwaltungsvereinfachung und ihre konkreten Planungen — ich erinnere nur an die Kollmann-Denkschrift in Bayern — zur Verfügung stellen. Dadurch wird in keiner Weise das Organisationsrecht der Länder in Zweifel gezogen.
Die Mängel, die eingetreten sind, sind für jeden völlig klar, der seit dem ersten Weltkrieg in der Verwaltung gestanden hat und alle diese Bewegungen und Katastrophen miterlebt hat, die das Schicksal und eigene Fehler uns gebracht haben. Aber wir müssen uns hüten, für jede Aufgabe sofort eine neue Organisation schaffen zu wollen. Anträge, die wir in nächster Zeit behandeln müssen, werden für diese Tendenz erneut einen Beweis bringen. Diese Feststellung gilt für alle Unterzeichner, die, wie es scheint, verschiedenen Fraktionen angehören. Bevor man noch eine Aufgabe klar in den Einzelheiten sieht, verlangt man schon die Schaffung einer neuen Bundesanstalt.
Wie viele Anträge auf Errichtung neuer Ministerien und auf Errichtung von Staatssekretärsstellen sind in diesen letzten Jahren gestellt worden! Man hat völlig übersehen, daß der Staatssekretär der zusammenfassende und leitende Beamte in einem Ministerium ist, und hat ihn als einen gehobenen Interessenvertreter betrachten wollen.
Die Sonderverwaltungen dürfen sich nicht weiter entwickeln, denn sie zerreißen, wie ich gesagt habe, die Einheit der Verwaltung, die Einheit der Verwaltungserfahrung, die für jede Regierung außerordentlich wichtig ist, und die Einheit der politischen Verantwortung. Alles dies, was ich als funktionelle Bedeutung bezeichnet habe, ist mindestens ebenso wichtig wie, wenn nicht wichtiger als die finanzielle Seite selbst.
Endlich muß ich noch darauf hinweisen, daß die Vertreter von Wirtschaftsinteressen ebenso wie die Fachverbände der Beamten mitverantwortlich sind, daß immer neue Sonderverwaltungen, besonders in den Ländern, geschaffen werden. Wenn diese Angelegenheiten ausdiskutiert werden, wird sich das ganz klar ergeben. Ich will, um die Zeit nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, auf Einzelheiten gar nicht eingehen.
Von der Gesetzgebung hat vorhin schon der Herr Kollege Menzel gesprochen. Ich habe vorhin gesagt: man verlangt von uns ständig neue Bundesgesetze, man verlangt ständig weitere Novellen. Soweit es sich um Fragen der Versorgung der hilfsbedürftigen Bevölkerung handelt, ist das durchaus verständlich. Aber sie werden auch sonst verlangt. Man hat den Eindruck, wir stehen in einem fließenden Gesetzgebungsverfahren. Es kommt weiter hinzu, daß wir — ich habe das schon früher einmal gesagt — jetzt weniger Rechtssätze in die Gesetze setzen als Tatbestände und Zustände regeln, daß wir dadurch die Auslegung und Anwendung der Gesetze und die Findung der Urteile durch die Gerichte sehr erschweren und sie zu einer engen Auslegung der Gesetze zwingen. Es ist notwendig, bei künftigen Gesetzen auch nach dieser Richtung hin vorsichtig vorzugehen. Weiterhin spielt eine Rolle, daß wir durch eine Sondergesetzgebung, die zum Teil durch unsere Schwierigkeiten begründet ist, den Rechtszusammenhang immer mehr zerreißen und unübersichtlich machen und auch dadurch die Anwendung der Gesetze in der Verwaltung sehr erschweren.
Ich darf Sie auf noch einen Gesichtspunkt aufmerksam machen, der sehr entscheidend ist. Früher
galt der Grundsatz, daß die Ministerien regieren und die Behörden verwalten sollen. Dieser Grundsatz wurde im Laufe der Zeit immer mehr umgekehrt, u. a. auch deshalb, weil die Bevölkerung auch uns in Anspruch nimmt, Fragen, die irgendwie zu entscheiden sind, sofort an die Ministerien zu bringen und diese zu Einzelentscheidungen zu zwingen. Auch das muß wieder geändert werden. Es ist auf die Verwaltungsreform vor 150 Jahren hingewiesen worden. Damals war sowohl in Preußen wie in Bayern der Grundsatz aufgestellt worden: Der Minister hat nicht in die Regierungen einzugreifen, solange es nicht im Wege der Dienstaufsicht oder wegen einer allgemeinen Staatsnotwendigkeit erforderlich ist. Die Regierungen und ebenso die Unterbehörden müssen in eigener Verantwortung verwalten. Hier muß man den Staat, der von oben nach unten aufgebaut ist, sich von unten nach oben entwickeln lassen.
Das sind die großen leitenden Gedanken. Sie werden nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern und, wie ich gesagt habe, auch in während des Krieges neutral gebliebenen Ländern eingehend besprochen.
In der Wirtschaft besteht eine völlig falsche Vorstellung von der Vereinfachung der Verwaltung. Man verwechselt die Verwaltung mit einem Wirtschaftsbetrieb oder mit einem Konzern, und ich kann mich noch gut erinnern, daß Ende der zwanziger Jahre eine große Tageszeitung in Zusammenhang mit diesen Fragen von dem „Konzern Deutschland" geschrieben hat. Meine Damen und Herren, falscher kann man die Verhältnisse nicht beurteilen. Es ist ein Unterschied zwischen der Produktion von Gütern und dem Vertrieb von Gütern und der Besorgung von Aufgaben für die Bevölkerung. Hier handelt es sich um Menschen, um Staatsbürger, um Einwohner, um Hilfsbedürftige. Diese Aufgaben können nicht in dem gleichen Zusammenhang gesehen werden wie dem bei der Rationalisierung eines großen Betriebes.
Zweitens muß man zwischen der Vereinfachung und zweckmäßigen Gestaltung der Verwaltung und der bürotechnischen Verbesserung der Verwaltung unterscheiden.
Das ist wieder eine Sache für sich, die mit einem Fabrikbetrieb im Zusammenhang mit den Beamten gelöst werden muß. Aber diese Verhältnisse werden immer wieder verwechselt.
Nun muß auch ich bestätigen, was schon gesagt worden ist — auch von dem Herrn Kollegen Menzel —: die großen Verbände machen dieselben Fehler, die uns vorgeworfen werden, und sie betreiben auch die Gesetzgebung, die Novellierung von Gesetzen. Sie gehen wegen jeder Kleinigkeit an die Spitze der Verwaltung. Ich habe es in den zwanziger Jahren erlebt, daß man Aufgaben, die man mit einem Telefongespräch hätte klären und lösen können, zu einer Angelegenheit der Ministerien gemacht hat, so daß sie dann auf dem Dienstwege herunter bis zur letzten Verwaltungsstelle gekommen sind. Da aber mußte man sagen, daß die ganze Sache in einem Gespräch hätte erledigt werden können. Auch das ist eine Übertreibung, die uns durch die Verbände aufgezwungen wird. Von den Zeitschriften, von den Drucksachen, die uns gegeben werden, will ich gar nicht reden. Hier muß also in der Öffentlichkeit Klarheit über die Aufgabe geschaffen werden, und das ist ein Zweck dieses Antrags. In der Zusammenarbeit mit den Ländern und den Kommunen müssen die Wege gefunden werden.
Die Sache hat aber eine noch viel größere Bedeutung, nämlich im Hinblick auf die Staatsauffassung. Je mehr die Gesetze mechanisch angewendet werden, je mehr Übertreibungen in der Gesetzgebung vorkommen, je mehr neue Behörden für jede Aufgabe geschaffen werden, desto mehr wird der Staatsbürger zum Objekt der Gesetzgebung und der Verwaltung. Das ist das Gegenteil dessen, was wir wollen und was unser Grundgesetz und die Verfassungen in den Ländern wollen, nämlich den demokratischen Staat von unten aufbauen. In diesem Zusammenhang aber muß auch diese Aufgabe gesehen werden.
Nun ist bezweifelt worden, ob man die Denkschriften noch einmal behandeln soll, die in früheren Jahren zu dieser Frage geschrieben worden sind. Meine Damen und Herren, es sind nicht viele, aber es sind wichtige Denkschriften, und sie enthalten eine Fülle von Feststellungen, eine Fülle von Erkenntnissen und Vorschlägen, die durch die Verhältnisse nicht überholt sind. Damit wird der Beweis geführt, daß diese Aufgabe nicht, wie der Herr Kollege Bergmeyer gemeint hat, erst jetzt, im Jahre 1955 oder 1956, angegriffen werden muß, sondern daß sie längst erkannt und bearbeitet worden ist, daß aber die Verhältnisse — ich erinnere nur an die große Wirtschaftskrise, ich erinnere an den zweiten Weltkrieg, ich erinnere an die Katastrophe von 1945 und an die Zerstörung des Staatsgefüges — verhindert haben, daß sie schon früher gelöst wurde.
Ich will auf Einzelheiten auch in dem Antrag der SPD nicht eingehen, obwohl es sehr verlockend wäre, noch einiges dazu zu sagen. Aber ich glaube, die Aufgabe muß entweder im großen und in den Zusammenhängen gesehen werden, oder der Antrag soll überhaupt verschwinden. Wenn man nur Kleinigkeiten bereinigen will, ist es eine Enttäuschung und eine Verschwendung der Arbeit. Aber wenn die Aufgabe im großen gesehen wird, dann wird sie Bedeutung haben erstens einmal für die Staatsidee und zweitens auch für die Verfassung, die geschaffen werden muß, wenn die Wiedervereinigung Deutschlands erreicht wird.