Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ,die Redezeit als ein Gradmesser der quotalen Beteiligung an der zur Verfügung stehenden Gesamtredezeit gilt, so, glaube ich, kann sich mein verehrter Kollege Dr. Deist zum mindesten an dieser Stelle nicht über eine Benachteiligung der von ihm vertretenen Quotenseite beklagen.
— Verzeihen Sie, bitte, wir hatten uns auf 45 Minuten verständigt, und Sie werden mir zugeben, daß es nach der zeitlich stark ausgedehnten Rede, die der verehrte Kollege Deist gebracht hat, außerordentlich schwierig sein wird, nun in 45 Minuten dem allen zu entgegnen. Ich darf von Anfang an also schon bitten, es nicht als ein Ausweichen anzusehen, wenn ich auf gewisse Dinge einfach nicht eingehen kann, weil ich mich eben bemühe, dieser zeitlichen Situation zu entsprechen.
Ich habe zunächst von der Rede des Herrn Dr. Deist den Eindruck gehabt — wenn ich mir insbesondere auch den Auftakt dieser Rede hier in Erinnerung zurückrufe —, ,daß wir in der konjunkturpolitischen Debatte, die der Bundestag hier durchführt, gegenüber Auseinandersetzungen auf diesem Gebiete etwa in früheren Jahren einen im ganzen erfreulichen Fortschritt zu verzeichnen haben.
Ich glaube, wir sollten zunächst allseits darüber zufrieden sein, daß wir zu einer Versachlichung der gesamten Auseinandersetzung über die Konjunkturpolitik gekommen sind.
Daß es uns an dieser Versachlichung brennend liegt, darf ich hier nochmals unterstreichen, und so bitte ich auch meinerseits, ,das, was ich vortrage, genau so sachlich zu behandeln, wie es gebracht worden ist.
Ich glaube aber, hier zunächst etwas ganz Allgemeines sagen zu müssen zu den Möglichkeiten, die ein Parlament hat, überhaupt zur Konjunkturpolitik zu sprechen. Ein Parlament ist kein konjunkturwissenschaftliches Forschungsinstitut,
ein Parlament ist kein konjunkturpolitischer Beirat, mit dem kurzfristig mitunter sehr dringliche Entscheidungen durchgeführt werden können.
Ein Parlament kann lediglich die Aufträge formulieren, —
— Verzeihen Sie! Lassen Sie mich doch ausreden. Wir haben Sie ja auch ausreden lassen. — Ein Parlament kann, sage ich, lediglich die Aufträge formulieren, die es für den Einsatz des konjunkturpolitischen Instrumentariums durch die hierfür verantwortlichen Stellen von Regierung und Zentralnotenbank eben durchgeführt haben will. Es kann bei der Beobachtung der konjunkturellen Entwicklung, vor allem seiner politischen Gesamtverantwortung entsprechend, darauf achten, wo
Spannungen, wo unterschiedliche Entwicklungen auftreten. Dann kann es sich durch entsprechende Maßnahmen der Gesetzgebung einschalten, um derartige Spannungen und unterschiedliche Beteiligungen am konjunkturellen Ablauf zu korrigieren. Vor allem eines aber hat das Parlament zu tun: als Kontrollorgan der öffentlichen Instanzen, die in der Exekutive die Konjunkturpolitik zu gestalten haben, darauf zu achten, daß die konjunkturpolitische Steuerung durch die verantwortliche Zentrale überall wirksam wird, auch dort, wo andere öffentliche Instanzen zunächst nicht unmittelbar erreicht werden können.
Es ist das Problem der zentralen Konjunkturpolitik, daß wir in einem bundesstaatlichen Aufbau eben aber verschiedene Instrumente von der Seite der Bundesgesetzgebung und Bundesregierung aus nicht so verfügen können, wie es etwa gegenüber anderen Instanzen der öffentlichen Hand möglich wäre. Sie werden den Anträgen der CDU-Fraktion schon entnommen haben, daß es sich hier insbesondere um die Anlage öffentlicher Gelder handelt, um die Auftragserteilung der öffentlichen Hand an verschiedene Stellen. Ich glaube also, der Bundestag kann sich hier auch verantwortlich dafür fühlen, daß der Appell zu einer wirklich wirksamen, zentralen konjunkturpolitischen Steuerung gegenüber allen Bereichen der öffentlichen Hand ausgesprochen wird.
Für den einzelnen Mann draußen im Lande, in der Bevölkerung, seien es Unternehmer, Arbeitnehmer, Steuerzahler, Rentner, Produzenten wie Verbraucher, Kreditnehmer wie Sparer, für sie alle ist die öffentliche Hand noch eine Einheit. Sie sehen die Gesamtverantwortung der öffentlichen Hand für den konjunkturellen Ablauf, und sie können sich nicht mit staats- und verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Wirksamkeit zentraler Mittel befassen. Das ist die Gesamtverantwortung, die alle öffentlichen Instanzen bei uns haben. Ich glaube, sie auszusprechen, ist ein Auftrag, den der Bundestag hat.
In der jetzigen Situation, meine Damen und Herren, stellt sich nun eine 'doppelte Aufgabe. Wir sehen unterschiedliche konjunkturelle Entwicklungen, die eben zu bestimmten Spannungen führen. Sie rechtzeitig aufzufangen, rechtzeitig darauf einzuwirken, daß keine ungesunden, die gesamtwirtschaftliche Weiterentwicklung störenden Verschiebungen eintreten ist eine Aufgabe, die sowohl in der Regierungserklärung wie in den Worten des Herrn Dr. Deist zum Ausdruck gekommen ist.
Ich kann hier nicht in die ganze breite Diskussion zur Kennzeichnung der derzeitigen konjunkturellen Lage eintreten. Es ist zur Genüge gesagt worden, daß die Investitionsgüterindustrien eine stärkere Entwicklung genommen haben als die Konsumgüterindustrien. Aber, Herr Kollege Dr. Deist, ist es wirklich richtig, daß die Konsumgüterindustrie so zurückgeblieben ist? Ist nicht im August, zum mindesten im Spätsommer 1955 der Auftragsbestand der gesamten Konsumgüterindustrie, selbst in der am stärksten zurückhinkenden Textilindustrie, wesentlich höher geworden, als er vor einem Jahr, im Sommer 1954 war? Ich glaube, man sollte also auch diese jüngste Entwicklung in der Gesamtentwicklung nicht vergessen.
Man hat über die hohe Investitionsquote gesprochen. Ich darf zunächst dazu folgendes sagen.
„Investitionsquote" ist ein Gesamtbegriff, der über die Zusammensetzung der Investitionen in den einzelnen Bereichen relativ wenig aussagt, und die Frage, ob die absolute Höhe der Investitionen hier zu gefährlichen Erwartungen Anlaß geben muß oder ob es nur bestimmte Spitzen in der Auftragserteilung sind, müßte doch einmal sorgfältiger geprüft werden.
Sie haben von der Bautätigkeit gesprochen und gesagt, daß gerade die öffentliche Hand mit ihrem Anteil an dem Bauvolumen nicht so ausschlaggebend sein könne. Nun, bei den drei Vierteln des Bauvolumens, die auf Wohnungsbau, auf öffentlichen und Verkehrsbau entfallen, können schon relativ geringfügige Überschreitungen des Auftragsvolumens zu unerwünschten Erscheinungen führen. Das gleiche gilt im übrigen selbstverständlich auch für die Spitzen bei industriellen Investitionen. Wird überhaupt nicht bestritten! Ich glaube, wir sollten überhaupt hier nicht den Versuch machen, dem einen oder anderen nun besondere Pluspunkte oder besondere Minuspunkte in seinem konjunkturellen Verhalten zuzuteilen. Aber denken Sie doch bitte einmal daran, Herr Dr. Deist, was es bedeutet, wenn die öffentlichen Aufträge dort, wo die öffentliche Hand als Auftraggeber auftritt, in einen ganz bestimmten, durch die Haushaltsdispositionen bestimmten Zeitraum zusammenfallen. Sie laufen praktisch erst im Mai an, und dann soll alles noch bis zum Einbruch des Winters fertig sein. Gerade die von der öffentlichen Haushaltsdisposition her bestimmte Massierung ist es doch, die uns immer so zu schaffen macht. Ich glaube daher, daß wir auch Ihr Verständnis für den in unseren Anträgen enthaltenen Auftrag erwarten können, daß gerade die öffentliche Hand als größter Auftraggeber in der gesamten Bauwirtschaft auf eine längere Erstreckung ihrer Aufträge zunächst im Jahresablauf achtet, zum anderen aber, weil ihre Bauinvestitionen ja über Jahre hinausgehen, eine langfristige Planung des Bauvolumens vornimmt, damit sich die Bauwirtschaft ihrerseits auf dieses Bauvolumen einstellen kann.
Aber zurück zu dem, was ich über die Möglichkeiten des Bundestages sagte. Ich glaube, der Bundestag ist wesentlich auf das angewiesen, was die Institute und die amtlichen Stellen, die die Konjunkturpolitik zu beobachten haben, uns zur Verfügung stellen. Allerdings, verehrter Herr Kollege Deist, was man mit diesem Zahlenmaterial macht, das ist immer noch eine Frage der Interpretation und vielleicht auch eine Frage des Standpunktes. Ich will nicht in eine breite Erörterung der vielen von Ihnen gebrachten Zahlen eintreten; ich will nur einen Punkt, der jedoch eine Schlüsselstellung in Ihrer Argumentation einnahm, nämlich die angebliche Verringerung der Lohnquote, zur Sprache bringen. Nach den vom Statistischen Bundesamt in seinem letzten Heft veröffentlichten Angaben über das Bruttosozialprodukt 1955 im ersten Halbjahr ist der Anteil des Nettoeinkommens aus unselbständiger Arbeit am Nettosozialprodukt zu Faktorkosten gegenüber 1954 nicht gesunken, sondern von 48,0 auf 48,5 °/o gestiegen.
Ich will, verehrter Herr Kollege Deist, nun nicht auf der absoluten Aussagekraft dieser Rechnung fußen. Ich glaube, dann kann ich aber verlangen, daß auch von Ihrer Seite nicht auf umstrittene
Rechnungen mit einer absoluten Gewißheit gepaukt
wird und man uns diese Zahlen hier entgegenhält.
Ich darf hier auf einen Versuch zur Versachlichung dieser ganzen ja nun über Jahre gehenden Auseinandersetzung über die Lohn- und Gewinnquote zurückkommen. Vor mehreren Jahren, in einer ganz ähnlichen Situation, wie sie konjunkturell die heutige ist, im Sommer 1951, haben Spitzen der Arbeitgeberorganisationen mit denen der Gewerkschaften zusammengesessen und sich über die Möglichkeiten zur Versachlichung der lohnpolitischen Diskussion in ihren wissenschaftlichen Grundlagen unterhalten. Es war das berühmte Limburger Gespräch. Dieses Gespräch ist leider nicht mehr fortgesetzt worden. Die Unterlagen der Arbeitgeberseite sind damals den anwesenden Gewerkschaftsführern übergeben worden. Man verzichtete darauf, sie zu veröffentlichen, um zunächst eine interne sachliche Prüfung des Materials in die Wege zu leiten. Wäre das damals weitergegangen, ich glaube, wir könnten längst bei einer Versachlichung dieser ganzen zunächst noch wissenschaftlich fundierten Diskussion angelangt sein. Ich gebe die Hoffnung einfach nicht auf, daß es eines Tages beiden Seiten als wichtigstes Anliegen erscheint, die Versachlichung der lohn- und preispolitischen Diskussion bei uns auf den Stand zu bringen, wie es in anderen Ländern zum Teil schon der Fall ist.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß eine Einrichtung wie das amerikanische Bureau of Labor Statistics, das Büro für Arbeits- und Sozialstatistik, welches von beiden Sozialpartnern anerkannt wird, als eine wissenschaftlich neutrale Grundlage auch bei uns errichtet würde. Damit wäre dann allen gedient, und wir wären wirklich aus dieser die Öffentlichkeit zu Unrecht immer wieder sehr beunruhigenden Diskussion über die Aussagewerte bestimmter Zahlen heraus.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch schon kurz zu dem Antrag der FDP-Fraktion über die Errichtung eines Konjunkturrates Stellung nehmen. Ich gebe Ihnen, Herr Dr. Deist, völlig recht: Eine Institution allein tut es nicht, wenn nicht die Mittel der volkswirtschaftlichen Gesamtanalyse in Form einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erarbeitet werden.
Aber ich erinnere daran, meine Damen und Herren, wie wir in vielen zentralen Stellen unserer volkswirtschaftlichen Gesamterfassung vorläufig mit Schätzungen arbeiten. Denken Sie etwa an die Unterlagen über die Vermögensberechnungen, Einheitswerte von 1935! Auf vielen anderen Gebieten fußen wir auf Vorkriegsdaten, die wir lediglich mit groben Schätzungen auf den heutigen Stand haben fortschreiben können. Hier müssen eben alle statistischen Ämter und sonstigen wissenschaftlichen Stellen eine Nachholarbeit führen, und dafür müssen allerdings auch gewisse Mittel bereitgestellt werden. Ich erinnere daran, daß die Aufarbeitung der Einkommensteuerstatistiken noch für Jahre aussteht und daß wir die Unterlagen dazu, ich glaube, erst für 1950 haben. Hier muß also an allen Stellen, die mit der volkswirtschaftlichen Gesamtdurchleuchtung befaßt sind, eine Aufarbeitung, eine Intensivierung des zur Verfügung stehenden Stoffs erfolgen, ehe wir hier von einem
wirklich ausreichenden Instrumentarium sprechen können. Mit Zahlen läßt sich trefflich streiten, habe ich vor Jahren einmal in einer ähnlichen Situation gesagt. Wir sollten alle, Sie wie wir, unseren Ehrgeiz darein setzen, den Streit mit Zahlen soweit als möglich aus der Welt zu schaffen, indem wir uns auf einheitliche wissenschaftliche Grundlagen einigen.
Nun, meine Damen und Herren, zu den akuten Fragen, deren Behandlung und Formulierung sowohl gegenüber der Bundesregierung wie auch gegenüber der Öffentlichkeit ich als Aufgabe des Bundestages ansehe. Ich sprach davon, daß der Bundestag in einer solchen Situation zunächst die divergierenden Tendenzen in der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung erkennen und aus der Erkenntnis bestimmte Maßnahmen der Anpassung ableiten muß. Zum andern aber ist es die Aufgabe des Parlaments auch, rechtzeitig die gesetzlich und institutionell notwendigen Regelungen in die Wege zu leiten, die zur Sicherung der konjunkturellen Entwicklung über einen größeren Zeitraum für die Zukunft erforderlich sind. Ich werde auf diesen Punkt noch besonders zu sprechen kommen.
Für die Durchführung der nun erkannten Fragestellung hat das Parlament, haben wir, gleichgültig, wo wir parteipolitisch stehen, folgende Grundgedanken zur Richtlinie zu machen und sie gegenüber der Regierung auch zu formulieren. Der erste ist, daß die Einheit der Wirtschaftspolitik zur Verwirklichung konjunkturpolitischer Maßnahmen über alle Ressortgrenzen hinweg zu wahren ist. Das ist ein Anliegen jeder Seite dieses Hauses. Es ist wohl auch kein Geheimnis, daß die weitgehende Aufteilung der gesamtwirtschaftlichen Aufgaben in einzelne Ressorts die Gefahr unterschiedlicher Maßnahmen im Hinblick auf die konjunkturell notwendigen Entscheidungen in sich birgt. Immer wieder die Einheit der Wirtschaftspolitik aus der konjunkturpolitischen Aufgabenstellung heraus zu verlangen und zu erzwingen, ist Aufgabe des Parlaments.
Das zweite ist die konjunkturpolitische Verantwortung der öffentlichen Hand, von der ich vorhin in anderem Zusammenhang schon einmal gesprochen habe. Der Bundestag hat diesen Appell auszusprechen und klarzustellen, daß er niemanden im öffentlichen Bereich aus der Mitverantwortung für den konjunkturell richtigen Verlauf entlassen kann.
Es ist, verehrter Herr Kollege Deist, keine Diffamierung, wenn hier auf bestimmte Bereiche der öffentlichen Hand oder der öffentlichen Wirtschaft hingewiesen wird.
Soll ich an die Entwicklung der Holzpreise erinnern mit der Wirkung auf dem Baukostensektor? Soll ich an die Standortwahl bestimmter öffentlicher oder unter öffentlicher Verwaltung stehender Unternehmungen bei der Anlage neuer Kapazitäten erinnern? Soll ich daran erinnern, daß es mitunter nur derartige einzelne Fehldispositionen sind, die konjunkturpolitisch in einem ganzen Bezirk schädlich durchschlagen können?
— Sicher, man darf es nicht verallgemeinern. Aber ich erinnere daran: Es ist manchmal die Spitze, es ist nur der Tropfen, der eine Flasche zum Überlaufen bringen kann, und da sollte' eigentlich alles, was im öffentlichen Wirtschaftsbereich wirkt, seinen Ehrgeiz darein setzen, nicht der Tropfen zu sein, der die Flasche zum Überlaufen bringt.
In einer solchen Situation hat das Parlament einen Appell auch an diejenigen Gruppen und Kräfte zu richten, in deren Hand ein großer Teil von Mitverantwortung für den konjunkturellen Ablauf und für die Sicherung des Ganzen liegt. Ich meine damit die Sozialpartner, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften, denen mit der Tarifautonomie ein hohes Maß von Selbstverwaltung und Selbstverantwortung in die Hand gegeben ist. Daß von diesem Instrument ein Gebrauch gemacht werde, der nicht die Stabilität der Währung, der nicht die Sicherung der Kaufkraft antastet, ist das ernsteste Anliegen, das Bundesregierung und Bundestag in dieser Stunde zum Ausdruck zu bringen haben.
Wir haben gerade gestern in Straßburg eine Debatte gehabt über den Entwurf einer europäischen Sozialcharta. In dieser Sozialcharta ist ein großes Maß von staatlichen dirigistischen Eingriffen auch auf dem Gebiet der Lohnfindung und der Lohnfestsetzung vorgesehen. Kollege Birkelbach und ich waren in unseren Diskussionsbeiträgen übereinstimmend der Meinung, daß wir in Deutschland gegenüber diesen Tendenzen der westeuropäischen Länder unter allen Umständen den Grundsatz der Tarifautonomie der Sozialpartner, der Selbstverwaltung und' Selbstverantwortung der Sozialpartner für die Findung von Lohn- und Arbeitsbedingungen aufrechterhalten müssen. Aber an vielen Stellen dieser Sozialcharta steht ebenso eindeutig, daß alle sich ihr anschließenden Staaten die Verpflichtung haben sollen, für die Stabilität der Währung und die Erhaltung der Kaufkraft zu sorgen.
Unter diese Verpflichtung muß auch die Tarifhoheit der Sozialpartner gestellt sein; denn sonst würde sie sich ins Gegenteil verkehren, würde auf die Dauer wahrscheinlich doch nicht aufrechtzuerhalten sein.
Eine weitere Aufgabe, die der Bundestag zu lösen haben wird, sehe ich in der Lösung der Frage, in welchem Maße die zentrale Notenbank durch Gesetz in den Stand gesetzt werden soll, sich kreditpolitisch auch dort durchzusetzen, wo ihr zunächst keine Zuständigkeit gegeben ist. Wir bedauern, daß wir bis heute noch kein neues deutsches Notenbankgesetz haben. Wir können in dieser Legislaturperiode wohl kaum noch mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes rechnen. Um so wi tiger ist aber, den Punkt vorzuziehen, der für die konjunkturpolitische zentrale Steuerung wesentlich ist, um so wichtiger ist es, daß auch diejenigen Überschüsse der öffentlichen Kassen währungs- und kreditpolitisch neutralisiert werden, die auf einer anderen als der Bundesebene anfallen. Das ist bei Anträgen zum Bundesnotenbankgesetz im 1. Bundestag schon zum Ausdruck gebracht worden. Bis heute aber ist, wie ich schon
sagte, nichts davon verwirklicht worden. Daher unser Antrag, die Bundesregierung möge uns eine entsprechende Vorlage machen.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung nebenbei. Verehrter Herr Kollege Deist, wenn die Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Aufträge an die Bundesregierung wünschen, wenn sie nicht bereits in Paragraphen aufgeführte Gesetzesentwürfe sind, dann deswegen, weil nahezu jeder Punkt in unseren Anträgen sowohl die Legislative wie die Exekutive betrifft und weil hier bei den weiteren Beratungen sehr genau abgegrenzt werden muß, wo es um die Zuständigkeit des Gesetzgebers und wo es um die Verantwortung der Bundesregierung als Exekutive geht.
— Ich komme bei der Einzelbehandlung unserer Anträge noch auf diese Dinge zurück.
Ich darf nun zunächst etwas über die Aufgabe sagen, die gesamte wirtschaftliche Entwicklung auch für die Zukunft nach richtigen Maßstäben zu sichern. Ich komme damit zu jenem Punkt, wo wir vielleicht jetzt schon, voraussichtlich aber auch in den kommenden Jahren die engste Begrenzung für eine weitere Expansion haben werden. Ich meine die Frage der Arbeitskräfte. Es nützt nichts, daß wir uns darüber hinwegtäuschen. Man mag die Investitionsquote zu hoch finden. Aber, verehrter Herr Kollege Deist, haben Sie auch einmal nachgerechnet, was die für einen Arbeitsplatz heute notwendige Investition kostet, etwa gegenüber den Preisen von 1950 oder gar denen von 1938? Ich glaube, auch von dieser Seite sollte man einmal die Höhe der Investitionen und der Investitionsquote prüfen.
— Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen.
Ich wollte gerade von einem Anliegen sprechen, von dem ich eigentlich annehmen dürfte, daß es Ihnen ganz besonders am Herzen liegt. Ich meine die Überlegung: Was und wie muß in Zukunft investiert werden, damit das Ergebnis des Apparats, der vorgenommenen Investierung zur Herstellung der Güter wesentlich vermehrt werden kann. An dieser Stelle ist die wesentliche Vermehrung der Produktion, der Produktivität und damit die Hebung des Lebensstandards zentral angesprochen.
Wir werden in den kommenden Jahren mit einer wachsenden Verknappung der Arbeitskräfte rechnen müssen. Ich erinnere daran, daß die Zahl der Schulentlassenen Jahr für Jahr erheblich zurückgehen wird; es sind die geburtenschwachen Kriegsjahrgänge, die nunmehr aus der Schule entlassen werden. Wir werden also auf jeden Fall mit einer erheblichen Verknappung der Arbeitskräftezahl zu rechnen haben, ganz abgesehen von den Kräften, die zum Wehrdienst aus der Wirtschaft herausgezogen werden müssen.
Die Aufrechterhaltung des heutigen Lebensstandards aber setzt dann voraus, daß für die in der Wirtschaft produktiv Tätigen durch entsprechende Investitionen am Arbeitsplatz eine wesentlich höhere Produktionsleistung möglich wird. Mit andern Worten: Es muß der Produktionsapparat intensiviert werden, und insofern sind wir tatsächlich an einem Wendepunkt in der Investitionspolitik unserer Wirtschaft angelangt. Die bisherige
Investitionstätigkeit ging überwiegend in die Erstellung neuer Kapazitäten, sie ging in das Extensive. Es wurden neue Arbeitsplätze geschaffen, es wurden Millionen von Menschen zusätzlich in Arbeit gebracht. Nunmehr ist es die Aufgabe, an die Stelle extensiver Kapazitätsentwicklungen eine Intensivierung des Apparates am öffentlichen Arbeitsplatz herbeizuführen.
Daß damit aber wesentlich höhere Aufwendungen notwendig sind als in der extensiven Kapazitätsausweitung, das darf ich Ihnen, meine Damen und Herren, an einem einzigen Beispiel zeigen.
Die Investition für einen Arbeitsplatz in der Drahtziehereiindustrie hat früher 10 000 Reichsmark gekostet — vor dem Krieg. Wir müssen jetzt 50 000 DM für diesen einen Arbeitsplatz rechnen, allerdings dann auch bei einer Versiebenfachung der Leistung, die der einzelne an diesem Arbeitsplatz erbringen kann.
Wenn Sie sich die Kasten der Arbeitsplätze in einzelnen Industriezweigen ansehen, dann wird erst einmal deutlich, welches Ausmaß von Investitionen gerade durch die Steigerung der technischen Anforderungen an den einzelnen Arbeitsplatz verursacht worden ist.
In der eisenschaffenden Industrie kostet der durchschnittliche Arbeitsplatz heute 80- bis 100 000 DM, im Maschinenbau 20 000 DM, beim Fahrzeugbau 25 000 DM, in der Elektroindustrie 25 000 DM. In der Holzverarbeitung sind wir noch auf dem ursprünglichen durchschnittlichen Satz von 10 000 DM. Insgesamt gesehen haben sich in den letzten fünf Jahren die durchschnittlichen Kosten der Investition für einen Arbeitsplatz der Industrie etwa um 50 % erhöht.
Nun, ich will hier nicht auf allzu viele Einzelheiten in dieser Frage eingehen. Ich glaube aber, daß nur aus diesen Überlegungen heraus beurteilt werden kann: Was hat zu geschehen, um bei verringerter Arbeitskräftezahl die volkswirtschaftliche Gesamtleistung als Ganzes und insbesondere auch den für den Massenkonsum notwendigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten? Was hat zu geschehen, um das bei rückläufiger Arbeitskräftezahl zu ermöglichen? Daß das nur mit zusätzlicher Investition am einzelnen Arbeitsplatz stattfinden kann, ist, glaube ich, selbstverständlich.
Ich glaube, dieser einzige Hinweis genügt auch, um die Besorgnisse, ,die ein führender Konsumgüterfabrikant hat, deutlich zu machen, ein Konsumgüterfabrikant, der, weil er diese Situation sieht, sich für die Aufrechterhaltung des Investitionsvolumens ausspricht und auch bereit ist, Konjunkturbelebungen zusätzlicher Art in der Konsumgüterindustrie selbst !zurückzustellen. Dieser Konsumgüterfabrikant ist allerdings der von Ihnen offenbar als Autorität nicht sehr geschätzte Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Berg. Ich glaube aber, es genügt, hier auszuführen, daß man nicht von einer momentanen Situation, etwa aus der Sicht von wenigen Monaten heraus Entscheidungen über das notwendige Investitionsvolumen treffen kann, wenn auf dieses Investitionsvolumen Aufgaben, die ich soeben geschildert habe, in Kürze zukommen. Ich bin auch überzeugt, daß ein nicht unerheblicher Teil
der derzeitigen Investitionstätigkeit bereits eine Vorwegnahme der kommenden Entwicklung am Arbeitsplatz darstellt. Ein großer Teil der Unternehmer macht sich seit langem Gedanken und Sorgen darüber, wie er seine Produktion aufrechterhalten kann, wenn er Arbeitskräfte verliert. So ist wohl auch ein nicht unerheblicher Teil des derzeitigen Investitionsvolumens begründet.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf verschiedene Punkte in den Anträgen der CDU selbst eingehen.
Ich habe schon von der zentralen Rolle gesprochen, die wir unserem Antrag betreffend die Anlage öffentlicher Gelder zuerkennen. Es handelt sich einfach darum, der zentralen Notenbank ihr Instrumentarium zur Kreditpolitik so zu vervollständigen, wie es nach Lage der Dinge eben einfach notwendig ist. Daß innerhalb der gesamten Stationen der öffentlichen Hand hier bestimmte Dinge einer Überprüfung bedürfen, wird man sicher nicht als Diffamierung betrachten können. Sehen Sie sich einmal das Steueraufkommen an, wie es in allen Instanzen erheblich über den Vorschätzungen liegt. Sehen Sie sich vor allem auch an, daß die Gewerbesteuer sich wesentlich stärker in ihrem Aufkommen erhöht hat als die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Sehen Sie sich an, daß durch die letzten Einkommensteuergesetze des Bundes Erhöhungen der Bemessungsgrundlagen für die Gewerbesteuer eingetreten sind, weil für die Gewerbesteuer wirksame Sondervergünstigungen — etwa der 7er-Gruppe — im Einkommensteuergesetz in Fortfall gekommen sind. Es ist nur natürlich, daß wir in eine Überprüfung dieser Dinge eintreten, daß wir nicht eine divergierende Entwicklung etwa der Gewerbesteuer auf der einen und der Bundes- und Länder-Einkommen- und Körperschaftsteuer auf der anderen Seite haben wollen.
Bei dem Antrag, der von der Bundesregierung konjunkturpolitische Überprüfung der öffentlichen Ausgaben verlangt, unterscheiden wir einmal jene Ausgaben, bei denen die Bundesregierung nicht unmittelbaren Einfluß hat, bei denen sie also tatsächlich nur auf den guten Willen der beteiligten Instanzen angewiesen ist. Wir sind überzeugt, daß sich keine der öffentlichen Instanzen diesem Appell ,an den guten Willen verschließen wird. Wir unterscheiden dann jene öffentlichen Ausgaben für Investitionsvorhaben, wo Bundesmittel unmittelbar eingesetzt werden. Hier soll die Hergabe von Bundesmitteln von einer Überprüfung der Dringlichkeit und der Auftragslage in dem jeweiligen Baubereich abhängig gemacht werden.
Wir appellieren ferner in diesem Antrag daran, daß die Bundesregierung die im Eigentum des Bundes oder unter seiner Verwaltung stehenden Unternehmen zu einer stärkeren Anpassung an die konjunkturpolitischen Erfordernisse anhält, insbesondere dann, wenn zusätzlich neue Kapazitäten in Bezirken erstellt werden sollten — was nun leider geschieht —, wo ohnehin schon Engpaßbezirke durch starke industrielle Zusammenballung bestehen.
Wir fordern weiterhin die Bundesregierung auf, alle öffentlichen Auftraggeber zu einer langfristigen Unterrichtung der Bauwirtschaft über ihre künftigen Bauvorhaben zu veranlassen, damit diese sich bei ihren Investitionen an arbeitssparenden Maschinen usw. auch auf eine Auftragsentwicklung auf lange Sicht einstellen kann.
Zu dem Antrag über die Kreditversorgung des Mittelstandes wird mein Kollege Schmücker noch sprechen. Ich darf hier nur einen Gedanken kurz erwähnen, der auch in diesem Antrag mit angesprochen wird. Wir haben eine große Zahl öffentlicher Fonds, Fonds auf Landes- und anderen Ebenen, aus denen nun Gewerbe- oder andere Förderungsmaßnahmen gespeist werden sollen. Die starke Zersplitterung dieser Fonds ist diametral entgegengesetzt der Aufgabe, ,die sie haben, nämlich gegebenenfalls auch zentral gesteuert zur Erzeugung bestimmter wirtschaftspolitischer Wirkungen eingesetzt zu werden. Ich glaube, daß gerade diese Überprüfung der verschiedenen Fonds mit ein Anliegen dieses Antrags sein wird.
Zu dem Thema Teilzahlungsgeschäfte kann ich mich kurz fassen. Ich freue mich über die Unterstützung, die hier zugesagt worden ist. Aber, verehrter Herr Kollege Dr. Deist, wenn wir dem Antrag der SPD nicht den Vorzug gegeben haben — er ist ja auch noch nicht abschließend beraten —, so aus folgender Überlegung. Ich glaube, mit einem Ausbau des Verbraucherschutzes beim Abschluß von Abzahlungsgeschäften allein kommt man dem konjunkturpolitischen Problem nicht näher; denn je leichter ich von einem Teilzahlungsvertrag zurücktreten kann, um so leichtfertiger kann ich unter Umständen einen solchen Vertrag abschließen,
und das würde konjunkturpolitisch zu zusätzlichen Überspitzungen führen, indem Auftragsvolumina entstehen, die vielleicht nachher gar nicht realisiert werden können.
Daher halte ich die Übernahme von Regelungen, wie sie in USA und England und anderen Ländern bestehen, das Teilzahlungsgeschäft an die kreditpolitischen Instanzen anzuhängen — auch durch gesetzliche Vorschriften über Anzahlungshöhe und über Laufzeit der monatlichen Raten —, für den wirksameren Weg.
Im ganzen darf ich sagen, daß die Entwicklung des Teilzahlungsgeschäftes als solche noch nicht zu Beunruhigungen Veranlassung gibt. Da wir aber auf diesem Sektor in einer sehr kurzfristigen, sehr raschen Entwicklung stehen, sollte man das Instrument der Steuerung dieses Geschäftsbereichs rechtzeitig schaffen und nicht erst dann kommen, wenn vielleicht schon eine Überhitzung auf diesem Gebiet eingetreten ist.
Nun zu dem Antrag betreffend die Beschaffung von Arbeitskräften in der Bundesrepublik! Meine Damen und Herren, es gibt eine alte Regel, daß manche Dinge zu spät und zu wenig kommen, und ich befürchte, daß wir bei den Möglichkeiten, Arbeitskräfte aus Ländern mit starker Arbeitslosigkeit zu beschaffen, um eine Verstärkung unseres Arbeitskräftepotentials herbeizuführen, bereits zu spät kommen. Diese Anregungen sind vor Jahresfrist wiederholt erörtert worden.
Sie sind auf starken Widerstand gestoßen, weil man offenbar befürchtete, daß damit die böse Absicht eines Lohn- oder Sozialdumpings verbunden sei. Daher haben wir, um derartigen Befürchtungen auch jetzt entgegenzutreten, in unserem Antrag ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte „ohne Beeinträchtigung des bestehenden Lohnniveaus
und der bestehenden arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen" zugelassen werden sollte. Leider sind wir gegenüber den Ländern, die noch Arbeitskräfte in größerem Umfang zur Verfügung stellen könnten, vermutlich jetzt nicht mehr in der günstigen Verhandlungsposition wie vor einem Jahr.
Ich glaube aber, daß die gesamte Entwicklung der Arbeitskräftesituation, von der ich vorhin schon gesprochen habe, noch ganz andere Maßnahmen von uns verlangt, Maßnahmen, die auch in Verbindung mit der Sozialreform gesehen werden müssen: die Reaktivierung von nur teilweise einsatzfähigen Arbeitskräften, die Anpassung von Arbeitszeit und anderen Arbeitsbedingungen an nur in geringem Maß Erwerbsfähige, an nur teilweise zu wenigen Stunden am Tag zur Arbeit heranzuziehende Kräfte und nicht zuletzt auch durch die Auslagerung von industriellen Arbeitsplätzen in solche Bezirke, in denen zwar keine sichtbare Arbeitslosigkeit besteht, wohl aber keine gleichbleibende Vollbeschäftigung der Bevölkerung für das ganze Jahr. Ich meine damit die sogenannten Randgebiete und vor allem auch die landwirtschaftlichen Notstandsgebiete, wo die Bevölkerung wirklich nur wenige Monate im Jahr in der landwirtschaftlichen Produktion voll tätig ist, in den übrigen Monaten des Jahres aber durch industrielle Aussiedlung erhebliche Gelegenheiten für zusätzlichen Verdienst, zusätzliches Einkommen finden würde. Unsere dringende Bitte an die beteiligten Ressorts geht dahin, auf dieses Problem auch außerhalb der derzeitigen Konjunkturdebatte noch einmal zurückzukommen und konkrete Maßnahmen auf lange Sicht einzuleiten, die eine Umstrukturierung landwirtschaftlicher Notstandsgebiete durch erleichterte industrielle Ausssiedlung zum Gegenstand haben.
Ich komme dann zu dem schon von Herrn Dr. Deist allerdings nicht sehr positiv angekündigten Gesetzentwurf betreffend die Änderung des Einkommensteuergesetzes. Die Änderung des Einkommensteuergesetzes, die von unserer Fraktion beantragt wird, greift zunächst Vorschläge auf, bei denen wir uns auch mit der Opposition in Übereinstimmung befinden. Die Erhöhung der Freibeträge für freie Berufe und die unselbständig Tätigen soll auf diesem Gebiet nämlich eine stärkere Entlastung schaffen, weiterhin sind aber auch wesentliche Erleichterungen bei der Ehegattenbesteuerung vorgesehen. Hier müssen bestimmte Pläne endlich nachgezogen werden, die wir seinerzeit bei der Steuerreform haben zurückstellen müssen. Ich glaube, daß an dieser Stelle auch gesagt werden soll, daß nicht nur die mithelfende, die erwerbstätige, die mitverdienende Ehefrau gemeint ist, sondern daß auch die Ehefrau als Hausfrau bei diesen Überlegungen zur Reform der Ehegattenbesteuerung ihre gebührende Berücksichtigung finden muß.
Was unseren Antrag betreffend die Scheingewinnbesteuerung angeht, so darf ich hier auf Beschlüsse verweisen, die der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestages bereits im letzten Jahre gefaßt hat, die aber, um die Sache nicht zu verzögern, bei der Einkommensteuerreform Ende des Jahres 1954 zurückgestellt werden mußten. Ich glaube, heute ist der Zeitpunkt da, diese Dinge wieder aufzugreifen.
Dann hat Herr Dr. Deist vor allem Bedenken gegen die Aufnahme einer Aufforderung in bezug
auf erleichterte Abschreibungen angemeldet. Ich bitte, doch den Wortlaut dieses Antrags nochmals genau zu lesen. Er beauftragt die Bundesregierung, bei der Handhabung der degressiven Abschreibung der konjunkturellen Lage entsprechend Sorge dafür zu tragen, daß die Finanzverwaltungen eine degressive Abschreibung auch bei beweglichen Wirtschaftsgütern mit einer Lebensdauer von sechs bis zehn Jahren usw. zulassen. Die Bundesregierung bzw. die Finanzverwaltung wird also lediglich darauf hingewiesen, von den bereits jetzt bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten administrativ den entsprechenden Gebrauch zu machen. Die Grenze für diese Möglichkeit ist, wie Sie wohl wissen, durch ein finanzgerichtliches Urteil inzwischen geklärt.
Wir haben nun unter den steuerpolitischen Anträgen noch einen weiteren, der lediglich ganz allgemein geeignete Maßnahmen anregt, um Rationalisierungsinvestitionen sowie Beiträge für Forschung und Berufsausbildung zu erleichtern. Ich darf nochmals daran erinnern, welches die Investitionsaufgabe der deutschen Wirtschaft im Hinblick auf die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots sein wird, und Sie werden mir im Hinblick
darauf recht geben, daß dieser Antrag lediglich den Auftrag beinhaltet, diese Dinge rechtzeitig in Arbeit zu nehmen. Daß dabei gerade auch besondere Aufwendungen für die industrielle Forschung, für die Forschung allgemein und für die Intensivierung der Berufsausbildung gemeint sind, das ist bei der Situation, in der wir uns befinden, doch selbstverständlich.
Noch ein letztes Wort zu dem Thema Energiepreise. Ich glaube, daß man hier wirklich einmal sine ira et studio an die Frage herantreten muß, wieso die Energiepreise bei uns eine Höhe haben, die einmal angesichts der Poduktivitätsentwicklung der Energieerzeugung in den letzten Jahren und zum andern im Vergleich zu anderen Ländern überraschend erscheint. Hier sollte zumindest eine Überprüfung vorgenommen werden, damit man zu klaren Vorstellungen kommen kann. Es ist ja wohl kein Geheimnis, daß ein nicht unerheblicher Teil des Preises, den der Verbraucher für den Strom zu zahlen hat, in unmittelbare oder mittelbare kommunale oder sonstige öffentliche Abgaben fließt. Hier sollte also zumindest eine Überprüfung dieser Überlagerung der einheitlichen Energiepreise durch andere Abgaben vorgenommen werden.
Die anderen Punkte, die im Antrag auf Überprüfung der Energiepreise genannt sind, beziehen sich vor allem auf das Auslaufen des § 36 des Investitionshilfegesetzes. Hier werden nach unseren Berechnungen erhebliche Beträge frei werden, die bisher im Energiepreis zur Speisung der notwendigen Investitionen enthalten waren.
Herr Kollege Deist hat zum Investitionshilfegesetz noch einige kritische Bemerkungen gemacht, die ich hier nicht in aller Breite behandeln kann. Ich darf aber noch einmal darauf aufmerksam machen, daß Herr Kollege Deist von dem Investitionshilfegesetz, insbesondere von § 36, als konjunkturwidrig gesprochen hat. Ich glaube, wir können keinen einheitlichen Begriff des Konjunkturgemäßen und des Konjunkturwidrigen begründen, sondern die konjunkturelle Situation kann zur einen Zeit das eine Mittel und zur anderen Zeit ein anderes Mittel erforderlich machen. Beide Mittel haben aber die Eigenschaft, daß sie unter veränderten Bedingungen unter Umständen auch ne-
gative Wirkungen haben können. Ich gebe völlig zu, daß ein Auftragsstau, der durch das Auslaufen eines Termins — wie beim § 36 — entsteht, konjunkturpolitisch recht unangenehme Wirkungen haben kann und wohl auch gehabt hat. Aber das ist ja wohl immer in solchen Bereichen der Fall. Bei öffentlichen Investitionen oder bei der Bereitstellung öffentlicher Gelder haben wir häufig auch ganz bestimmte Terminierungen für öffentliche Gelder oder Subventionen, die dann zu einem Stau der Aufträge führen. Mir ist bekannt, daß in einem deutschen Bundesland die Bereitstellung von Landesmitteln für Schulhausbauten an Gemeinden bis Ende dieses Jahres ablaufen soll. Sie können sich vorstellen, wie ein solcher Termin zur Aufstauung von plötzlichen Schulhausbauaufträgen führt, die uns konjunkturpolitisch höchst unerwünscht kommen. Auch das als eine Illustration dafür, wie etwas normalerweise Konjunkturgemäßes unter veränderten Umständen konjunkturwidrig sein kann, und umgekehrt.
Im ganzen darf aber abschließend über das Investitionshilfegesetz folgendes gesagt werden. Man mag diese vor vier Jahren eingeleitete Aktion aus der Sicht der Wirtschaftspolitik heraus als einen mehr oder weniger großen Schönheitsfehler, als eine Sünde wider den heiligen Geist oder auch als Tropfen auf den heißen Stein empfinden. Insgesamt dürfte aber wohl feststehen: Wenn in der jüngsten Expansion der gesamten deutschen Wirtschaft die Bereitstellung von Kohle, Eisen, Stahl und Energie in einem solchen Umfang möglich war, daß keine erwähnenswerten Engpaßerscheinungen von dort gekommen sind, so ist das ganz wesentlich die Wirkung des Investitionshilfegesetzes gewesen.
Ich muß mich beeilen, zum Schluß zu kommen, und kann an dieser Stelle nur noch kurz etwas über zwei Bereiche sagen, die bei der wirtschaftspolitischen Gesamtdebatte vielleicht ungerechtfertigterweise etwas in den Hintergrund treten könnten. Das ist einmal die Landwirtschaft, und zum anderen sind es die Bereiche von Einkommensempfängern, bei denen die Anpassung ihrer Einkommen an das Tempo der industriellen Entwicklung und der von ihr ausgehenden Einkommenssteigerung nicht ohne weiteres möglich ist.
Was die Landwirtschaft angeht, so ist durch den bei Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes erteilten Auftrag bereits eingeleitet, daß hier noch weitere Maßnahmen zu ergreifen sind. Wie man das macht, ob man das an der einen oder der anderen Stelle durch einen Preis oder durch die steuerliche Entlastung zu erreichen versucht, wie verschiedene Anträge es anregen, oder auch durch die Übernahme bestimmter Dinge, die vorläufig im landwirtschaftlichen Bereich finanziert werden müssen, die aber mit öffentlichen Mitteln durchgeführt werden könnten — wie etwa die Tbc-Bekämpfung beim Rindvieh , das sind Fragen, die wir in Ausschußberatungen wohl klären können.
Was zum andern die Einkommensentwicklung bei den Rentnern und dem Kreis der ihnen zuzurechnenden Bezieher von Festbeträgen angeht, so darf ich hier grundsätzlich zum Ausdruck bringen, was meine Fraktion mit ihrem Antrag zum Rentenmehrbetragsgesetz bereits zu erkennen gegeben hat: daß Anpassungsmaßnahmen dort, wo sie als Folge der Preisentwicklung dringend notwendig sind, selbstverständlich zu treffen sind.
Aber es soll nicht plötzlich eine Unruhewelle entstehen, durch die das, was mit der Sozialreform als gemeinsame Arbeit angestrebt wird — die Gesamtleistungen des Gesamthaushalts zu intensivieren —, verbaut oder durch Vorwegmaßnahmen an dieser oder jener Stelle zersplittert wird. Ich glaube, die Anpassung dort, wo es notwendig ist, betrachtet jeder in diesem Saal als ein berechtigtes Anliegen. Aber wir wollen nicht bereits jetzt durch Vorwegnahme und Zersplitterung von Maßnahmen, die mit der Sozialreform zu kommen haben, die Wirkung des Gesamtplans gefährden.
Es liegt mir noch sehr am Herzen, hier ein Schlußwort zu sagen über die besondere Situation, in der wir uns hier befinden, nämlich in Berlin und im Angesicht der sowjetischen Besatzungszone. Es wird für Berlin und die Berliner Bevölkerung ein etwas merkwürdiges Bild sein, daß man sich im Deutschen Bundestag gewissermaßen über die Folgen einer zu schnellen, einer zu guten wirtschaftlichen Entwicklung streiten konnte. Die Berliner werden sagen: Eure Sorgen möchten wir auch haben!
Ich glaube aber, der enge Zusammenhang zwischen der Konjunktur in der Bundesrepublik, ihrer Aufrechterhaltung und Stabilisierung und der Lebensfähigkeit der Berliner Wirtschaft und damit des freien Berlins liegt schlechthin auf der Hand. Was Berlin erzeugt, wird überwiegend auf dem Markt der Bundesrepublik abgegeben und dort aufgenommen. Die Aufrechterhaltung und die weitere Ausdehnung der wirtschaftlichen Leistung Berlins ist also unmittelbar abhängig von der Aufnahmefähigkeit des westdeutschen Marktes. Daher ist dieser Zusammenhang gerechtfertigt, wenn auch hier das Thema völlig unter der Sicht der Bundesrepublik erörtert wird.
Aber etwas anderes sollte in Berlin zum Ausdruck gebracht werden. Wir könnten, wenn wir uns hier über den Anteil 'der einen oder anderen Gruppe am Sozialprodukt oder am Zuwachs des Sozialprodukts auseinandersetzen, den Eindruck erwecken, als wenn für uns Wirtschaftspolitik lediglich ein Verteilungsproblem nach materiellen Gesichtspunkten wäre. Wir möchten ganz klar herausstellen, daß auch die Wirtschaftspolitik einer höheren Aufgabe untergeordnet ist, nämlich der, unter Beweis zu stellen, daß die freiheitliche Staats-, Gesellschafts- und Sozialordnung unter allen Umständen menschenwürdiger und daher wertvoller und es wert ist, verteidigt zu werden, als irgendeine andere.
Das in Berlin zum Ausdruck zu bringen, sollte bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen werden.
Ich darf hier an alle unsere Landsleute, die im Wirtschaftsleben in der Bundesrepublik stehen, einen anderen Appell richten. Es ist viel von dem Maßhalten gesprochen worden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister führt seinen psychologischen Feldzug, der von dem Kollegen Dr. Deist offenbar nicht ganz so geschätzt oder, ich möchte sagen, nicht für so ganz durchschlagend angesehen wird, wie es vielleicht sein sollte. Nun, über die psychologischen Kräfte in der Wirtschaft, die Gruppen und die Verbände, müssen wir uns bei anderer Gelegenheit einmal unterhalten. Ich möchte das Thema nicht vertiefen. Sie dürfen aber sicher sein, daß Sie in mir einen an diesem Thema ungemein interessierten Gesprächspartner haben, wie wir es
uns wiederholt bereits in Diskussionen versichert haben. In deh Worten des Bundeswirtschaftsministers liegt der Appell zum Maßhalten. Ich möchte es einmal anders sagen: Auch die Freiheit, die in unserer Wirtschaftsordnung das vorherrschende Merkmal ist — dazu gehört auch die Verbandsfreiheit, die Koalitionsfreiheit, die Tarifautonomie der großen Verbände — trägt in sich die Verpflichtung zu Bindungen, und sie trägt in sich auch die Verpflichtung, dann aufrechterhalten zu werden, wenn sie einmal zu Störungen oder zu Härten für den einen oder anderen führen sollte. Sich für die Freiheit einzusetzen, auch dann, wenn es einmal etwas kostet, ist der Appell, den wir wohl an alle unsere Landsleute, unter allen Umständen an die Gruppen und die Verbände zu richten haben. Vor allem ist diese Freiheit nicht isoliert aus dem Blickwinkel der einzelnen Gruppe oder des Einzelnen zu sehen, sondern sie ist nur zu sehen in der Verantwortung, in der Bindung an die Gemeinschaft. Denn diese Gemeinschaft, verkörpert durch den Staat und seine Organe, Parlament und Regierung, hat die Freiheit idem Einzelnen und den Gruppen erst zu garantieren. Wer diese Freiheit aufs Spiel setzt, riskiert, daß die Gemeinschaft diese Freiheit nicht mehr aufrechterhalten kann.
Meine Damen und Herr, ein letztes Wort an dieser Stelle! Ich glaube, daß man auch in der sowjetischen Besatzungszone und darüber hinaus in allen jenen Gebieten, denen unsere Gedanken in dieser Stunde gelten, mit Leidenschaft und mit heißester Anteilnahme nicht so sehr die theoretischen Diskussionen über das eine oder andere unserer volkswirtschaftlichen Rechnung verfolgt, sondern daß man dort vor allem eines mit Leidenschaft verfolgt: daß die freiheitliche Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, wie die Bundesrepublik sie nunmehr seit Jahren zu verwirklichen sich bemüht hat, Bestand hat und eines Tages auch die Freiheit für das ganze deutsche Volk darstellen wird.