Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß ich auf meine Wortmeldung nicht verzichten kann, da ein Schriftlicher Bericht nicht vorliegt. Erst gestern nachmittag hat das Hohe Haus die Überweisung der Drucksache 926 an den Auswärtigen Ausschuß beschlossen, und dieser hat sich noch gestern abend mit der Angelegenheit befaßt. Ich habe nun die Ehre, Ihnen mündlich die Vorschläge des Auswärtigen Ausschusses vorzutragen.
Es ist natürlich sehr mißlich, bei der ungewöhnlichen Belastung, unter der wir alle leiden, und in dieser vorgerückten Mittagsstunde eine immerhin recht wichtige Angelegenheit in Kürze mündlich darlegen zu müssen. Ich werde mich also, soweit es irgend möglich ist, auf sehr wenige Minuten beschränken.
Die Drucksache 926, die Sie ja alle vor sich liegen haben, ist schon verhältnismäßig alt; sie ist drei Vierteljahr alt. Unser verewigter Herr Präsident Dr. Ehlers hatte sie noch am 23. Oktober vorigen Jahres mit mir unterzeichnet. Es ist nach Ansicht des Ausschusses recht bedauerlich, daß sich bisher keine Gelegenheit geboten hatte, diese immerhin recht bedeutsamen Fragen der Interparlamentarischen Union hier zu behandeln. Aber da wir selber alle mit an dieser Überfülle der Arbeit, an diesem vielen Kleinholzhacken beteiligt sind, wissen wir, daß es eben nicht anders möglich war. Wir begrüßen es aber immerhin sehr, daß wenigstens vor der jetzt bevorstehenden Jahrestagung in Helsinki, Ende des kommenden Monats, die Dinge in dieser knappen Form behandelt werden können.
Da es das erstemal ist, daß der Deutsche Bundestag sich mit Fragen der Interparlamentarischen Union befaßt, ist es nach einstimmiger Auffassung des Auswärtigen Ausschusses doch erforderlich, mit
**) Siehe Anlage 7.
ganz wenigen Strichen die Bedeutung und die geschichtliche Entwicklung der Interparlamentarischen Union vor Ihnen aufzuzeigen. Es gibt so schrecklich viele internationale Organisationen, daß man leicht versucht ist, auch die Interparlamentarische Union als etwas vielleicht Überflüssiges anzusehen.
Sie ist immerhin, da sie 1889 gegründet worden ist, das älteste und ehrwürdigste Institut internationaler Zusammenarbeit, 66 Jahre alt. Es hat viele Jahrzehnte der Vorbereitung und Vorarbeit bedurft. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 war schließlich der letzte Anstoß. Im Jahre 1889, gelegentlich der Pariser Weltausstellung, wurde sie in Paris aus der Taufe gehoben. Damals waren es nur erst neun Mitglieder, neun Parlamente, darunter Frankreich, England und die Vereinigten Staaten. Aber schon bald schlossen sich viele andere an, so schon 1890 der Deutsche Reichstag der Kaiserzeit und später der Weimarer Zeit. Herr Alterspräsident Löbe, uns allen als verehrungswürdige Persönlichkeit bekannt, war viele Jahre Präsident der deutschen Gruppe der Interparlamentarischen Union. Die Union ist stolz darauf, daß die auf der ersten Haager Friedenskonferenz im Jahre 1899 angenommene internationale Schiedsgerichtskonvention auf ihren Vorarbeiten beruht hatte. Bisher haben 43 Jahrestagungen stattgefunden, die letzte im vorigen Jahr in Wien. Auch in Berlin haben zwei stattgefunden, in den Jahren 1908 und 1928.
Ich darf Ihnen mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ganz kurz den Art. I verlesen; denn Sie, meine verehrten Damen und Herren, sind auf Grund eines einstimmigen Beschlusses des Hohen Hauses sämtlich Mitglieder der Interparlamentarischen Union. Es ist deshalb vielleicht ganz angenehm, im Vorbeigehen schnell den Art. I der Statuten zu lesen und zu hören:
Die Interparlamentarische Union setzt sich das Ziel, die persönliche Fühlungnahme unter den Mitgliedern aller Parlamente, in denen Landesgruppen bestehen, zu fördern, diese zu gemeinsamem Vorgehen zusammenzufassen, um ihre betreffenden Staaten vor allem mittels einer allumfassenden Völkerorganisation an der Festigung und am Ausbau der demokratischen Einrichtungen wie auch an der Ausgestaltung des Friedenswerks und der Zusammenarbeit der Völker zu beteiligen. Zu diesem Zweck nimmt sie zu allen denjenigen internationalen Problemen Stellung, deren Lösung auf parlamentarischem Wege gefördert werden kann, wie sie auch jedwede Anregung vorzubringen beabsichtigt, die geeignet ist, das parlamentarische System auszubauen, seine Wirksamkeit zu verbessern und sein Ansehen zu erhöhen.
Das sind, ganz kurz, die Ziele und Zwecke der Interparlamentarischen Union. Sie hat selber natürlich die beiden Weltkriege auch nicht verhindern können — wer hat das gekonnt? —, aber sie hat die beiden Weltkriege überstanden. Sowohl nach dem ersten wie nach dem zweiten Weltkrieg ist sie gleich wieder in Tätigkeit getreten, nach dem ersten Weltkrieg 1921 in Stockholm und später, 1947, in Kairo.
Die Basis sind natürlich, wie ich vorhin sagte, die Mitglieder der angeschlossenen Parlamente.
Augenblicklich gibt es 43 solcher nationaler Gruppen: dazu gehören, wie gesagt, auch wir. Der Kreis der Beteiligten geht von Nord- und Südamerika über ganz Europa bis hin zum fernen Osten. Insgesamt sind es augenblicklich rund 6000 Parlamentarier. An der Spitze steht ein Exekutivkomitee von sieben Mitgliedern unter der Leitung des englischen Lord Stansgate, des augenblicklichen Präsidenten der IPU. Daneben gibt es einen Rat der Interparlamentarischen Union, dem je zwei Mitglieder aller Gruppen angehören. Von unserer Seite sind es unser verehrter Kollege Carlo Schmid und meine Wenigkeit.
Die Arbeitsweise der Interparlamentarischen Union! Ganz kurz: Es gibt ein Generalsekretariat in Genf, das ausgezeichnet arbeitet. An der Spitze steht der Schweizer Generalsekretär de Blonay, ein hervorragender Kenner internationaler Zusammenarbeit. Das Generalsekretariat bereitet zusammen mit dem Exekutivkomitee das Arbeitsprogramm des Jahres vor. Im Frühjahr finden alsdann stets die erforderlichen Ausschußsitzungen statt. Die Vorschläge dieser 6 Ausschüsse kommen dann im Herbst auf der Jahrestagung zur Aussprache und Abstimmung.
Die Stoßkraft der IPU, meine Damen und Herren, ist naturgemäß nicht übergroß. Die IPU ist eben auch ein Kind ihrer Zeit; ihre Wirksamkeit steht und fällt mit dem Interesse, das sie bei ihren angeschlossenen Parlamentariern findet! Diese Parlamentarier haben nach dem Statut die Verpflichtung, in ihren Kreisen und auch bei ihren Regierungen für die Entschließungen der Interparlamentarischen Union einzutreten.
Ich darf Sie nun bitten, ganz kurz mal die Drucksache 926 zur Hand zu nehmen. Sie sehen dort auf der zweiten Seite die Bezugnahme auf den Art. 5, wonach die nationalen Gruppen verpflichtet sind,
— ich bezweifle, ob es allen bekannt ist; deshalb lese ich es vor — ihr Parlament über ihren Vorstand mit den Ergebnissen der Konferenzen zu befassen, die eine parlamentarische oder Regierungsinitiative erfordern. Darüber ist dann laufend Bericht zu erstatten.
In der Drucksache sind weiterhin die drei Entschließungen des vergangenen Jahres aufgezeichnet, die eine über die Tätigkeit der Vereinten Nationen mit einem klaren Bekenntnis zur Organisation der Vereinten Nationen; für uns besonders interessant, weil sie einen Appell an die zuständigen Organe der UNO enthält zu noch größerer Universalität und zur möglichst baldigen Aufnahme von Staaten, die der UNO noch nicht angehören. Außerdem sollen die Arbeitsmethoden der UNO verbessert werden.
Die zweite Entschließung betrifft die Rüstungsbeschränkung und die Sicherheit. Dies sind vielleicht keine ganz neuen Gedanken. Es ist aber sehr beachtlich, daß es immerhin berufene Vertreter von gut 3 Dutzend Parlamenten dieser Erde waren, vom Westen bis zum äußersten Osten, die sich in Wien auf diese Grundsätze betreffend Abrüstung, internationale Verständigung, Verbot der Atomwaffen usw. geeinigt haben.
Die letzte Entschließung bezieht sich auf die internationalen Urheberrechtskonventionen, die ich im Drange der Zeit nicht im einzelnen behandeln kann.
Soweit mein Bericht über die Drucksache 926. Der Auswärtige Ausschuß hat mich aber gestern ausdrücklich beauftragt, darauf hinzuweisen, daß es damit an sich natürlich noch nicht getan ist. Es steht, wie ich schon vorhin sagte, die Jahrestagung in Helsinki Ende des nächsten Monats bevor. Damit können wir uns heute nicht befassen; aber andeutungsweise muß ich namens des Auswärtigen Ausschusses doch darauf hinweisen. Denn hier stehen sehr entscheidende Fragen auf der Tagesordnung, die wahl an den Grundlagen der IPU rütteln. Es dreht sich vor allem darum, ob durch Statutenänderung die Möglichkeit geschaffen werden soll, daß künftig auch sogenannte Parlamente von Oststaaten, in denen keine ordnungsmäßigen demokratischen Wahlen stattfinden, an den Arbeiten der IPU teilnehmen können. Als die IPU im Jahre 1889 gegründet wurde, war es natürlich nicht notwendig, den Begriff eines Parlamentes zu definieren, da er damals selbstverständlich war. Mittlerweile halben wir seit Hitler und seinen Nachfolgern da und dort aber einiges dazugelernt. Wir stehen in Helsinki vor der entscheidenden Frage, welche Lösung hier gefunden werden kann. Unsere Delegierten sind dort nicht Beauftragte und sind nicht an Weisungen gebunden. Aber wir wollen zuversichtlich hoffen, daß sie nur solchen Lösungen zustimmen werden, die einerseits mit den Grundsätzen wahrer Demokratie, andererseits aber auch der friedlichen Zusammenarbeit der Völker vereinbar sind.
1 Damit, meine Damen und Herren, bin ich mit meinem Bericht fertig, der, wie ich glaube, im Verhältnis zu den großen Problemen, die hier zur Debatte stehen, doch außerordentlich kurz war. Ich habe die Ehre, namens des Auswärtigen Ausschusses auf Grund seines einstimmigen Beschlusses das Hohe Haus zu bitten, dem Ihnen vorliegenden Antrag Drucksache 1613 zuzustimmen, der wie folgt lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Das Schreiben des Generalsekretärs der Interparlamentarischen Union und des Präsidenten der 43. Interparlamentarischen Konferenz vom 6. September 1954 mit Anlagen
- das ich eigens deshalb vorhin zitiert habe - wird zur Kenntnis genommen.
2. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten wird beauftragt, sich im weiteren mit dem Inhalt der hiermit vorgelegten Entschließungen der Interparlamentarischen Union zu befassen und dem Deutschen Bundestag gegebenenfalls entsprechende Empfehlungen vorzulegen.