Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Anklagerede, die Herr Kollege Dr. Bergmeyer gegen die Bundesregierung gehalten hat, könnte ich es mir an sich sehr einfach machen. Aber ich will es mir nicht einfach machen; denn die Fragen um eine Verwaltungsreform sind nicht so einfach, sie sind sehr komplex, und je mehr man sich mit ihnen befaßt, desto mehr sieht man, wie schwierig und heterogen alle diese Probleme sind.
Für den Bundestag ist diese Aussprache über eine Verwaltungsreform die erste ihrer Art. Diese Debatte wird zeigen, wie machtlos wir geworden sind — das soll kein abwertendes Urteil, sondern nur die Feststellung von Tatsachen sein — gegenüber der Allmacht der Bürokratie und gegenüber der Entwicklung des modernen Staates in den letzten Jahrzehnten, vor allem seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Bemühungen um eine Verwaltungsreform sind nicht neu. Bei jedem Wahlkampf, sei es im Bund, sei es in den Ländern, wird sie neu angekündigt. Dann werden Sonderausschüsse in den Ländern eingesetzt, und nachher stellt man fest, daß die Verwaltungen doch immer wieder umfangreicher geworden sind als vor Einsetzung der Sonderkommisionen.
Die Schwierigkeit, meine Damen und Herren, besteht nämlich gar nicht darin, eine Verwaltungsreform zu fordern — das haben im letzten Jahrhundert schon viele getan —, die Schwierigkeiten beginnen erst, wenn man versucht, sich einmal konkrete Vorstellungen darüber zu machen, was denn nun zu geschehen habe.
Insofern befriedigt uns der von Herrn Kollegen Dr. Bergmeyer ausgegangene und nunmehr von seiner Fraktion übernommene Antrag nicht ganz, weil er sich im wesentlichen noch darauf beschränkt, ein bestimmtes Verfahren vorzuschlagen, während unser Ergänzungsantrag — insofern halte ich ihn für besser — sich bemüht, zugleich darüber etwas zu sagen, von welchen konkreten Vorstellungen der Ausschuß, den wir grundsätzlich bejahen, auszugehen hat. Auch die Herren Antragsteller haben offensichtlich dieses Dilemma gemerkt, wenn sie beantragen, daß diesem Ausschuß alle Denkschriften, „die auf diesem Gebiet seit 1910 abgefaßt worden seien, vorgelegt werden müßten". Aber meine Herren Antragsteller, ist Ihnen nicht klargeworden, daß das Waggonladungen von Altpapier sein würden? Der Ausschuß würde nicht nur in diesem Altpapier ersticken, sondern sich von vornherein alle Chancen zu produktiven Vorschlägen verbauen. Er würde in Gutachten ersticken, die damals, 1910, von ganz anderen Vorstellungen ausgegangen sind, von Vorstellungen über eine Situation, die mit der heutigen gar nicht mehr vergleichbar ist. Ich glaube, es wäre viel besser, wenn der Ausschuß völlig von neuem anfangen und nicht erst Unterkommissionen einsetzen müßte, die nur in den alten Akten blättern würden, ohne daß etwas dabei herauskäme. In der Tat dürfen die Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, nicht übersehen werden. Ich sagte schon: je mehr man in eine einzelne Verwaltungsorganisation hineinleuchtet, desto mehr türmen sich die Bedenken gegenüber Reformvorschlägen auf.
Im allgemeinen wird immer noch viel zuwenig erkannt, wie sich die Aufgaben des Staates, beginnend in der Mitte des vorigen Jahrhunderts und dann sich fortsetzend bis nach dem zweiten Weltkriege, verlagert und vermehrt haben. Die Entwicklung vom Polizei- zum Rechtsstaat und dann später vom reinen Rechtsstaat zum modernen Wirtschafts-, Sozial- und Wohlfahrtsstaat hat auch den Aufbau der Organisation unserer Verwaltung tiefgreifend beeinflußt; sie hat die Aufgaben der Bürokratie erheblich vermehrt. Da sind, um nur einige neu hinzugekommene Aufgaben zu erwähnen, nach dem ersten Weltkrieg erstmalig die Probleme der Kriegsopferversorgung, dann die Schaffung von Siedlungsmöglichkeiten durch das Reichssiedlungsgesetz, die Bodenreform und schließlich, um einmal etwas längst Vergessenes wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, die Aufwertungsämter als Folge der damaligen Geldentwertung.
Diese Entwicklung hat sich nach dem zweiten Kriege in einem erheblichen Maße fortgesetzt. Da sind die Probleme um den Wiederaufbau unserer zerstörten Städte, die man nur durch die Errichtung neuer Verwaltungen für den Wiederaufbau lösen konnte. Oder nehmen Sie die Organisationen zur Bewältigung der Vertriebenenprobleme und des Flüchtlingselends. Denken Sie an die vermehrte Kriegsopferversorgung, an die Spätheimkehrer und ihre Betreuung oder die Besatzungskostenämter. Oder nehmen Sie einmal etwas, was wir alle als etwas erfreuliches Neues in unserem Staat nach 1945 begrüßt haben, die neuen Gerichte: Bundesverfassungsgericht, der Ausbau der Landesverwaltungsgerichte zum Schutz des einzelnen Staatsbürgers, die Entschädigungsämter für die Opfer des Faschismus.
Das sind alles Aufgaben, vor denen der Staat vor einem Jahrhundert gar nicht stand, woran er
auch gar nicht denken konnte. Ist es ein Wunder, wenn sich die Zahl der öffentlichen Bediensteten von 1925 bis heute fast verdoppelt hat? Oder ist es ein Wunder, daß im Jahre 1913, wenn ich einmal die Haushaltsziffern durch die Zahl der Bevölkerung teile, an Ausgaben auf den Kopf der Bevölkerung nur je 125 Mark entfielen?; im Jahre 1925 waren es schon 230 Mark, und heute sind es rund 1000 DM. Ich weiß, daß die Kaufkraft von heute nicht vergleichbar ist mit dem Kaufpreis von damals. Was ich mit diesen Zahlen beweisen will, ist lediglich, zu zeigen, in welche Entwicklung wir im letzten Jahrzehnt hineingeraten sind. Hätte der Staat versucht, sich von der Lösung aller dieser neuen Probleme fernzuhalten, er wäre doch gegenüber der Bevölkerung, gegenüber dem einzelnen Staatsbürger in eine hoffnungslose und geradezu tödliche Isolierung geraten; denn die Masse der Bevölkerung sah doch vor allem seit der zunehmenden Industrialisierung, weil der einzelne, auf sich allein gestellt, hilflos sein mußte, in diesem Staate jenes Wesen, das bereit war, ihm im Falle der Not, der Krankheit, der Invalidität zu helfen. Darum durfte sich der Staat diesen Problemen gar nicht entziehen.
Ich sage das vorweg, meine Damen und Herren, um nicht durch eine oberflächliche Propaganda, die immer wieder mit der Forderung nach einer Verwaltungsreform verbunden wird, draußen falsche Vorstellungen entstehen zu lassen. Wir müssen die Dinge auf das konkrete Maß zurückführen und sehen, daß bei dem Wesen des modernen Staates der Beschneidung der Verwaltung gewisse Grenzen gesetzt sind.
Diese Entwicklung zum modernen Staat ist deshalb auch die große Hypothek, die auf allen Überlegungen für eine Verfassungsreform lastet. Selbst ein so kenntnisreicher Mann, einer der besten Verwaltungswissenschaftler, den Deutschland jemals gehabt hat, Gustav von Schmoller, ist als Vorsitzender der 1914 eingesetzten Verwaltungsreformkommission schließlich an der Entwicklung gescheitert, die die deutsche Verwaltung nach 1914/1918 genommen hat.
Aber — und hier wende ich mich insbesondere an Kollegen Bergmeyer — von dieser Entwicklung ist auch die Wirtschaft nicht verschont geblieben. Herr Kollege Bergmeyer kommt aus der Wirtschaft. Gerade sie hat seit jeher nach einer Verbilligung, nach einer Vereinfachung des staatlichen Verwaltungsapparats gerufen. Aber ist denn die Industrie nicht den gleichen Weg wie die öffentliche Hand gegangen? Ist sie denn jemals bereit gewesen, vor ihrer eigenen Türe zu kehren? Haben wir bei ihr nicht die gleiche Entwicklung hinsichtlich des verwickelten Verwaltungsaufbaus, hinsichtlich der monströsen Verwaltungspaläste in der Wirtschaft wie beim Staat? Haben wir nicht auch in der Wirtschaft eine Entwicklung, die zum Teil noch das Maß dessen überschreitet, was wir heute bei der öffentlichen Hand leider feststellen müssen?
Nordrhein-Westfalen hat nicht weniger als 20 Industrie- und Handelskammern. In Düsseldorf standen bereits vor einigen Jahren nicht weniger als 300 Wirtschaftsverbände im Telefonbuch. In Köln waren es nicht weniger als 42 Bundesverbände. So hat die Wirtschaft ihre Verwaltungen in einem
viel schnelleren Tempo ausgebaut, als es der Staat jemals getan hat. Daher sind wir skeptisch und mißtrauisch, wenn gerade aus jener Ecke der Ruf nach einer Verbilligung der Verwaltung kommt, die selber nicht bereit ist, sich mehr zu bescheiden, sondern ihre Betriebswirtschaft und ihre Betriebsbürokratie auf Kosten des Konsumenten über das rechte Maß hinaus aufbaut.
Der Antrag des Kollegen Bergmeyer hat damals viel Aufsehen erregt. Das ist verständlich. Fragen der Verwaltungsreform sind immer beliebt, weil mancher glaubt, dabei wegen eines ablehnenden Bescheides, den er bei irgendeinem Antrag bekommen hat, sein Mutehen kühlen zu können.
Aber, Kollege Bergmeyer, noch-überraschter war man, als die Antragsteller dann beim ersten Anlauf Angst vor der eignen Courage bekamen. Als die SPD-Fraktion bei den Haushaltsberatungen nicht nur die Streichung überflüssiger Ministerien, sondern auch die Streichung einiger Baufonds, Einschränkungen bestimmter Geheimfonds forderte, wurden diese unsere Anträge ausgerechnet auch durch die Antragsteller von heute zu Fall gebracht.
Vergleichen Sie die Größe des Kabinetts von 1949 und heute! Daß man bei der Einrichtung von Sonderministerien nach wie vor ein schlechtes Gewissen hat, ergibt sich schon daraus, daß man die Blöße dieser etwas nackten Ministerien immer wieder dadurch zu bemänteln sucht, daß man ihnen so kleine Angelegenheiten zukommen läßt, — die Wasserwirtschaftsfragen Herrn Kraft, die Mittelstandsfragen Herrn Schäfer und die Atomfragen jetzt Herrn Strauß. Es bleibt nur einer übrig, der nichts bekommen hat.
Denken Sie auch an das Feuerwerk, das damals, 1953, die Regierung von Nordrhein-Westfalen veranstaltete, als sie der erfreuten Öffentlichkeit mitteilte, sie werde an einen radikalen Abbau der Verwaltung herangehen, von den sechs Regierungspräsidenten würden nicht weniger als vier verschwinden und auch die staatlichen Aufgaben werde man abbauen. Das ist alles kläglich zusammengebrochen. Wir haben heute noch so viele Regierungspräsidenten wie früher, wir haben sogar eine Vermehrung der Mittelinstanzen in Nordrhein-Westfalen, indem man nicht nur die Mittelinstanz der Regierungspräsidenten gelassen, sondern darüber hinaus eine neue Mittelinstanz in der Form der beiden alten Provinzialverbände als Landschaftsverbände geschaffen hat.
— Herr Kollege Stücklen, sicherlich gibt es das woanders auch, aber nachdem wir sie in Nordrhein-Westfalen Gott sei Dank abgeschafft hatten, um eine Vereinfachung durchzuführen, lag überhaupt keine Veranlassung vor, erneut eine zweite Mittelinstanz zu schaffen.
1950 hatte Nordrhein-Westfalen rund 100 000 öffentliche Bedienstete; aber nach der Ankündigung des Verwaltungsabbaus hatte Nordrhein-Westfalen genau 200/0 mehr Bedienstete. Selbst wenn ich die Polizei herauslasse, die inzwischen verstaatlicht worden
war, ist das ein typisches Beispiel für das wirkliche Verhältnis von Propaganda und Wirklichkeit.
Oder nehmen Sie den letzten Konflikt in Schleswig-Holstein, wo die Landesregierung — an der wir Sozialdemokraten ja nicht beteiligt sind — mitten im Haushaltsjahr die Schaffung von mehr als hundert neuen Planstellen durchgedrückt hat, mit der Begründung, wenn wir nächstens eine neue Wehrmacht hätten, brauche auch die Landesregierung Schleswig-Holstein mehr Planstellen für Zivilbeamte und Angestellte.
Die Länderverwaltungen haben sich vergrößert, obwohl den Ländern seit 1949 erhebliche Aufgabengebiete abgenommen und auf den Bund verlagert worden und obwohl seit 1950 weitere Zweige der Verwaltung ganz verschwunden sind, z. B. die Wirtschafts- und die Ernährungsämter.
Wir sind begreiflicherweise skeptisch, ob die Länder bereit sein werden, Richtlinien, die hier — oder im Ausschuß — erarbeitet werden, zu akzeptieren. Aber ich glaube, daß trotz dieser Skepsis, die wir nach all den Erfahrungen der letzten Jahre haben, der Bundestag sich diesen Aufgaben nicht entziehen darf.
Zunächst müssen wir allerdings die leidige Frage der Zuständigkeit prüfen. Natürlich gäbe es ein reiches Betätigungsfeld auch dann, wenn wir uns auf die Verwaltung des Bundes beschränken müßten und würden. Denn der Bund beschäftigt immerhin zur Zeit — ohne die Betriebsverwaltungen von Post und Eisenbahn — rund 108 000 Personen. Wenn Sie es wenigstens da mit Ihrem Antrag wirklich so meinen, wie es draußen gesagt worden ist, kämen wir schon ein gutes Stück weiter. Denn Sie und wir haben schließlich die Mehrheit im Bundestag.
Aber, meine Herren Antragsteller: wenn Sie sich mit Ihrem Antrag nur auf eine Reform der Bundesverwaltung beschränken, dann muß ich darauf hinweisen, daß Sie das doch hätten viel einfacher haben können, wenn Sie das, was Sie heute so laut fordern, schon vom Anbeginn des Aufbaues der Bundesverwaltung beherzigt hätten.
Sie beklagen sich heute über die vielen Verwaltungen, über die vielen Beamten und über die vielen Abgeordneten des Bundes und der Länder. Aber damals, als wir im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz schufen, las man es anders. Natürlich
— ich werde nachher noch einige Worte dazu sagen
— akzeptieren wir den Föderalismus. Aber der Druck, den Ländern mehr Macht einzuräumen als dem künftigen Bund, was eine noch größere Apparatur in den Ländern zur Folge gehabt hätte, ging doch damals gerade von Ihnen aus.
Es ist recht billig, sich heute hinzustellen und gegen das zu polemisieren, was man selbst geschaffen und als großen Erfolg hingestellt hat und was man hätte von Anfang an vermeiden können, wenn man es wirklich gewollt hätte.
Ich sagte, der Antrag Bergmeyer und der CDU beschränkt sich leider auf die Bundesverwaltung und auf die „Verbindung zwischen dem Bund und den Ländern". Wir aber sind der Meinung, daß das nicht ausreicht. Wenn wir der Sache wirklich auf den Grund gehen wollen, meine Damen und Herren, müssen wir versuchen, mit den Vorstellungen über einen vernünftigen Verwaltungsaufbau, d. h. der Schaffung einer einfacheren, für den Staatsbürger viel durchsichtigeren Verwaltungsorganisation, bis in die Länder und bis in die Gemeinden vorzudringen. Sonst bleiben unsere Bemühungen Stückwerk. Im öffentlichen Dienst der Länder und Gemeinden sind, nach einer Veröffentlichung des „Bulletins" vom 5. August dieses Jahres, zweieinhalb Millionen Personen beschäftigt, also fünfundzwanzigmal mehr als im Bund. Schon aus diesen Zahlen sehen Sie, daß der Schwerpunkt unserer Bemühungen bei den Ländern und Gemeinden liegen muß. Ich verweise auf Art. 83 ff. des Grundgesetzes, wonach alle Bundesgesetze von den Ländern auszuführen sind. Das heißt, was wir hier beschließen, bedeutet fast immer eine Vermehrung der Verwaltungsorganisation der Länder.
Nun wissen wir natürlich, daß, wenn wir die Länder etwas an die — jetzt im freundlichen Sinne gemeint — Kandare nehmen wollen, das nicht leicht sein wird und daß die Unterschiedlichkeiten bei den Länderverwaltungen erheblich sind. Das fängt schon bei dem sehr heiklen Problem der Kompetenzverteilung zwischen der Regierung und den Selbstverwaltungskörperschaften an. Das Ausmaß der Kommunalaufsicht ist — nicht nur in der Länder-Gesetzgebung, sondern vor allem auch in der täglichen Praxis der Administration — in dem einen Lande völlig anders als in dem anderen. Hier müßten wir, weil sich eine gute oder schlechte Gemeindeorganisation immer bis zum letzten Staatsbürger auswirkt, für den sich der Staat zumeist nicht im Bund, sondern in seiner Gemeindeverwaltung repräsentiert, um dieses Staatsbürgers willen versuchen, in etwa gewisse gleichmäßige und einheitliche Richtlinien vorzuschlagen.
Ich denke an das leidige Problem der Sonderbehörden, die Gott sei Dank in den Ländern weitgehend verschwunden sind, weil sie in einem politischen Zwielicht standen. Ich erinnere an das leider auch nicht überall glücklich gelöste Problem der staatlichen und der kommunalen Polizei und ihr Verhältnis zu ihrer „Konkurrenz", dem Bundesgrenzschutz, und der Verwaltung des Paßwesens und des Zolldienstes.
Ich sage dabei, um nicht mißverstanden zu werden, ausdrücklich, wir wünschen nicht, daß auf allen diesen Gebieten eine Einheitlichkeit in den Ländern geschaffen wird. Aber wir sind der Meinung, daß sich trotzdem gewisse allgemeingültige Grundsätze aufstellen lassen, um die Verwaltung der Länder durchsichtiger zu gestalten als bisher.
Daher möchte ich namens meiner politischen Freunde folgendes sagen. Sollten die Länder, falls der Ausschuß wirklich zu vernünftigen, allseitig akzeptierten Vorschlägen kommen sollte, nicht bereit sein, diese Empfehlungen anzunehmen — wenn auch vielleicht von Fall zu Fall etwas nuanciert —, dann wären wir unter Umständen zu einer Verfassungsänderung bereit, damit der Bund die Länder anhalten könnte, das zu tun, was ihnen frommt. Es wäre auch zu überlegen — das zu untersuchen wird eine weitere Aufgabe des Ausschusses sein —, ob die Mitglieder jener Kommission nicht vom Bundespräsidenten ernannt werden sollten, damit sie sich unabhängiger fühlen und ihre Vorschläge draußen nachdrücklicher zur Kenntnis genommen werden würden. Ich sage, das ist eine Überlegung, die wir anstellen müssen. Die
endgültige Entscheidung wird davon abhängen, was der Ausschuß erarbeiten wird.
Wir hoffen aber — und das ist wirklich unser ehrlicher Wunsch —, daß es solcher Mittel gegenüber den Ländern nicht bedarf. Denn die Länder waren, ehe der Bund entstand, durchaus bereit, sich auf vielen Gebieten über einen einheitlichen Aufbau eines Teiles ihrer Verwaltungen zu einigen und zu verständigen.
Ich erinnere — die Zeit ist manchmal sehr kurzlebig, und es ist gut, wieder daran zu denken — an die einstimmigen Beschlüsse des Zonenbeirats von Godesberg vom 13. Juni 1946, in denen für den Bereich der britischen Zone Richtlinien gegeben wurden, wie die Länder nicht nur hinsichtlich ihrer Grenzziehung, sondern auch hinsichtlich ihrer inneren Verwaltung aufgebaut werden sollten.
Ich erinnere an die sehr eingehenden Denkschriften und Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände, des Landkreistages, des Städtebundes und vor allem an die Denkschriften und sehr klaren Vorschläge des Städtetages über den Aufbau der Selbstverwaltungskörperschaften. Sie haben, Herr Kollege Bergmeyer, die Zweigleisigkeit der Kommunalverwaltung in Nordrhein-Westfalen kritisiert. Ich war es ja, der im Lande Nordrhein-Westfalen einer der Vorkämpfer der alten kollegialen Magistratsverfassung war, und ich habe mich bis zum letzten gegen die auch von Ihnen mit Recht kritisierte Zweigleisigkeit der neuen Städteordnung gewehrt. Aber, Herr Kollege Bergmeyer, es war Ihre Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen, die darauf bestand, dieses System der Zweigleisigkeit endgültig in unsere Städteordnung zu übernehmen.
Ich erinnere schließlich an die Meinberger Beschlüsse der Innenminister vom Mai 1948 über den einheitlichen Aufbau der Polizei in den Ländern.
Meine Damen und Herren, bei den Vorstellungen von den Möglichkeiten einer Verwaltungsreform gehen wir von folgenden Grundsätzen aus. Zunächst müssen wir uns darüber klar sein — und wir sollten das auch nach draußen mit aller Offenheit und mit Mut vertreten —, daß sich eine Verwaltungsreform nicht erschöpfen kann in dem Herumstreichen an dieser oder jener Planstelle oder an diesem oder jenem Sachtitel. Natürlich sind wir für jede Einsparung, das ist ganz selbstverständlich. Aber dies er Teil der Überlegungen ist und kann nur der geringste Teil einer Verwaltungsreform sein. Denn die Planstellen und damit der Umfang des Personal- und Verwaltungsapparates sind doch nur eine Folge richtiger oder falscher Verwaltungsorganisation und einer richtigen oder falschen Aufteilung der Funktionen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Zweifellos ist eine Einsparung von Planstellen und bei den Sachtiteln sehr dankenswert, und hier könnten sich die Landesrechnungshöfe und die Gemeindeprüfungsämter noch reichlich betätigen. Man hat früher viel über die Preußische Oberrechnungskammer gelästert, und über sie ist manche gute Anekdote durch die Amtsstuben gegangen. Aber ich meine, es wäre manches auch bei uns besser und der Staatsbürger könnte wirklich manchen Taler sparen, wenn der Geist der alten Preußischen Oberrechnungskammer bei uns umginge.
— Wir Sozialdemokraten waren ja nie schlechte Preußen, Herr Dresbach!
Das haben Sie vor allem bei der Preußen-Regierung von 1918 bis 1933 gesehen.
— Mit d e r Begründung wäre ich einverstanden.
Ein zweiter, mehr theoretischer Grundsatz, der sich aber in der Praxis ausbauen ließe: Ich meine eine bessere Verteilung der Verwaltungsverantwortung. Ich habe manchmal den Eindruck, daß die Vielheit der Behörden hier und dort dazu führt, daß die Einheit der Verwaltung und die Klarheit der Verwaltungsverantwortung sich verwischt,
d. h. daß, wenn in der Verwaltung einmal etwas schiefgegangen ist, sich immer einer auf den anderen als den wahren Schuldigen beruft. Das ist ein anonymes Kollegialsystem, das wir nicht gebrauchen können. Nur durch solche klaren Grenzziehungen können wir Überschneidungen und Reibungen zwischen den Verwaltungen vermeiden. Sie ersehen aus unserem Antrag*), daß wir vor allem hinsichtlich der Bundesoberbehörden Zweifel und Bedenken haben. Je weniger Oberbehörden wir haben — es werden nicht alle zu vermeiden sein, das wissen auch wir —, desto weniger besteht die Gefahr von Doppelzuständigkeiten und Reibungsverlusten.
Nun noch zwei positive Forderungen. Bei allem Respekt, auch bei dem Ausbau parlamentarischer Vertretungen bescheiden zu bleiben, werden wir uns dagegen wehren, daß eine Verwaltungsreform etwa dazu führt, irgendeinen Verwaltungsapparat der politisch-parlamentarischen Kontrolle zu entziehen. Das gilt auch für die Gemeinden. Es darf nicht dahin kommen, daß sich durch Herumstreichen an den Vertretungen — ich meine hier speziell die Gemeindevertretungen — die Behörden einer effektiven Kontrolle der jeweiligen politischen Vertretung entziehen könnten.
Und die zweite Forderung, an der gerade uns liegt und an der wir auf Grund gewisser Erfahrungen in den Ländern unbedingt festhalten: Wir würden uns dagegen wenden, daß eine Verwaltungsreform lediglich als Vorwand dafür benutzt werden würde, soziale Errungenschaften, sei es im Bund, in den Ländern, in den Gemeinden oder auch in der Wirtschaft, abzubauen.
Denn der wirtschaftlich, der sozial Schwache braucht den Staat, gerade er! Es wäre ein verhängnisvoller Schritt des Staates, wenn er unter dem Vorwand einer Verwaltungsreform solche Errungenschaften der modernen Zeit abbauen wollte.
*) Siehe Anlage 4.
Noch ein weiterer Gesichtspunkt: Die Verwaltungsreform im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden kann natürlich nicht isoliert gesehen werden. Sie muß auch gesehen werden im Zusammenhang mit der — ja, man geniert sich bald, es ständig zu wiederholen — längst fälligen Sozialreform, die ja nicht nur eine Reform des materiellen Sozialrechts bedeuten soll, sondern doch wohl auch eine Reform des Sozialverwaltungswesens. Dann muß sie ferner gesehen werden in Verbindung mit der neuen uns bevorstehenden Aufblähung des Verwaltungsapparates durch die Schaffung einer Wehrmacht. Die Militärverwaltungen werden wahrscheinlich bald das Mehrfache der jetzigen Zivilverwaltung kosten. Hier haben Sie, meine Herren Antragsteller, die Chance, nicht erst wieder 6 Jahre später, sondern gleich von Anfang an mit uns dafür zu sorgen, daß der Rotstift möglichst weitgehend gebraucht wird.
Der dritte Komplex, der nicht außer acht gelassen werden darf, umfaßt die Fragen der Finanz- und der Steuerreform: Es wäre recht reizvoll, bei dieser Gelegenheit etwas zu der Frage der einheitlichen Finanzverwaltung zu sagen; aber wir wollen das Problem der Verwaltungsreform nicht auch noch heute und hier mit diesem recht diffizilen Problem belasten. Daher fordern wir in unserem Zusatzantrag nur, daß sich der Ausschuß mit der Überlegung befassen möge, ob er, wie immer man zu der Frage einer reinen Bundesfinanzverwaltung oder einer reinen Landesfinanzverwaltung stehen möge, eine Entscheidung empfiehlt, daß entweder der eine, d. h. der Bund, oder die anderen, d. h. die Länder, diese Finanzverwaltung übernehmen. Denn das Doppelgleisige ist es ja auch hier, was uns bei diesem Problem interessiert. Sie wissen — es hat sich allmählich herumgesprochen —, daß durch eine Vereinheitlichung immerhin mehrere hundert Millionen DM gespart werden können.
— Ach, ich glaube schon, Herr Kollege Gülich; sie haben nur nicht alle die Traute, sich dazu zu bekennen!
Ich will nicht, obwohl man es auch in diesem Zusammenhang tun könnte und Herr Kollege Bergmeyer sie angeschnitten hat, auf alle politischen und verwaltungsorganisatorischen Probleme des Föderalismus eingehen. Das Grundgesetz bejaht den Föderalismus, und wir Sozialdemokraten bejahen ihn nicht nur deshalb, weil das Grundgesetz ihn vorschreibt, sondern weil sich bei dem wachsenden Aufgabengebiet des Bundes und der Länder in zunehmendem Maße herausgestellt hat, daß die riesige Verwaltung, die unsere Gesetzedurchführen muß, zumindest auf der Länderebene nur dann noch einigermaßen kontrolliert werden kann, wenn wir zwischen Bundesparlament und Gemeinderat eine weitere politische Kontrollinstanz einbauen. Man kann das Problem des Föderalismus nicht gleich so vereinfachen wie jene Illustrierte, die vor einiger Zeit die Bilder aller Bundes- und Landesminister auf zwei Seiten brachte und ihren Lesern kurzerhand erklärte, daß davon mindestens die Hälfte aller Bundesminister und alle Länderminister verschwinden könnten.
Herr Kollege Vogel hat das, was ich am Ende meiner Ausführungen sagen möchte, in seinem kurzen Zwischenspiel dankenswerterweise bereits angeschnitten. Ich glaube, es wäre falsch und wir würden uns selber etwas vormachen, wenn wir nur die Bürokratie beschuldigten, daß ihr Personalaufwand größer sei, als wir alle es wünschen. Ich meine, ein ehrliches Parlament müßte auch sich selbst etwas anklagend an die Brust schlagen. Wir beschließen viel zuviel Gesetze. Als wir im Juli dieses Jahres in die Ferien gingen, konnte der amtierende Bundestagspräsident mit einem gewissen Stolz und einem Gefühl der Genugtuung auch für uns feststellen, wieviel Gesetze wir verabschiedet haben. Für beide Bundestage sind es wohl rund 700. Wird auf diesem Gebiet nicht etwas zuviel des Guten getan? Hat der Bundesrat nicht mit Recht Vorlagen der Bundesregierung häufig zurückgewiesen, weil sie überflüssig seien? Da gab es vor einiger Zeit den Entwurf einer Verordnung über Speiseeis. 15 Seiten lang, und nur über die Herstellung, nicht einmal über den Vertrieb! Mit Recht hat der Bundesrat sie als übertriebenen Perfektionismus zurückgewiesen. Dann erinnere ich an eine langatmige Verordnung über die Behandlung von Enteneiern. Danach waren Enteneier zu stempeln, entweder mit einem „nicht verwisch-baren, nicht giftigen, unauskochbaren" Aufdruck: „Entenei! 10 Minuten kochen!",
oder aber, wenn es sich um Bruteier handelt: „Entenei! Vor Gebrauch mindestens 10 Minuten kochen oder in Backofenhitze durchbacken!"
Im Bundesanzeiger vom März dieses Jahres gibt es — um das dritte Beispiel zu nennen — eine Bekanntmachung des Herrn Bundesarbeitsministers — zu seiner Ehrenrettung will ich sagen: es könnte auch jeden anderen Minister treffen —, die eine Seite dieses großen Bundesanzeigers umfaßt. Sie lautet:
Bekanntmachung des Heimarbeitsausschusses für Spielwaren aller Art , Christbaumschmuck, Festartikel und verwandte Artikel über den Entwurf einer bindenden Festsetzung der Entgelte für die Herstellung von Teddybären in Heimarbeit.
Ich darf noch einmal sagen: all das erfordert natürlich Überwachungspersonal, Kontrollorgane und Polizeibeamte. Wer findet sich denn heute noch im Kindergeldgesetz zurecht? Dem ursprünglichen Gesetze wurden, kaum, daß es verabschiedet war, es war noch nicht einmal die erste Rate gezahlt, drei oder vier Ergänzungen nachgeschickt.
Nehmen wir all die Berufsordnungen, die uns vorliegen. Der Bundestag hat sich in der übernächsten Woche mit dem Antrag einer Bundestagsfraktion zur Änderung der Gewerbeordnung zu beschäftigen. In diesem Entwurf wird mit sehr viel Paragraphen eine Berufsordnung für das Bestattungsgewerbe gefordert.
Da ist eine Bestattungsprüfung vorgesehen, und
jemand, der zu dieser Bestattungsprüfung zugelassen werden soll, muß eine mindestens fünfjährige
Tätigkeit vorweisen können, um, wie es heißt, „die erforderliche Fertigkeit" zu erwerben.
Nun, vielleicht läßt er sich lieber selber begraben; dann hat er sie gleich!
Wer kann sich noch in dem komplizierten System all unserer Steuer- und Sozialgesetze zurechtfinden? Gerade die Sozialgesetze sind ein sehr dringendes Anliegen für den einfachen Menschen draußen, der hilflos vor Bescheiden steht, in denen eine Fülle von Paragraphen zitiert werden, mit denen er doch nichts anfangen kann. Das sind doch nur Steine statt Brot.
So meine ich, auch im Bundestag ist eine Flurbereinigung erforderlich. Aber auch hier ist es wie zumeist im Leben: diejenigen, die als erste nach einer Vereinfachung der Gesetzgebung rufen, sind dann für ihren Berufszweig wieder diejenigen, die am meisten drängeln und erklären: Ja, alles andere ist nicht so wichtig, aber hier für unseren Berufs- und Wirtschaftszweig ist es vordringlich.
Wenn man wirklich zu einer durchgreifenden Verwaltungsreform von unten bis oben kommen will, dann bedarf es auch der Bereitschaft und des Willens zu einer — vielleicht ist das zuviel gesagt, aber es ist, glaube ich, doch richtig — gewissen politischen Erneuerung. Preußen schuf vor 150 Jahren das gute Vorbild. Die Stein-Hardenbergsche Reform war ein sehr legitimes Kind der französischen Revolution und zugleich ein sehr legitimer Protest gegen den alles regelnden Polizeistaat und die Omnipotenz des Obrigkeitsstaates.
Aus diesem Protest heraus gelang es der großen Idee der Selbstverwaltung, dem vorigen. Jahrhundert den politischen Stempel aufzudrücken. Mit der Idee der Selbstverwaltung wurden überhaupt erst die Voraussetzungen für unseren heutigen Staat geschaffen; denn durch die Selbstverwaltung wurde dem einzelnen Gemeindebürger die Chance gegeben, sich zunächst an den öffentlichen Geschäften seiner Gemeinde zu beteiligen, um sich dann zu einem Staatsbürger zu entwickeln, der darüber hinaus auch die Lenkung der Geschicke des gesamten Landes mit in die Hand nehmen konnte.
Heute aber stehen wir wie wohl damals die Männer vor 150 Jahren vor der bitteren Erkenntnis, daß unsere Verwaltung allmählich wieder in einen Zustand der Perfektion gelangt, der das freiheitliche Leben des einzelnen zu ersticken droht. Nur selten spürt man, daß ein einzelner Staatsbürger oder seine Parlamente den Mut haben, sich gegen die wachsenden Fangarme der Verwaltung zu wehren. Daher sollten wir als Bundestag nicht nur bei der Anzahl der Gesetze sparsamer sein als bisher, sondern bei ihrem Inhalt mehr als bisher den persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Staatsbürgers Spielraum geben.
Wir alle sehen, glaube ich, viel zuwenig die Gefahr, die für unsere gesamte freiheitliche und demokratische Staatsordnung entstehen muß, wenn wir den Staatsbürger in zunehmendem Maße in seiner Persönlichkeit durch Gesetze, Verordnungen,
Erlasse, Bekanntmachungen, und was es alles auf diesem Gebiete gibt, einengen, normieren und kontrollieren. Daher hat eine vernünftige Verwaltungsreform nicht zuletzt auch die Verpflichtung, die Freiheit des einzelnen Staatsbürgers zu schützen; vielleicht ist das sogar ihre vornehmste Aufgabe.