Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften, die wir am 15. und 16. Juli dieses Jahres in diesem Hause hatten, sind von meinen Freunden Ausführungen darüber gemacht worden, ob es zweckmäßig erscheine, gerade jetzt die gesetzlichen Grundlagen für die Aufstellung von deutschen Truppen zu schaffen, und ob es weiterhin zweckmäßig sei, das gerade in der Form zu tun, wie die Vorlagen der Bundesregierung dem Hohen Hause vorgelegt worden sind. Die Äußerungen, die damals — vor einem Vierteljahr — in bezug auf das Freiwilligengesetz gemacht worden sind, und die Bedenken, die damals hier zum Ausdruck gebracht worden sind, scheinen mir auch heute noch in vollem Ausmaß gültig zu sein; ja ich glaube, sie haben sich sogar noch durch die politische Entwicklung der Zwischenzeit verstärkt. Die politischen Erkenntnisse, die in diesem Vierteljahr gewonnen werden konnten, haben uns noch in der Auffassung bestärkt, daß es im Augenblick nicht richtig, nicht zweckmäßig und nicht vernünftig ist, derartige Dinge durch das Hohe Haus regeln zu lassen.
Wir standen damals genau wie heute vor einer wichtigen Konferenz der vier Besatzungsmächte in Genf. Wir stehen heute ebenfalls am Vorabend einer derartigen Konferenz. Jeder von uns weiß, daß auf dieser Konferenz Dinge besprochen und vielleicht auch entschieden werden, die für die Zukunft unseres Landes von entscheidender Bedeutung sind. Wir alle hoffen, daß diese Entscheidungen den Weg frei machen für die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und Freiheit, ohne die, wie wir glauben, es keine Entspannung und keine friedliche Entwicklung geben kann.
Die Sozialdemokratische Partei hat vor einem Vierteljahr vor der Aufrüstung der Bundesrepublik gewarnt, weil sie glaubt, daß durch diese Aufrüstung die Wiedervereinigungsverhandlungen erschwert, verzögert oder gar unmöglich gemacht werden können. Wir sind heute nicht sehr glücklich darüber, feststellen zu müssen, wie sehr wir damals recht gehabt haben. Deswegen sprechen wir uns auch heute wieder aus außenpolitischen und innenpolitischen Gründen gegen die Vorlage dieses Gesetzes zu diesem Zeitpunkt aus.
Ich werde nicht weiter wiederholen, was noch im einzelnen von dieser Stelle aus zu dieser Frage gesagt werden könnte. Wir werden darauf zurückzukommen haben, wenn die zweite und dritte Beratung des Gesetzes anstehen. Ich habe jedoch noch erhebliche Bedenken innenpolitischer Natur anzumelden, die ich hier zum Ausdruck bringen will, und zwar nicht, um, wie mein Kollege Kliesing vorhin zu vermuten schien, einer Skepsis schlechthin das Wort zu reden, sondern um von dieser Skepsis her einen positiven Beitrag für eine vernünftige und vertrauensvolle Entwicklung zu liefern.
Der Herr Verteidigungsminister hat im Sommer dieses Jahres in einer Regierungserklärung den Umfang der Wehrgesetzgebung umrissen. Er hat damals Ausführungen über die Wehrverfassung und über den verfassungsrechtlichen Standort der Wehrorganisation gemacht. Aus diesen Ausführungen haben wir entnehmen können, daß die Frage des Oberbefehls, die Frage der landsmannschaftlichen Gliederung der Streitkräfte, die Frage der Wehrverwaltung und die Frage des Notstandsrechtes dringend einer Regelung bedürfen. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit ferner daran, daß der Bundesrat sich bei der Beratung dieser Vor-
lage auf den Standpunkt gestellt hat, daß die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Durchführung dieses Gesetzes nicht gegeben sind. Obwohl wir also vor einer ganzen Reihe von ungeklärten Verfassungsfragen stehen — Fragen, die unser Grundgesetz betreffen, Fragen, die auch für die künftige Entwicklung der Truppe im Gefüge des Staates von entscheidender Bedeutung sind —, obwohl das alles bekannt ist, wird, wie ich den Eindruck habe, frisch drauflosgewirtschaftet, um ja möglichst schnell zu Leuten zu kommen, die man in eine Uniform stecken kann.
Dazu kommt noch etwas anderes. Neben diesen verfassungsrechtlichen Fragen muß nach Auffassung der Sozialdemokraten noch eine Fülle von Einzelgesetzen geschaffen werden, bevor der erste Soldat eingestellt wird, um von vornherein klare Rechtsverhältnisse zu schaffen. Herr Kollege Kliesing hat auf diese Tatsache ebenfalls hingewiesen und hat den Wunsch geäußert, daß möglichst bald, vor Abschluß der Beratungen über dieses Gesetz auch die anderen dringend notwendigen Einzelgesetze vorgelegt werden, damit klare Rechtsverhältnisse geschaffen werden können. Ich denke dabei u. a. an die Gesetze über die Organisation der Verteidigung, die Spitzengliederung der Streitkräfte und die endgültige Organisation des Bundesverteidigungsministeriums. Die Notwendigkeit dieser Gesetze ist durch die Beschlüsse des Hauses zum Freiwilligengesetz festgelegt worden; sie ist bekannt. Diese Gesetze gehören an den Anfang der Entwicklung und nicht an ihr Ende; denn dann müssen, sie sich mit vollendeten Tatsachen auseinandersetzen. Wir alle kennen die Schwierigkeiten, die dem Gesetzgeber von der Verwaltung bereitet werden, indem man ihn vor vollendete Tatsachen stellt, ehe es gelungen ist, die Dinge auf dem Wege der Gesetzgebung zu regeln. Wir warnen vor einer derartigen Entwicklung.
Ich denke ferner an die Regelung über Einstellung und Entlassung von Berufssoldaten, über die Disziplinarverfahren und Disziplinarstrafen, an die Beschwerdeordnung. Ferner sind, wie Herr Dr. Kliesing schon gesagt hat, ein Besoldungsgesetz und ein Versorgungsgesetz notwendig. Es ist notwendig, gewisse strafrechtliche Bestimmungen für die Wehrmacht zu schaffen. Notwendig ist welter die gesetzliche Regelung der parlamentarischen Kontrolle über die Streitkräfte, des Wehrmachtbevollmächtigten oder wie immer Sie diese Institution nennen wollen. Alle diese Gesetze, die ich jetzt genannt habe — und es sind nur die wichtigsten gewesen —, müßten vorher erledigt sein, ehe man sich mit der Materie befaßt, die in dem vorliegenden Entwurf behandelt wird. Ich glaube, daß die einzigen Gesetze, die erst nachher behandelt zu werden brauchen, das Wehrpflichtgesetz und das Gesetz über die Kriegsdienstverweigerung sind, die ja zusammengehören und gleichzeitig verabschiedet werden müssen.
Die Sozialdemokratische Partei bedauert es sehr, daß man offensichtlich nicht gewillt ist, vor der Aufstellung von Streitkräften hier eine saubere Arbeit auf dem Gebiete der Gesetzgebung zu leisten, sondern daß man es aus Gründen politischer Art, über die man streiten kann, für richtig hält, sich auf einer unsicheren Rechtsgrundlage zu bewegen. Es ist unsere Pflicht gerade gegenüber den zukünftigen Soldaten und nicht zuletzt gegenüber dem gesamten Gefüge unseres Staates, der Organisation der Streitkräfte eine klare Rechtsgrundlage zu geben und aus dem rechtlichen Zwielicht herauszukommen, in dem wir uns augenblicklich mit der Aufstellung der Streitkräfte bewegen.
Die aufgezeigten Gründe sind neben den bereits erwähnten politischen Gründen für meine Freunde und mich maßgebend dafür gewesen, mit einer außerordentlichen Skepsis an die Betrachtung des vorliegenden Entwurfs heranzugehen.
Ich möchte noch einige Bemerkungen zum Inhalt des vorliegenden Entwurfs machen. Die ganze Konstruktion des Gesetzentwurfs leidet darunter, daß man versucht hat, die Rechtsverhältnisse von vier ganz verschiedenen Personengruppen in einem Gesetz zusammenzufassen. Der Entwurf handelt von den Berufssoldaten, er spricht von den Soldaten auf Zeit, die Wehrpflichtigen werden in diesem Gesetz angesprochen und nicht zuletzt und merkwürdigerweise, möchte ich sagen, die Zivilangestellten der zukünftigen Streitkräfte. In der Begründung des Herrn Ministers und in der schriftlichen Begründung der Bundesregierung heißt es, daß alle Soldaten durch die Gleichartigkeit des Pflichtenkreises so eng miteinander verbunden seien, daß man sie in einem einzigen Gesetz ansprechen könne. Meine Damen und Herren, das trifft erstens nur in einem beschränkten Umfang zu. Zweitens aber ist es niemals eine ausreichende Begründung dafür, die Rechtsverhältnisse von Menschen in einem Gesetz zu regeln, die zwar ziemlich gleichartige Pflichten, aber ganz verschiedene Rechte haben.
Hieraus entsteht naturgemäß eine Unzahl von technischen Schwierigkeiten, unter denen das ganze Gesetz leidet. Das geht schon daraus hervor, daß, wie Herr Dr. Kliesing mit Recht betont hat, in diesem Gesetz auf eine Unzahl von zukünftigen Gesetzen und Rechtsverordnungen hingewiesen wird, die noch gar nicht existieren. Ich habe nach einer Zählung festgestellt, daß es insgesamt 14 Gesetze und Rechtsverordnungen sind, die noch benötigt werden, um dieses Gesetz ausführen zu können.
Wir wissen aus der Erfahrung der Praxis, daß derartige Verweisungen in Gesetzen keine schöne Angelegenheit sind und die Ausführung und auch das Verständnis der Gesetze erschweren. Das ist bereits nicht schön, wenn die anderen Gesetze, auf die verwiesen wird, schon existieren; es ist aber ein unmöglicher Zustand, wenn auf Dinge verwiesen wird, deren Regelung überhaupt erst in der Zukunft erfolgen soll. Die Regelung dieser Dinge ist aber mit dafür entscheidend, wie dieses Gesetz nachher angewandt wird. Der Gesetzgeber muß schon jetzt, wenn er dieses Gesetz beschließt, wissen, wie die anderen Regelungen aussehen werden; denn sonst kann er einem solchen Gesetz nicht mit gutem Gewissen seine Zustimmung geben.
Man sollte von einem Gesetz überhaupt eine nüchterne und klare Sprache verlangen; denn ein Gesetz soll Rechtsfragen regeln und soll der Verwaltung und der Rechtsprechung die Voraussetzungen schaffen, damit sie schnelle und klare Entscheidungen treffen können. Ich habe das Gefühl, daß in dem vorliegenden Entwurf diese Bedingungen nicht erfüllt werden. Der Entwurf versucht zwar, etwas zu tun, was wir außerordentlich begrüßen und was auch der Herr Minister in seinen
einführenden Worten angesprochen hat: er versucht, die Pflichten der Soldaten in ein Gesetz hineinzuschreiben, d. h. er versucht, sie der parlamentarischen Zustimmung und der parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen im Gegensatz zu einer Zeit, wo derartige Dinge lediglich in den Erziehungsleitsätzen und in den militärischen Vorschriften zu finden waren, die nicht dem Einfluß des Parlaments unterlagen. Wir begrüßen diese Absicht sehr, und wir werden uns mit allen Kräften daran beteiligen, diese Absicht auch wirklich zum Tragen zu bringen. Aber muß man, um nun diese Absicht verwirklichen zu können, in ein Gesetz mit einer Sprache, die ich geradezu als heraldisch bezeichnen möchte, die aber zumindest reichlich antiquiert ist, ethische Forderungen in Paragraphen hineinbauen, die, wenn man sich diese Paragraphen genau ansieht, letzten Endes zu nichts verpflichten, weil jeder dieser ethischen Begriffe, der da drinsteht, zumindest stark umstritten ist, auf jeden Fall aber außerordentlich auslegungsfähig, ja auslegungsfähig ist bis in das genaue Gegenteil von dem, was der Gesetzgeber in diesem Entwurf eigentlich wollte?
Ich glaube, daß man, wenn man die Pflichten des Soldaten in ein Gesetz hineinschreiben will, das in einer Sprache tun muß, die gar nicht nüchtern und einfach genug sein kann.
Man muß sich außerordentlich davor hüten, Begriffe zu gebrauchen, die den Schluß zulassen könnten, daß gewisse Leute doch noch nicht aus einem antiquierten Denken herausgekommen sind, daß in ihrem Denken immer noch die Kategorien gültig sind, die vor, sagen wir, 30 oder gar 50 Jahren einmal gültig waren. Wenn man in einem solchen Gesetz auf diese Dinge zu sprechen kommt, muß man auch zu unterscheiden wissen, was in das Gesetz und was in die Leitsätze zur Erziehung gehört, die selbstverständlich in einer ganz anderen Sprache geschrieben sein können, als es die Gesetzessprache sein muß.
Wir werden also bei der Beratung dieses Gesetzes zu prüfen haben, ob nicht vieles aus den §§ 6, 8, 10, 11 und 31, die hauptsächlich diesen Komplex umfassen, umformuliert und in eine Form gebracht werden muß, die dann nachher als Richtlinie für die Ausbildung brauchbar ist.
Zu einer anderen Frage, die bereits Herr Dr. Kliesing angesprochen hat, möchte ich ebenfalls noch einige Worte sagen: der Frage des Eides. Meine Damen und Herren, der Sicherheitsausschuß dieses Hauses hat sich wiederholt und sehr ausführlich mit der Frage des Eides befaßt. Obwohl er das getan und dieses Haus bei der Verabschiedung des Freiwilligengesetzes geglaubt hat, von der Festlegung des Fahneneides absehen zu sollen, und an seine Stelle eine Verpflichtung gesetzt hat, obwohl also der Wille des Parlaments verhältnismäßig klar zum Ausdruck gekommen ist, finden wir in diesem Entwurf in § 16 doch wieder die Verpflichtung zur Eidesleistung. Dr. Kliesing hat über die Gewissensnot und die Schwierigkeiten gesprochen, die sich mit dieser Frage verbinden. Die Gewissensnot besteht nicht nur für den Gesetzgeber, sondern sie entsteht ja noch in weit größerem Maße bei denen, die nachher diesen Eid Leisten sollen. Es bedarf also einer erneuten Diskussion über diese Frage. Ich kann Ihnen aber heute schon sagen, daß sich meine Freunde und ich auf jeden Fall gegen die Verankerung des Fahneneides in diesem Gesetz für alle Soldaten aussprechen werden. Es wird darüber gesprochen werden können, ob man es für die Verpflichtung bei der Formel des Freiwilligengesetzes beläßt oder eine andere, bessere Formel findet.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Herrn Ministers Dr. Straeter verweisen, die er am 22. Juli zu dieser Angelegenheit im Bundesrat gemacht hat und denen man eigentlich nicht viel hinzuzusetzen braucht. Er berief sich darauf, daß gerade die Älteren unter uns unter der Anrufung Gottes seit 1900 bereits viermal einen Eid auf vier völlig verschiedene politische und militärische Systeme leisten mußten. Manchmal wurden sie von diesem Eid entbunden, manchmal aber auch nicht. Das hat jedoch keinen Menschen und vor allen Dingen den Staat nicht gehindert, trotzdem einen neuen, anderen Eid von ihnen zu verlangen und ihnen mit Entlassung aus dem öffentlichen Dienst zu drohen, falls sie diesen Eid nicht leisten sollten. In diesem Punkt hat sich der Staat, wenn es ihm richtig erschien, über alle Gewissensnöte, über alle Gewissens- und schwere religiöse Bedenken hinweggesetzt. Dadurch ist der Diensteid natürlich überhaupt entwertet worden. Ich gehe so weit, zu sagen, daß er wegen des viermaligen Änderns und der Zumutung an einen öffentlichen Bediensteten, sich viermal über den alten Eid hinwegzusetzen, letzten Endes zu einer Farce für diese Leute geworden ist. Es werden keine moralischen Kräfte mehr durch ihn geweckt, sondern es wird allenfalls das böse Gewissen durch ihn lebendig. Wir freuen uns darüber, daß auch von weiten kirchlichen Kreisen die Auffassung vertreten wird, daß die Schaffung des Diensteides in bezug auf die künftigen Soldaten verhindert werden sollte, eben im Interesse der religiösen Kräfte, die in den Menschen lebendig sind. Auch über diese Frage werden wir im Ausschuß hoffentlich schnell zu einer Einigung kommen.
Der Herr Minister hat in seinen Ausführungen einen verhältnismäßig breiten Raum der Frage der politischen Betätigung der Soldaten gewidmet. Auch ich möchte zu dieser Frage etwas sagen, weil sie in diesem Gesetz an zwei Stellen sehr deutlich angesprochen ist.
Wir haben in den vergangenen Jahren eine Menge schöne Worte über den „Staatsbürger in Uniform" gehört. Wir hatten nicht immer das Gefühl, daß diese Worte sehr ehrlich gemeint gewesen sind.
Den Beweis dafür erbringt der vorliegende Entwurf; denn in seiner politischen Funktion wird der Soldat gegenüber den Beamten und erst recht gegenüber den übrigen Staatsbürgern schlechter gestellt, als es die besonderen militärischen Belange erforderlich machen würden.
Die Regeln für die aktive Betätigung des Soldaten in der Politik, die in § 15 niedergelegt sind, sind außerordentlich unklar und sehen Einschränkungen der politischen Betätigung vor, die in dieser Form nicht notwendig zu sein scheinen. Meine Damen und Herren, gerade in diesem Hause, das sich doch aus politischen Parteien zusammensetzt, sollte eigentlich keine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, daß die intensive politische Mitarbeit in einer demokratischen Partei die denkbar
beste staatsbürgerliche Erziehung überhaupt ist, die sich eindemokratischer Staat nur wünschen kann.
Aber die Erziehung zur politischen Neutralität, die man heute an vielen Stellen unter überparteilicher Staatsbürgerkunde versteht, führt letzten Endes zu nichts anderem als zu politischem Abseitsstehen.
Wir müssen die Mitarbeit der Soldaten in den Parteien mit allen Mitteln fördern, dürfen sie aber nicht bremsen, wie es in diesem Gesetz geschehen ist; sonst hätten wir nämlich aus der Vergangenheit wahrhaftig nicht allzuviel gelernt.
Gestatten Sie mir eine weitere Bemerkung zur Stellung des Soldaten im politischen Leben seines Volkes, nämlich zum passiven Wahlrecht. Warum werden die Soldaten in bezug auf das passive Wahlrecht schlechter gestellt als die übrigen Staatsdiener? Praktisch läuft das, was in diesem Gesetz steht, doch darauf hinaus, daß die Aufstellung als Kandidat auf Kreis-, Landes- oder Bundesebene für irgendeine Wahl mit dem Verlust der Existenz gleichbedeutend ist. Das geht unter gar keinen Umständen; denn das bedeutet praktisch, daß man den Soldaten das passive Wahlrecht nimmt.
Darüber kann man sich durch noch so viele schöne Formulierungen nicht hinwegtäuschen. Ich bin der Auffassung, daß die Soldaten in bezug auf das passive Wahlrecht den anderen Staatsdienern völlig gleichgestellt werden müssen. Ich kann keinen Grund dafür einsehen, daß sie schlechter gestellt werden sollen.
Gerade an dieser Stelle des Entwurfs stößt man auf ein veraltetes Denken, ja man spürt geradezu den Geist der alten Reichswehr, der aus diesen Worten spricht — die Formulierungen stammen ja auch daher —, den Geist, der in der Politik
Geschäft unwürdiges Geschäft sieht, zu dem sich ein Soldat nicht herablassen oder mit dem er sich nicht beflecken sollte. Dieser Geist muß in der künftigen Truppe ausgerottet werden, und es muß verhindert werden, daß er überhaupt auch nur in den kleinsten Anfängen aufkeimen kann. Darüber werden wir im Ausschuß zu reden haben. Nach den Ausführungen des Hern Ministers und auch des Herrn Kollegen Kliesing glaube ich, daß wir in den Grundsätzen einig sind und auch eine Form finden werden, die diese Grundsätze in die Praxis übersetzen kann.
Zur Frage des Vertrauensmannes möchte ich noch ein Wort sagen. Der Vertrauensmann in der Truppe wird in diesem Gesetz an zwei Stellen angesprochen, in § 30 und in den Schlußbestimmungen. Aber die Regelung, die hier gefunden ist, scheint uns nicht befriedigend zu sein; sie wird auf „besondere Gesetze" — zum mindesten zwei — und eine Rechtsverordnung verwiesen. Ich glaube aber, daß diese Frage gelöst sein muß, ehe der erste Soldat eine Uniform anzieht.
Gar nicht früh genug und gar nicht umfassend genug kann man über diese Frage sprechen. Gerade meine Freunde und ich legen den allergrößten Wert auf eine gute gesetzliche Regelung der Stellung
des Vertrauensmannes in der Tuppe. Denn gerade er kann für den Geist der Truppe, oder ich möchte mich anders ausdrücken: für das Betriebsklima in den Streitkräften von entscheidender Bedeutung sein, je nachdem, ob seine Funktion richtig gesehen und gesetzlich entsprechend geregelt wird oder nicht.
Eine Fülle von Fragen, die hier nicht im einzelnen behandelt werden sollen, die uns aber im Ausschuß sehr stark beschäftigen werden, ergibt sich aus dem Vergleich des Beamtenrechts mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Er bezieht sich an unzähligen Stellen auf das Beamtenrecht, übernimmt es zum Teil wörtlich, teilweise auch aus dem Entwurf des Beamtenrechts Rahmengesetzes, das noch gar nicht verabschiedet ist. Er schafft an einigen Stellen Unterschiede zwischen den Beamten und den Berufssoldaten, die mir nicht recht verständlich erscheinen. Es muß über diese Dinge geredet werden. Gerade jetzt scheint es doch sehr erwägenswert zu sein, ob nicht die Regelung zweckmäßig ist, die man in Österreich bei der Aufstellung der dortigen Truppen gefunden hat, indem nämlich die Berufsoffiziere und Berufsunteroffiziere als eine Beamtenkategorie einfach in das Bundesbeamtenrecht der österreichischen Republik übernommen worden sind. Ich glaube, daß die Änderungen des Beamtenrechts, die sich in bezug auf ,die Berufssoldaten vielleicht als notwendig erweisen — sie werden sehr wenige Punkte umfassen —, einfacher durchzuführen sind, als hier in einem besonderen Gesetz einen sehr großen Komplex zu schaffen und damit nun doch wieder neben den Beamten eine besondere Kaste von Staatsdienern in unserem Volke aufzubauen und ,alle Gefahren in Kauf zu nehmen, die damit bekanntlich verbunden sind.
Die Bedeutung des verbrecherischen Befehls ist angesprochen worden. Die Lösung in diesem Gesetz ist besonders dann, wenn man die. Begründung gelesen hat, nicht befriedigend, weil sie nämlich doch letzten Endes das gesamte Risiko für die Ausführung eines verbrecherischen Befehls dem Untergebenen aufbürdet
und nicht etwa idem, der diesen Befehl gegeben hat. Ich hätte gedacht, daß man nach den Erfahrungen ides letzten Krieges und nach den Prozessen, die gegen ehemalige deutsche Soldaten von ausländischen Staaten geführt worden sind, hier eine Regelung gefunden hätte die derartige Prozesse in der Zukunft unmöglich gemacht bzw. bei diesen Prozessen die tatsächlich Verantwortlichen erreicht hätte und nicht diejenigen, die bei Nichtausführung eines Befehls doch damit rechnen mußten, ihr Leben zu verlieren.
Eine weitere Frage ist ebenfalls in diesem Gesetz zu klären — sie ist im Entwurf überhaupt nicht angesprochen —, nämlich die Frage der Entlassung der Berufssoldaten. Es werden nur die Entlassungsgründe aufgeführt, die auch im allgemeinen Beamtenrecht gegeben sind. Aber bei Soldaten gibt es ,auch noch Entlassungsgründe anderer Natur. Was soll werden, wenn beispielsweise einmal die Armee aus irgendeinem Grunde verkleinert werden muß? Diese Möglichkeit wird doch heute im Zeitalter der Abrüstung nicht von der Hand zu weisen sein. Was soll werden, wenn beispielsweise die Armee einmal aufgelöst werden
muß? Wenn man sich ernsthaft mit der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands und den Rechtsfolgen, die daraus entstehen, befaßt, muß man auch mit der Möglichkeit rechnen, daß — als Vorbedingung der Wiedervereinigung — die in den beiden Teilstaaten aufgestellten Armeen einmal aufgelöst werden müssen. Man sollte gerade in dieser Situation auch die gesetzlichen Möglichkeiten ins Auge fassen, die da notwendig sind, damit nicht plötzlich enorme rechtliche Schwierigkeiten entstehen. Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon schreckhaft die „Interessengemeinschaft der Wiedervereinigungsgeschädigten" aufsteigen. Auch daran sollte man also rechtzeitig denken, damit dann nicht wieder eine neue Zeitnot in dieser Frage entsteht.
Auch die Frage der Übernahme der ehemaligen Wehrmachtangehörigen — und die werden ja im Augenblick überhaupt das Hauptkontingent der zu übernehmenden Soldaten sein — bedarf noch einer eingehenden Prüfung. Gerade der § 55, der sehr gut gemeint ist, öffnet letzten Endes dem Denunziantentum Tür und Tor. Mir wäre mehr Sorgfalt und etwas längere Zeitdauer bei der Einstellung erheblich lieber, als daß nach der Einstellung angefangen wird, in der Vergangenheit des Betreffenden herumzurühren und von da aus Entlassungsgründe zu finden, die sonst im Beamtenrecht urbekannt sind. Wir müssen da zu einer besseren Lösung kommen. Es ist auch nicht hinzunehmen, daß hier für die früheren Soldaten ein gegenüber den Beamten und den neuen Soldaten, die unter diese Bestimmung nicht Lallen, ungleiches Recht geschaffen wird.