Meine Damen und Herren, es besteht Einstimmigkeit darüber, daß der Antrag der SPD, Drucksache 1711, an den Ausschuß für öffentliche Fürsorge — federführend — und an den Ausschuß für Sozialpolitik zur Mitberatung überwiesen wird. — Es ist so beschlossen.
Bezüglich des Antrags des GB/BHE, Drucksache 1747, liegt also nun der Vorschlag vor, an den Haushaltsausschuß zu überweisen, der federführend ist. Auch hier erfolgt kein Widerspruch.
— Welchen Antrag stellen Sie?
— Welcher Ausschuß soll nach Ihrem Wunsch federführend sein?
— Im Ältestenrat ist darüber nichts beschlossen worden. Es war nur vorgesehen: Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge federführend. Ich muß schon die Herren Fraktionsvorsitzenden bitten, zu sagen, was Sie wünschen.
— Also federführend der Ausschuß für Sozialpolitik. Der eine Antrag geht somit dahin, an den Haushaltsausschuß — federführend —, der andere dahin, an den Sozialpolitischen Ausschuß — federführend — zu überweisen. Wer dem zuerst gestellten Antrag auf Überweisung an den Haushaltsausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist — federführend — dem Haushaltsausschuß überwiesen.
Dann schlage ich Ihnen vor, sich darüber zu einigen, daß wir den Antrag zur Mitberatung an die Ausschüsse für Fragen der öffentlichen Fürsorge und für Sozialpolitik überweisen. — Widerspruch erhebt sich nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betreffend Vereinfachung der Verwaltung .
Wer begründet den Antrag? — Herr Abgeordneter Dr. Bergmeyer!
Dr. Bergmeyer , Antragsteller: Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß die Absicht besteht, die heutige Sitzung vorzeitig zu schließen. Ich will daher versuchen, meinen Antrag so schnell wie nur möglich zu begründen.
Bei dem Antrag, den ich heute zu vertreten habe, geht es um die ernste Sorge, die wir alle haben, nämlich um die weitere Aufgaben- und Ausgabenentwicklung im Bund, in den Ländern und Gemeinden. Wir können dieser katastrophalen Entwicklung, diesem luxuriösen Verwaltungsaufbau als verantwortliche Parlamentarier — denn wir sind verantwortlich — nicht länger mehr schweigend zusehen. Daß wir zu teuer regiert werden, weiß jeder; ebenso, daß schon längst hätte etwas geschehen müssen.
Aber bisher ist nur geklagt worden. Versuche wurden unternommen, die nicht energisch genug bis zum Ende durchgeführt worden sind. Praktisch ist wenig geschehen.
Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute kann man nur von drei wirklich großen Verwaltungsreformen sprechen: erstens der Napoleonischen Reform, durch die die vielen Hundert Landesherrschaften zusammengeworfen und unter einer einheitlichen französischen Gesetzgebung miteinander verschmolzen wurden, dann der Stein-Hardenbergschen Reform von 1808 bis 1816, die die Grundlage der kommunalen Selbstverwaltung und die Einteilung des Staatsgebiets in Provinzen, Regierungsbezirke und Landkreise schuf, drittens der preußischen Reformgesetzgebung der Jahre 1856 bis 1887. Die Geschichte der Verwaltungsreformversuche seit der Jahrhundertwende ist dagegen wenig ermutigend. Trotz dreier revolutionärer Umgestaltungen von Staat, Wirtschaft und Währung seit 1918 sind die Reformmaßnahmen auf dem Gebiet der Verwaltung kaum weitergekommen. Deshalb ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, das vier t e große Reformwerk in Gang zu setzen. Die Verwaltungs- und Staatsvereinfachung auf allen Gebieten und auf allen Ebenen des Bundesgebietes, und zwar — ich betone das ausdrücklich — 'in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden läßt sich nicht länger mehr aufhalten. Das gesamte deutsche Volk in allen seinen Schichten, Parteien und Landesteilen wünscht die Vereinfachung. Das deutsche Volk fordert, daß jetzt etwas Durchgreifendes und wirklich Großes geschieht.
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, einige Tatsachen mitteilen, die Sie sicherlich davon überzeugen werden, daß eine radikale Ausgabensenkung unumgänglich ist. Seit 25 Jahren hat sich die Zahl der im öffentlichen Dienst Tätigen nahezu verdoppelt. Auf 66 Einwohner entfiel damals ein öffentlich Bediensteter; am 1. Oktober 1953 entfiel bereits auf 36 Einwohner 1 Bediensteter. Sie können sich also selbst ausrechnen, wohin wir kommen, wenn diese Entwicklung so weitergeht. Die Zentralinstanzen des verhältnismäßig kleinen Lan-
des Nordrhein-Westfalen beschäftigten nach einer Erklärung des Ministerpräsidenten Arnold im Jahre 1952 3200 Bedienstete in 8 Ministerien, während sich Preußen in 7 Ministerien mit nur 600 Bediensteten mehr begnügte, obwohl die Bevölkerungszahl dreimal so groß und die Fläche neunmal so groß war wie die von Nordrhein-Westfalen. In Bayern ist die Zahl der Bediensteten von 1932 bis 1954 um 361 % gestiegen, aber nicht, wie das Ihnen sicherlich bekannte bayerische Gutachten ausdrücklich betont, infolge bloßer Aufgabenvermehrung, sondern vor allem durch den unnötigen Ausdehnungsdrang der Bürokratie. Die gleiche Tendenz ist in allen übrigen Ländern der Bundesrepublik feststellbar. Alle deutschen Länder unterhalten in dieser kleinen westdeutschen Bundesrepublik umfangreiche Vertretungen mit zum Teil groß aufgemachten Häusern in Bonn.
Ich möchte hier aus eigener Kenntnis einmal auf die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten verweisen. Hier haben die Senatoren, die ihre Länder in Washington vertreten — dabei handelt es sich um Länder, die zum Teil weit größer sind als das frühere Deutsche Reich —, keine eigenen Häuser. Jeder Senator hat im Senatsgebäude ein großes, gut ausgestattetes Dienstzimmer und für den assistant und das Sekretariat vier bis fünf weitere Räume. Das ist alles, und das ist das reiche Amerika, während wir uns hier nach verlorenem Kriege solch einen Luxus erlauben.
Wie vor einigen Jahren die englische Zeitschrift „Economist" feststellte, ist Deutschland das zur Zeit überregierteste Land der Welt. Das war 1952, als wir noch in der glücklichen Lage waren, nur 64 Länderminister und 15 Bundesminister zu haben. Heute wird Westdeutschland von nicht weniger als 119 Ministern
und weit mehr als 1000, nämlich 1804 Bundes- und Länderabgeordneten, regiert.
Ministerpräsident Arnold hat am 28. April 1952 erklärt, daß die Bevölkerung an dem Verwaltungsaufbau der Länder, vor allem an der zu großen Zahl der Ministerien, Anstoß nehme; die Bevölkerung habe ganz einfach den Eindruck, daß in der Bundesrepublik zuviel Ministerien vorhanden seien.
Daraus hat sich auch eine gewisse ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber den Ländern ergeben. Wir haben das bei der Umfrage gesehen, die das Allensbacher Institut für Demoskopie im Frühjahr dieses Jahres in Nordrhein-Westfalen veranstaltet hat. Auf die Frage: Sind Sie an der Landespolitik interessiert? antworteten 98 % aller Befragten klar mit Nein. Bundesfinanzminister Schäffer steht sogar auf dem Standpunkt, daß bei einer Abstimmung im Bundestag 60 % der Abgeordneten für eine Auflösung der Länder eintreten würden. Ich mache mir diese Äußerung nicht zu eigen, wie ich auch nicht die Absicht habe, den Föderalismus in Grund und Boden zu verurteilen oder mich gegen die Länder zu stellen. Im Gegenteil, ich betone immer wieder die Notwendigkeit
engster Zusammenarbeit mit den Ländern, wenn wir mit diesem großen Problem fertig werden wollen. Aber es zeigt sich heute bereits, daß sich auch der größte Föderalist für eine Stärkung der Bundesgewalt, für eine Ordnung in den Verhältnissen zwischen Bund und Ländern einsetzt,
weil bei Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes eine wachsende Abneigung gegen den an sich gesunden Gedanken des Föderalismus unvermeidbar ist.
Der Direktor der Staatsschuldenverwaltung in Karlsruhe, Dr. Ernst, hat vor einiger Zeit erklärt: Man kann nicht die Föderation Europas wollen und zu Hause in Kantons-Politik machen. Die Situation — so fährt er fort — wird nämlich dann ernst, wenn sie den Steuerzahler Milliarden kostet. Der Aufwand, den heute — so erklärt er weiter — ein überspitzter Föderalismus fordert, ist einfach unvertretbar. Das sage nicht ich, das sagt ein maßgebender Vertreter des Südweststaates.
Jetzt möchte ich Ihnen auch an einigen Beispielen, die beliebig vermehrt werden können, zeigen, wie im einzelnen gewirtschaftet wird. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs ein neues Dienstgebäude in Köln errichtet. Mit den Bauarbeiten wurde ohne die nötige Vorbereitung überstürzt begonnen. Die veranschlagten Kosten wurden um 127 000 DM überschritten. Schon kurze Zeit, nachdem das Gebäude seiner Zweckbestimmung übergeben war, stellte sich heraus, daß der geschaffene Raum nicht ausreichte. Da eine Erweiterungsmöglichkeit nicht bestand, sind dann für die Errichtung eines neuen Verwaltungsgebäudes in den Bundeshaushalt 1953/54 insgesamt 3 070 000 DM Baukosten neu eingesetzt worden. Die Frage, die hier entsteht, ist, wer für diese Ausgabenverschwendung verantwortlich ist
und ob der Verantwortliche nach den §§ 32 und 33 der Reichshaushaltsordnung wegen Mißbrauchs öffentlicher Mittel bzw. wegen ungesetzlicher Haushaltsüberschreitung zur Rechenschaft gezogen wird. Man kann auf die Anwendung dieser Haftungsbestimmungen nicht mehr verzichten. Von der spartanischen Einfachheit, wie sie früher in allen Zweigen des Staatswesens geherrscht hat, ist heute nicht mehr viel zu sehen.
Der Etat des Bundespresseamtes ist seit 1950 auf das Zehnfache, nämlich von 1,9 Millionen auf 19,4 Millionen DM gestiegen. Die Kosten des neuen Dienstgebäudes betrugen mehr als 5 Millionen DM.
Die Größe der von den Regierungsbezirken betreuten Verwaltungsgebiete ist sehr unterschiedlich. Die Regierungsbezirke sind um 1815 geschaffen worden, als es noch keine Post, keine Eisenbahn, kein Telephon und kein Auto gab. Man hat aber trotzdem die alten Bezirke ohne Notwendigkeit beibehalten.
Als einzige Länder der Bundesrepublik leiden die Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen unter der Zweigleisigkeit der kommunalen Verwaltung, die durch die britische Besatzungsmacht angeordnet worden ist und in anderen Teilen Deutschlands nicht besteht.
Sie verursacht zusätzlich etwa 25 Millionen DM.
Und nun zur Kabinettsreform! Ich halte auch eine Kabinettsreform für unumgänglich notwendig. Der Präsident des Bundesrechnungshofs hat im Jahre 1949 auf Anfrage des Parlamentarischen Rates 9 Ministerien als genügend für die Bundesverwaltung bezeichnet. Der Organisationsausschuß der Ministerpräsidenten hat diese Zahl dann auf 10 erhöht. Heute haben wir 21 Ministerien. Das Groteske dabei ist, daß die Absicht bestehen soll, die Zahl der Ministerien nicht etwa herabzusetzen, sondern sogar noch zu erhöhen
und verschiedene Ministerien aufzuteilen. Wenn diese Gerüchte stimmen sollten, muß ich deutlich meine warnende Stimme gegen solche unverantwortlichen Pläne richten. Ich werde mich hierbei auch nicht dadurch beirren lassen, daß voraussichtlich bald allenthalben mit Überzeugungskraft betont wird, die von mir angeführten Gerüchte seien nicht ernst zu nehmen. Sie können gar nicht ernst genug genommen werden. Nach meinem Dafürhalten geht es dabei nicht nur um erheblich vermehrte Verwaltungskosten, sondern um verstärkte Pressionsmöglichkeiten von seiten der Interessenten sowie um gesteigerte Kompetenzstreitigkeiten und damit schließlich um die Funktionsfähigkeit der Regierung schlechthin. Für besonders schwerwiegend halte ich es aber — und das ist für mich entscheidend —, daß die Aufteilung einzelner Ressorts zu der Aufspaltung eines einheitlichen Aufgabenkreises in getrennte Interessenbereiche führt. Ich bin überzeugt, daß mit der Aufteilung des Bundeswirtschaftsministeriums z. B. die Einheitlichkeit der Wirtschaftspolitik in Frage gestellt wäre.
Nicht minder groß ist die Gefahr, die in den Sonderwünschen von Interessentengruppen begründet ist. Jede Organisation möchte nach Möglichkeit ihr eigenes Ministerium haben, die Ärzteschaft ein Gesundheitsministerium, die Geistesarbeiter ein Ministerium für geistige Arbeit. Es fehlt unter den bisher angemeldeten Ansprüchen nur das Hebammenministerium.
Wollte man derartigen Bestrebungen nachgeben, dann hätten wir bald kein Bundeskabinett mehr, sondern ein Parlament von Ministern, wobei der Minister dann nicht mehr als Ressortchef, sondern als oberster Exponent einer Interessengruppe angesehen würde.
Damit komme ich zu der ernsten Frage: Wer soll das bezahlen?
Bezahlen muß es der kleinste Steuerzahler und wir alle, darunter auch der finanziell Schwächste. Ich habe damit den Kernpunkt meiner Ausführungen angeschnitten. Im Jahre 1952 belief sich der Bundeshaushalt auf 20 Milliarden DM, im Jahre 1955,
also nach drei Jahren, auf 30 Milliarden DM. Einige Jahre später werden wir, wenn das so weitergeht — das wird mir von Sachverständigen bestätigt —, einen Etat von 40 Milliarden DM haben. Wissen Sie, was das bedeutet? Das bedeutet den Anfang vom Ende eines gesunden Staatswesens
und eine unerträgliche Überbelastung des Staatsbürgers.
Staatssekretär Hartmann hat in seiner Etatrede vom 8. Dezember 1954 von dem „ehernen Gesetz" des ständig wachsenden Staatsbedarfs gesprochen. Ich lehne dieses „eherne Gesetz" ab und kann die damit bezeichnete Entwicklung nicht als naturgesetzlich unentrinnbare Schicksalsbestimmung hinnehmen. Wir selbst haben es in der Hand, diese gefährliche Entwicklung zu verhindern. Wir stehen keinem unentrinnbaren Schicksal gegenüber. Aber es wird allerhöchste Zeit, durchzugreifen und sich nicht dem unvermeidlichen Geschick zu fügen, denn es geht um mehr. Die Bank deutscher Länder, die ja die Hüterin der Währung ist, hat kürzlich erklärt, daß eine übertriebene Ausgabenwirtschaft, wie wir sie heute haben, zur Inflation führen muß.
Wenn wir jetzt nicht aufpassen, kommt also das, was wir alle vermeiden wollen, vermeiden können, vermeiden müssen und vermeiden werden: die Inflation. Ich mache früh genug darauf aufmerksam.
Wie soll nun die Verwaltungsreform aussehen? Wo ist der Hebel anzusetzen? Damit ist nichts erreicht, daß da und dort eine Planstelle oder ein Dienstauto weggenommen wird. Wir wollen nicht an Symptomen herumkurieren, sondern an den Kern des Übels herangehen. Die Zeit der Halbheiten ist vorbei.
Das erste, was unternommen werden muß, ist, die weitere Aufblähung der Verwaltung sofort abzustoppen und zu verhindern, daß der Staatsapparat von Jahr zu Jahr immer größer wird. Wenn dieses Ziel erreicht ist, nämlich, daß jetzt mit der weiteren Ausdehnung Schluß ist, dann haben wir zunächst schon viel erreicht. Das heißt grundsätzlich Einstellungsstopp mit Ausnahme des normalen Nachwuchses. Gleichzeitig ist Hilfe — ich betone das ausdrücklich — beim Aufbau des Verteidigungsministeriums zu leisten. Diese Arbeit ist vordringlich und muß mit aller Beschleunigung in Angriff genommen werden, damit ein moderner, durchrationalisierter Apparat entsteht, ein Apparat, der frei ist von allen überflüssigen Aufgaben.
Ein weiteres Gebiet ist die Eindämmung der Gesetzesflut und die Überprüfung der Notwendigkeit neuer Gesetze. Ist ein Gesetz aber unvermeidbar, dann soll es einfach und klar und mit einem Kostenvoranschlag über die entstehenden neuen Verwaltungskosten von der Spitze bis zur Ortsstufe versehen sein, damit jeder Abgeordnete sich darüber klar ist, ob der Aufwand für dieses Gesetz auch verantwortet werden kann. Ein Muster für gesetzgeberischen Perfektionismus ist die vor wenigen Tagen vom Bundesrat angenommene gesetzliche Regelung der Mindestanforderungen an Schafböcke, obwohl allgemeine Körordnungen bestehen. Und das ist geschehen, obwohl wenige Augenblicke vorher der neue Bundesratspräsident
von Hassel sich für die notwendige Eindämmung der Gesetzesflut eingesetzt hatte.
Die Hauptschuld an der Aufblähung aber tragen wir selbst, wir, die Gesetzgeber. Aber nicht nur wir, sondern auch die Wähler, die gesamte Bevölkerung, die immer wieder nach dem Staate ruft. Dieser allgemeine Ruf nach dem Staate ist eine ganz wesentliche Ursache für das Übermaß der Verwaltungsarbeit. Hier haben Presse, Rundfunk und politische Parteien in Zukunft eine ungeheuer wichtige erzieherische Aufgabe zu erfüllen. Die Bevölkerung ist sich ja gar nicht bewußt, daß neue und erweiterte Aufgaben immer wieder neue Ausgaben erfordern, die dann im Wege höherer Lasten auf sie selber zurückfallen.
Nun sind die Schuldigen aber nicht nur der Gesetzgeber, also das Parlament, bzw. die Wähler; schuld an der Aufblähung ist vor allem auch die Bürokratie selber. Sie nutzt die Gelegenheit. Krebsartig wuchern die Behörden aller Stufen und Arten. Ein Mitglied des Rechnungshofs vor 1933 soll einmal gesagt haben: Wenn man einer Bürokratie ohne besondere Aufgabe ein großes Bürohaus zur Verfügung stellt, so kann diese aus sich selbst heraus sich so stark beschäftigen, daß sie nach wenigen Jahren einen Erweiterungsbau von entsprechender Größe und entsprechendem Personal benötigt. Jeder Referent hat den Ehrgeiz, sein Arbeitsgebiet als besonders wichtig erscheinen zu lassen. Wo früher ein Regierungsrat saß, sitzt heute ein Regierungsdirektor oder Ministerialrat. Sachen, die von einem Amtsrat entschieden werden könnten, werden hinaufgetrieben bis zum Abteilungsleiter. Minister kümmern sich um Bagatellsachen, die früher kaum Assessoren oblagen. Ein Bundesministerium ist an 670 Ausschüssen beteiligt. Stellen Sie sich einmal vor, wie viele Beamte dadurch festgelegt und ständig beschäftigt werden müssen, nur um den Wünschen mancher Interessenten zu entsprechen!
Aber wir haben nicht nur zuviel Staat, der in jede Privatsphäre eindringt. Wir haben vor allem zuviel Zentralstaat, der alles, was kommt, in seine Klauen nimmt. Es braucht nicht alles vom Zentralstaat gemacht zu werden, weil dann ein Rattenschwanz von Prüfungen, von Nachweisungen, von Reglementierungen vom Zentralstaat durch alle Instanzen hindurch bis unten hin die Folge ist. Deshalb sollte eine Verlagerung der Aufgaben nach unten erfolgen. Dort, wo die Aufgaben anfallen, sollen sie erledigt werden, in eigener Verantwortung. Man sollte nicht erst auf Weisungen von oben warten.
Ich komme damit zum Aufgabenabbau und zur Rationalisierung der Verwaltung. Beim Aufgabenabbau handelt es sich um die mühselige Kleinarbeit, zu ermitteln, welche Aufgaben wegfallen, welche Aufgaben einfacher gestaltet werden können, wie eingeschränkt werden kann, z. B. wegen Doppelarbeit oder Überschneidungen, wieweit Aufgaben von Stellen außerhalb der öffentlichen Verwaltung übernommen werden können. Die Fragestellung lautet nicht mehr: was kann die öffentliche Hand betreiben?, sondern: was m u B unbedingt von ihr noch durchgeführt werden?
Der Aufgabenabbau ist also entscheidend, und hier muß die Axt angesetzt werden. Ich habe eine ganze Reihe von praktischen Beispielen der Presse bereits genannt, so daß ich sie hier nicht noch einmal zu wiederholen brauche.
Ein weiteres Kapitel ist die Überprüfung uralter Gesetze daraufhin, ob sie nicht veraltet sind, neu kodifiziert, übersichtlicher und 'einfacher gestaltet werden müssen.
Die Ausgaben auf der ganzen Linie müssen rücksichtslos eingeschränkt werden. Insbesondere ist ein grundsätzliches Verbot der Errichtung öffentlicher Dienstbauten zu erlassen. Die Haushaltspläne sind so knapp auszugleichen, daß nur noch Mittel für das unbedingt Notwendige zur Verfügung stehen. Unter dem Zwang der Diktatur der leeren Kassen hört die Verwaltung auf, aus dem Vollen zu wirtschaften und die Haushaltsreste zu verpulvern. Die Voranschläge müssen die Einnahmen bis zum Rand des Defizits senken. Erst dann beginnt die Kunst der öffentlichen Hand, mit wenigen Mitteln Wirksames zu gestalten und zu schaffen.
Ich komme nunmehr zur Rationalisierung der Verwaltung. Wir haben viel zuviel Leerlauf. Es fehlt das richtige Verhältnis zwischen Aufwand und Erfolg. Die gegenwärtigen Aufgaben können billiger und rationeller wahrgenommen werden. Ebenso ist der Leistungsgrundsatz in das Beamtenrecht mit einzubauen. Die Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung gehört zu den vordringlichsten Aufgaben der modernen Gesellschaft. Für die höherwertige Leistung könnte unbedenklich eine bessere Besoldung gewährt werden. Es ist einmal gesagt worden: Gebt mir die Hälfte der Beamten, aber qualifizierte.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen kurz einige Beispiele 'für die Notwendigkeit der Rationalisierung geben. Die Akte eines Kriegsbeschädigten, der 70 % erwerbsgemindert ist, geht, wenn sein Verfahren durch die Instanzen läuft, durch die Hände von wenigstens 28 bis 30 Beamten und Angestellten. Dazu kommt bei der Sozialversicherung, wenn auch das Verfahren für seine Invalidenrente durch die Instanzen läuft, etwa die gleiche Zahl anderer Beamter: alles in allem rund 60 Verwaltungsbeamte, Ärzte und Richter für einen einzigen Rentner. Dann möchte ich auf das verweisen, was Herr Kollege Lücke vor dem Hohen Hause bereits angeschnitten hat, als er darauf hinwies, daß die Antragsformulare für die Erstellung einer Wohnung im sozialen Wohnungsbau aneinandergereiht eine Länge von über 130 m ausmachen.
Auf der anderen Seite aber einige erfreuliche Mitteilungen. Die Bundesstelle für den Warenverkehr — jetzt Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft — hatte nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs im Jahre 1953 717 Beamte und Angestellte. Das Bundeswirtschaftsministerium hat diese Zahl auf 350 reduziert. Störungen sind dadurch nicht eingetreten. Ich kenne ein Bundesministerium, das nach mir gemachten Angaben mit drei Viertel seiner Beamten und Angestellten ohne weiteres auskommen würde. Von zwei weiteren Bundesministerien sind außerdem sehr weitgehende Vereinfachungsvorschläge gemacht worden.
Ich komme jetzt zum Schlußkapitel, nämlich zu der Frage, welchen Weg wir zur Verwirklichung der Vereinfachung beschreiten wollen. Ihnen liegt die Drucksache 1383 vor. Danach soll ein unabhängiger Ausschuß aus Vertretern des Bundestages, des Bundesrates, der Bundesregierung, der kommunalen Spitzenverbände und aus sonstigen Sachverständigen von der Regierung eingesetzt werden. Der Ausschuß wird nicht aus Interessen-
ten oder Persönlichkeiten, die Einzelinteressen wahrnehmen möchten, besetzt sein, sondern nur aus wirklich unabhängigen Experten allererster Qualität. Wir hätten damit gewissermaßen einen unabhängigen Generalstab, der das Ganze sachgerecht steuert. Er wird die Mittel und Wege finden und zeigen, die für eine totale Reform an Haupt und Gliedern und auf allen Sachgebieten notwendig sind.
Dabei wünschen wir — ich wiederhole das nochmals — eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden. Die Vorschläge des Ausschusses werden der Öffentlichkeit übergeben. Die Öffentlichkeit der Arbeit des Ausschusses ist also ein sehr wichtiges Mittel zur Durchsetzung der erarbeiteten Vorschläge. Die Initiativanträge der Fraktionen des Bundestages und der Länderparlamente werden ebenfalls zur Verwirklichung der Aufgabe beitragen. Außerdem wird der Ausschuß bei jedem einzelnen Vorschlag, den er macht, im einzelnen die Wege angeben, die zu seiner Verwirklichung zu gehen sind, und das ist ja wohl das Entscheidende. Ich denke mir auch eine enge Verzahnung zwischen diesem Ausschuß und den entsprechenden Ausschüssen der Länder.
Ferner bin ich der Meinung, daß die Stellung der Organisations- und Finanzreferenten — wir Rönnen sie auch Vereinfachungsreferenten nennen — in den obersten Bundesbehörden verstärkt werden sollte, daß sie mit Vetorecht gegen Anträge und Vorschläge der verschiedenen Abteilungen einer Bundesverwaltung ausgestattet sein sollten und das Recht haben müßten, bestimmte Ausgaben zu beanstanden. Diese unabhängigen — das betone ich — Referenten würden dann auch in enger Zusammenarbeit mit dem Ausschuß stehen. Es wird dafür gesorgt werden, daß in diesem Ausschuß gehandelt und daß keine unproduktive oder rein theoretische Arbeit geleistet wird, damit wir schnellstens zu praktischen Ergebnissen kommen.
Nun, meine Damen und Herren, zum Schluß eine herzliche Bitte an die Opposition. Die Durchführung der Verwaltungsreform sollte nicht zum Gegenstand parteipolitischer Erwägungen gemacht werden, sondern ein heiliges, unaufschiebbares Anliegen aller sein, ohne Ansehen der politischen Partei, der Konfession und dergleichen. Ich habe den neuen Antrag — den Ergänzungsantrag der SPD – hier vorliegen. Er stellt sich grundsätzlich hinter den Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Ich glaube, daß wir im großen und ganzen hinter diesen Vorschlägen stehen werden.
Wir wollen jetzt nicht über Kleinigkeiten stolpern, sondern anfangen. Wir können jetzt auch keine Skeptiker oder ewigen Verneiner gebrauchen, die jede Arbeit hemmen. Was wir bei dieser fast übermenschlichen Arbeit brauchen, sind Optimisten und Mitarbeiter, die mit neuem Schwung an dieses große Werk herangehen. Ich hoffe, daß auch unser hochverehrter Herr Bundeskanzler die wichtige Frage der Verwaltungs- und Staatsvereinfachung persönlich aufgreift, uns jetzt auch auf diesem wichtigen innerpolitischen Gebiete seine volle Unterstützung zuteil werden läßt und sich mit seiner ganzen Person hinter diese Aktion stellt.
Ich beantrage daher namens meiner Fraktion die Überweisung an den Ausschuß für innere Verwaltung als federführenden und an den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß.