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    2. Deutscher Bundestag — 110. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Oktober 1955 5973 110. Sitzung Bonn, Freitag, den 28. Oktober 1955. Vorlage des Berichts des Bundesministers der Finanzen über die beim Institut für Raumforschung vorgekommenen Unregelmäßigkeiten (Drucksache 1818) 5974 C Ergänzung der Tagesordnung 5974 C Erste Beratung des von den Abg. Sabel, Schneider (Hamburg), Jahn (Stuttgart), Böhm (Düsseldorf), Odenthal, Lange (Essen), Kutschera, Becker (Hamburg) u. Gen. eingebrachten Entwurfs . eines Gesetzes über die Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten (Drucksache 1817) 5974 D Sabel (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 5974 C Überweisung an die Ausschüsse für Arbeit und für Wirtschaftspolitik . . . 5974 D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl) (Drucksache 1385); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 1718) 5974 D Beschlußfassung 5975 A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften vom 25. Mai 1951 (Vorschriften Nr. 2 der Weltgesundheitsorganisation) (Drucksache 1465); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens (Drucksache 1756) 5975 A Dr. Berg (FDP), Berichterstatter . 5975 B Beschlußfassung 5975 B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 98 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 1. Juli 1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen (Drucksache 1368); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 1730) 5975 B Scheppmann (CDU/CSU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) . 6000 A Beschlußfassung 5975 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Protokoll vom 1. Februar 1955 betr. die Verlängerung der Geltungsdauer der Erklärung vom 24. Oktober 1953 über die Regelung der Handelsbeziehungen zwischen Vertragspartnern des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT ) und Japan (Drucksache 1466); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 1719) 5975 D Beschlußfassung 5975 D Zweite Beratung des Entwurfs einer Dritten Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 (Drucksache 1683); Mündlicher und Schriftlicher Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksachen 1784, zu 1784) . . 5976 A Dr. Vogel (CDU/CSU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 6000 D Beschlußfassung 5976 A Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung zur Überlassung junger Anteile an andere Bezieher als den Bund; hier: Kapitalbeteiligung des Landes Berlin an der Gemeinnützigen Wohnungsbau AG Groß-Berlin (Gewobag) (Drucksachen 1783, 1655) 5976 B Klingelhöfer (SPD), Berichterstatter 5976 B Beschlußfassung 5976 C Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Weihnachtsbeihilfen für Bedürftige (Drucksache 1747) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Weihnachtsbeihilfe (Drucksache 1711) 5976 C Frau Finselberger (GB/BHE), Antragstellerin 5976 C, 5979 B Könen (Düsseldorf) (SPD), Antragsteller 5977 A Ruf (CDU/CSU) 5977 B, 5980 A Überweisung an den Haushaltsausschuß, an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge und an den Ausschuß für Sozialpolitik 5979 D, 5980 A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Vereinfachung der Verwaltung (Drucksache 1383 [neu], Umdruck 490) 5980 C Dr. Bergmeyer (CDU/CSU), Antragsteller 5980 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 5984 C Dr. Menzel (SPD) 5985 B Dr. Kleindinst (CDU/CSU) 5990 C Hübner (FDP) 5992 D Engell (GB/BHE) 5994 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 5995 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 5995 C, 5998 B Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5997 C Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Kommunalpolitik . . 5999 A Nächste Sitzung 5999 C Berichtigung zur Liste der beurlaubten Abgeordneten im Stenographischen Bericht der 108. Sitzung 5999 C Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5999 A Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit über den Gesetzentwurf betr. Übereinkommen Nr. 98 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen (Drucksache 1730) . . 6000 A Anlage 3: Schriftlicher Bericht des Haushaltsausschusses zum Entwurf einer Dritten Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 (zu Drucksache 1784) 6000 D Anlage 4: Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU (Drucksache 1383 [neu]) betr. Vereinfachung der Verwaltung (Umdruck 490) 6001 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 108. Sitzung: In der Liste der beurlaubten Abgeordneten - Seite 5926 - ist unter „a) Beurlaubungen" nachzutragen: Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein beurlaubt 26. Oktober. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 23. November Raestrup 19. November Frehsee 15. November Kühn (Bonn) 15. November Matthes 15. November Dr. Miessner 15. November Dr. Starke 15. November Welke 15. November Dr. Atzenroth 12. November Bals 12. November Dr. Brönner 12. November Dr. Elbrächter 12. November Hc )gen 12. November Illerhaus 12. November Regling 12. November Albers 5. November Bock 5. November Dr.-Ing. E. h. Schuberth 5. November Dr. Bucerius 31. Oktober Gibbert 30. Oktober Griem 30. Oktober Dr. Baade 29. Oktober Frau Döhring 29. Oktober Dr. Greve 29. Oktober Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Dr. Köhler 29. Oktober Kurlbaum 29. Oktober Neuburger 29. Oktober Rehs 29. Oktober Frau Rösch 29. Oktober Frau Dr. Schwarzhaupt 29. Oktober Wehr 29. Oktober Altmaier 28. Oktober Dr. Becker (Hersfeld) 28. Oktober Birkelbach 28. Oktober Fürst von Bismarck 28. Oktober Dr. Blank (Oberhausen) 28. Oktober Dr. Bucher 28. Oktober Böhm (Düsseldorf) 28. Oktober Dr. Czermak 28. Oktober Dr. Deist 28. Oktober Dr. Drechsel 28. Oktober Dr. Eckhardt 28. Oktober Erler 28. Oktober Even 28. Oktober Feldmann 28. Oktober Gräfin Finckenstein 28. Oktober Dr. Furler 28. Oktober Gems 28. Oktober Dr. Dollinger 28. Oktober Glüsing 28. Oktober Graaff (Elze) 28. Oktober Haasler 28. Oktober Dr. Hammer 28. Oktober Hansen (Köln) 28. Oktober Dr. Graf Henckel 28. Oktober Dr. Hellwig 28. Oktober Höcherl 28. Oktober Höfler 28. Oktober Dr. Horlacher 28. Oktober Jacobi 28. Oktober Dr. Jentzsch 28. Oktober Kalbitzer 28. Oktober Frau Kalinke 28. Oktober Kiesinger 28. Oktober Dr. Kopf 28. Oktober Dr. Kreyssig 28. Oktober Dr. Leiske 28. Oktober Lemmer 28. Oktober Lenz (Brühl) 28. Oktober Dr. Lenz (Godesberg) 28. Oktober Dr. Leverkuehn 28. Oktober Dr. Löhr 28. Oktober Dr. Luchtenberg 28. Oktober Lücker (München) 28. Oktober Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 28. Oktober Dr. Lütkens 28. Oktober Dr. Maier (Stuttgart) 28. Oktober Marx 28. Oktober Frau Meyer-Laule 28. Oktober Dr. Mommer 28. Oktober Dr. Oesterle 28. Oktober 011enhauer 28. Oktober Paul 28. Oktober Pelster 28. Oktober Dr. Pohle (Düsseldorf) 28. Oktober Dr. Dr. h. c. Pünder 28. Oktober Dr. Reif 28. Oktober Frau Dr. Rehling 28. Oktober Sabaß 28. Oktober Dr. Schild (Düsseldorf) 28. Oktober Dr. Schmid (Frankfurt) 28. Oktober Dr. Schöne 28. Oktober Frau Schroeder (Berlin) 28. Oktober Schütz 28. Oktober Graf von Spreti 28. Oktober Sträter 28. Oktober Struve 28. Oktober Trittelvitz 28. Oktober Unertl 28. Oktober Dr. Wahl 28. Oktober Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 28. Oktober Wehner 28. Oktober Frau Welter (Aachen) 28. Oktober Anlage 2 Drucksache 1730 (Vgl. S. 5975 C) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (27. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 98 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 1. Juli 1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen (Drucksache 1368) Berichterstatter: Abgeordneter Scheppmann Der in der Drucksache 1368 vorliegende Gesetzentwurf betrifft die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 98 der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf. Das Übereinkommen hat die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen zum Gegenstand. Es soll wichtige Grundsätze des Vereinigungsrechtes im Verhältnis von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern sichern. Der Artikel 1 des Übereinkommens behandelt den persönlichen Schutz der organisierten Arbeitnehmer gegen unterschiedliche Behandlung. Danach darf die Beschäftigung eines Arbeitnehmers nicht davon abhängig gemacht werden, daß der betreffende Arbeitnehmer keiner Gewerkschaft angehört oder aus ihr austritt. Weiter soll der Arbeitnehmer davor gesichert werden, daß er entlassen oder sonst benachteiligt wird, weil er einer Gewerkschaft angehört oder sich außerhalb der Arbeitszeit gewerkschaftlich betätigt. Der Artikel 2 betrifft den Schutz der Organisationen sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber gegen eine Einmischung von der anderen Seite. Durch diese Vorschrift soll vor allem verhindert werden, daß sich sogenannte gelbe, d. h. von der Arbeitgeberseite abhängige Gewerkschaften bilden. Das geht deutlich aus der betreffenden Bestimmung des Übereinkommens hervor, in der es heißt, daß als Einmischung von der anderen Seite die Schaffung abhängiger Arbeitnehmerorganisationen oder die Unterstützung bestehender Arbeitnehmerorganisationen vor allen Dingen durch Geldmittel gilt. Das sind die wesentlichsten Grundsätze, denen, wenn heute das Ratifikationsgesetz verabschiedet wird, innerstaatliche Geltung verliehen werden soll. Eine Ratifikation dieser Grundsätze ist dann möglich, wenn sie sich mit dem bestehenden deutschen Rechtszustand decken. Die Prüfung dieser Frage hat längere Zeit die Regierungsstellen beschäftigt. Was zunächst die Grundsätze des Übereinkommens anbetrifft, das den Arbeitnehmer davor schützen soll, daß er nicht wegen seiner gewerkschaftlichen Zugehörigkeit benachteiligt wird, so ist wohl von Anfang an kaum ein Zweifel darüber aufgetaucht, daß unser Rechtszustand ausreichend ist, um das Übereinkommen Nr. 98 zu ratifizieren. Vor allem haben nach § 51 des Betriebsverfassungsgesetzes Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, daß jede unterschiedliche Behandlung von Persosnen wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleibt. Außerdem würde nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen ein Verstoß gegen die guten Sitten angenommen werden müssen, wenn z. B. ein Arbeitnehmer wegen seiner gewerkschaftlichen Zugehörigkeit entlassen würde. Was das Verbot der Einmischung von der anderen Seite anbetrifft, so liegen die Dinge hinsichtlich einer Ratifikation etwas schwieriger. Besondere Vorschriften, welche die Bildung von gelben Gewerkschaften ausschließen oder vielleicht sogar die Unterstützung von Arbeitnehmerorganisationen durch Arbeitgeber unter Strafe stellen, sind in unserer Rechtsordnung nicht enthalten. Ein wirksamer Schutz gegen die von dem Übereinkommen Nr. 98 behandelte Einmischung von der anderen Seite liegt jedoch nach unserem arbeitsrechtlichen System darin, daß im Falle derartiger Einmischungen den betreffenden Verbänden die Tariffähigkeit aberkannt und ihnen damit die Möglichkeit genommen wird, sich auf dem Gebiet der Gestaltung der Arbeitsbedingungen über Tarifverträge zu betätigen. Ob die Aberkennung der Tariffähigkeit als Grundlage für die Ratifikation des Übereinkomawns Nr. 98 ausreichend ist, war deshalb streitig gewesen, weil in der deutschen Übersetzung des Übereinkommens die Worte: ausreichender Schutz vor Einmischungen „zu gewähren ist" enthalten waren. Man hatte geglaubt, daraus folgern zu müssen, daß die Aberkennung der Tariffähigkeit allein nicht ausreichend sei, sondern der Staat darüber hinaus für besondere Schutzvorschriften gegen Einmischung zu sorgen hätte. Der Ausschuß für Arbeit hat sich nun sehr eingehend mit der Frage einer möglichen Ratifikation des Übereinkommens beschäftigt; mehrfach haben Besprechungen mit Sachverständigen und den zuständigen Stellen über die Auslegung des Übereinkommens stattgefunden. Dabei hat sich die Überzeugung durchgesetzt, daß die deutsche Übersetzung in diesen Worten „zu gewähren ist" im Vergleich zu dem authentischen englischen und französischen Text ungenau ist. Richtiger müßte es in der Übersetzung heißen „sollen gebührenden Schutz genießen". Von dieser Grundlage ausgehend wird es auch nach nunmehr übereinstimmender Auffassung der Sachverständigen keiner besonderen Vorschrift mehr über das Verbot der Einmischung bedürfen, um das Übereinkommen Nr. 98 zu ratifizieren. Der Ausschuß für Arbeit hat deshalb auch in seiner Sitzung vom 14. September. 1955 einstimmig beschlossen, die Annahme des Ratifikationsgesetzes durch das Plenum zu empfehlen. Bonn, den 29. September 1955 Scheppmann Berichterstatter Anlage 3 zu Drucksache 1784 (Vgl. S. 5976 A) Schriftlicher Bericht des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Entwurf einer Dritten Ergänzung (gemäß § 11 RWB) zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 (Drucksache 1683). Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Vogel Mit dem Entwurf einer Dritten Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955, der Ihnen in der Drucksache 1683 vorliegt und (Dr. Vogel) über den ich Ihnen namens des Haushaltsausschusses zu berichten habe, hatte die Bundesregierung beabsichtigt, eine Lücke im Regierungsentwurf des Einzelplans 05 (Auswärtiges Amt) des Bundeshaushalts 1955 zu schließen. Der Regierungsentwurf enthielt nämlich im Abschnitt Personalausgaben des Haushaltskapitels 05 01, Haushalt des Auswärtigen Amts, noch keinen Stellenplan und für die einzelnen Titel des Abschnitts Personalausgaben nur Pauschalbeträge, da bei Aufstellung des Planentwurfs ein vom Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung angefordertes Gutachten über die Organisation und den Kräftebedarf des Auswärtigen Amtes noch nicht vorlag. Über dieses Gutachten, das Ende Dezember 1954 eingegangen ist, waren längere Verhandlungen zwischen den beteiligten Ressorts notwendig. Mit dem Ihnen als Drucksache 1683 vorliegenden Entwurf einer Dritten Ergänzung zum Bundeshaushalt 1955 hat die Bundesregierung nach Abschluß dieser Verhandlungen den gesetzgebenden Körperschaften einen Vorschlag für den Stellenplan und für die Bemessung der Personalausgaben beim Auswärtigen Amt für das Rechnungsjahr 1955 vorgelegt. Die Vorlage ist dem Bundesrat am 2. Juni 1955, dem Bundestag am 16. September 1955 zugegangen. Damit der Haushaltsausschuß bei Beratung des Entwurfs zum Haushalt des Auswärtigen Amts für 1955 über vollständiges Material verfügte, hatte ihm der Bundesfinanzminister im Mai dieses Jahres den Inhalt der auf dem verfassungsmäßigen Wege den gesetzgebenden Körperschaften zuzuleitenden Dritten Ergänzung zum Haushalt 1955 zu informatorischen Zwecken zugehen lassen. Da der Haushaltsausschuß seine Arbeit am Bundeshaushalt 1955 beschleunigt zum Abschluß bringen mußte und nicht warten konnte, bis die Dritte Ergänzung auf dem für die Gesetzgebung vorgeschriebenen formellen Wege an den Bundestag gelangt, hatte der Haushaltsausschuß sich noch im Mai 1955 mit dem materiellen Inhalt der Ergänzungsvorlage befaßt und auf Grund von Initiativanträgen sachlich zum Inhalt dieser Vorlage Beschluß gefaßt. Das Plenum des Bundestages ist bei Verabschiedung des Bundeshaushalts 1955 den Anträgen des Haushaltsausschusses gefolgt, so daß damit sachlich die Ergänzungsvorlage vom Bundestag bereits erledigt worden ist. Von der sachlichen Seite gesehen hätte die Bundesregierung nunmehr davon absehen können, den Entwurf der Dritten Ergänzung noch dem Bundestag zur Beschlußfassung zuzuleiten. Sie hat dies lediglich aus dem Grunde getan, weil sie einerseits geglaubt hat, die Stellungnahme des Bundesrates zu dieser Ergänzungsvorlage dem Bundestag nicht vorenthalten zu können, und weil sie andererseits keinen anderen formal einwandfreien Weg gesehen hat, den Beschluß des Bundesrates und ihre Stellungnahme hierzu dem Bundestag zur Kenntnis zu bringen. Der Bundesrat hatte zwar von einer sachlichen Stellungnahme zu der Ergänzungsvorlage abgesehen, da diese schon unmittelbar dem Bundestag zugeleitet worden sei und dem Haushaltsausschuß des Bundestages für seine Beratung und Beschlußfassung am 20. Mai 1955 als Unterlage gedient habe. Er hat aber in seinem Beschluß feststellen zu müssen geglaubt, daß die Bundesregierung den in Art. 76 Abs. 2 GG vorgeschriebenen Weg der Gesetzgebung nicht eingehalten habe. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Beschluß des Bundesrates ausgeführt, daß der Dritte Ergänzungsentwurf dem Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses lediglich zur I n f or ma t i o n des Haushaltsausschusses übersandt worden ist mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß sie dem Bundesrat und dann dem Bundestag in der vorgeschriebenen formellen Weise vorgelegt werden solle, was inzwischen auch geschehen ist. Sie hat hierin einen Verstoß gegen Art. 76 Abs. 2 GG nicht gesehen, da Art. 76 nur den Weg der Gesetzesvorlagen vorschreibt, der Dritte Ergänzungsentwurf dem Haushaltsausschuß aber nicht als Gesetzesvorlage, sondern nur zur informatorischen Unterrichtung zugeleitet worden ist. Da, wie ich schon erwähnt habe, der Haushaltsausschuß auf Grund von Initiativanträgen aus seiner Mitte zu den Anforderungen und Vorschlägen der dem Bundestag nunmehr formell übermittelten Ergänzungsvorlage sachlich Beschluß gefaßt hat und seine Beschlüsse vom Plenum in den Entwurf des Haushaltsplans 1955 bereits eingearbeitet sind, schlägt Ihnen der Haushaltsausschuß mit seinem Antrag — Drucksache 1784 — vor, den Dritten Ergänzungsentwurf — Drucksache 1683 — als durch die Beschlußfassung zum Haushaltsgesetz 1955 erledigt abzulehnen. Namens des Haushaltsausschusses bitte ich, diesem Antrag zu entsprechen. Bonn, den 26. Oktober 1955 Dr. Vogel Berichterstatter Anlage 4 Umdruck 490 (Vgl. S. 5988 C ff.) Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betreffend Vereinfachung der Verwaltung (Drucksache 1383 [neu]): Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag — Drucksache 1383 [neu] — wie folgt zu ergänzen: Der Ausschuß hat bei seinen Arbeiten u. a. von folgenden Richtlinien auszugehen: 1. Überflüssige Bundesministerien sind noch innerhalb des Rechnungsjahres 1955 abzubauen. 2. Aufgaben, die zur Zeit in mehreren Bundesministerien oder Bundesbehörden nebeneinander durchgeführt werden, sind durch eine einzige Dienststelle zu erledigen. 3. Die vorhandenen Bundesoberbehörden sind in ihrer Zahl zu verringern oder zusammenzulegen. Jede Bundesoberbehörde darf der alleinigen Kontrolle nur jeweils eines Bundesministeriums unterliegen. 4. Bei Aufgaben, die Bund und Länder auf Grund der Gesetzgebung oder auf Grund von Verwaltungsvereinbarungen gemeinsam durchzuführen haben, sollen soweit wie möglich diese Aufgaben künftighin nicht nur teilweise, sondern in vollem Umfange dem Bund oder den Ländern allein zur Durchführung übertragen werden. 5. Unnötige oder nach dem Grundgesetz dem Bund nicht zustehende Aufgaben sind abzubauen, so z. B. a) ist die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes aufzulösen, b) sind die Paß-, Devisen- und Zollkontrollen, insbesondere an den Grenzen, zu beseitigen oder zu vereinfachen. 6. Unter Anerkennung des Grundsatzes, daß das Steueraufkommen zwischen Bund und Ländern aufzuteilen ist, ist eine ungeteilte Finanzverwaltung zu schaffen. 7. a) Auf dem Gebiete der Gesetzgebung ist eine bessere Übereinstimmung zwischen dem Bund und den Ländern herbeizuführen, b) für eine gleichmäßige Auslegung und Anwendung der Bundesgesetze durch die nachgeordneten Behörden ist zu sorgen. 8. Eine unmittelbare Beteiligung des Bundesrechnungshofes bei der Aufstellung der Bundeshaushaltspläne ist festzulegen. 9. Für den Haushalt des Bundes und der Länder sind ein einheitliches Haushaltsschema und einheitliche Eingliederungsbestimmungen auszuarbeiten. 10. Die Verwaltungsarbeit ist durch eine Büroreform zu rationalisieren. Bonn, den 26. Oktober 1955 Ollenhauer und Fraktion
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    Rede von Dr. Rudolf Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß selten eine an sich durchaus diskutierfähige Angelegenheit schlechter begründet worden ist, als es diesmal der Fall war.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich stehe auch nicht an, in aller Form namens meiner Freunde mein Bedauern darüber auszusprechen, daß hier eine Angelegenheit, die die Fraktion mit ihrem Namen deckt und die sie im Prinzip durchaus für richtig hält, mit Wendungen begründet worden ist, die wir ablehnen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Auf der andern Seite möchte ich in aller Klarheit folgendes sagen: — —

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Aber wahr ist es doch im einzelnen, was er gesagt hat!)

    — Wenn Sie das mit unterschreiben wollen?

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Vor allem die Zahl der Ministerien, Herr Kollege Vogel!)

    — Wir können uns über Ministerien ja immer unterhalten; das wissen Sie. Wir sind für solche Dinge durchaus aufgeschlossen.

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Versprechen Sie nicht zu viel! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Sie wissen, daß wir bei der Debatte über diese Dinge in voller Klarheit erklärt haben, daß bestimmte politische Entscheidungen nicht in einen Topf mit Verwaltungsvereinfachungsmaßnahmen geworfen werden sollen. Das hat gar nichts miteinander zu tun. Darüber sind wir uns, glaube ich, völlig einig. Aber wir dürfen hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und Vorwürfe gegen die Verwaltung als solche richten, die uns, meine Damen und Herren, selber treffen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wenn dieses Hohe Haus nicht eine solche Unzahl von Gesetzen beschließen würde, wäre es auch nicht notwendig, draußen den Verwaltungsapparat entsprechend zu erweitern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe keineswegs die Absicht, diese Debatte, die wir nicht wünschen und die wir heute jedenfalls nicht in diesem Umfang führen wollen, zu vertiefen. Ich könnte darüber eine Stunde lang Ausführungen machen, um das zum Teil wieder zurechtzurücken, was vorher den Anschein erwecken konnte, als ob meine Fraktion die Absicht hätte, die Verwaltung als solche zu verdammen und ihr Vorwürfe zu machen, die weiß Gott zu einem großen Teil nicht berechtigt sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Außerdem möchte ich eins in aller Klarheit feststellen: Wer die mühsame, mehr als mühsame Ar-


    (Dr. Vogel)

    beit des Haushaltsausschusses kennengelernt hat — und ich würde Herrn Kollegen Bergmeyer sehr dringend einladen, sich als Hospitant an dieser Arbeit zu beteiligen —,

    (Lachen bei der SPD)

    der würde doch zumindest Respekt davor gewonnen haben, was dort in 44 langen Sitzungen vor der Verabschiedung des letzten Haushalts an Einsparungen erarbeitet worden ist. Das Hohe Haus hat mit großer Mehrheit den Antrag meines Kollegen Brese angenommen, wonach jeder vierte freiwerdende Posten eingespart wird. Das ist eine Maßnahme, meine Damen und Herren, die, auf weite Sicht gesehen, mehr Einsparungen bringen wird als der Antrag, der uns heute vorliegt.

    (Zuruf vom GB/BHE: Das war aber eine Überraschung!)

    Wir sind auf der anderen Seite der festen Überzeugung, daß man für die Vereinfachung und für die Verkürzung des Kompetenzweges etwas tun sollte. Dem dient auch der Antrag. Sie werden das erkennen, wenn Sie ihn aufmerksam durchlesen. Es läßt sich daraus etwas machen. Aber, meine Damen und Herren, der schärfste Appell muß an uns selbst gerichtet werden. Entweder wir beachten bei künftigen Gesetzen, welche Ausgaben sie verursachen und welche neuen Verwaltungen sie bedingen, oder jede Anstrengung zur Verminderung der öffentlichen Verwaltung wird nutzlos sein. Damit will ich ganz kurz schließen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Menzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Walter Menzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Anklagerede, die Herr Kollege Dr. Bergmeyer gegen die Bundesregierung gehalten hat, könnte ich es mir an sich sehr einfach machen. Aber ich will es mir nicht einfach machen; denn die Fragen um eine Verwaltungsreform sind nicht so einfach, sie sind sehr komplex, und je mehr man sich mit ihnen befaßt, desto mehr sieht man, wie schwierig und heterogen alle diese Probleme sind.
    Für den Bundestag ist diese Aussprache über eine Verwaltungsreform die erste ihrer Art. Diese Debatte wird zeigen, wie machtlos wir geworden sind — das soll kein abwertendes Urteil, sondern nur die Feststellung von Tatsachen sein — gegenüber der Allmacht der Bürokratie und gegenüber der Entwicklung des modernen Staates in den letzten Jahrzehnten, vor allem seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Bemühungen um eine Verwaltungsreform sind nicht neu. Bei jedem Wahlkampf, sei es im Bund, sei es in den Ländern, wird sie neu angekündigt. Dann werden Sonderausschüsse in den Ländern eingesetzt, und nachher stellt man fest, daß die Verwaltungen doch immer wieder umfangreicher geworden sind als vor Einsetzung der Sonderkommisionen.
    Die Schwierigkeit, meine Damen und Herren, besteht nämlich gar nicht darin, eine Verwaltungsreform zu fordern — das haben im letzten Jahrhundert schon viele getan —, die Schwierigkeiten beginnen erst, wenn man versucht, sich einmal konkrete Vorstellungen darüber zu machen, was denn nun zu geschehen habe.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Insofern befriedigt uns der von Herrn Kollegen Dr. Bergmeyer ausgegangene und nunmehr von seiner Fraktion übernommene Antrag nicht ganz, weil er sich im wesentlichen noch darauf beschränkt, ein bestimmtes Verfahren vorzuschlagen, während unser Ergänzungsantrag — insofern halte ich ihn für besser — sich bemüht, zugleich darüber etwas zu sagen, von welchen konkreten Vorstellungen der Ausschuß, den wir grundsätzlich bejahen, auszugehen hat. Auch die Herren Antragsteller haben offensichtlich dieses Dilemma gemerkt, wenn sie beantragen, daß diesem Ausschuß alle Denkschriften, „die auf diesem Gebiet seit 1910 abgefaßt worden seien, vorgelegt werden müßten". Aber meine Herren Antragsteller, ist Ihnen nicht klargeworden, daß das Waggonladungen von Altpapier sein würden? Der Ausschuß würde nicht nur in diesem Altpapier ersticken, sondern sich von vornherein alle Chancen zu produktiven Vorschlägen verbauen. Er würde in Gutachten ersticken, die damals, 1910, von ganz anderen Vorstellungen ausgegangen sind, von Vorstellungen über eine Situation, die mit der heutigen gar nicht mehr vergleichbar ist. Ich glaube, es wäre viel besser, wenn der Ausschuß völlig von neuem anfangen und nicht erst Unterkommissionen einsetzen müßte, die nur in den alten Akten blättern würden, ohne daß etwas dabei herauskäme. In der Tat dürfen die Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, nicht übersehen werden. Ich sagte schon: je mehr man in eine einzelne Verwaltungsorganisation hineinleuchtet, desto mehr türmen sich die Bedenken gegenüber Reformvorschlägen auf.
    Im allgemeinen wird immer noch viel zuwenig erkannt, wie sich die Aufgaben des Staates, beginnend in der Mitte des vorigen Jahrhunderts und dann sich fortsetzend bis nach dem zweiten Weltkriege, verlagert und vermehrt haben. Die Entwicklung vom Polizei- zum Rechtsstaat und dann später vom reinen Rechtsstaat zum modernen Wirtschafts-, Sozial- und Wohlfahrtsstaat hat auch den Aufbau der Organisation unserer Verwaltung tiefgreifend beeinflußt; sie hat die Aufgaben der Bürokratie erheblich vermehrt. Da sind, um nur einige neu hinzugekommene Aufgaben zu erwähnen, nach dem ersten Weltkrieg erstmalig die Probleme der Kriegsopferversorgung, dann die Schaffung von Siedlungsmöglichkeiten durch das Reichssiedlungsgesetz, die Bodenreform und schließlich, um einmal etwas längst Vergessenes wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, die Aufwertungsämter als Folge der damaligen Geldentwertung.
    Diese Entwicklung hat sich nach dem zweiten Kriege in einem erheblichen Maße fortgesetzt. Da sind die Probleme um den Wiederaufbau unserer zerstörten Städte, die man nur durch die Errichtung neuer Verwaltungen für den Wiederaufbau lösen konnte. Oder nehmen Sie die Organisationen zur Bewältigung der Vertriebenenprobleme und des Flüchtlingselends. Denken Sie an die vermehrte Kriegsopferversorgung, an die Spätheimkehrer und ihre Betreuung oder die Besatzungskostenämter. Oder nehmen Sie einmal etwas, was wir alle als etwas erfreuliches Neues in unserem Staat nach 1945 begrüßt haben, die neuen Gerichte: Bundesverfassungsgericht, der Ausbau der Landesverwaltungsgerichte zum Schutz des einzelnen Staatsbürgers, die Entschädigungsämter für die Opfer des Faschismus.
    Das sind alles Aufgaben, vor denen der Staat vor einem Jahrhundert gar nicht stand, woran er


    (Dr. Menzel)

    auch gar nicht denken konnte. Ist es ein Wunder, wenn sich die Zahl der öffentlichen Bediensteten von 1925 bis heute fast verdoppelt hat? Oder ist es ein Wunder, daß im Jahre 1913, wenn ich einmal die Haushaltsziffern durch die Zahl der Bevölkerung teile, an Ausgaben auf den Kopf der Bevölkerung nur je 125 Mark entfielen?; im Jahre 1925 waren es schon 230 Mark, und heute sind es rund 1000 DM. Ich weiß, daß die Kaufkraft von heute nicht vergleichbar ist mit dem Kaufpreis von damals. Was ich mit diesen Zahlen beweisen will, ist lediglich, zu zeigen, in welche Entwicklung wir im letzten Jahrzehnt hineingeraten sind. Hätte der Staat versucht, sich von der Lösung aller dieser neuen Probleme fernzuhalten, er wäre doch gegenüber der Bevölkerung, gegenüber dem einzelnen Staatsbürger in eine hoffnungslose und geradezu tödliche Isolierung geraten; denn die Masse der Bevölkerung sah doch vor allem seit der zunehmenden Industrialisierung, weil der einzelne, auf sich allein gestellt, hilflos sein mußte, in diesem Staate jenes Wesen, das bereit war, ihm im Falle der Not, der Krankheit, der Invalidität zu helfen. Darum durfte sich der Staat diesen Problemen gar nicht entziehen.
    Ich sage das vorweg, meine Damen und Herren, um nicht durch eine oberflächliche Propaganda, die immer wieder mit der Forderung nach einer Verwaltungsreform verbunden wird, draußen falsche Vorstellungen entstehen zu lassen. Wir müssen die Dinge auf das konkrete Maß zurückführen und sehen, daß bei dem Wesen des modernen Staates der Beschneidung der Verwaltung gewisse Grenzen gesetzt sind.

    (Abg. Dr. Mocker: Sehr gut!)

    Diese Entwicklung zum modernen Staat ist deshalb auch die große Hypothek, die auf allen Überlegungen für eine Verfassungsreform lastet. Selbst ein so kenntnisreicher Mann, einer der besten Verwaltungswissenschaftler, den Deutschland jemals gehabt hat, Gustav von Schmoller, ist als Vorsitzender der 1914 eingesetzten Verwaltungsreformkommission schließlich an der Entwicklung gescheitert, die die deutsche Verwaltung nach 1914/1918 genommen hat.
    Aber — und hier wende ich mich insbesondere an Kollegen Bergmeyer — von dieser Entwicklung ist auch die Wirtschaft nicht verschont geblieben. Herr Kollege Bergmeyer kommt aus der Wirtschaft. Gerade sie hat seit jeher nach einer Verbilligung, nach einer Vereinfachung des staatlichen Verwaltungsapparats gerufen. Aber ist denn die Industrie nicht den gleichen Weg wie die öffentliche Hand gegangen? Ist sie denn jemals bereit gewesen, vor ihrer eigenen Türe zu kehren? Haben wir bei ihr nicht die gleiche Entwicklung hinsichtlich des verwickelten Verwaltungsaufbaus, hinsichtlich der monströsen Verwaltungspaläste in der Wirtschaft wie beim Staat? Haben wir nicht auch in der Wirtschaft eine Entwicklung, die zum Teil noch das Maß dessen überschreitet, was wir heute bei der öffentlichen Hand leider feststellen müssen?

    (Allgemeine lebhafte Zustimmung.)

    Nordrhein-Westfalen hat nicht weniger als 20 Industrie- und Handelskammern. In Düsseldorf standen bereits vor einigen Jahren nicht weniger als 300 Wirtschaftsverbände im Telefonbuch. In Köln waren es nicht weniger als 42 Bundesverbände. So hat die Wirtschaft ihre Verwaltungen in einem
    viel schnelleren Tempo ausgebaut, als es der Staat jemals getan hat. Daher sind wir skeptisch und mißtrauisch, wenn gerade aus jener Ecke der Ruf nach einer Verbilligung der Verwaltung kommt, die selber nicht bereit ist, sich mehr zu bescheiden, sondern ihre Betriebswirtschaft und ihre Betriebsbürokratie auf Kosten des Konsumenten über das rechte Maß hinaus aufbaut.

    (Zustimmung bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Der Antrag des Kollegen Bergmeyer hat damals viel Aufsehen erregt. Das ist verständlich. Fragen der Verwaltungsreform sind immer beliebt, weil mancher glaubt, dabei wegen eines ablehnenden Bescheides, den er bei irgendeinem Antrag bekommen hat, sein Mutehen kühlen zu können.
    Aber, Kollege Bergmeyer, noch-überraschter war man, als die Antragsteller dann beim ersten Anlauf Angst vor der eignen Courage bekamen. Als die SPD-Fraktion bei den Haushaltsberatungen nicht nur die Streichung überflüssiger Ministerien, sondern auch die Streichung einiger Baufonds, Einschränkungen bestimmter Geheimfonds forderte, wurden diese unsere Anträge ausgerechnet auch durch die Antragsteller von heute zu Fall gebracht.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Vergleichen Sie die Größe des Kabinetts von 1949 und heute! Daß man bei der Einrichtung von Sonderministerien nach wie vor ein schlechtes Gewissen hat, ergibt sich schon daraus, daß man die Blöße dieser etwas nackten Ministerien immer wieder dadurch zu bemänteln sucht, daß man ihnen so kleine Angelegenheiten zukommen läßt, — die Wasserwirtschaftsfragen Herrn Kraft, die Mittelstandsfragen Herrn Schäfer und die Atomfragen jetzt Herrn Strauß. Es bleibt nur einer übrig, der nichts bekommen hat.
    Denken Sie auch an das Feuerwerk, das damals, 1953, die Regierung von Nordrhein-Westfalen veranstaltete, als sie der erfreuten Öffentlichkeit mitteilte, sie werde an einen radikalen Abbau der Verwaltung herangehen, von den sechs Regierungspräsidenten würden nicht weniger als vier verschwinden und auch die staatlichen Aufgaben werde man abbauen. Das ist alles kläglich zusammengebrochen. Wir haben heute noch so viele Regierungspräsidenten wie früher, wir haben sogar eine Vermehrung der Mittelinstanzen in Nordrhein-Westfalen, indem man nicht nur die Mittelinstanz der Regierungspräsidenten gelassen, sondern darüber hinaus eine neue Mittelinstanz in der Form der beiden alten Provinzialverbände als Landschaftsverbände geschaffen hat.

    (Zuruf des Abg. Stücklen.)

    — Herr Kollege Stücklen, sicherlich gibt es das woanders auch, aber nachdem wir sie in Nordrhein-Westfalen Gott sei Dank abgeschafft hatten, um eine Vereinfachung durchzuführen, lag überhaupt keine Veranlassung vor, erneut eine zweite Mittelinstanz zu schaffen.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Zweckverband!)

    1950 hatte Nordrhein-Westfalen rund 100 000 öffentliche Bedienstete; aber nach der Ankündigung des Verwaltungsabbaus hatte Nordrhein-Westfalen genau 200/0 mehr Bedienstete. Selbst wenn ich die Polizei herauslasse, die inzwischen verstaatlicht worden


    (Dr. Menzel)

    war, ist das ein typisches Beispiel für das wirkliche Verhältnis von Propaganda und Wirklichkeit.
    Oder nehmen Sie den letzten Konflikt in Schleswig-Holstein, wo die Landesregierung — an der wir Sozialdemokraten ja nicht beteiligt sind — mitten im Haushaltsjahr die Schaffung von mehr als hundert neuen Planstellen durchgedrückt hat, mit der Begründung, wenn wir nächstens eine neue Wehrmacht hätten, brauche auch die Landesregierung Schleswig-Holstein mehr Planstellen für Zivilbeamte und Angestellte.
    Die Länderverwaltungen haben sich vergrößert, obwohl den Ländern seit 1949 erhebliche Aufgabengebiete abgenommen und auf den Bund verlagert worden und obwohl seit 1950 weitere Zweige der Verwaltung ganz verschwunden sind, z. B. die Wirtschafts- und die Ernährungsämter.
    Wir sind begreiflicherweise skeptisch, ob die Länder bereit sein werden, Richtlinien, die hier — oder im Ausschuß — erarbeitet werden, zu akzeptieren. Aber ich glaube, daß trotz dieser Skepsis, die wir nach all den Erfahrungen der letzten Jahre haben, der Bundestag sich diesen Aufgaben nicht entziehen darf.

    (Zustimmung.)

    Zunächst müssen wir allerdings die leidige Frage der Zuständigkeit prüfen. Natürlich gäbe es ein reiches Betätigungsfeld auch dann, wenn wir uns auf die Verwaltung des Bundes beschränken müßten und würden. Denn der Bund beschäftigt immerhin zur Zeit — ohne die Betriebsverwaltungen von Post und Eisenbahn — rund 108 000 Personen. Wenn Sie es wenigstens da mit Ihrem Antrag wirklich so meinen, wie es draußen gesagt worden ist, kämen wir schon ein gutes Stück weiter. Denn Sie und wir haben schließlich die Mehrheit im Bundestag.
    Aber, meine Herren Antragsteller: wenn Sie sich mit Ihrem Antrag nur auf eine Reform der Bundesverwaltung beschränken, dann muß ich darauf hinweisen, daß Sie das doch hätten viel einfacher haben können, wenn Sie das, was Sie heute so laut fordern, schon vom Anbeginn des Aufbaues der Bundesverwaltung beherzigt hätten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie beklagen sich heute über die vielen Verwaltungen, über die vielen Beamten und über die vielen Abgeordneten des Bundes und der Länder. Aber damals, als wir im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz schufen, las man es anders. Natürlich
    — ich werde nachher noch einige Worte dazu sagen
    — akzeptieren wir den Föderalismus. Aber der Druck, den Ländern mehr Macht einzuräumen als dem künftigen Bund, was eine noch größere Apparatur in den Ländern zur Folge gehabt hätte, ging doch damals gerade von Ihnen aus.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es ist recht billig, sich heute hinzustellen und gegen das zu polemisieren, was man selbst geschaffen und als großen Erfolg hingestellt hat und was man hätte von Anfang an vermeiden können, wenn man es wirklich gewollt hätte.
    Ich sagte, der Antrag Bergmeyer und der CDU beschränkt sich leider auf die Bundesverwaltung und auf die „Verbindung zwischen dem Bund und den Ländern". Wir aber sind der Meinung, daß das nicht ausreicht. Wenn wir der Sache wirklich auf den Grund gehen wollen, meine Damen und Herren, müssen wir versuchen, mit den Vorstellungen über einen vernünftigen Verwaltungsaufbau, d. h. der Schaffung einer einfacheren, für den Staatsbürger viel durchsichtigeren Verwaltungsorganisation, bis in die Länder und bis in die Gemeinden vorzudringen. Sonst bleiben unsere Bemühungen Stückwerk. Im öffentlichen Dienst der Länder und Gemeinden sind, nach einer Veröffentlichung des „Bulletins" vom 5. August dieses Jahres, zweieinhalb Millionen Personen beschäftigt, also fünfundzwanzigmal mehr als im Bund. Schon aus diesen Zahlen sehen Sie, daß der Schwerpunkt unserer Bemühungen bei den Ländern und Gemeinden liegen muß. Ich verweise auf Art. 83 ff. des Grundgesetzes, wonach alle Bundesgesetze von den Ländern auszuführen sind. Das heißt, was wir hier beschließen, bedeutet fast immer eine Vermehrung der Verwaltungsorganisation der Länder.
    Nun wissen wir natürlich, daß, wenn wir die Länder etwas an die — jetzt im freundlichen Sinne gemeint — Kandare nehmen wollen, das nicht leicht sein wird und daß die Unterschiedlichkeiten bei den Länderverwaltungen erheblich sind. Das fängt schon bei dem sehr heiklen Problem der Kompetenzverteilung zwischen der Regierung und den Selbstverwaltungskörperschaften an. Das Ausmaß der Kommunalaufsicht ist — nicht nur in der Länder-Gesetzgebung, sondern vor allem auch in der täglichen Praxis der Administration — in dem einen Lande völlig anders als in dem anderen. Hier müßten wir, weil sich eine gute oder schlechte Gemeindeorganisation immer bis zum letzten Staatsbürger auswirkt, für den sich der Staat zumeist nicht im Bund, sondern in seiner Gemeindeverwaltung repräsentiert, um dieses Staatsbürgers willen versuchen, in etwa gewisse gleichmäßige und einheitliche Richtlinien vorzuschlagen.
    Ich denke an das leidige Problem der Sonderbehörden, die Gott sei Dank in den Ländern weitgehend verschwunden sind, weil sie in einem politischen Zwielicht standen. Ich erinnere an das leider auch nicht überall glücklich gelöste Problem der staatlichen und der kommunalen Polizei und ihr Verhältnis zu ihrer „Konkurrenz", dem Bundesgrenzschutz, und der Verwaltung des Paßwesens und des Zolldienstes.
    Ich sage dabei, um nicht mißverstanden zu werden, ausdrücklich, wir wünschen nicht, daß auf allen diesen Gebieten eine Einheitlichkeit in den Ländern geschaffen wird. Aber wir sind der Meinung, daß sich trotzdem gewisse allgemeingültige Grundsätze aufstellen lassen, um die Verwaltung der Länder durchsichtiger zu gestalten als bisher.
    Daher möchte ich namens meiner politischen Freunde folgendes sagen. Sollten die Länder, falls der Ausschuß wirklich zu vernünftigen, allseitig akzeptierten Vorschlägen kommen sollte, nicht bereit sein, diese Empfehlungen anzunehmen — wenn auch vielleicht von Fall zu Fall etwas nuanciert —, dann wären wir unter Umständen zu einer Verfassungsänderung bereit, damit der Bund die Länder anhalten könnte, das zu tun, was ihnen frommt. Es wäre auch zu überlegen — das zu untersuchen wird eine weitere Aufgabe des Ausschusses sein —, ob die Mitglieder jener Kommission nicht vom Bundespräsidenten ernannt werden sollten, damit sie sich unabhängiger fühlen und ihre Vorschläge draußen nachdrücklicher zur Kenntnis genommen werden würden. Ich sage, das ist eine Überlegung, die wir anstellen müssen. Die


    (Dr. Menzel)

    endgültige Entscheidung wird davon abhängen, was der Ausschuß erarbeiten wird.
    Wir hoffen aber — und das ist wirklich unser ehrlicher Wunsch —, daß es solcher Mittel gegenüber den Ländern nicht bedarf. Denn die Länder waren, ehe der Bund entstand, durchaus bereit, sich auf vielen Gebieten über einen einheitlichen Aufbau eines Teiles ihrer Verwaltungen zu einigen und zu verständigen.
    Ich erinnere — die Zeit ist manchmal sehr kurzlebig, und es ist gut, wieder daran zu denken — an die einstimmigen Beschlüsse des Zonenbeirats von Godesberg vom 13. Juni 1946, in denen für den Bereich der britischen Zone Richtlinien gegeben wurden, wie die Länder nicht nur hinsichtlich ihrer Grenzziehung, sondern auch hinsichtlich ihrer inneren Verwaltung aufgebaut werden sollten.
    Ich erinnere an die sehr eingehenden Denkschriften und Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände, des Landkreistages, des Städtebundes und vor allem an die Denkschriften und sehr klaren Vorschläge des Städtetages über den Aufbau der Selbstverwaltungskörperschaften. Sie haben, Herr Kollege Bergmeyer, die Zweigleisigkeit der Kommunalverwaltung in Nordrhein-Westfalen kritisiert. Ich war es ja, der im Lande Nordrhein-Westfalen einer der Vorkämpfer der alten kollegialen Magistratsverfassung war, und ich habe mich bis zum letzten gegen die auch von Ihnen mit Recht kritisierte Zweigleisigkeit der neuen Städteordnung gewehrt. Aber, Herr Kollege Bergmeyer, es war Ihre Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen, die darauf bestand, dieses System der Zweigleisigkeit endgültig in unsere Städteordnung zu übernehmen.
    Ich erinnere schließlich an die Meinberger Beschlüsse der Innenminister vom Mai 1948 über den einheitlichen Aufbau der Polizei in den Ländern.
    Meine Damen und Herren, bei den Vorstellungen von den Möglichkeiten einer Verwaltungsreform gehen wir von folgenden Grundsätzen aus. Zunächst müssen wir uns darüber klar sein — und wir sollten das auch nach draußen mit aller Offenheit und mit Mut vertreten —, daß sich eine Verwaltungsreform nicht erschöpfen kann in dem Herumstreichen an dieser oder jener Planstelle oder an diesem oder jenem Sachtitel. Natürlich sind wir für jede Einsparung, das ist ganz selbstverständlich. Aber dies er Teil der Überlegungen ist und kann nur der geringste Teil einer Verwaltungsreform sein. Denn die Planstellen und damit der Umfang des Personal- und Verwaltungsapparates sind doch nur eine Folge richtiger oder falscher Verwaltungsorganisation und einer richtigen oder falschen Aufteilung der Funktionen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Zweifellos ist eine Einsparung von Planstellen und bei den Sachtiteln sehr dankenswert, und hier könnten sich die Landesrechnungshöfe und die Gemeindeprüfungsämter noch reichlich betätigen. Man hat früher viel über die Preußische Oberrechnungskammer gelästert, und über sie ist manche gute Anekdote durch die Amtsstuben gegangen. Aber ich meine, es wäre manches auch bei uns besser und der Staatsbürger könnte wirklich manchen Taler sparen, wenn der Geist der alten Preußischen Oberrechnungskammer bei uns umginge.

    (Allseitiger Beifall. — Abg. Dr. Dresbach: Ein Sozialdemokrat bringt ein Hoch auf Preußen aus! — Heiterkeit.)

    — Wir Sozialdemokraten waren ja nie schlechte Preußen, Herr Dresbach!

    (Abg. Dr. Dresbach: Sehr schön! — Beifall bei der SPD.)

    Das haben Sie vor allem bei der Preußen-Regierung von 1918 bis 1933 gesehen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Auch vorher, Herr Menzel! Vorher war es auch nicht so schlecht! Da wollen wir unseren Bayern nicht glauben, was sie da sagen! Heiterkeit.)

    — Mit d e r Begründung wäre ich einverstanden.
    Ein zweiter, mehr theoretischer Grundsatz, der sich aber in der Praxis ausbauen ließe: Ich meine eine bessere Verteilung der Verwaltungsverantwortung. Ich habe manchmal den Eindruck, daß die Vielheit der Behörden hier und dort dazu führt, daß die Einheit der Verwaltung und die Klarheit der Verwaltungsverantwortung sich verwischt,

    (Abg. Dr. Strosche: Richtig!)

    d. h. daß, wenn in der Verwaltung einmal etwas schiefgegangen ist, sich immer einer auf den anderen als den wahren Schuldigen beruft. Das ist ein anonymes Kollegialsystem, das wir nicht gebrauchen können. Nur durch solche klaren Grenzziehungen können wir Überschneidungen und Reibungen zwischen den Verwaltungen vermeiden. Sie ersehen aus unserem Antrag*), daß wir vor allem hinsichtlich der Bundesoberbehörden Zweifel und Bedenken haben. Je weniger Oberbehörden wir haben — es werden nicht alle zu vermeiden sein, das wissen auch wir —, desto weniger besteht die Gefahr von Doppelzuständigkeiten und Reibungsverlusten.
    Nun noch zwei positive Forderungen. Bei allem Respekt, auch bei dem Ausbau parlamentarischer Vertretungen bescheiden zu bleiben, werden wir uns dagegen wehren, daß eine Verwaltungsreform etwa dazu führt, irgendeinen Verwaltungsapparat der politisch-parlamentarischen Kontrolle zu entziehen. Das gilt auch für die Gemeinden. Es darf nicht dahin kommen, daß sich durch Herumstreichen an den Vertretungen — ich meine hier speziell die Gemeindevertretungen — die Behörden einer effektiven Kontrolle der jeweiligen politischen Vertretung entziehen könnten.

    (Abg. Dr. Vogel: Darin sind wir uns völlig einig!)

    Und die zweite Forderung, an der gerade uns liegt und an der wir auf Grund gewisser Erfahrungen in den Ländern unbedingt festhalten: Wir würden uns dagegen wenden, daß eine Verwaltungsreform lediglich als Vorwand dafür benutzt werden würde, soziale Errungenschaften, sei es im Bund, in den Ländern, in den Gemeinden oder auch in der Wirtschaft, abzubauen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Abg. Kunze: Sehr richtig! — Abg. Dr. Strosche: Sehr gut!)

    Denn der wirtschaftlich, der sozial Schwache braucht den Staat, gerade er! Es wäre ein verhängnisvoller Schritt des Staates, wenn er unter dem Vorwand einer Verwaltungsreform solche Errungenschaften der modernen Zeit abbauen wollte.

    (Abg. Dr. Conring: Daran denkt keiner!) *) Siehe Anlage 4.



    (Dr. Menzel)

    Noch ein weiterer Gesichtspunkt: Die Verwaltungsreform im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden kann natürlich nicht isoliert gesehen werden. Sie muß auch gesehen werden im Zusammenhang mit der — ja, man geniert sich bald, es ständig zu wiederholen — längst fälligen Sozialreform, die ja nicht nur eine Reform des materiellen Sozialrechts bedeuten soll, sondern doch wohl auch eine Reform des Sozialverwaltungswesens. Dann muß sie ferner gesehen werden in Verbindung mit der neuen uns bevorstehenden Aufblähung des Verwaltungsapparates durch die Schaffung einer Wehrmacht. Die Militärverwaltungen werden wahrscheinlich bald das Mehrfache der jetzigen Zivilverwaltung kosten. Hier haben Sie, meine Herren Antragsteller, die Chance, nicht erst wieder 6 Jahre später, sondern gleich von Anfang an mit uns dafür zu sorgen, daß der Rotstift möglichst weitgehend gebraucht wird.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des GB/BHE.)

    Der dritte Komplex, der nicht außer acht gelassen werden darf, umfaßt die Fragen der Finanz- und der Steuerreform: Es wäre recht reizvoll, bei dieser Gelegenheit etwas zu der Frage der einheitlichen Finanzverwaltung zu sagen; aber wir wollen das Problem der Verwaltungsreform nicht auch noch heute und hier mit diesem recht diffizilen Problem belasten. Daher fordern wir in unserem Zusatzantrag nur, daß sich der Ausschuß mit der Überlegung befassen möge, ob er, wie immer man zu der Frage einer reinen Bundesfinanzverwaltung oder einer reinen Landesfinanzverwaltung stehen möge, eine Entscheidung empfiehlt, daß entweder der eine, d. h. der Bund, oder die anderen, d. h. die Länder, diese Finanzverwaltung übernehmen. Denn das Doppelgleisige ist es ja auch hier, was uns bei diesem Problem interessiert. Sie wissen — es hat sich allmählich herumgesprochen —, daß durch eine Vereinheitlichung immerhin mehrere hundert Millionen DM gespart werden können.

    (Abg. Dr. Gülich: Wenn es sich nur herumgesprochen hätte!)

    — Ach, ich glaube schon, Herr Kollege Gülich; sie haben nur nicht alle die Traute, sich dazu zu bekennen!

    (Abg. Dr. Gülich: Sie wollen nicht hören!)

    Ich will nicht, obwohl man es auch in diesem Zusammenhang tun könnte und Herr Kollege Bergmeyer sie angeschnitten hat, auf alle politischen und verwaltungsorganisatorischen Probleme des Föderalismus eingehen. Das Grundgesetz bejaht den Föderalismus, und wir Sozialdemokraten bejahen ihn nicht nur deshalb, weil das Grundgesetz ihn vorschreibt, sondern weil sich bei dem wachsenden Aufgabengebiet des Bundes und der Länder in zunehmendem Maße herausgestellt hat, daß die riesige Verwaltung, die unsere Gesetzedurchführen muß, zumindest auf der Länderebene nur dann noch einigermaßen kontrolliert werden kann, wenn wir zwischen Bundesparlament und Gemeinderat eine weitere politische Kontrollinstanz einbauen. Man kann das Problem des Föderalismus nicht gleich so vereinfachen wie jene Illustrierte, die vor einiger Zeit die Bilder aller Bundes- und Landesminister auf zwei Seiten brachte und ihren Lesern kurzerhand erklärte, daß davon mindestens die Hälfte aller Bundesminister und alle Länderminister verschwinden könnten.
    Herr Kollege Vogel hat das, was ich am Ende meiner Ausführungen sagen möchte, in seinem kurzen Zwischenspiel dankenswerterweise bereits angeschnitten. Ich glaube, es wäre falsch und wir würden uns selber etwas vormachen, wenn wir nur die Bürokratie beschuldigten, daß ihr Personalaufwand größer sei, als wir alle es wünschen. Ich meine, ein ehrliches Parlament müßte auch sich selbst etwas anklagend an die Brust schlagen. Wir beschließen viel zuviel Gesetze. Als wir im Juli dieses Jahres in die Ferien gingen, konnte der amtierende Bundestagspräsident mit einem gewissen Stolz und einem Gefühl der Genugtuung auch für uns feststellen, wieviel Gesetze wir verabschiedet haben. Für beide Bundestage sind es wohl rund 700. Wird auf diesem Gebiet nicht etwas zuviel des Guten getan? Hat der Bundesrat nicht mit Recht Vorlagen der Bundesregierung häufig zurückgewiesen, weil sie überflüssig seien? Da gab es vor einiger Zeit den Entwurf einer Verordnung über Speiseeis. 15 Seiten lang, und nur über die Herstellung, nicht einmal über den Vertrieb! Mit Recht hat der Bundesrat sie als übertriebenen Perfektionismus zurückgewiesen. Dann erinnere ich an eine langatmige Verordnung über die Behandlung von Enteneiern. Danach waren Enteneier zu stempeln, entweder mit einem „nicht verwisch-baren, nicht giftigen, unauskochbaren" Aufdruck: „Entenei! 10 Minuten kochen!",

    (Heiterkeit)

    oder aber, wenn es sich um Bruteier handelt: „Entenei! Vor Gebrauch mindestens 10 Minuten kochen oder in Backofenhitze durchbacken!"

    (Erneute Heiterkeit.)

    Im Bundesanzeiger vom März dieses Jahres gibt es — um das dritte Beispiel zu nennen — eine Bekanntmachung des Herrn Bundesarbeitsministers — zu seiner Ehrenrettung will ich sagen: es könnte auch jeden anderen Minister treffen —, die eine Seite dieses großen Bundesanzeigers umfaßt. Sie lautet:
    Bekanntmachung des Heimarbeitsausschusses für Spielwaren aller Art (mit Ausnahme von Metallspielwaren), Christbaumschmuck, Festartikel und verwandte Artikel über den Entwurf einer bindenden Festsetzung der Entgelte für die Herstellung von Teddybären in Heimarbeit.

    (Heiterkeit.)

    Ich darf noch einmal sagen: all das erfordert natürlich Überwachungspersonal, Kontrollorgane und Polizeibeamte. Wer findet sich denn heute noch im Kindergeldgesetz zurecht? Dem ursprünglichen Gesetze wurden, kaum, daß es verabschiedet war, es war noch nicht einmal die erste Rate gezahlt, drei oder vier Ergänzungen nachgeschickt.

    (Heiterkeit und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Nehmen wir all die Berufsordnungen, die uns vorliegen. Der Bundestag hat sich in der übernächsten Woche mit dem Antrag einer Bundestagsfraktion zur Änderung der Gewerbeordnung zu beschäftigen. In diesem Entwurf wird mit sehr viel Paragraphen eine Berufsordnung für das Bestattungsgewerbe gefordert.

    (Heiterkeit.)

    Da ist eine Bestattungsprüfung vorgesehen, und
    jemand, der zu dieser Bestattungsprüfung zugelassen werden soll, muß eine mindestens fünfjährige


    (Dr. Menzel)

    Tätigkeit vorweisen können, um, wie es heißt, „die erforderliche Fertigkeit" zu erwerben.

    (Heiterkeit im ganzen Hause.)

    Nun, vielleicht läßt er sich lieber selber begraben; dann hat er sie gleich!

    (Erneute große Heiterkeit und Beifall.)

    Wer kann sich noch in dem komplizierten System all unserer Steuer- und Sozialgesetze zurechtfinden? Gerade die Sozialgesetze sind ein sehr dringendes Anliegen für den einfachen Menschen draußen, der hilflos vor Bescheiden steht, in denen eine Fülle von Paragraphen zitiert werden, mit denen er doch nichts anfangen kann. Das sind doch nur Steine statt Brot.
    So meine ich, auch im Bundestag ist eine Flurbereinigung erforderlich. Aber auch hier ist es wie zumeist im Leben: diejenigen, die als erste nach einer Vereinfachung der Gesetzgebung rufen, sind dann für ihren Berufszweig wieder diejenigen, die am meisten drängeln und erklären: Ja, alles andere ist nicht so wichtig, aber hier für unseren Berufs- und Wirtschaftszweig ist es vordringlich.

    (Beifall links und in der Mitte.)

    Wenn man wirklich zu einer durchgreifenden Verwaltungsreform von unten bis oben kommen will, dann bedarf es auch der Bereitschaft und des Willens zu einer — vielleicht ist das zuviel gesagt, aber es ist, glaube ich, doch richtig — gewissen politischen Erneuerung. Preußen schuf vor 150 Jahren das gute Vorbild. Die Stein-Hardenbergsche Reform war ein sehr legitimes Kind der französischen Revolution und zugleich ein sehr legitimer Protest gegen den alles regelnden Polizeistaat und die Omnipotenz des Obrigkeitsstaates.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Aus diesem Protest heraus gelang es der großen Idee der Selbstverwaltung, dem vorigen. Jahrhundert den politischen Stempel aufzudrücken. Mit der Idee der Selbstverwaltung wurden überhaupt erst die Voraussetzungen für unseren heutigen Staat geschaffen; denn durch die Selbstverwaltung wurde dem einzelnen Gemeindebürger die Chance gegeben, sich zunächst an den öffentlichen Geschäften seiner Gemeinde zu beteiligen, um sich dann zu einem Staatsbürger zu entwickeln, der darüber hinaus auch die Lenkung der Geschicke des gesamten Landes mit in die Hand nehmen konnte.
    Heute aber stehen wir wie wohl damals die Männer vor 150 Jahren vor der bitteren Erkenntnis, daß unsere Verwaltung allmählich wieder in einen Zustand der Perfektion gelangt, der das freiheitliche Leben des einzelnen zu ersticken droht. Nur selten spürt man, daß ein einzelner Staatsbürger oder seine Parlamente den Mut haben, sich gegen die wachsenden Fangarme der Verwaltung zu wehren. Daher sollten wir als Bundestag nicht nur bei der Anzahl der Gesetze sparsamer sein als bisher, sondern bei ihrem Inhalt mehr als bisher den persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Staatsbürgers Spielraum geben.

    (Beifall.)

    Wir alle sehen, glaube ich, viel zuwenig die Gefahr, die für unsere gesamte freiheitliche und demokratische Staatsordnung entstehen muß, wenn wir den Staatsbürger in zunehmendem Maße in seiner Persönlichkeit durch Gesetze, Verordnungen,
    Erlasse, Bekanntmachungen, und was es alles auf diesem Gebiete gibt, einengen, normieren und kontrollieren. Daher hat eine vernünftige Verwaltungsreform nicht zuletzt auch die Verpflichtung, die Freiheit des einzelnen Staatsbürgers zu schützen; vielleicht ist das sogar ihre vornehmste Aufgabe.

    (Allseitiger Beifall.)