Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine politischen Freunde und ich sind über die Vorlage betreffend die Krankenversicherung der Rentner, die wir heute behandeln, erfreut. Die Wünsche, die die Rentner in den letzten Jahren geäußert haben, sind zu einem erheblichen Teile erfüllt worden. Ich möchte aber gleich zu Beginn meiner Ausführungen sagen, daß in diesem Entwurf auch ein Tropfen Wermut zu finden ist. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen.
Wenn wir die Krankenversicherung der Rentner, so wie sie vor uns liegt, ansehen, können wir feststellen, daß den Wünschen der Rentner insoweit Rechnung getragen ist, als sie nun zu den größeren Heilmitteln und auch zu dem Zahnersatz gelangen können, was gerade für diese alten Menschen sicherlich sehr, sehr notwendig ist. Herr Kollege Dr. Hammer hat das schon ganz besonders betont. Diese Menschen befinden sich, wenn sie aus ihrem Berufe ausscheiden und ihren Antrag auf Rente stellen, in der Zwischenzeit nicht mehr in der Rechtsunsicherheit, sondern ihr Versicherungsschutz geht dadurch, daß sie ihrer bisherigen Krankenversicherung weiterhin angehören können, insoweit auch weiter.
Man spricht davon — und das ist heute geschehen —, daß dieses Gesetz schon in den Raum der Neuordnung der Sozialgesetzgebung oder, wie wir es sonst nennen, der kommenden Sozialreform vorstößt. Nun, die gute Absicht hat man sicherlich gehabt, aber das Grundproblem, nämlich die Frage: Versicherungsprinzip oder Versorgungsprinzip?, ist dabei in keiner Weise der Lösung nähergebracht worden. Ich sage das deshalb, weil auch diesem Gesetzentwurf in erheblicher Weise eine Mischung aus beiden Systemen zugrunde liegt.
Wir sind im Augenblick auch noch gar nicht imstande, ein solch außerordentlich wichtiges Teilgebiet zu klären, ja nicht einmal, es anzuschneiden, das gerade die Kreise der Bevölkerung angeht, die schon so sehr lange auf eine wirksame Hilfe in ihrem so schwierigen Daseinskampf warten, auch nicht, wenn man davon spricht, daß hier schon Tendenzen einer Neuordnung der Sozialgesetzgebung wirksam werden.
Aber wir haben dabei noch etwas anderes zu bedenken. Wir freuen uns selbstverständlich, daß man mit der Krankenversicherung der Rentner Wünschen der Rentner entgegengekommen ist. Auf der anderen Seite — das ist ja das Schicksal eines jeden Entwurfs, der dem Hohen Hause vorgelegt wird — liegen heute schon aus den verschiedensten Kreisen Wünsche, aber auch Klagen vor, daß dies oder jenes doch auch seine Schwierigkeiten habe. Früher lag der Schutz der alten Kranken bei den Landkrankenkassen und bei den Ortskrankenkassen. Damals haben sich die Ersatzkrankenkassen benachteiligt gefühlt. Heute hat man alle Krankenkassen daran beteiligt und so jedem Rentner die Möglichkeit gegeben, seiner bisherigen Krankenversicherung weiter anzugehören. Aber wir wissen auch, daß die Orts- und Landkrankenkassen mit der neuen Regelung nicht einverstanden sind, weil sich, wie sie sagen, die finanziellen Schwierigkeiten dadurch noch erheblich steigern. Die Ersatzkrankenkassen sind ebenfalls nicht zufrieden; sie hatten sich vorgestellt, daß das Auftragsangelegenheiten würden. Wir sollten Sozialträgern — darüber müssen wir uns im Ausschuß klar sein —, wie es letzten Endes auch die Einrichtungen der Krankenkassen sind, nicht etwas zumuten, was sie finanziell nachher nicht lösen können und was dann zu Lasten der gesamten Mitgliedschaft der Krankenkassen geht. Ich überlasse es jedem einzelnen, zu beurteilen, ob und inwieweit diese Argumentation der Krankenkasseneinrichtungen hier oder da vielleicht übertrieben sein könnte. Immerhin sollten wir uns damit beschäftigen.
Soeben ist ein Problem angeschnitten worden, das zu einer Kontroverse zwischen dem Herrn Bundesarbeitsminister und Herrn Professor Schellenberg geführt hat: inwieweit die freiwillig Weiterversicherten und die freiwillig Versicherten überhaupt hier ausgeschlossen werden sollen. Eines ist sicher: was als Rechtsanspruch erworben ist, muß unter allen Umständen erhalten bleiben und erfüllt werden.
Das Grundproblem aber, wie nämlich die Rentengestaltung in der Sozialreform aussieht, bedarf der Klärung. Dabei müssen wir uns damit beschäftigen, wie weit man Voraussetzungen für eine freiwillige Versicherung schaffen kann. Wir hören oft genua Klagen aus den Kreisen der Rentner; es wird Kollegen aus anderen Fraktionen ähnlich gehen. Sie sagen: Wir sind jahrelang in der Rentenversicherung gewesen, haben unsere Beiträge gezahlt und müssen nun — nach bestimmten Rechnungen läßt sich das nachweisen — die Ansprüche solcher Versicherungsberechtigten mitfinanzieren, die freiwillig kleine Beträge gezahlt haben. oftmals sehr kurzfristig; deren Ansprüche finanzieren sich nachher nicht aus diesen Beiträgen.
Wir sollten uns deshalb auch einmal mit den Einwendungen beschäftigen, die aus den Rentner-
kreisen kommen und die sich gegen diese Regelung richten. Wir müssen es auch tun, um einmal zu einer gründlichen Feststellung der Tatsachen zu kommen. Es ist sehr schwer für uns, an dieses Problem zu rühren; denn wir haben es hier mit einer Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner zu tun. Dabei ist ein Vorgriff auf die kommende Sozialreform gemacht worden. Die Tatsache, daß die grundsätzlichen Fragen noch nicht geklärt sind — wir haben diese Klärung bisher noch gar nicht vornehmen können —, macht uns die Behandlung dieser Dinge wahrscheinlich sehr schwer. Trotzdem sollten wir es versuchen.
Ich habe vorhin von dem „Wermutstropfen" gesprochen. Dazu folgendes. Wir sagen — das hat auch der Herr Bundesarbeitsminister gesagt, und es ist auch von Herrn Dr. Franz ausgeführt worden —, daß wir hier in den Raum der Sozialreform vorstoßen. Jeder von uns hat seine Vorstellungen von der Sozialreform. Auf Grund von Unterhaltungen, die wir alle mit dem einen oder anderen einmal geführt haben, müssen wir sagen: es gibt allzu viele Vorstellungen von der Sozialreform. Wir haben bisher zuwenig davon gehört, um uns bereits ein zusammenhängendes Bild machen zu können. Das soll bestimmt kein Vorwurf sein. Wir wissen: Wenn etwas im Werden ist, soll man nicht allzu früh davon sprechen, weil eine zu frühzeitig einsetzende Kritik die Entwicklung der Dinge vielleicht stören könnte.
Man stößt also nun in den Raum der Sozialreform vor und beginnt dabei mit Maßnahmen, die eine Belastungsprobe für den Kreis unserer Bevölkerung darstellen, der in aller Geduld, in aller Bescheidenheit, in aller Zurückhaltung den schwierigsten Daseinskampf führt und seit Jahr und Tag auf die wirkliche Rentenreform wartet. Wenn dieser Bevölkerungsteil nun zum erstenmal etwas aus diesem Neuland der Sozialreform vorgesetzt bekommt und sich dies dann als eine finanzielle und wirtschaftliche Belastung herausstellt, dann muß das — es kann gar nicht anders sein — zu einer großen Enttäuschung für diese Menschen führen. Deshalb möchte ich auch für meine Freunde und mich sagen, daß wir diesen Teil des Gesetzes keinesfalls unterstützen können. Wir werden uns mit Ihnen allen gern darum bemühen, hier einen Weg zu finden. Eine Kostenbeteiligung des Rentners kann weder beim Krankenhausaufenthalt noch in Form der Krankenscheingebühr noch in Form der Arzneiverordnungsgebühr in Frage kommen.
Hier ist sehr oft von der Wirtschaftlichkeit gesprochen worden. Ich habe ja selbst vorhin einige Betrachtungen in bezug auf diejenigen Krankenkasseneinrichtungen angestellt, die hier nun gewisse Verpflichtungen übernehmen müssen, ohne, wie sie sagen, einen Einfluß auf die Ausgabengestaltung zu haben. Wir wissen sehr wohl, daß man auch solche Überlegungen anstellen muß. Wenn man aber von dieser Seite aus die wirtschaftlichen Betrachtungen anstellt, dann muß man gerechterweise wohl auch die Frage stellen: Wie sind denn die wirtschaftlichen Verhältnisse der Rentner? Die Rentner sollen in ihrem Alter, in ihrer Schutzbedürftigkeit und auch Schutzwürdigkeit aus ihren geringen Renten Beiträge aufbringen, wenn sie ins Krankenhaus kommen oder den Arzt aufsuchen müssen. Das sollten wir doch auch einmal vergleichsweise gegenüberstellen. Wir sollten das hier zum Ausdruck kommende Prinzip, glaube ich, in erster Linie vom sozialpolitischen Gesichtspunkt aus behandeln. Wir können vielleicht später bei der Sozialreform, wenn wir den ganzen Aufgabenkomplex vor uns haben, darüber diskutieren, inwieweit in diesem Bereich eine Kostenbeteiligung in Frage kommen kann. Man kann doch aber diese Grundsatzfrage nicht vorwegnehmen und sie nun einfach von sich aus für einen Teil der Bevölkerung lösen, der heute in der allergrößten Bescheidenheit leben muß. Ich meine, man dürfte diese Frage erst dann anschneiden, wenn die Rentenreform da ist. Man soll sich auch völlig darüber im klaren sein, .daß ein erhebliches Stück Wahrheit dahinter steht, wenn heute die Rentner uns anschreiben, bei uns vorsprechen und auch durch ihre Organisationen uns sagen lassen: Die doch sehr bescheidenen Segnungen des Renten-Mehrbetrags-
Gesetzes sind nicht dazu da, daß sie ihnen auf der anderen Seite dadurch wieder abgenommen werden, daß sie, wenn sie in ihrem Alter hilfsbedürftig und öfter krank werden als in früheren Jahren, nun diese Mehrbelastung haben. Wie wir wissen, bekommen nur 5 % der Rentner den Höchstbetrag von 30 DM, während die anderen Mehrbeträge außerordentlich bescheiden sind.
Wir sollten auch einmal untersuchen, wie viele Rentner überhaupt davon erfaßt werden. Wir sollten ebenfalls einmal untersuchen und sollten im Ausschuß den Herrn Bundesarbeitsminister um Auskunft bitten — ich darf es Ihnen vielleicht jetzt schon sagen, Herr Bundesminister —, wie viele Familienversicherte davon erfaßt werden. Wir sollten uns im Ausschuß auch einmal Gedanken darüber machen, ob nicht dadurch, daß die schätzungsweise 6 Millionen Rentner, von denen man spricht, sich, wie ich mir habe sagen lassen, auf 2059 Krankenkassen verteilen, ein erheblicher Aufwand an Verwaltungskosten entsteht; auch darüber müßte doch einiges gesagt werden können.
Trotz der Vorteile, die die Rentner durch dieses Gesetz in gewissen Punkten haben — das geben wir sehr erfreut zu —, können wir uns unter gar keinen Umständen mit der Kostenbeteiligung der Rentner abfinden. Wir werden uns einer solchen Regelung stets in aller Form widersetzen; das sage ich jetzt schon ganz offen. Diese Frage muß zumindest solange zurückgestellt werden, bis wir im Rahmen der Sozialreform eine echte Rentenanhebung haben. Wir sehen das Renten-Mehrbetrags-
Gesetz nur als ein Übergangsgesetz an, das außerhalb der kommenden Sozialreform zu stehen hat.
Wir sind davon überzeugt, daß wir in der Zusammenarbeit im Sozialpolitischen Ausschuß sicherlich die eine oder die andere für die Rentner nachteilige Regelung dieses Gesetzes ausräumen werden. Wir hoffen, daß wir mit diesem Gesetz gerade diesem Kreis von Menschen, die mit Recht nun endlich einmal eine praktische Hilfe von uns erwarten, etwas Gutes bieten werden. Wenn dieses Gesetz ein Beginn zur Sozialreform ist, so hoffen wir im Anschluß daran die für die Rentner größere, wichtigere Frage lösen zu können: daß ihre Renten sich endlich zu einer Höhe entwickeln, die der Kaufkraft angepaßt ist.
Ich brachte schon zum Ausdruck, daß wir uns über gewisse Verbesserungen für die Rentner freuen. Aber wir müssen auch offen aussprechen, daß wir die Kostenbeteiligung, soweit sie die Rentner betrifft, keinesfalls gutheißen können, sondern sie auch im Sozialpolitischen Ausschuß ablehnen
werden
Ich habe aber noch den Auftrag von meiner Fraktion, Ihnen zu sagen, daß es unserer Ansicht nach wohl notwendig sein wird, diesen Gesetzentwurf nicht nur dem Ausschuß für Sozialpolitik zuzuweisen, sondern außerdem — und diesen Antrag möchte ich hiermit stellen — zur Mitberatung dem Ausschuß für Gesundheitswesen.