Rede:
ID0210613500

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2106

  • date_rangeDatum: 19. Oktober 1955

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    2. Deutscher Bundestag — 106. Sitzung. Berlin-Charlottenburg, Mittwoch, den 19. Oktober 1955 5807 106. Sitzung Berlin-Charlottenburg, Mittwoch, den 19. Oktober 1955. Ansprache zum Beginn der Arbeitswoche in Berlin Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 5808 C Beurlaubte Abgeordnete (Anlage) 5849 A Frau Margarethe Hütter tritt an Stelle des ausgetretenen Dr. Pfleiderer in den Bundestag ein 5809 B Mitteilung über die Beantwortung der Kleinen Anfrage 195 (Drucksache 1726) betr. tarifpolitische Pläne des Bundesverkehrsministeriums (Drucksache 1800) 5809 C Fragestunde (Drucksache 1761): 1. betr. Wohnungsbewirtschaftung, Beschaffung von Wohnungen für kinderreiche Familien: Kahn-Ackermann (SPD) . . . 5809 C, 5810 B Dr. Wandersleb, Staatssekretär im Bundesministerium für Wohnungsbau 5809 C, 5810 B 2. betr. Maßnahmen zur Förderung des Fremdenverkehrs nach Berlin: Dr. Leiske (CDU/CSU) 5810 B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr . 5810 C 3. betr. Kulemeyer-Fahrzeuge der Deutschen Bundesbahn: Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 5811 A, B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr 5811 A, B 4. betr. Wiederverwendung der ehemali- Kasernen in Darmstadt für deutsche Streitkräfte: Hübner (FDP) 5811 C, D Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen 5811 D, 5812 A 5. betr. Zuwiderhandlungen gegen Bestimmungen des Güterkraftverkehrsgesetzes: Schmidt (Hamburg) (SPD) 5812 A Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr . 5812 A 6. betr. Ausschank von Alkohol in den Gaststätten an der Autobahn: Anfrage zurückgezogen 5812 C 7. betr. Erklärungen der Bundesregierung zur Beendigung des Beschlagnahmeverfahrens gegenüber deutschem Eigentum in den USA: Dr. Menzel (SPD) 5812 C, D Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 5812 C, D 8. betr. Vermögensstand der sozialen Rentenversicherung am 31. 12. 1954: Dr. Schellenberg (SPD) . . . . 5813 A, B, C Storch, Bundesminister für Arbeit 5813 A, B, C 9. betr. Befriedigung von Erstattungsansprüchen der Rentenversicherungsträger nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes: Dr. Schellenberg (SPD) . . . 5813 D, 5814 A Storch, Bundesminister für Arbeit 5813 D, 5814 A, B 10. betr. Auszahlung von Renten an alte, gebrechliche oder körperbehinderte Sozialrentner durch die Post oder die Sparkassen: Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) . . . 5814 B, D Storch, Bundesminister für Arbeit . . 5814 C 11. betr. Einheitliche Regelung für Richtungszeichen an Kraftfahrzeugen: Ritzel (SPD) 5814 D, 5815 B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr 5814 D, 5815 B 12. betr. Nichtbeachtung von Urteilen der Steuergerichte seitens der Finanzverwaltung: Dr. Bucher (FDP) 5815 C, D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 5815 C, D 13. betr. Umstellung und Auszahlung von im Ostsektor Berlins eingefrorenen Postscheck- und Bankguthaben: Stingl (CDU/CSU) 5816 A Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5816 A 14. betr. Überprüfung der Höhe der Verdienste von Arbeitnehmern aus dem Ostsektor Berlins oder der sowjetisch besetzten Zone: Stingl (CDU/CSU) 5816 B Storch, Bundesminister für Arbeit 5816 C 15. betr. Maßnahmen zum Ausgleich der Benachteiligung von Arbeitnehmern, die auf den Rat westlicher Persönlichkeiten ihre Arbeitsplätze im Osten behalten haben und später entlassen wurden: Stingl (CDU/CSU) 5816 D Storch, Bundesminister für Arbeit 5817 A 16. betr. Vorlage der Denkschrift über die Behebung der Not in den Zonenrandgebieten: Freidhof (SPD) 5817 B, C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5817 B, C 17. betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes über die Erweiterung des Jugendarbeitsschutzes: Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . . . 5817 C Storch, Bundesminister für Arbeit . 5817 C 18. betr. Verschärfung des Strafmaßes für Verbrechen an Kindern und Jugendlichen: Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) 5817 D, 5818 B Neumayer, Bundesminister der Justiz 5818 A, B 19. betr. Änderungen des Bundesnotaufnahmegesetzes: Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) . . . 5818 C Dr. Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 5818 C Nächste Fragestunde 5818 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung 5818 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5818 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung, Beratung der Anträge und Initiativgesetzentwürfe zur konjunkturpolitischen Lage 5823 D Dr. Deist (SPD) 5823 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 5835 A Scheel (FDP) 5842 B Nächste Sitzung 5848 D Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5849 A Die Sitzung wird um 14 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Gleisner (Unna) 19. November Frehsee 15. November Kühn (Bonn) 15. November Matthes 15. November Dr. Miessner 15. November Welke 15. November Hoogen 12. November Albers 5. November Dr.-Ing. E. h. Schuberth 5. November Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Altmaier 28. Oktober Dr. Becker (Hersfeld) 28. Oktober Fürst von Bismarck 28. Oktober Erler 28. Oktober Even 28. Oktober Gräfin Finckenstein 28. Oktober Gerns 28. Oktober Höfler 28. Oktober Kalbitzer 28. Oktober Kiesinger 28. Oktober Dr. Kopf 28. Oktober Dr. Lenz (Godesberg) 28. Oktober Dr. Leverkuehn 28. Oktober Lücker (München) 28. Oktober Dr. Lütkens 28. Oktober Marx 28. Oktober Dr. Mommer 28. Oktober Frau Meyer-Laule 28. Oktober Dr. Dr. h. c. Pünder 28. Oktober Dr. Oesterle 28. Oktober Paul 28. Oktober Frau Rehling 28. Oktober Schütz 28. Oktober Graf von Spreti 28. Oktober Dr. Wahl 28. Oktober Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 28. Oktober Miller 24. Oktober Günther 23. Oktober Bauer (Wasserburg) 22. Oktober Brockmann (Rinkerode) 22. Oktober Diekmann 22. Oktober Dr. Dollinger 22. Oktober Gefeller 22. Oktober Hilbert 22. Oktober Dr. Horlacher 22. Oktober Kahn 22. Oktober Könen (Düsseldorf) 22. Oktober Leibfried 22. Oktober Dr. Löhr 22. Oktober Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 22. Oktober Müller (Worms) 22. Oktober Müser 22. Oktober Frau Nadig 22. Oktober Neuburger 22. Oktober Pelster 22. Oktober Dr. Pferdmenges 22. Oktober Frau Pitz 22. Oktober Raestrup 22. Oktober Schill (Freiburg) 22. Oktober Schlick 22. Oktober Schloß 22. Oktober Seidl (Dorfen) 22. Oktober Dr. Starke 22. Oktober Dr. Werber 22. Oktober Winkelheide 22. Oktober Stahl 22. Oktober Peters 22. Oktober Dr. Maier (Stuttgart) 22. Oktober Dr. Baade 22. Oktober Dr. Bärsch 22. Oktober Dr. Furler 22. Oktober Kemper (Trier) 22. Oktober Kroll 22. Oktober Dr. Wellhausen 20. Oktober Dr. Pohle (Düsseldorf) 19. Oktober Maucher 19. Oktober b) Urlaubsanträge Abgeordnete bis einschließlich Dr. Bucerius 31. Oktober Gibbert 30. Oktober Dr. Greve 29. Oktober Dr. Köhler 29. Oktober Dr. Preller 29. Oktober Frau Rösch 29. Oktober
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Fritz Hellwig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ,die Redezeit als ein Gradmesser der quotalen Beteiligung an der zur Verfügung stehenden Gesamtredezeit gilt, so, glaube ich, kann sich mein verehrter Kollege Dr. Deist zum mindesten an dieser Stelle nicht über eine Benachteiligung der von ihm vertretenen Quotenseite beklagen.

    (Unruhe und Zurufe bei der SPD.)

    — Verzeihen Sie, bitte, wir hatten uns auf 45 Minuten verständigt, und Sie werden mir zugeben, daß es nach der zeitlich stark ausgedehnten Rede, die der verehrte Kollege Deist gebracht hat, außerordentlich schwierig sein wird, nun in 45 Minuten dem allen zu entgegnen. Ich darf von Anfang an also schon bitten, es nicht als ein Ausweichen anzusehen, wenn ich auf gewisse Dinge einfach nicht eingehen kann, weil ich mich eben bemühe, dieser zeitlichen Situation zu entsprechen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich habe zunächst von der Rede des Herrn Dr. Deist den Eindruck gehabt — wenn ich mir insbesondere auch den Auftakt dieser Rede hier in Erinnerung zurückrufe —, ,daß wir in der konjunkturpolitischen Debatte, die der Bundestag hier durchführt, gegenüber Auseinandersetzungen auf diesem Gebiete etwa in früheren Jahren einen im ganzen erfreulichen Fortschritt zu verzeichnen haben.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube, wir sollten zunächst allseits darüber zufrieden sein, daß wir zu einer Versachlichung der gesamten Auseinandersetzung über die Konjunkturpolitik gekommen sind.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Daß es uns an dieser Versachlichung brennend liegt, darf ich hier nochmals unterstreichen, und so bitte ich auch meinerseits, ,das, was ich vortrage, genau so sachlich zu behandeln, wie es gebracht worden ist.
    Ich glaube aber, hier zunächst etwas ganz Allgemeines sagen zu müssen zu den Möglichkeiten, die ein Parlament hat, überhaupt zur Konjunkturpolitik zu sprechen. Ein Parlament ist kein konjunkturwissenschaftliches Forschungsinstitut,

    (Abg. Horn: Sehr richtig!)

    ein Parlament ist kein konjunkturpolitischer Beirat, mit dem kurzfristig mitunter sehr dringliche Entscheidungen durchgeführt werden können.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Ein Parlament kann lediglich die Aufträge formulieren, —

    (Zuruf von der SPD: Was für Schlagworte!)

    — Verzeihen Sie! Lassen Sie mich doch ausreden. Wir haben Sie ja auch ausreden lassen. — Ein Parlament kann, sage ich, lediglich die Aufträge formulieren, die es für den Einsatz des konjunkturpolitischen Instrumentariums durch die hierfür verantwortlichen Stellen von Regierung und Zentralnotenbank eben durchgeführt haben will. Es kann bei der Beobachtung der konjunkturellen Entwicklung, vor allem seiner politischen Gesamtverantwortung entsprechend, darauf achten, wo
    Spannungen, wo unterschiedliche Entwicklungen auftreten. Dann kann es sich durch entsprechende Maßnahmen der Gesetzgebung einschalten, um derartige Spannungen und unterschiedliche Beteiligungen am konjunkturellen Ablauf zu korrigieren. Vor allem eines aber hat das Parlament zu tun: als Kontrollorgan der öffentlichen Instanzen, die in der Exekutive die Konjunkturpolitik zu gestalten haben, darauf zu achten, daß die konjunkturpolitische Steuerung durch die verantwortliche Zentrale überall wirksam wird, auch dort, wo andere öffentliche Instanzen zunächst nicht unmittelbar erreicht werden können.
    Es ist das Problem der zentralen Konjunkturpolitik, daß wir in einem bundesstaatlichen Aufbau eben aber verschiedene Instrumente von der Seite der Bundesgesetzgebung und Bundesregierung aus nicht so verfügen können, wie es etwa gegenüber anderen Instanzen der öffentlichen Hand möglich wäre. Sie werden den Anträgen der CDU-Fraktion schon entnommen haben, daß es sich hier insbesondere um die Anlage öffentlicher Gelder handelt, um die Auftragserteilung der öffentlichen Hand an verschiedene Stellen. Ich glaube also, der Bundestag kann sich hier auch verantwortlich dafür fühlen, daß der Appell zu einer wirklich wirksamen, zentralen konjunkturpolitischen Steuerung gegenüber allen Bereichen der öffentlichen Hand ausgesprochen wird.
    Für den einzelnen Mann draußen im Lande, in der Bevölkerung, seien es Unternehmer, Arbeitnehmer, Steuerzahler, Rentner, Produzenten wie Verbraucher, Kreditnehmer wie Sparer, für sie alle ist die öffentliche Hand noch eine Einheit. Sie sehen die Gesamtverantwortung der öffentlichen Hand für den konjunkturellen Ablauf, und sie können sich nicht mit staats- und verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Wirksamkeit zentraler Mittel befassen. Das ist die Gesamtverantwortung, die alle öffentlichen Instanzen bei uns haben. Ich glaube, sie auszusprechen, ist ein Auftrag, den der Bundestag hat.
    In der jetzigen Situation, meine Damen und Herren, stellt sich nun eine 'doppelte Aufgabe. Wir sehen unterschiedliche konjunkturelle Entwicklungen, die eben zu bestimmten Spannungen führen. Sie rechtzeitig aufzufangen, rechtzeitig darauf einzuwirken, daß keine ungesunden, die gesamtwirtschaftliche Weiterentwicklung störenden Verschiebungen eintreten ist eine Aufgabe, die sowohl in der Regierungserklärung wie in den Worten des Herrn Dr. Deist zum Ausdruck gekommen ist.
    Ich kann hier nicht in die ganze breite Diskussion zur Kennzeichnung der derzeitigen konjunkturellen Lage eintreten. Es ist zur Genüge gesagt worden, daß die Investitionsgüterindustrien eine stärkere Entwicklung genommen haben als die Konsumgüterindustrien. Aber, Herr Kollege Dr. Deist, ist es wirklich richtig, daß die Konsumgüterindustrie so zurückgeblieben ist? Ist nicht im August, zum mindesten im Spätsommer 1955 der Auftragsbestand der gesamten Konsumgüterindustrie, selbst in der am stärksten zurückhinkenden Textilindustrie, wesentlich höher geworden, als er vor einem Jahr, im Sommer 1954 war? Ich glaube, man sollte also auch diese jüngste Entwicklung in der Gesamtentwicklung nicht vergessen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Man hat über die hohe Investitionsquote gesprochen. Ich darf zunächst dazu folgendes sagen.


    (Dr. Hellwig)

    „Investitionsquote" ist ein Gesamtbegriff, der über die Zusammensetzung der Investitionen in den einzelnen Bereichen relativ wenig aussagt, und die Frage, ob die absolute Höhe der Investitionen hier zu gefährlichen Erwartungen Anlaß geben muß oder ob es nur bestimmte Spitzen in der Auftragserteilung sind, müßte doch einmal sorgfältiger geprüft werden.
    Sie haben von der Bautätigkeit gesprochen und gesagt, daß gerade die öffentliche Hand mit ihrem Anteil an dem Bauvolumen nicht so ausschlaggebend sein könne. Nun, bei den drei Vierteln des Bauvolumens, die auf Wohnungsbau, auf öffentlichen und Verkehrsbau entfallen, können schon relativ geringfügige Überschreitungen des Auftragsvolumens zu unerwünschten Erscheinungen führen. Das gleiche gilt im übrigen selbstverständlich auch für die Spitzen bei industriellen Investitionen. Wird überhaupt nicht bestritten! Ich glaube, wir sollten überhaupt hier nicht den Versuch machen, dem einen oder anderen nun besondere Pluspunkte oder besondere Minuspunkte in seinem konjunkturellen Verhalten zuzuteilen. Aber denken Sie doch bitte einmal daran, Herr Dr. Deist, was es bedeutet, wenn die öffentlichen Aufträge dort, wo die öffentliche Hand als Auftraggeber auftritt, in einen ganz bestimmten, durch die Haushaltsdispositionen bestimmten Zeitraum zusammenfallen. Sie laufen praktisch erst im Mai an, und dann soll alles noch bis zum Einbruch des Winters fertig sein. Gerade die von der öffentlichen Haushaltsdisposition her bestimmte Massierung ist es doch, die uns immer so zu schaffen macht. Ich glaube daher, daß wir auch Ihr Verständnis für den in unseren Anträgen enthaltenen Auftrag erwarten können, daß gerade die öffentliche Hand als größter Auftraggeber in der gesamten Bauwirtschaft auf eine längere Erstreckung ihrer Aufträge zunächst im Jahresablauf achtet, zum anderen aber, weil ihre Bauinvestitionen ja über Jahre hinausgehen, eine langfristige Planung des Bauvolumens vornimmt, damit sich die Bauwirtschaft ihrerseits auf dieses Bauvolumen einstellen kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Aber zurück zu dem, was ich über die Möglichkeiten des Bundestages sagte. Ich glaube, der Bundestag ist wesentlich auf das angewiesen, was die Institute und die amtlichen Stellen, die die Konjunkturpolitik zu beobachten haben, uns zur Verfügung stellen. Allerdings, verehrter Herr Kollege Deist, was man mit diesem Zahlenmaterial macht, das ist immer noch eine Frage der Interpretation und vielleicht auch eine Frage des Standpunktes. Ich will nicht in eine breite Erörterung der vielen von Ihnen gebrachten Zahlen eintreten; ich will nur einen Punkt, der jedoch eine Schlüsselstellung in Ihrer Argumentation einnahm, nämlich die angebliche Verringerung der Lohnquote, zur Sprache bringen. Nach den vom Statistischen Bundesamt in seinem letzten Heft veröffentlichten Angaben über das Bruttosozialprodukt 1955 im ersten Halbjahr ist der Anteil des Nettoeinkommens aus unselbständiger Arbeit am Nettosozialprodukt zu Faktorkosten gegenüber 1954 nicht gesunken, sondern von 48,0 auf 48,5 °/o gestiegen.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Ich will, verehrter Herr Kollege Deist, nun nicht auf der absoluten Aussagekraft dieser Rechnung fußen. Ich glaube, dann kann ich aber verlangen, daß auch von Ihrer Seite nicht auf umstrittene
    Rechnungen mit einer absoluten Gewißheit gepaukt
    wird und man uns diese Zahlen hier entgegenhält.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf hier auf einen Versuch zur Versachlichung dieser ganzen ja nun über Jahre gehenden Auseinandersetzung über die Lohn- und Gewinnquote zurückkommen. Vor mehreren Jahren, in einer ganz ähnlichen Situation, wie sie konjunkturell die heutige ist, im Sommer 1951, haben Spitzen der Arbeitgeberorganisationen mit denen der Gewerkschaften zusammengesessen und sich über die Möglichkeiten zur Versachlichung der lohnpolitischen Diskussion in ihren wissenschaftlichen Grundlagen unterhalten. Es war das berühmte Limburger Gespräch. Dieses Gespräch ist leider nicht mehr fortgesetzt worden. Die Unterlagen der Arbeitgeberseite sind damals den anwesenden Gewerkschaftsführern übergeben worden. Man verzichtete darauf, sie zu veröffentlichen, um zunächst eine interne sachliche Prüfung des Materials in die Wege zu leiten. Wäre das damals weitergegangen, ich glaube, wir könnten längst bei einer Versachlichung dieser ganzen zunächst noch wissenschaftlich fundierten Diskussion angelangt sein. Ich gebe die Hoffnung einfach nicht auf, daß es eines Tages beiden Seiten als wichtigstes Anliegen erscheint, die Versachlichung der lohn- und preispolitischen Diskussion bei uns auf den Stand zu bringen, wie es in anderen Ländern zum Teil schon der Fall ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß eine Einrichtung wie das amerikanische Bureau of Labor Statistics, das Büro für Arbeits- und Sozialstatistik, welches von beiden Sozialpartnern anerkannt wird, als eine wissenschaftlich neutrale Grundlage auch bei uns errichtet würde. Damit wäre dann allen gedient, und wir wären wirklich aus dieser die Öffentlichkeit zu Unrecht immer wieder sehr beunruhigenden Diskussion über die Aussagewerte bestimmter Zahlen heraus.
    Ich darf in diesem Zusammenhang auch schon kurz zu dem Antrag der FDP-Fraktion über die Errichtung eines Konjunkturrates Stellung nehmen. Ich gebe Ihnen, Herr Dr. Deist, völlig recht: Eine Institution allein tut es nicht, wenn nicht die Mittel der volkswirtschaftlichen Gesamtanalyse in Form einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erarbeitet werden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber ich erinnere daran, meine Damen und Herren, wie wir in vielen zentralen Stellen unserer volkswirtschaftlichen Gesamterfassung vorläufig mit Schätzungen arbeiten. Denken Sie etwa an die Unterlagen über die Vermögensberechnungen, Einheitswerte von 1935! Auf vielen anderen Gebieten fußen wir auf Vorkriegsdaten, die wir lediglich mit groben Schätzungen auf den heutigen Stand haben fortschreiben können. Hier müssen eben alle statistischen Ämter und sonstigen wissenschaftlichen Stellen eine Nachholarbeit führen, und dafür müssen allerdings auch gewisse Mittel bereitgestellt werden. Ich erinnere daran, daß die Aufarbeitung der Einkommensteuerstatistiken noch für Jahre aussteht und daß wir die Unterlagen dazu, ich glaube, erst für 1950 haben. Hier muß also an allen Stellen, die mit der volkswirtschaftlichen Gesamtdurchleuchtung befaßt sind, eine Aufarbeitung, eine Intensivierung des zur Verfügung stehenden Stoffs erfolgen, ehe wir hier von einem


    (Dr. Hellwig)

    wirklich ausreichenden Instrumentarium sprechen können. Mit Zahlen läßt sich trefflich streiten, habe ich vor Jahren einmal in einer ähnlichen Situation gesagt. Wir sollten alle, Sie wie wir, unseren Ehrgeiz darein setzen, den Streit mit Zahlen soweit als möglich aus der Welt zu schaffen, indem wir uns auf einheitliche wissenschaftliche Grundlagen einigen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Nun, meine Damen und Herren, zu den akuten Fragen, deren Behandlung und Formulierung sowohl gegenüber der Bundesregierung wie auch gegenüber der Öffentlichkeit ich als Aufgabe des Bundestages ansehe. Ich sprach davon, daß der Bundestag in einer solchen Situation zunächst die divergierenden Tendenzen in der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung erkennen und aus der Erkenntnis bestimmte Maßnahmen der Anpassung ableiten muß. Zum andern aber ist es die Aufgabe des Parlaments auch, rechtzeitig die gesetzlich und institutionell notwendigen Regelungen in die Wege zu leiten, die zur Sicherung der konjunkturellen Entwicklung über einen größeren Zeitraum für die Zukunft erforderlich sind. Ich werde auf diesen Punkt noch besonders zu sprechen kommen.
    Für die Durchführung der nun erkannten Fragestellung hat das Parlament, haben wir, gleichgültig, wo wir parteipolitisch stehen, folgende Grundgedanken zur Richtlinie zu machen und sie gegenüber der Regierung auch zu formulieren. Der erste ist, daß die Einheit der Wirtschaftspolitik zur Verwirklichung konjunkturpolitischer Maßnahmen über alle Ressortgrenzen hinweg zu wahren ist. Das ist ein Anliegen jeder Seite dieses Hauses. Es ist wohl auch kein Geheimnis, daß die weitgehende Aufteilung der gesamtwirtschaftlichen Aufgaben in einzelne Ressorts die Gefahr unterschiedlicher Maßnahmen im Hinblick auf die konjunkturell notwendigen Entscheidungen in sich birgt. Immer wieder die Einheit der Wirtschaftspolitik aus der konjunkturpolitischen Aufgabenstellung heraus zu verlangen und zu erzwingen, ist Aufgabe des Parlaments.

    (Abg. Dr. Schöne: Das müssen Sie mal Ihrer Fraktion sagen!)

    Das zweite ist die konjunkturpolitische Verantwortung der öffentlichen Hand, von der ich vorhin in anderem Zusammenhang schon einmal gesprochen habe. Der Bundestag hat diesen Appell auszusprechen und klarzustellen, daß er niemanden im öffentlichen Bereich aus der Mitverantwortung für den konjunkturell richtigen Verlauf entlassen kann.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es ist, verehrter Herr Kollege Deist, keine Diffamierung, wenn hier auf bestimmte Bereiche der öffentlichen Hand oder der öffentlichen Wirtschaft hingewiesen wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Soll ich an die Entwicklung der Holzpreise erinnern mit der Wirkung auf dem Baukostensektor? Soll ich an die Standortwahl bestimmter öffentlicher oder unter öffentlicher Verwaltung stehender Unternehmungen bei der Anlage neuer Kapazitäten erinnern? Soll ich daran erinnern, daß es mitunter nur derartige einzelne Fehldispositionen sind, die konjunkturpolitisch in einem ganzen Bezirk schädlich durchschlagen können?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    — Sicher, man darf es nicht verallgemeinern. Aber ich erinnere daran: Es ist manchmal die Spitze, es ist nur der Tropfen, der eine Flasche zum Überlaufen bringen kann, und da sollte' eigentlich alles, was im öffentlichen Wirtschaftsbereich wirkt, seinen Ehrgeiz darein setzen, nicht der Tropfen zu sein, der die Flasche zum Überlaufen bringt.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In einer solchen Situation hat das Parlament einen Appell auch an diejenigen Gruppen und Kräfte zu richten, in deren Hand ein großer Teil von Mitverantwortung für den konjunkturellen Ablauf und für die Sicherung des Ganzen liegt. Ich meine damit die Sozialpartner, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften, denen mit der Tarifautonomie ein hohes Maß von Selbstverwaltung und Selbstverantwortung in die Hand gegeben ist. Daß von diesem Instrument ein Gebrauch gemacht werde, der nicht die Stabilität der Währung, der nicht die Sicherung der Kaufkraft antastet, ist das ernsteste Anliegen, das Bundesregierung und Bundestag in dieser Stunde zum Ausdruck zu bringen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben gerade gestern in Straßburg eine Debatte gehabt über den Entwurf einer europäischen Sozialcharta. In dieser Sozialcharta ist ein großes Maß von staatlichen dirigistischen Eingriffen auch auf dem Gebiet der Lohnfindung und der Lohnfestsetzung vorgesehen. Kollege Birkelbach und ich waren in unseren Diskussionsbeiträgen übereinstimmend der Meinung, daß wir in Deutschland gegenüber diesen Tendenzen der westeuropäischen Länder unter allen Umständen den Grundsatz der Tarifautonomie der Sozialpartner, der Selbstverwaltung und' Selbstverantwortung der Sozialpartner für die Findung von Lohn- und Arbeitsbedingungen aufrechterhalten müssen. Aber an vielen Stellen dieser Sozialcharta steht ebenso eindeutig, daß alle sich ihr anschließenden Staaten die Verpflichtung haben sollen, für die Stabilität der Währung und die Erhaltung der Kaufkraft zu sorgen.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Unter diese Verpflichtung muß auch die Tarifhoheit der Sozialpartner gestellt sein; denn sonst würde sie sich ins Gegenteil verkehren, würde auf die Dauer wahrscheinlich doch nicht aufrechtzuerhalten sein.
    Eine weitere Aufgabe, die der Bundestag zu lösen haben wird, sehe ich in der Lösung der Frage, in welchem Maße die zentrale Notenbank durch Gesetz in den Stand gesetzt werden soll, sich kreditpolitisch auch dort durchzusetzen, wo ihr zunächst keine Zuständigkeit gegeben ist. Wir bedauern, daß wir bis heute noch kein neues deutsches Notenbankgesetz haben. Wir können in dieser Legislaturperiode wohl kaum noch mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes rechnen. Um so wi tiger ist aber, den Punkt vorzuziehen, der für die konjunkturpolitische zentrale Steuerung wesentlich ist, um so wichtiger ist es, daß auch diejenigen Überschüsse der öffentlichen Kassen währungs- und kreditpolitisch neutralisiert werden, die auf einer anderen als der Bundesebene anfallen. Das ist bei Anträgen zum Bundesnotenbankgesetz im 1. Bundestag schon zum Ausdruck gebracht worden. Bis heute aber ist, wie ich schon


    (Dr. Hellwig)

    sagte, nichts davon verwirklicht worden. Daher unser Antrag, die Bundesregierung möge uns eine entsprechende Vorlage machen.
    In diesem Zusammenhang eine Bemerkung nebenbei. Verehrter Herr Kollege Deist, wenn die Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Aufträge an die Bundesregierung wünschen, wenn sie nicht bereits in Paragraphen aufgeführte Gesetzesentwürfe sind, dann deswegen, weil nahezu jeder Punkt in unseren Anträgen sowohl die Legislative wie die Exekutive betrifft und weil hier bei den weiteren Beratungen sehr genau abgegrenzt werden muß, wo es um die Zuständigkeit des Gesetzgebers und wo es um die Verantwortung der Bundesregierung als Exekutive geht.

    (Abg. Mellies: Und dafür sollen Ihre Minister sorgen?! Vorsicht!)

    — Ich komme bei der Einzelbehandlung unserer Anträge noch auf diese Dinge zurück.
    Ich darf nun zunächst etwas über die Aufgabe sagen, die gesamte wirtschaftliche Entwicklung auch für die Zukunft nach richtigen Maßstäben zu sichern. Ich komme damit zu jenem Punkt, wo wir vielleicht jetzt schon, voraussichtlich aber auch in den kommenden Jahren die engste Begrenzung für eine weitere Expansion haben werden. Ich meine die Frage der Arbeitskräfte. Es nützt nichts, daß wir uns darüber hinwegtäuschen. Man mag die Investitionsquote zu hoch finden. Aber, verehrter Herr Kollege Deist, haben Sie auch einmal nachgerechnet, was die für einen Arbeitsplatz heute notwendige Investition kostet, etwa gegenüber den Preisen von 1950 oder gar denen von 1938? Ich glaube, auch von dieser Seite sollte man einmal die Höhe der Investitionen und der Investitionsquote prüfen.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich wollte gerade von einem Anliegen sprechen, von dem ich eigentlich annehmen dürfte, daß es Ihnen ganz besonders am Herzen liegt. Ich meine die Überlegung: Was und wie muß in Zukunft investiert werden, damit das Ergebnis des Apparats, der vorgenommenen Investierung zur Herstellung der Güter wesentlich vermehrt werden kann. An dieser Stelle ist die wesentliche Vermehrung der Produktion, der Produktivität und damit die Hebung des Lebensstandards zentral angesprochen.
    Wir werden in den kommenden Jahren mit einer wachsenden Verknappung der Arbeitskräfte rechnen müssen. Ich erinnere daran, daß die Zahl der Schulentlassenen Jahr für Jahr erheblich zurückgehen wird; es sind die geburtenschwachen Kriegsjahrgänge, die nunmehr aus der Schule entlassen werden. Wir werden also auf jeden Fall mit einer erheblichen Verknappung der Arbeitskräftezahl zu rechnen haben, ganz abgesehen von den Kräften, die zum Wehrdienst aus der Wirtschaft herausgezogen werden müssen.
    Die Aufrechterhaltung des heutigen Lebensstandards aber setzt dann voraus, daß für die in der Wirtschaft produktiv Tätigen durch entsprechende Investitionen am Arbeitsplatz eine wesentlich höhere Produktionsleistung möglich wird. Mit andern Worten: Es muß der Produktionsapparat intensiviert werden, und insofern sind wir tatsächlich an einem Wendepunkt in der Investitionspolitik unserer Wirtschaft angelangt. Die bisherige
    Investitionstätigkeit ging überwiegend in die Erstellung neuer Kapazitäten, sie ging in das Extensive. Es wurden neue Arbeitsplätze geschaffen, es wurden Millionen von Menschen zusätzlich in Arbeit gebracht. Nunmehr ist es die Aufgabe, an die Stelle extensiver Kapazitätsentwicklungen eine Intensivierung des Apparates am öffentlichen Arbeitsplatz herbeizuführen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daß damit aber wesentlich höhere Aufwendungen notwendig sind als in der extensiven Kapazitätsausweitung, das darf ich Ihnen, meine Damen und Herren, an einem einzigen Beispiel zeigen.
    Die Investition für einen Arbeitsplatz in der Drahtziehereiindustrie hat früher 10 000 Reichsmark gekostet — vor dem Krieg. Wir müssen jetzt 50 000 DM für diesen einen Arbeitsplatz rechnen, allerdings dann auch bei einer Versiebenfachung der Leistung, die der einzelne an diesem Arbeitsplatz erbringen kann.

    (Na also! bei der SPD.)

    Wenn Sie sich die Kasten der Arbeitsplätze in einzelnen Industriezweigen ansehen, dann wird erst einmal deutlich, welches Ausmaß von Investitionen gerade durch die Steigerung der technischen Anforderungen an den einzelnen Arbeitsplatz verursacht worden ist.
    In der eisenschaffenden Industrie kostet der durchschnittliche Arbeitsplatz heute 80- bis 100 000 DM, im Maschinenbau 20 000 DM, beim Fahrzeugbau 25 000 DM, in der Elektroindustrie 25 000 DM. In der Holzverarbeitung sind wir noch auf dem ursprünglichen durchschnittlichen Satz von 10 000 DM. Insgesamt gesehen haben sich in den letzten fünf Jahren die durchschnittlichen Kosten der Investition für einen Arbeitsplatz der Industrie etwa um 50 % erhöht.

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

    Nun, ich will hier nicht auf allzu viele Einzelheiten in dieser Frage eingehen. Ich glaube aber, daß nur aus diesen Überlegungen heraus beurteilt werden kann: Was hat zu geschehen, um bei verringerter Arbeitskräftezahl die volkswirtschaftliche Gesamtleistung als Ganzes und insbesondere auch den für den Massenkonsum notwendigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten? Was hat zu geschehen, um das bei rückläufiger Arbeitskräftezahl zu ermöglichen? Daß das nur mit zusätzlicher Investition am einzelnen Arbeitsplatz stattfinden kann, ist, glaube ich, selbstverständlich.
    Ich glaube, dieser einzige Hinweis genügt auch, um die Besorgnisse, ,die ein führender Konsumgüterfabrikant hat, deutlich zu machen, ein Konsumgüterfabrikant, der, weil er diese Situation sieht, sich für die Aufrechterhaltung des Investitionsvolumens ausspricht und auch bereit ist, Konjunkturbelebungen zusätzlicher Art in der Konsumgüterindustrie selbst !zurückzustellen. Dieser Konsumgüterfabrikant ist allerdings der von Ihnen offenbar als Autorität nicht sehr geschätzte Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Berg. Ich glaube aber, es genügt, hier auszuführen, daß man nicht von einer momentanen Situation, etwa aus der Sicht von wenigen Monaten heraus Entscheidungen über das notwendige Investitionsvolumen treffen kann, wenn auf dieses Investitionsvolumen Aufgaben, die ich soeben geschildert habe, in Kürze zukommen. Ich bin auch überzeugt, daß ein nicht unerheblicher Teil


    (Dr. Hellwig)

    der derzeitigen Investitionstätigkeit bereits eine Vorwegnahme der kommenden Entwicklung am Arbeitsplatz darstellt. Ein großer Teil der Unternehmer macht sich seit langem Gedanken und Sorgen darüber, wie er seine Produktion aufrechterhalten kann, wenn er Arbeitskräfte verliert. So ist wohl auch ein nicht unerheblicher Teil des derzeitigen Investitionsvolumens begründet.
    Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf verschiedene Punkte in den Anträgen der CDU selbst eingehen.
    Ich habe schon von der zentralen Rolle gesprochen, die wir unserem Antrag betreffend die Anlage öffentlicher Gelder zuerkennen. Es handelt sich einfach darum, der zentralen Notenbank ihr Instrumentarium zur Kreditpolitik so zu vervollständigen, wie es nach Lage der Dinge eben einfach notwendig ist. Daß innerhalb der gesamten Stationen der öffentlichen Hand hier bestimmte Dinge einer Überprüfung bedürfen, wird man sicher nicht als Diffamierung betrachten können. Sehen Sie sich einmal das Steueraufkommen an, wie es in allen Instanzen erheblich über den Vorschätzungen liegt. Sehen Sie sich vor allem auch an, daß die Gewerbesteuer sich wesentlich stärker in ihrem Aufkommen erhöht hat als die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Sehen Sie sich an, daß durch die letzten Einkommensteuergesetze des Bundes Erhöhungen der Bemessungsgrundlagen für die Gewerbesteuer eingetreten sind, weil für die Gewerbesteuer wirksame Sondervergünstigungen — etwa der 7er-Gruppe — im Einkommensteuergesetz in Fortfall gekommen sind. Es ist nur natürlich, daß wir in eine Überprüfung dieser Dinge eintreten, daß wir nicht eine divergierende Entwicklung etwa der Gewerbesteuer auf der einen und der Bundes- und Länder-Einkommen- und Körperschaftsteuer auf der anderen Seite haben wollen.
    Bei dem Antrag, der von der Bundesregierung konjunkturpolitische Überprüfung der öffentlichen Ausgaben verlangt, unterscheiden wir einmal jene Ausgaben, bei denen die Bundesregierung nicht unmittelbaren Einfluß hat, bei denen sie also tatsächlich nur auf den guten Willen der beteiligten Instanzen angewiesen ist. Wir sind überzeugt, daß sich keine der öffentlichen Instanzen diesem Appell ,an den guten Willen verschließen wird. Wir unterscheiden dann jene öffentlichen Ausgaben für Investitionsvorhaben, wo Bundesmittel unmittelbar eingesetzt werden. Hier soll die Hergabe von Bundesmitteln von einer Überprüfung der Dringlichkeit und der Auftragslage in dem jeweiligen Baubereich abhängig gemacht werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir appellieren ferner in diesem Antrag daran, daß die Bundesregierung die im Eigentum des Bundes oder unter seiner Verwaltung stehenden Unternehmen zu einer stärkeren Anpassung an die konjunkturpolitischen Erfordernisse anhält, insbesondere dann, wenn zusätzlich neue Kapazitäten in Bezirken erstellt werden sollten — was nun leider geschieht —, wo ohnehin schon Engpaßbezirke durch starke industrielle Zusammenballung bestehen.
    Wir fordern weiterhin die Bundesregierung auf, alle öffentlichen Auftraggeber zu einer langfristigen Unterrichtung der Bauwirtschaft über ihre künftigen Bauvorhaben zu veranlassen, damit diese sich bei ihren Investitionen an arbeitssparenden Maschinen usw. auch auf eine Auftragsentwicklung auf lange Sicht einstellen kann.
    Zu dem Antrag über die Kreditversorgung des Mittelstandes wird mein Kollege Schmücker noch sprechen. Ich darf hier nur einen Gedanken kurz erwähnen, der auch in diesem Antrag mit angesprochen wird. Wir haben eine große Zahl öffentlicher Fonds, Fonds auf Landes- und anderen Ebenen, aus denen nun Gewerbe- oder andere Förderungsmaßnahmen gespeist werden sollen. Die starke Zersplitterung dieser Fonds ist diametral entgegengesetzt der Aufgabe, ,die sie haben, nämlich gegebenenfalls auch zentral gesteuert zur Erzeugung bestimmter wirtschaftspolitischer Wirkungen eingesetzt zu werden. Ich glaube, daß gerade diese Überprüfung der verschiedenen Fonds mit ein Anliegen dieses Antrags sein wird.
    Zu dem Thema Teilzahlungsgeschäfte kann ich mich kurz fassen. Ich freue mich über die Unterstützung, die hier zugesagt worden ist. Aber, verehrter Herr Kollege Dr. Deist, wenn wir dem Antrag der SPD nicht den Vorzug gegeben haben — er ist ja auch noch nicht abschließend beraten —, so aus folgender Überlegung. Ich glaube, mit einem Ausbau des Verbraucherschutzes beim Abschluß von Abzahlungsgeschäften allein kommt man dem konjunkturpolitischen Problem nicht näher; denn je leichter ich von einem Teilzahlungsvertrag zurücktreten kann, um so leichtfertiger kann ich unter Umständen einen solchen Vertrag abschließen,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    und das würde konjunkturpolitisch zu zusätzlichen Überspitzungen führen, indem Auftragsvolumina entstehen, die vielleicht nachher gar nicht realisiert werden können.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Daher halte ich die Übernahme von Regelungen, wie sie in USA und England und anderen Ländern bestehen, das Teilzahlungsgeschäft an die kreditpolitischen Instanzen anzuhängen — auch durch gesetzliche Vorschriften über Anzahlungshöhe und über Laufzeit der monatlichen Raten —, für den wirksameren Weg.
    Im ganzen darf ich sagen, daß die Entwicklung des Teilzahlungsgeschäftes als solche noch nicht zu Beunruhigungen Veranlassung gibt. Da wir aber auf diesem Sektor in einer sehr kurzfristigen, sehr raschen Entwicklung stehen, sollte man das Instrument der Steuerung dieses Geschäftsbereichs rechtzeitig schaffen und nicht erst dann kommen, wenn vielleicht schon eine Überhitzung auf diesem Gebiet eingetreten ist.
    Nun zu dem Antrag betreffend die Beschaffung von Arbeitskräften in der Bundesrepublik! Meine Damen und Herren, es gibt eine alte Regel, daß manche Dinge zu spät und zu wenig kommen, und ich befürchte, daß wir bei den Möglichkeiten, Arbeitskräfte aus Ländern mit starker Arbeitslosigkeit zu beschaffen, um eine Verstärkung unseres Arbeitskräftepotentials herbeizuführen, bereits zu spät kommen. Diese Anregungen sind vor Jahresfrist wiederholt erörtert worden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Sie sind auf starken Widerstand gestoßen, weil man offenbar befürchtete, daß damit die böse Absicht eines Lohn- oder Sozialdumpings verbunden sei. Daher haben wir, um derartigen Befürchtungen auch jetzt entgegenzutreten, in unserem Antrag ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte „ohne Beeinträchtigung des bestehenden Lohnniveaus


    (Dr. Hellwig)

    und der bestehenden arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen" zugelassen werden sollte. Leider sind wir gegenüber den Ländern, die noch Arbeitskräfte in größerem Umfang zur Verfügung stellen könnten, vermutlich jetzt nicht mehr in der günstigen Verhandlungsposition wie vor einem Jahr.
    Ich glaube aber, daß die gesamte Entwicklung der Arbeitskräftesituation, von der ich vorhin schon gesprochen habe, noch ganz andere Maßnahmen von uns verlangt, Maßnahmen, die auch in Verbindung mit der Sozialreform gesehen werden müssen: die Reaktivierung von nur teilweise einsatzfähigen Arbeitskräften, die Anpassung von Arbeitszeit und anderen Arbeitsbedingungen an nur in geringem Maß Erwerbsfähige, an nur teilweise zu wenigen Stunden am Tag zur Arbeit heranzuziehende Kräfte und nicht zuletzt auch durch die Auslagerung von industriellen Arbeitsplätzen in solche Bezirke, in denen zwar keine sichtbare Arbeitslosigkeit besteht, wohl aber keine gleichbleibende Vollbeschäftigung der Bevölkerung für das ganze Jahr. Ich meine damit die sogenannten Randgebiete und vor allem auch die landwirtschaftlichen Notstandsgebiete, wo die Bevölkerung wirklich nur wenige Monate im Jahr in der landwirtschaftlichen Produktion voll tätig ist, in den übrigen Monaten des Jahres aber durch industrielle Aussiedlung erhebliche Gelegenheiten für zusätzlichen Verdienst, zusätzliches Einkommen finden würde. Unsere dringende Bitte an die beteiligten Ressorts geht dahin, auf dieses Problem auch außerhalb der derzeitigen Konjunkturdebatte noch einmal zurückzukommen und konkrete Maßnahmen auf lange Sicht einzuleiten, die eine Umstrukturierung landwirtschaftlicher Notstandsgebiete durch erleichterte industrielle Ausssiedlung zum Gegenstand haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich komme dann zu dem schon von Herrn Dr. Deist allerdings nicht sehr positiv angekündigten Gesetzentwurf betreffend die Änderung des Einkommensteuergesetzes. Die Änderung des Einkommensteuergesetzes, die von unserer Fraktion beantragt wird, greift zunächst Vorschläge auf, bei denen wir uns auch mit der Opposition in Übereinstimmung befinden. Die Erhöhung der Freibeträge für freie Berufe und die unselbständig Tätigen soll auf diesem Gebiet nämlich eine stärkere Entlastung schaffen, weiterhin sind aber auch wesentliche Erleichterungen bei der Ehegattenbesteuerung vorgesehen. Hier müssen bestimmte Pläne endlich nachgezogen werden, die wir seinerzeit bei der Steuerreform haben zurückstellen müssen. Ich glaube, daß an dieser Stelle auch gesagt werden soll, daß nicht nur die mithelfende, die erwerbstätige, die mitverdienende Ehefrau gemeint ist, sondern daß auch die Ehefrau als Hausfrau bei diesen Überlegungen zur Reform der Ehegattenbesteuerung ihre gebührende Berücksichtigung finden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was unseren Antrag betreffend die Scheingewinnbesteuerung angeht, so darf ich hier auf Beschlüsse verweisen, die der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestages bereits im letzten Jahre gefaßt hat, die aber, um die Sache nicht zu verzögern, bei der Einkommensteuerreform Ende des Jahres 1954 zurückgestellt werden mußten. Ich glaube, heute ist der Zeitpunkt da, diese Dinge wieder aufzugreifen.
    Dann hat Herr Dr. Deist vor allem Bedenken gegen die Aufnahme einer Aufforderung in bezug
    auf erleichterte Abschreibungen angemeldet. Ich bitte, doch den Wortlaut dieses Antrags nochmals genau zu lesen. Er beauftragt die Bundesregierung, bei der Handhabung der degressiven Abschreibung der konjunkturellen Lage entsprechend Sorge dafür zu tragen, daß die Finanzverwaltungen eine degressive Abschreibung auch bei beweglichen Wirtschaftsgütern mit einer Lebensdauer von sechs bis zehn Jahren usw. zulassen. Die Bundesregierung bzw. die Finanzverwaltung wird also lediglich darauf hingewiesen, von den bereits jetzt bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten administrativ den entsprechenden Gebrauch zu machen. Die Grenze für diese Möglichkeit ist, wie Sie wohl wissen, durch ein finanzgerichtliches Urteil inzwischen geklärt.
    Wir haben nun unter den steuerpolitischen Anträgen noch einen weiteren, der lediglich ganz allgemein geeignete Maßnahmen anregt, um Rationalisierungsinvestitionen sowie Beiträge für Forschung und Berufsausbildung zu erleichtern. Ich darf nochmals daran erinnern, welches die Investitionsaufgabe der deutschen Wirtschaft im Hinblick auf die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots sein wird, und Sie werden mir im Hinblick
    darauf recht geben, daß dieser Antrag lediglich den Auftrag beinhaltet, diese Dinge rechtzeitig in Arbeit zu nehmen. Daß dabei gerade auch besondere Aufwendungen für die industrielle Forschung, für die Forschung allgemein und für die Intensivierung der Berufsausbildung gemeint sind, das ist bei der Situation, in der wir uns befinden, doch selbstverständlich.
    Noch ein letztes Wort zu dem Thema Energiepreise. Ich glaube, daß man hier wirklich einmal sine ira et studio an die Frage herantreten muß, wieso die Energiepreise bei uns eine Höhe haben, die einmal angesichts der Poduktivitätsentwicklung der Energieerzeugung in den letzten Jahren und zum andern im Vergleich zu anderen Ländern überraschend erscheint. Hier sollte zumindest eine Überprüfung vorgenommen werden, damit man zu klaren Vorstellungen kommen kann. Es ist ja wohl kein Geheimnis, daß ein nicht unerheblicher Teil des Preises, den der Verbraucher für den Strom zu zahlen hat, in unmittelbare oder mittelbare kommunale oder sonstige öffentliche Abgaben fließt. Hier sollte also zumindest eine Überprüfung dieser Überlagerung der einheitlichen Energiepreise durch andere Abgaben vorgenommen werden.
    Die anderen Punkte, die im Antrag auf Überprüfung der Energiepreise genannt sind, beziehen sich vor allem auf das Auslaufen des § 36 des Investitionshilfegesetzes. Hier werden nach unseren Berechnungen erhebliche Beträge frei werden, die bisher im Energiepreis zur Speisung der notwendigen Investitionen enthalten waren.
    Herr Kollege Deist hat zum Investitionshilfegesetz noch einige kritische Bemerkungen gemacht, die ich hier nicht in aller Breite behandeln kann. Ich darf aber noch einmal darauf aufmerksam machen, daß Herr Kollege Deist von dem Investitionshilfegesetz, insbesondere von § 36, als konjunkturwidrig gesprochen hat. Ich glaube, wir können keinen einheitlichen Begriff des Konjunkturgemäßen und des Konjunkturwidrigen begründen, sondern die konjunkturelle Situation kann zur einen Zeit das eine Mittel und zur anderen Zeit ein anderes Mittel erforderlich machen. Beide Mittel haben aber die Eigenschaft, daß sie unter veränderten Bedingungen unter Umständen auch ne-


    (Dr. Hellwig)

    gative Wirkungen haben können. Ich gebe völlig zu, daß ein Auftragsstau, der durch das Auslaufen eines Termins — wie beim § 36 — entsteht, konjunkturpolitisch recht unangenehme Wirkungen haben kann und wohl auch gehabt hat. Aber das ist ja wohl immer in solchen Bereichen der Fall. Bei öffentlichen Investitionen oder bei der Bereitstellung öffentlicher Gelder haben wir häufig auch ganz bestimmte Terminierungen für öffentliche Gelder oder Subventionen, die dann zu einem Stau der Aufträge führen. Mir ist bekannt, daß in einem deutschen Bundesland die Bereitstellung von Landesmitteln für Schulhausbauten an Gemeinden bis Ende dieses Jahres ablaufen soll. Sie können sich vorstellen, wie ein solcher Termin zur Aufstauung von plötzlichen Schulhausbauaufträgen führt, die uns konjunkturpolitisch höchst unerwünscht kommen. Auch das als eine Illustration dafür, wie etwas normalerweise Konjunkturgemäßes unter veränderten Umständen konjunkturwidrig sein kann, und umgekehrt.
    Im ganzen darf aber abschließend über das Investitionshilfegesetz folgendes gesagt werden. Man mag diese vor vier Jahren eingeleitete Aktion aus der Sicht der Wirtschaftspolitik heraus als einen mehr oder weniger großen Schönheitsfehler, als eine Sünde wider den heiligen Geist oder auch als Tropfen auf den heißen Stein empfinden. Insgesamt dürfte aber wohl feststehen: Wenn in der jüngsten Expansion der gesamten deutschen Wirtschaft die Bereitstellung von Kohle, Eisen, Stahl und Energie in einem solchen Umfang möglich war, daß keine erwähnenswerten Engpaßerscheinungen von dort gekommen sind, so ist das ganz wesentlich die Wirkung des Investitionshilfegesetzes gewesen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich muß mich beeilen, zum Schluß zu kommen, und kann an dieser Stelle nur noch kurz etwas über zwei Bereiche sagen, die bei der wirtschaftspolitischen Gesamtdebatte vielleicht ungerechtfertigterweise etwas in den Hintergrund treten könnten. Das ist einmal die Landwirtschaft, und zum anderen sind es die Bereiche von Einkommensempfängern, bei denen die Anpassung ihrer Einkommen an das Tempo der industriellen Entwicklung und der von ihr ausgehenden Einkommenssteigerung nicht ohne weiteres möglich ist.
    Was die Landwirtschaft angeht, so ist durch den bei Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes erteilten Auftrag bereits eingeleitet, daß hier noch weitere Maßnahmen zu ergreifen sind. Wie man das macht, ob man das an der einen oder der anderen Stelle durch einen Preis oder durch die steuerliche Entlastung zu erreichen versucht, wie verschiedene Anträge es anregen, oder auch durch die Übernahme bestimmter Dinge, die vorläufig im landwirtschaftlichen Bereich finanziert werden müssen, die aber mit öffentlichen Mitteln durchgeführt werden könnten — wie etwa die Tbc-Bekämpfung beim Rindvieh , das sind Fragen, die wir in Ausschußberatungen wohl klären können.
    Was zum andern die Einkommensentwicklung bei den Rentnern und dem Kreis der ihnen zuzurechnenden Bezieher von Festbeträgen angeht, so darf ich hier grundsätzlich zum Ausdruck bringen, was meine Fraktion mit ihrem Antrag zum Rentenmehrbetragsgesetz bereits zu erkennen gegeben hat: daß Anpassungsmaßnahmen dort, wo sie als Folge der Preisentwicklung dringend notwendig sind, selbstverständlich zu treffen sind.

    (Beifall in der Mitte.)

    Aber es soll nicht plötzlich eine Unruhewelle entstehen, durch die das, was mit der Sozialreform als gemeinsame Arbeit angestrebt wird — die Gesamtleistungen des Gesamthaushalts zu intensivieren —, verbaut oder durch Vorwegmaßnahmen an dieser oder jener Stelle zersplittert wird. Ich glaube, die Anpassung dort, wo es notwendig ist, betrachtet jeder in diesem Saal als ein berechtigtes Anliegen. Aber wir wollen nicht bereits jetzt durch Vorwegnahme und Zersplitterung von Maßnahmen, die mit der Sozialreform zu kommen haben, die Wirkung des Gesamtplans gefährden.
    Es liegt mir noch sehr am Herzen, hier ein Schlußwort zu sagen über die besondere Situation, in der wir uns hier befinden, nämlich in Berlin und im Angesicht der sowjetischen Besatzungszone. Es wird für Berlin und die Berliner Bevölkerung ein etwas merkwürdiges Bild sein, daß man sich im Deutschen Bundestag gewissermaßen über die Folgen einer zu schnellen, einer zu guten wirtschaftlichen Entwicklung streiten konnte. Die Berliner werden sagen: Eure Sorgen möchten wir auch haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube aber, der enge Zusammenhang zwischen der Konjunktur in der Bundesrepublik, ihrer Aufrechterhaltung und Stabilisierung und der Lebensfähigkeit der Berliner Wirtschaft und damit des freien Berlins liegt schlechthin auf der Hand. Was Berlin erzeugt, wird überwiegend auf dem Markt der Bundesrepublik abgegeben und dort aufgenommen. Die Aufrechterhaltung und die weitere Ausdehnung der wirtschaftlichen Leistung Berlins ist also unmittelbar abhängig von der Aufnahmefähigkeit des westdeutschen Marktes. Daher ist dieser Zusammenhang gerechtfertigt, wenn auch hier das Thema völlig unter der Sicht der Bundesrepublik erörtert wird.
    Aber etwas anderes sollte in Berlin zum Ausdruck gebracht werden. Wir könnten, wenn wir uns hier über den Anteil 'der einen oder anderen Gruppe am Sozialprodukt oder am Zuwachs des Sozialprodukts auseinandersetzen, den Eindruck erwecken, als wenn für uns Wirtschaftspolitik lediglich ein Verteilungsproblem nach materiellen Gesichtspunkten wäre. Wir möchten ganz klar herausstellen, daß auch die Wirtschaftspolitik einer höheren Aufgabe untergeordnet ist, nämlich der, unter Beweis zu stellen, daß die freiheitliche Staats-, Gesellschafts- und Sozialordnung unter allen Umständen menschenwürdiger und daher wertvoller und es wert ist, verteidigt zu werden, als irgendeine andere.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das in Berlin zum Ausdruck zu bringen, sollte bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen werden.
    Ich darf hier an alle unsere Landsleute, die im Wirtschaftsleben in der Bundesrepublik stehen, einen anderen Appell richten. Es ist viel von dem Maßhalten gesprochen worden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister führt seinen psychologischen Feldzug, der von dem Kollegen Dr. Deist offenbar nicht ganz so geschätzt oder, ich möchte sagen, nicht für so ganz durchschlagend angesehen wird, wie es vielleicht sein sollte. Nun, über die psychologischen Kräfte in der Wirtschaft, die Gruppen und die Verbände, müssen wir uns bei anderer Gelegenheit einmal unterhalten. Ich möchte das Thema nicht vertiefen. Sie dürfen aber sicher sein, daß Sie in mir einen an diesem Thema ungemein interessierten Gesprächspartner haben, wie wir es


    (Dr. Hellwig)

    uns wiederholt bereits in Diskussionen versichert haben. In deh Worten des Bundeswirtschaftsministers liegt der Appell zum Maßhalten. Ich möchte es einmal anders sagen: Auch die Freiheit, die in unserer Wirtschaftsordnung das vorherrschende Merkmal ist — dazu gehört auch die Verbandsfreiheit, die Koalitionsfreiheit, die Tarifautonomie der großen Verbände — trägt in sich die Verpflichtung zu Bindungen, und sie trägt in sich auch die Verpflichtung, dann aufrechterhalten zu werden, wenn sie einmal zu Störungen oder zu Härten für den einen oder anderen führen sollte. Sich für die Freiheit einzusetzen, auch dann, wenn es einmal etwas kostet, ist der Appell, den wir wohl an alle unsere Landsleute, unter allen Umständen an die Gruppen und die Verbände zu richten haben. Vor allem ist diese Freiheit nicht isoliert aus dem Blickwinkel der einzelnen Gruppe oder des Einzelnen zu sehen, sondern sie ist nur zu sehen in der Verantwortung, in der Bindung an die Gemeinschaft. Denn diese Gemeinschaft, verkörpert durch den Staat und seine Organe, Parlament und Regierung, hat die Freiheit idem Einzelnen und den Gruppen erst zu garantieren. Wer diese Freiheit aufs Spiel setzt, riskiert, daß die Gemeinschaft diese Freiheit nicht mehr aufrechterhalten kann.
    Meine Damen und Herr, ein letztes Wort an dieser Stelle! Ich glaube, daß man auch in der sowjetischen Besatzungszone und darüber hinaus in allen jenen Gebieten, denen unsere Gedanken in dieser Stunde gelten, mit Leidenschaft und mit heißester Anteilnahme nicht so sehr die theoretischen Diskussionen über das eine oder andere unserer volkswirtschaftlichen Rechnung verfolgt, sondern daß man dort vor allem eines mit Leidenschaft verfolgt: daß die freiheitliche Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, wie die Bundesrepublik sie nunmehr seit Jahren zu verwirklichen sich bemüht hat, Bestand hat und eines Tages auch die Freiheit für das ganze deutsche Volk darstellen wird.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist etwas schwer, sozusagen bei abbröckelnder Konjunktur hier bei Ihnen noch anzukommen.

    (Heiterkeit und Zustimmung.) Ich will es daher etwas leichter einleiten.

    Es ist nicht bloß ein Akt der Höflichkeit, wenn ich als erster Sprecher meiner Fraktion den Berlinern für den so freundlichen Empfang danke, sondern es ist mir ein herzliches Bedürfnis, das zu tun.

    (Beifall.)

    Der Herr Regierende Bürgermeister hat in seinen Begrüßungsworten gesagt, daß die Luft hier prikkelnd frisch sei und geradezu zur Arbeit anrege. Ich stimme ihm da voll zu. Die Verlegung der Tätigkeit des Bundestages nach Berlin könnte geradezu die physischen Kräfteverhältnisse zwischen der Regierung und dem Parlament verändern. Denn ein skandinavischer Journalist hat ja wohl einmal gesagt, daß es nur einen einzigen Mann in Bonn gebe, der die stickig-feuchte Atmosphäre dort körperlich gut vertragen könne, nämlich den
    Herrn Bundeskanzler, dem es jetzt Gott sei Dank gesundheitlich wieder besser geht. Wir möchten also nicht nur häufig nach hier kommen, sondern wir möchten am liebsten hier bleiben.
    Berlin hat aber auch für die rein sachliche Aussprache, die heute hier stattfindet, seine besondere Bedeutung. Nicht nur, daß es, wie der Herr Wirtschaftsminister eben ausgeführt hat, im Schnittpunkt zweier weltweiter politischer und wirtschaftlicher Systeme liegt, nein, auch in der Konjunkturentwicklung der Bundesrepublik ist Berlin ein besonderes Beispiel für den Kern der Schwierigkeiten. Eine gewisse Disproportionalität der Entwicklung bereitet uns heute ja einige Sorge, und dafür ist Berlin auch ein Beispiel. Aber wie eine kommunizierende Röhre ist die Berliner Wirtschaft mit der Westdeutschlands verbunden, und darum wird die heutige Diskussion sicher auch mit großem Interesse gerade hier verfolgt werden.
    Nun, zur Sache ist zu sagen: Das Ziel jeder vernünftigen Wirtschaftspolitik steht unter dem Motto: Alle sollen besser leben. Dabei muß man drei Grundsätze beachten. Erstens muß die Währung stabil bleiben, zweitens muß ein größtmöglicher Beschäftigungsgrad erreicht werden, und drittens muß das Volkseinkommen stetig steigen. Wenn wir die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung an diesen Maßstäben messen, so dürfen wir mit Recht sagen, daß sie sehr erfolgreich gewesen ist. Die Währung ist absolut stabil, das Volkseinkommen wächst ständig, das Einkommen aus unselbständiger Arbeit zeigt eine erfreuliche Wachstumsrate, der private Verbrauch nimmt weiter zu, und das Realeinkommen der Arbeitnehmer liegt 25 % über dem Vorkriegsstand. Und das alles, meine Damen und Herren, nach einer fast völligen Zerstörung des Wirtschaftsgefüges durch den Krieg, nach einer jahrelangen Pause, in der man noch nicht wieder an einen Aufbau herangehen konnte.
    In diesem Jahr haben wir nun auch den dritten Punkt, den es zu erfüllen gilt, erfüllt. Wir haben den größtmöglichen Beschäftigungsgrad erreicht, und jetzt sollte man meinen, daß ein solcher Erfolg uns alle befriedigen müßte und daß wir beruhigt in die Zukunft sehen dürfen. Wir erleben aber im Gegenteil seit Wochen eine lebhafte Diskussion in der Öffentlichkeit über die Frage, ob wir nicht schon eine Erhitzung unserer Konjunktur hätten, die gefährlich sei. Geht es uns etwa zu gut? Stürzen wir nicht von diesem Gipfel herab? Die öffentliche Diskussion überschlägt sich. Man malt das Gespenst der Inflation an die Wand, und alle überhaupt nur verfügbaren Heilslehren werden zur Beseitigung der sogenannten Krise angeboten. Dieses große Interesse an dieser so wichtigen Frage unserer Konjunkturentwicklung ist zu begrüßen, wird aber problematisch, wenn die erteilten Ratschläge ins Doktrinäre gehen.
    Der „Industriekurier" hat vor etwa einem Jahr einmal sehr treffend gesagt:
    Wieviel einfacher wäre bei uns die Politik, wenn man nicht aus jeder praktischen Frage der wirtschaftlichen oder sozialen Ordnung eine grundsätzliche Forderung machen würde, womöglich auf der Basis einer Weltanschauung, auf der man dann den kategorischen Imperativ etwa des Samstag-Nachmittag-Ladenschlusses oder den der expansiven Lohnpolitik wie eine Bombe explodieren läßt.


    (Scheel)

    Damit sollte sicherlich nicht gesagt werden, daß es keines bestimmten marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzips bedürfe, ganz gewiß nicht. Aber ein Ordnungssystem ist nur der Rahmen einer sozialen Zielsetzung, in dem sich praktische Erwägungen entwickeln sollten. Und das ist gewiß etwas anderes, als dem Totemismus eiserner Grundsätze zu folgen.
    Heute nun, wo sich Anzeichen einer leicht erhöhten Temperatur in unserem Konjunkturablauf zeigen — das ist bei Kindern ja gar kein Anzeichen für eine ernste Gefahr; unsere soziale Marktwirtschaft ist ja ein noch junger Organismus —, sind wir Deutschen eifrig bemüht, unsere doktrinäre Veranlagung unter Beweis zu stellen. Gewerkschaften, Verbände und Politiker rücken gegen den Herrn Wirtschaftsminister vor, knallen ihre Theorien nicht ohne Schadenfreude auf den Tisch des Hauses und bitten, ihre Grundsätze doch nunmehr Allgemeingut der deutschen Wirtschaftspolitik werden zu lassen. Natürlich ist die eine oder andere Forderung berechtigt, und ihr wird sicherlich auch entsprochen werden. Aber es geht nicht an, daß jeder Verein sich bemüht, die opportunen praktischen Erwägungen in das Festkleid seiner Grundsätze zu pressen, um ihnen Bestand für die Ewigkeit zu geben.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Nichts wäre im Augenblik gefährlicher, als verallgemeinernde Feststellungen zu treffen und allgemeine Maßnahmen treffen zu wollen. Bei einer sorgfältigen Analyse der konjunkturellen Lage stellen wir sehr bald fest, daß die Entwicklung der einzelnen Wirtschaftsbereiche nicht gleichförmig gelaufen ist, sondern daß dem steilen Anstieg in einzelnen Bereichen flachere Kurven oder gar Stagnationen in anderen Sektoren gegenüberstehen. Die lebhafte öffentliche Diskussion der letzten Wochen hat ein Gutes gehabt. Sie hat die von mancher Seite wohl etwas übereilt global aufgestellte Behauptung, wir befänden uns in einer überhitzten Konjunktur, weitgehend entzerrt. Man darf heute unterstellen, daß kaum noch bestritten wird, daß bei näherer Prüfung der wirklichen Verhältnisse in der Wirtschaft von einer übernormalen konjunkturellen Entwicklung eigentlich nur noch auf dem Arbeitsmarkt gesprochen werden kann, möglicherweise auch auf dem Baumarkt, und einen besorgniserregenden Engpaß bildet darüberhinaus die Lage in der Kohlenversorgung.
    Wie liegen nun die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt? Von 1950 an hat die Zahl der Beschäftigten von stark 13 Millionen bis heute auf fast 18 Millionen zugenommen. Die Arbeitslosenzahl ist im gleichen Zeitraum von fast 2 Milionen auf unter 500 000 gesunken.
    Im Facharbeiterbereich ist schon seit geraumer Zeit ein fühlbarer Mangel festzustellen. Die nächsten ins Wirtschaftsleben einströmenden Jahrgänge sind im Schnitt um 25 % schwächer als normal. Die Wehrmacht wird uns bald eine halbe Million aus dem Produktionsprozeß ziehen. Das sind keine guten Aussichten, fürwahr nicht! Die Beschäftigung von Fremdarbeitern wird keine fühlbare Entlastung bringen, da wir aus Italien und Griechenland nur Hilfsarbeiter bekommen können und dazu noch in der Sommersaison. Andererseits scheinen innere Reserven des Arbeitsmarktes doch unterschätzt worden zu sein. Die Industrie- und Handelskammer Düsseldorf schreibt zu diesem Thema:
    Die starke Expansion der Wirtschaft des Kammerbezirks findet ihren Ausdruck in der ständigen Zunahme der Beschäftigung. Der Beschäftigungszuwachs betrug von 1952 auf 1953 12 000, von 1953 auf 1954 rund 19 000 und von 1954 auf 1955 rund 20 000. Dies ergibt die Annahme einer immer noch großen Elastizität des Arbeitskräftepotentials.
    Da im Vergleich zu anderen Industrieländern das Angebot an Arbeitskräften im Verhältnis zur Bevölkerung bei uns noch geringer ist, kann man hier noch eine stärkere Ausschöpfung erwarten. Auf die Dauer ist dieses Problem aber nur durch die stärkere arbeitskraftsparende Rationalisierung zu lösen, die auch uns den Weg zur „automatischen Fabrik" gehen läßt, den die Amerikaner schon gegangen sind. Der Lebensstandard unseres Volkes ist letztlich das Ergebnis der Produktivität unserer Wirtschaft. „Put more horse-powers behind the man!" Hier beginnt das Arbeitsmarktproblem nun ein Problem des Kapitalmarktes zu werden und eine Frage der Kapazität der Investitionsgüterindustrien. Nun ist die Produktivität der Industrie in den Jahren 1950 bis 1954 um durchschnittlich 6,6 % gestiegen, und in 1955 ist sie gegenüber dem Vorjahr um 7,6 % angestiegen, wobei die Eisen- und Stahlerzeugung, die bis 1954 eine unterdurchschnittliche Steigerung hatte, in diesem Jahr um 22,6 % anstieg.
    Dieser erwiesene Produktivitätsanstieg ist eine der Ursachen für unsere heutige Diskussion. Mit der Motivierung, wegen gestiegener Produktivität einen größeren Anteil am Sozialprodukt beanspruchen zu müssen, kündigten viele Industriegewerkschaften die Tarifverträge. Das Lohn-PreisGespräch war in Gang gekommen. Nun hat die Steigerung der Produktivität in der Industrie nie jemand bestritten, und auch die Unternehmer sind sich darüber im klaren, daß nur eine Verteilung dieses Erfolgs auf die drei Komponenten — Investitionen, Löhne und in Preissenkungen hinein — auf die Dauer auch für sie von Vorteil ist. Eine andere Frage ist es, den Goldenen Schnitt zu finden, den eine Verteilung nach den volkswirtschaftlichen Belangen verlangt.
    Die Gewerkschaften verlangen Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen zugleich und in einem Ausmaß, daß sie in den Metallbereichen in Nordrhein-Westfalen unter Hinzurechnung der geforderten Änderungen der Rahmentarife eine effektive Lohnerhöhung von zirka 40 % ausmachen würden.
    Man muß sich dabei an die Krise in den Vereinigten Staaten Ende der zwanziger Jahre erinnern. Seit dem ersten Weltkrieg war dort das Preisgefüge stabil geblieben. Nach den damaligen Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft setzte man diese Tatsache mit einer Stabilität der Wirtschaft gleich. Hinter dem stabilen Preisgefüge aber hatten sich gewaltige Technisierungsprozesse abgespielt. Die ökonomischen Erfolge dieser Rationalisierungen waren aber nicht der gesamten Volkswirtschaft durch Preissenkungen zugute gekommen, sondern unter Arbeitnehmer und Arbeitgeber der Industrie allein aufgeteilt worden. Die Folge war eine zunehmende Labilität der sozialen Verhältnisse, ein Absinken weiterer mittelständischer Schichten, vor allen Dingen der Farmer, das letztlich in die Katastrophe hineinführte.
    Wir stehen heute vor einer ganz ähnlichen Situation. Aber wir haben aus der Vergangenheit


    (Scheel)

    gelernt. Das öffentliche Bewußtsein verlangt von den beteiligten Kreisen die Einsicht, in der Lohnfrage keine leichten Kompromisse zu schließen, die doch nur auf Kosten des ganzen Volkes gehen müssen. Wir haben ein Übermaß an Menschen zu versorgen, denen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, die nicht mehr am Produktionsprozeß teilnehmen können. Niemand wird die Verantwortung übernehmen wollen, durch eine verfehlte Entwicklung diese Menschen ins Elend zu stürzen.
    Die Freie Demokratische Partei appelliert daher an die Verhandlungspartner, sich bei allen Lohnverhandlungen dieser Verantwortung bewußt zu sein. Niemand wird sie aus dieser Verantwortung entlassen.
    Die Lösung des Arbeitsmarktproblems ist also auf lange Sicht durch eine stetige Rationalisierung der Wirtschaft möglich; das muß hier ausdrückich betont werden. Die Forderungen auf dem Lohnsektor haben im Untergrund ein unruhiges Preisklima geschaffen, das bald beruhigt werden muß. Der Index der Lebenshaltungskosten hat sich gegenüber dem Vorjahre nur um 1,9 % erhöht. Aber es ist ja nicht die effektive Preissituation, die die Entwicklung bestimmt, sondern es sind die Erwartungen. Wenn ich heute nur fälschlich annehme, daß die Preise steigen, dann werde ich schnell noch etwas kaufen. Das treibt die Preise nach dem marktwirtschaftlichen Gesetz in der Tat nach oben. Die Bedeutung psychologischer Strömungen und von Imponderabilien in der Wirtschaft ist eine unbestreitbare Tatsache. So mögen vielleicht manche über den Werbefeldzug des Wirtschaftsministers gelacht haben. Er war richtig angesetzt und wird darüber hinaus auch Erfolg haben.
    In der gleichen Linie liegt der Entschluß meiner Fraktion, dem Hause eine Reihe von Anträgen vorzulegen, die die Beseitigung von Verbrauchsteuern zum Ziele haben. Insgesamt würde sich durch diese Beseitigung von Steuern ein Einnahmeausfall von etwa 900 Millionen DM für den Etat ergeben.
    Wer gehofft hatte, daß der Bundesminister der Finanzen dem Bundestag Vorschläge für eine Reform der Umsatzsteuer unterbreiten würde, dürfte enttäuscht sein. Als Folge des konjunkturellen Aufschwungs der Bundesrepublik ist aber auch das Aufkommen aus der Umsatzsteuer ständig gestiegen. An einer Reform der Umsatzsteuer wird man daher auf längere Sicht gesehen nicht vorbeikommen. Die Umsatzsteuer ist abwälzbar und beeinflußt deshalb den Preis. Gerade vom Preis her drohen aber der Konjunktur und auch der Währung Gefahren. Eine Herabsetzung der kumulativen Umsatzsteuerbelastungen würde einen vom Staat festgesetzten Kostenfaktor mildern und sich in den verschiedensten Produktionsstufen bis zum Endverbraucher in Preissenkungen auswirken. Da aber die Reformarbeiten in einem wünschenswerten Umfang wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen werden, glauben wir unser Ziel auch durch eine Beseitigung von Verbrauchsteuern erreichen zu können.
    Außer einer Reihe von Bagatellsteuern, deren Aufkommen die Verwaltungsarbeiten kaum lohnen dürfte, fallen bei unseren Vorschlägen die Zucker- und die Kaffeesteuer ins Auge. Über die Zuckersteuer brauche ich hier kein Wort zu sagen, da der Vorteil der Beseitigung für die breiten Schichten unseres Volkes offensichtlich ist. Herr Kollege Dr. Deist hat sich soeben dazu auch geäußert.

    (Abg. Dr. Gülich: Der SPD-Antrag auf Streichung der Zuckersteuer liegt dem Hause seit dem 11. Juni 1954 vor. Stimmen Sie endlich zu!)

    — Ich bin leider nicht in Ihrem Ausschuß gewesen, Herr Dr. Gülich. — Zur Kaffeesteuer aber muß gesagt werden: ich halte es für eine notwendige Wiedergutmachung eines alten Unrechts, den Kaffeepreis in Deutschland auf ein international vernünftiges Maß zu bringen. Kaffee ist lange kein Genußmittel mehr, sondern ist ein Volksgetränk.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sie wissen wie ich, wie sich gerade unsere alten Leute nach einer guten Tasse Kaffee sehnen. Wollen Sie, Herr Finanzminister, sie ihnen vorenthalten? — Er ist gar nicht mehr da, wie ich sehe, und kann meinen Appell nicht hören. Darüber hinaus würde gerade die Senkung des Kaffeepreises einen großen psychologischen Effekt haben. Denn die Beseitigung der Steuer von 3 Mark per Kilo — das ist ja der Betrag — würde eine Preissenkung von bis zu 3 Mark per Pfund ausmachen. Also ich apelliere noch einmal an den abwesenden Herrn Finanzminister: Weg mit dieser Kaffeesteuer!

    (Bravo-Rufe.)

    Und noch einen Gedanken hatten wir bei unseren Vorschlägen: Alle Verwaltungen dieser Steuerarten können aufgelöst werden, wenn die Steuern beseitigt sind. Natürlich bin ich nicht naiv genug anzunehmen, man könnte dann die Beamten und Angestellten der öffentlichen Verwaltung abbauen; das fordert nur der Wissenschaftliche Beirat der beiden Ministerien. Aber ich möchte die dann überflüssigen Herren schon für die zukünftige Wehrverwaltung in gebührende Erinnerung bringen.
    Ich muß noch zu der Bemerkung von Herrn Dr. Deist über die Beseitigung von Branntweinsteuern etwas sagen. Ich muß annehmen, daß Herr Dr. Deist wenig Alkohol trinkt; sonst würde er sich mit diesem Vorschlag etwas näher befaßt haben. Denn es geht nicht um die Beseitigung von Branntweinsteuern, sondern um die Beseitigung eines kleinen Teiles der sogenannten Essigsäuresteuern, deren Beseitigung auf der anderen Seite gewisse Korrelate notwendig machen würde, weil sie sonst in die Wettbewerbsfähigkeit der Essigindustrie einwirken würde. Es ist darüber meiner Auffassung nach im Ausschuß noch eingehend zu sprechen. Die von diesen Steuerbeseitigungen, die wir vorschlagen, ausgehenden Preissenkungen sind aber in allen Fällen kontrollierbar, und das ist das Wichtige.
    Außer diesen Anträgen haben wir dem Hause weitere Anträge vorgelegt, die auf eine Senkung und Verbesserung der Einkommensbesteuerung hinzielen. Neben einer Erhöhung der Freibeträge und einer Verbesserung der Ehegattenbesteuerung fordern wir die Senkung der Einkommensteuer um 10 % in allen Stufen und eine Wiedereinführung des § 10 a in der Fassung von 1950. Daß wir, wie alle Jahre, die Erhöhung der steuerlichen Freigrenze für Weihnachtsgratifikation beantragen, wird den Herrn Finanzminister kaum überrascht haben.
    Nun ist in letzter Zeit von verschiedenen Seiten, zuletzt von dem Wissenschaftlichen Beirat der Ministerien und auch in der Diskussion in diesem Hause erklärt worden, daß eine Senkung von Einkommensteuern aus konjunkturpolitischen Gründen nicht zu vertreten sei. Die Herren der Wissenschaft und auch Herr Dr. Deist werden uns gestat-


    (Scheel)

    ten, daß wir ganz und gar anderer Auffassung sind. Aber wir fühlen uns mit unserer Meinung nicht einmal so einsam, denn ich lese, daß z. B. Professor Dr. Wagemann erklärt hat, in dieser konjunkturpolitischen Situation müsse der Staat mit gutem Beispiel vorangehen. Zur Zeit, so sagt Herr Professor Wagemann, tut er es noch nicht; sonst würde er durch allgemeine Steuersenkungen und nicht nur durch steuerliche Einzelentlastungen eine finanzielle Konsolidierung im Bereiche der unternehmenden Wirtschaft ermöglichen. Damit stößt Professor Wagemann ein ernstes Problem an. Die Untersuchungen im Zuge der Konjunkturdebatte haben ergeben, daß nicht nur viele Wirtschaftszweige auf der Schattenseite der Konjunktur leben, sondern daß gerade im Bereich unserer mittelständischen Wirtschaft bedrohliche Verhältnisse in der Finanzstruktur festzustellen sind.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Dr. Bötzkes von der Industriekreditbank in Düsseldorf gab vor wenigen Tagen einige Zahlenbeispiele, die erhellen, daß die Umsatzsteigerung und die Kapazitätserweiterungen in einigen Industriezweigen nur durch starke Erhöhung der kurzfristigen Verbindlichkeiten möglich waren. Weder konnte das Eigenkapital in geeigneter Weise gestärkt werden, noch konnten Abschreibungen in genügender Höhe vorgenommen werden. Der größte Teil der kleineren und mittleren Unternehmen ist bei der Finanzierung seiner Investitionen von jeher auf den von ihm erzielten Betriebsgewinn angewiesen gewesen. Durch die hohe steuerliche Belastung hat sich jedoch die Lage der Unternehmer ständig verschlechtert und ist das Eigenkapital erheblich zurückgegangen. Es müssen deshalb Mittel und Wege gefunden werden, der Kapitalnot insbesondere der mittleren und kleinen Betriebe zu begegnen. Dies ist insbesondere deswegen erforderlich, um die zur weiteren Steigerung der Produktivität erf order-lichen Rationalisierungsmaßnahmen durchführen zu können.
    Eine Milderung der Kapitalnot fast aller deutschen Unternehmen ist in der gegenwärtigen Lage z. B. durch eine Änderung unseres Abschreibungssystems zu erreichen. Die jetzigen Abschreibungen reichen wegen der seit 1945 eingetretenen Preissteigerungen bei Investitionsgütern nicht mehr aus, die Wiederbeschaffungskosten zu decken, was in vielen Fällen zu einer Überalterung des Maschinenparks geführt hat. So ist z. B. in der Textilindustrie die Hälfte des Maschinenparks älter als 25 Jahre und ist damit im Durchschnitt fast doppelt so alt wie in den Ländern, mit denen Deutschland im Wettbewerb steht. Eine bessere und billigere Produktion und eine Entlastung des Arbeitsmarktes läßt sich nur durch Modernisierung und Rationalisierung der Betriebe erreichen, wobei wesentliche Finanzierungshilfe etwa das englische, holländische oder belgische Abschreibungssystem bringen könnte. Die in diesen Ländern mögliche zusätzliche Abschreibungsquote von 20 bzw. 30 % über den Anschaffungspreis hinaus hat es den Betrieben ermöglicht, moderne und rationelle Maschinen zu beschaffen und damit besser und billiger zu produzieren.
    In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage können derartige Sonderabschreibungen allerdings nur in bestimmten Wirtschaftszweigen wie z. B. in der Textilindustrie und im Bergbau gestattet werden, wobei in einigen anderen Sparten eine Verlangsamung der Investitionen erwünscht sein dürfte. Diese Verlangsamung könnte durch steuerliche
    Schonung der Rücklagenbildung erreicht werden, wie dies z. B. in der Schweiz und in Schweden aus konjunkturellen Überlegungen geschieht.
    Bei der Befürchtung, eine Steuersenkung würde den Konsum unangemessen steigen lassen und weitere Friktionen in der Investitionsgüterindustrie entstehen lassen, übersieht man wohl zunächst, daß eine solche Steuersenkung einen bestimmten Betrag nur aus der Hand des Investors und in gewissem Sinne auch Konsumenten statt in die Hände vieler individueller Konsumenten und Investoren bringt. Das schon bringt eine gewisse Beruhigung; denn konjunkturpolitisch ist der Investor Staat im Augenblick viel gefährlicher als der Privatinvestor.
    Ich habe vorhin schon betont, daß die FDP die konjunkturpolitische Krise nicht zu verallgemeinern wünscht. Wir stellen daher neben die Erkenntnis, daß in gewissen Industriezweigen arbeitskraftsparende Rationalisierungsmaßnahmen zwingend notwendig und auch ohne Störungen möglich sind, den Antrag, steuerliche Vergünstigungen für Investitionsrückstellungen zu gewähren, deren Durchführung zwar ökonomisch möglich, aber als Kapazitätsausweitung nicht vordringlich ist und zurückgestellt werden könnte. Wir haben bei unserem Antrag bewußt darauf verzichtet, bestimmte Formen der steuerlichen Vergünstigungen anzuregen; sie müssen durch ein intensives Studium dieser Materie gefunden werden. Nur eines ist natürlich grundsätzlich zu fordern: die geldmarktneutrale Anlage im Zentralnotenbanksystem. Eine eventuelle Verzinsung oder Prämiierung der Beträge, die neben der Abschreibungsmöglichkeit gewährt werden müßte, sollte aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Die Erfahrungen, die man in der Schweiz mit einem solchen System gemacht hat, sind noch nicht abgeschlossen. Wohl sind schon größere Beträge von Schweizer Unternehmen in diesen Arbeitsbeschaffungsfonds, wie er dort genannt wird, eingezahlt worden, aber wegen der günstigen Konjunktur ist seit dem Bestehen dieser Einrichtung, 1952, noch keine Freigabe von Beträgen erfolgt.
    Hier stellt sich sofort die Frage, wer eine solche Freigabe beschließen soll und ob sie allgemein oder nur für bestimmte Wirtschaftszweige gelten soll. Es fehlt uns nicht nur für diesen Fall, sondern auch für konjunkturpolitische Entscheidungen und Empfehlungen ganz allgemein ein Gremium, das, gestützt auf breite und einwandfreie Unterlagen, zuständig ist und das auch in dem Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit eine Autorität besitzt.
    Die Amerikaner, die gewiß über große Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügen, haben den Rat der Wirtschaftsexperten. Wir haben Ihnen, meine Damen und Herren, daher einen Antrag vorgelegt, der die Regierung ersucht, das Wirtschaftskabinett mit dieser Aufgabe zu betrauen und ihm einen institutionellen Beirat beizugeben, der aus Parlamentariern — Bundestag und Bundesrat —, Wirtschaftlern und Wissenschaftlern bestehen soll. Ein solches Beratungsgremium würde den in der Vergangenheit immer wieder geäußerten Wünschen nach der Schaffung eines wirtschaftspolitischen Beratungsorgans in der Bundesrepublik entgegenkommen und in dieser Gestalt einen nützlichen Zweck erfüllen. Es ist schon eine dankenswerte Aufgabe, die statistischen Grundlagen für konjunkturpolitische Maßnahmen zu verbessern, wenn möglich auf internationaler Basis. Auch das konjunkturpolitische Bewußtsein unseres Volkes gilt es zu stärken.


    (Scheel)

    J Das mag dem Herrn Wirtschaftsminister manchmal vielleicht schwerfallen. Denn es ist nicht einfach, auf einmal zu behaupten, daß es nicht immer richtig sein muß, sich am Marktpreis zu orientieren, nachdem man jahrelang das Gegenteil gepredigt hat. Man muß auch bedenken, daß am Wirtschaftsprozeß beteiligte Gruppen wohl einsehen mögen, daß es in manchen Lagen, auf lange Sicht gesehen, besser sein mag, sich antizyklisch zu verhalten, als kurzfristig seinen Vorteil zu suchen. Aber man weiß auch, daß die langfristig wohltuende Wirkung des Konjunkturbewußtseins einer Gruppe nur bei gleichartigem Verhalten einer Gruppe eintritt. Im Wirtschaftsleben ist es kaum üblich gewesen, als weltanschaulicher Stoßtruppführer auf Flatterminen zu laufen. Ich meine, daß die augenblickliche Situation zu einer vorsichtigen Bildhauerarbeit an gewissen Denkschemas Anlaß geben sollte.
    Eine besondere Situation liegt im Steinkohlenbergbau vor. Während der Produktionsindex der übrigen Industrie sich in der Zeit von 1949 bis 1954 verdoppelt hat, beträgt die Zuwachsrate im Steinkohlenbergbau in derselben Zeit nur 25 v. H. Diese Entwicklung ist einmal durch das Fehlen von Neuaufschlüssen und zum andern durch ungenügende Rationalisierung im Bergbau eingetreten. Zur Erhaltung der Förderfähigkeit hätte wenigstens alle zwei Jahre eine große Anlage in Betrieb genommen werden müssen. In den letzten 30 Jahren sind jedoch im Bergbau nur drei Bergwerke in unerschlossenen Feldern und acht Neuanlagen in bereits aufgeschlossenen Feldern in Betrieb genommen worden. Die Folge davon ist, daß in der Bundesrepublik der Kohlenbedarf nicht mehr gedeckt werden kann und teure Importkohlen eingeführt werden müssen. Der Steinkohlenbergbau ist arbeits- und lohnintensiv und wegen des politischen Kohlenpreises lange nicht in der Lage gewesen, auch nur eine bescheidene Rendite zu erwirtschaften oder etwa gar Dividende zu verteilen. Eine Erhöhung oder die Beschaffung von Fremdkapital ist daher insbesondere für die mit großem Risiko behafteten, nur in langen Zeiträumen amortisierbaren Untertageanlagen im Bergbau heute kaum möglich. Es verbleibt somit nur die Finanzierung durch eigene Mittel, was eine steuerliche Schonung des Gewinns voraussetzt.
    Da die Sonderabschreibungen für den Bergbau nach § 36 des Investitionshilfegesetzes nur kurze Zeit gewährt worden sind, halten wir eine Verlängerung dieser Bestimmungen für den Bergbau um wenigstens 5 Jahre für erforderlich. Die Neuabteufung von Schächten ist in dieser Zeit nicht durchzuführen und kann außerdem wegen der hohen Kapitalaufwendungen nur in wenigen Einzelfällen erfolgen, so daß hier andere Mittel noch Platz greifen müssen. Neben dem § 131 der Abgabenordnung müßten wir möglicherweise auch an Umsatzsteuermaßnahmen für den Bergbau denken. In allen Ländern, insbesondere in Frankreich, Belgien und England wird die Eigenart des Bergbaus durch steuerliche Sondermaßnahmen berücksichtigt. Es gilt deshalb auch hier, Versäumtes möglichst schnell nachzuholen, um volkswirtschaftliche Schäden zu verhindern.
    Die schwierige Engpaßlage in der Kohlenindustrie ist sicher die Folge einer Kette von falschen Entscheidungen in der Vergangenheit. Die FDP hat sich in dieser Frage keinen Vorwurf zu machen; denn sie hat schon im Wirtschaftsrat die Entzerrung der Preise gefordert. Im Niederbreisiger Programm von 1951, das von unserem Kollegen Preusker maßgeblich mit entwickelt worden ist, hat sie erneut eine einschneidende Maßnahme in der Kohlepreisfrage gefordert. Ich möchte gern wissen, ob die Herren, die damals solche Entscheidungen verhindert haben, heute errechnen können, was diese mangelnde Entschlußfreudigkeit für die deutsche Volkswirtschaft auf die Dauer kosten wird. Daß die steigende Einfuhr von teurer USA-Kohle gegen Dollar auch unsere Devisenbilanz beeinflußt, ist klar. Eine wirksame Hilfe zur Förderung des Baues neuer Schachtanlagen wird uns darum auf die Dauer Kosten sparen.
    Eine konjunkturpolitisch schwierige Lage finden wir auch auf dem Baumarkt, dessen Preiserhöhungen ganz wesentlich zu der augenblicklichen Preislabilität beigetragen haben. Der Mangel an Arbeitskräften zwingt die Bauindustrie zu außergewöhnlichen Anstrengungen auf dem Gebiet der Mechanisierung. Hier ist nun die Frage zu prüfen, ob die Baumaschinenindustrie überhaupt in der Lage ist, diesem vermehrten Bedarf in angemessener Frist Rechnung zu tragen, oder ob sie zuvor ihre Kapazität erweitern müßte, was an sich unerwünscht ist.
    Nach meinen Feststellungen hat die deutsche Baumaschinenindustrie innerhalb weniger Jahre den Vorsprung aufgeholt, den andere Länder inzwischen erreicht hatten. Sie exportiert heute 60 % der erzeugten Produktion. Geräte für den Erdbau und Straßenbaumaschinen werden dem wachsenden Bedarf folgend hergestellt.
    Aber auch für die Baugebiete, die zur Zeit noch verhältnismäßig viel Arbeiter binden, ist die Produktionskurve dem Bedarf der Bauindustrie im großen und ganzen angepaßt. Die größte Schwierigkeit der Bauwirtschaft liegt also offensichtlich nicht in der weiteren Mechanisierung, sondern in der zu kurz ausgenutzten Bausaison. Die Bundesregierung hat diese Frage mit Recht in Punkt 8 der Erklärung angesprochen. Die ins Auge gefaßten Maßnahmen — „fördert auch weiterhin mit allen Mitteln", so heißt es da — scheinen mir allerdings nicht ausreichend zu sein. Wir werden einfach nicht darum herumkommen, uns ernsthaft mit der Frage zu befassen, ob nicht das Haushaltsjahr auf das Kalenderjahr gelegt werden muß. Wenn wir uns dazu entschließen könnten, wäre die Frage der Bauindustrie mit einem Schlage gelöst. Die Bedrohung unserer wirtschaftlichen Entwicklung, die von dieser Sachlage immer wieder ausgeht, muß uns eine solche Änderung wert sein.
    Obgleich das Wachstum der Investitionstätigkeit, das seit dem Herbst vorigen Jahres stürmisch nach oben ging, sich seit dem Frühjahr dieses Jahres etwas verlangsamt hat und obgleich auch die allgemeine Expansion unseres Wirtschaftskörpers etwas an Tempo verloren hat, beschloß die Bank deutscher Länder Anfang August dieses Jahres die Erhöhung des Diskontsatzes auf 3,5 % und eine Erhöhung der Mindestreserven um 1 %. Diese Maßnahmen waren in ihrer psychologischen Wirkung durchschlagend und wohl auch so beabsichtigt. Sie lösten — außer den Lohnforderungen der Gewerkschaften — das weite Gespräch um die Wirtschaftsentwicklung aus.
    Ob der direkte und praktische Erfolg der kreditpolitischen Maßnahmen der Notenbank ebenso durchschlagend war, mag bezweifelt werden. Da


    (Scheel)

    sich die konjunkturpolitische Situation der Bundesrepublik durch die Vielfalt unterschiedlicher Sonderkonjunkturen, die eine ins Auge fallende Disproportionalität im Gefolge haben, auszeichnet, können so allgemeine Maßnahmen, wie sie für die BdL nur möglich sind, keine gezielten Erfolge haben; im Gegenteil, sie sind manchmal geeignet, das Bild noch stärker zu verzerren. Aber es hieße die Notenbank auch bei weitem überfordern, wenn man von ihr konjunkturpolitische Maßnahmen erwarten wollte. Ihre Aufgabe ist die Sorge für die Stabilität der Währung. Ich darf wohl sagen, daß es niemanden unter uns gibt, der den verantwortlichen Herren der BdL nicht bescheinigen müßte, daß sie unser vollstes Vertrauen verdienen. Die bisherige Haltung der Verantwortlichen der BdL hat — das darf ich einmal sagen — in diesem Punkte für die künftigen Beratungen des Notenbankgesetzes günstige , psychologische Voraussetzungen geschaffen.
    Die augenblickliche Lage fordert aber geradezu dazu heraus, zu untersuchen, ob die Währungspolitik der Notenbank nicht noch in ihrer Wirksamkeit verbessert werden kann. Ich glaube, kein Geheimnis zu verraten, wenn ich feststelle, daß man inzwischen als einen beachtlichen Störungsfaktor in unserer Konjunkturentwicklung die öffentliche Hand entdeckt hat. Vornehmlich ihre Investitionstätigkeit und ihr Auftreten am Geldmarkt berechtigen zu dieser Feststellung.
    Vor einigen Tagen schrieb mir ein Kollege, ob es nicht möglich wäre, die Steuertermine auseinanderzuziehen, da sich nach seiner Feststellung durch die Zahlungszusammenballungen beträchtliche Liquiditätsschwierigkeiten in der Wirtschaft ergäben. Nun, wir haben einen dahingehenden Antrag gestellt. Wenn Sie sich aber nun einmal bildlich vor Augen halten, was an einem solchen Zahlungstermin am Geldmarkt geschieht, dann erkennen Sie sogleich die Schwäche unseres Systems in der Einlagenpolitik der öffentlichen Hand. Die Wirtschaft entblößt sich ihrer Mittel, die teilweise auf dem Kreditwege wieder beschafft werden müssen, und führt sie an die öffentlichen Kassen ab. Von hier kommen sie zu ganz bestimmten Geldinstituten, wo sie kumuliert werden.
    Wenn man sich den Geldmarkt einmal als eine Relieflandschaft vorstellt, in der die Bankinstitute als Erhebungen zu erkennen sind, so sind jene besonderen Typen die Himalaja-Riesen des Geldmarktes, und zwischen den Riesen und der BdL und den Kassen der öffentlichen Hand laufen starke Ströme hin und her. Nun darf ich Sie noch bitten, sich vorzustellen, wie etwa die Mindestreservenpolitik der BdL in diesem Relief funktionieren würde. Herr Präsident Vocke würde das Relief um ein oder mehr Prozent tiefer in das umgebende Wasser ziehen. Da würde sicher mancher kleine Hügel nur noch mühsam dicht über der Wasseroberfläche blinzeln können, während mancher Himalaja-Präsident finster, aber hoch oben auf seinem Berge säße, die hinteren Extremitäten vielleicht zur BdL gewandt und einschlägige Gedanken faßte.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Verzeihen Sie mir, wenn ich weiter im Bild bleibe. Wünschenswert wäre es, wenn alle Erhebungen ähnlich hoch aus dem Wasser sähen.