Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das zarte Pflänzchen, das da vor dem 1. Weltkrieg in den deutschen Boden ge- bracht wurde, das „Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung" heißt, ist inzwischen zu einem mächtigen Baum gewachsen, der weiter gepflegt werden und der vor allem davor bewahrt werden muß, daß keine Fehlentwicklungen kommen.
Der Kollege Odenthal hat diese Novelle einer scharfen Kritik unterzogen und hat davon gesprochen, daß man doch erst abwarten sollte, daß man dann gleich ein ganzes Gesetz schaffen und nicht Flickwerk liefern sollte. Wir sind anderer Ansicht. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Rechtszersplitterung, die gerade auf dem Gebiet der Arbeitslosenunterstützung und Arbeitsvermittlung besteht, beseitigt werden muß. Wir sind weiterhin der Ansicht, daß die verschiedenen Normen in den Ländern einer Vereinheitlichung bedürfen. Gerade die Sozialdemokratie darf uns meines Erachtens den Vorwurf des Flickwerks an einer Sozialreform nicht machen, weil sie es doch war und ist, die mit immer neuen Anträgen auf dem Gebiet des Sozialen an uns herankommt und versucht, diese Anträge durchzubringen.
— Ja gerade deshalb, weil angeblich nichts getan wird, müssen wir doch wenigstens ein großes Sachgebiet, nämlich das der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung, einmal zu regeln beginnen. Es ist, glaube ich, Pflicht, daß wir den Herren des Arbeitsministeriums, die an dieser Novellierung gearbeitet haben, den herzlichsten Dank aussprechen.
Es ist nicht Übung, bei der ersten Lesung Ausführungen über die Einzelheiten zu machen, und es ist bei dem übergroßen Interesse des Hauses an dieser Novelle auch nicht notwendig, nun die einzelnen Normen unter die Lupe zu nehmen. Gestatten Sie mir deshalb, ganz kurz von einigen Gesichtspunkten aus die Novelle zu betrachten.
Zunächst darf ich zum Ausdruck bringen, daß auch wir es gern gesehen hätten, wenn das ganze Gebäude der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung nun gleich in e in e m Gesetz hätte bearbeitet werden können. Es wurde aber bereits dargetan, daß das im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist, weil vor allem die geplante Sozialreform, die wir vom Herrn Bundesarbeitsminister so bald als möglich erbitten, noch Einflüsse auf dieses Gesetz nehmen kann. Was wir im gegenwärtigen Zeitpunkt tun, kann also nur von vorübergehender Bedeutung sein und muß nicht unbedingt Ewigkeitswert haben.
Schon der Name dieses Gesetzes sagt, daß in ihm zwei Probleme behandelt werden, nämlich einmal das Problem der Arbeitsvermittlung und zum zweiten das Problem der Arbeitslosenunterstützung.
Die Arbeitsvermittlung scheint in den Vordergrund gerückt werden zu müssen; sie ist gerade
für das Land, aus dem ich komme, nämlich für Bayern, von entscheidender Bedeutung. Sie wissen sicher aus der Statistik, daß Bayern von sämtlichen Bundesländern die weitaus größte Zahl von Arbeitslosen hat, daß im Jahre 1954 jahresdurchschnittlich 200 000 Männer und 100 000 Frauen arbeitslos gewesen sind. Darüber hinaus möchte ich auch von diesem Podium aus noch einmal mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß in den ostbayerischen Gebieten in einzelnen Landkreisen 30, 35 und 40 % Arbeitslose vorhanden sind und daß es hier für die Bundesregierung allerhöchste Zeit ist, in Verbindung mit der Bundesanstalt einmal Abhilfe zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ich darf auch als Angehöriger einer Koalitionspartei hier zum Ausdruck bringen, daß der Herr Bundeskanzler im Wahlkampf vor der Bundestagswahl 1953 in Regensburg diesen Notstandsgebieten im ostbayrischen Raum seine Hilfe zugesagt hat. Diese Hilfe ist bisher noch nicht zuteil geworden.
Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren, sagen, daß gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt dort im ostbayrischen Raum, aus dem ich komme, schärfste Kritik daran geübt wird. Es ist meine Pflicht, hier als Volksvertreter dieser armen Bevölkerung meine Stimme zu erheben, weil es nicht angeht, daß man im Westen eine Vollbeschäftigung hat und gar nicht weiß, woher man die Arbeitskräfte nehmen soll, während man in jenen Gebieten nach der Arbeit und nach dem Brot ruft. Da muß einmal Abhilfe geschaffen werden.
— Daß das nicht allein mit den Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung geschehen kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist eben notwendig, daß sich die Bundesregierung in Verbindung mit der bayrischen Staatsregierung Gedanken macht, wie man diese strukturelle Arbeitslosigkeit durch Schaffung neuer Betriebe und durch Stärkung der bestehenden Betriebe mildert oder beseitigt.
Noch ein Gebiet der Arbeitsvermittlung möchte ich hier ansprechen, das mir ganz besonders am Herzen liegt: das ist der überbezirkliche Ausgleich von Arbeitskräften. Sehen Sie, gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt holen uns die Arbeitsämter gerade unsere besten Kräfte nach Württemberg-Baden, nach Rheinland-Pfalz und nach anderen Gebieten des Westens. Darin sehen wir eine große Gefahr. Einmal wird — auch das muß hier zum Ausdruck gebracht werden — gerügt, daß die Unterbringungsmöglichkeiten nicht allerorts gut sind. Weiterhin müßte bei diesem überbezirklichen Ausgleich noch wesentlich mehr Wert auf die Versorgung der Familien gelegt werden. Des weiteren müßte man bedacht sein, diese Familien auch nachzuziehen. Hier liegt es eben am Problem des Wohnungsmangels auch in den Gebieten des Westens. Infolge des Wohnungsmangels ist es nicht möglich, einen Arbeitslosen hier in Einsatz zu bringen und gleich seine Familie nachzuziehen. Meine Damen und Herren, ich sagte bereits, dieser überbezirkliche Ausgleich kann angesichts der Schwierigkeiten, die nun einmal bei uns gerade im ostbayrischen Raum hinsichtlich der Arbeitslosigkeit bestehen, nicht auf die Dauer hingenommen werden.
Der Herr Kollege Odenthal hat nun kritisiert, daß über die Arbeitsverwaltung hinaus auch noch andere Verbände die Arbeitsvermittlung betreiben können. Er hat offenbar an unsere karitativen Verbände gedacht, wenn ich ihn richtig verstanden habe, und er glaubte, daß durch diese karitativen Verbände nicht immer die Normallöhne oder Tariflöhne gesichert werden könnten. Wir haben uns über dieses Problem ja erst vor kurzer Zeit hier im Bundestag unterhalten, und es bedarf keiner besonderen Ausführungen mehr in dieser Richtung. Wir möchten nur zum Ausdruck bringen, daß wir an dieser Vermittlungstätigkeit der karitativen Verbände gerade im Interesse unserer Frauen und unseres hauswirtschaftlichen Nachwuchses festhalten wollen und festhalten werden, gleich, ob es der Sozialdemokratie paßt oder nicht.
Ich darf mich nun mit den Fragen der Versicherungspflicht beschäftigen. Ich möchte nur einzelne Probleme herausgreifen: das Problem der Landwirtschaft und das Problem der Heimarbeiter. Es ist unmöglich, im Rahmen dieser ersten Lesung alle Einzelprobleme zu behandeln, wie das zum Teil vom Kollegen Odenthal getan wurde. Wir können hier nur versuchen, die Probleme anzudeuten, und müssen uns dann im Ausschuß für Arbeit im einzelnen damit beschäftigen.
Sehen Sie einmal eines — das vorzutragen haben mich meine Freunde aus der CSU verpflichtet —: Unsere Landwirtschaft hat gerade in den Hochzeiten der Arbeit, also insbesondere in den Zeiten der Ernte, mit der Beschaffung von Arbeitskräften die größten Schwierigkeiten. Sie hat nicht die Möglichkeit, eine 40-Stunden-Woche einzuhalten; sie muß 70, 80 und mehr Stunden in der Woche, gerade in den Zeiten der Ernte, arbeiten. Ich meine, daß wir uns gerade bei der Beratung dieser wichtigen Novelle befleißigen müssen, irgendeine Lösung zu finden, die es ermöglicht, die Kräfte, die in dieser Zeit nicht in Arbeit stehen und Arbeitslosengeld oder -hilfe beziehen, in den Arbeitsprozeß der Landwirtschaft einzuschalten.
Ich habe mich mit sozialpolitischen Fragen zu sehr beschäftigt, als daß ich vorschlagen möchte, daß das unter Belassung der Arbeitslosenunterstützung geschieht.
Ich habe aber den Gedanken, daß der Bund hier irgendwie mithelfen und die zur Einweisung bringen sollte — jawohl, Herr Hansen! —, die nicht gewillt sind, ihrer Arbeitsverpflichtung nachzukommen. Das sind wir in diesen schwierigen Zeiten unserer Landwirtschaft letztlich schuldig.
— Das hat mit Zwangsarbeit gar nichts zu tun.
— Sie kennen ja das Gesetz und wissen, daß das Arbeitsamt im Rahmen der Arbeitsvermittlung auch die Möglichkeit hat, Arbeitsplätze zuzuweisen.
Meine Damen und Herren, im Ausschuß für Arbeit wird vor allem die Frage gründlich überprüft werden müssen, inwieweit der § 70 AVAVG, d. h. die Bestimmung über die Arbeitslosenversicherungspflicht der landwirtschaftlichen Kräfte, so durchgeführt werden kann, wie es die Novelle vorsieht. Ich meine, daß man den Begriff der Haus-
gemeinschaft wieder in den Vordergrund rücken und von diesem aus zu der Frage Versicherungsfreiheit oder Versicherungspflicht Stellung nehmen sollte. Gänzlich unbefriedigend erscheint mir die Versicherungspflicht der Lehrlinge der ländlichen Hauswirtschaft zu sein. Ich glaube, daß wir hier zu anderen Ergebnissen kommen müssen.
Ein besonderes Wort muß zur Frage der Heimarbeiter gesagt werden. Die Beschränkung der Versicherungspflicht auf solche Heimarbeiter, die allein oder mit nicht mehr als zwei Familienangehörigen arbeiten, ist untragbar. Sie führt dazu, daß der im Heimarbeitergesetz vom 14. März 1951 gewährte Schutz gegenstandslos wird. Der Heimarbeiter — ohne Rücksicht auf die Zahl der mithelfenden Familienangehörigen — wird nur dann eine Minderentlohnung ablehnen können, wenn er im Falle der Arbeitslosigkeit ein Recht auf Arbeitslosenunterstützung hat.
Bezüglich der Hausgewerbetreibenden muß auch ein besonderes Wort gesagt werden, weil sie bei dieser Novellierung völlig ausgenommen sind. Es ist bekannt, daß Hausgewerbetreibende solche sind, die andere als Familienangehörige in Heimarbeit beschäftigen. Sie bedürfen eines besonderen Schutzes. Auch sie müssen der Arbeitslosenversicherung unterstellt werden. Ich nehme an, daß die Herren des Arbeitsministeriums diese Gesichtspunkte sicher würdigen und ihnen vielleicht noch Rechnung tragen werden.
Hinsichtlich der Höhe der Leistungen möchte ich noch ein Wort verlieren. Wir dürfen selbstverständlich keine Nivellierung zwischen dem Arbeitsentgelt und dem Arbeitslosengeld haben; denn sonst geben wir vor allem unseren jungen Menschen keinen Anreiz zur Arbeit mehr. Wir sind der Ansicht, daß die gegenwärtigen Arbeitslosengelder den derzeitigen Bedürfnissen entsprechen und nicht erhöht werden dürfen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß wir gerade unsere jungen Menschen dazu erziehen, von einem Arbeitslosengeld, früher Arbeitslosenunterstützung, zu leben und sich nicht mehr bemüßigt zu fühlen, einer Arbeitsverpflichtung nachzukommen.
Wir haben dagegen gleich dem Vortrag des Herrn Odenthal Bedenken, ob wir es bei der Regelung der Abfindungen so belassen können, wie es der Gesetzentwurf vorsieht. Daß auch in dieser Novelle die Siedlungshilfe besonders in den Vordergrund gerückt ist, erfüllt uns mit Freude.
Eines möchte ich zu den Ausführungen von Herrn Odenthal noch zum Ausdruck bringen. Wenn er der Ansicht ist, daß es mit einer Versicherung nicht vereinbar ist, Sperrfristen einzubauen, dann weiß ich nicht mehr, wieweit unsere Ansichten in den Fragen der Arbeitslosenunterstützung schon gediehen sind. Herr Odenthal, wie wollen Sie denn dann einen Menschen, der nicht arbeitswillig ist, der Arbeiten konstant ablehnt, der freiwillig seinen Arbeitsplatz verläßt, wirklich nachdrücklich veranlassen, sich in Zukunft im Interesse derer, die ihren Verpflichtungen nachkommen, auch ihren Verpflichtungen zur Beitragszahlung, zu wandeln, wenn Sie die Möglichkeit der Sperrfristen aus diesem Grunde nehmen wollen? Wir begrüßen es deshalb, daß die Sperrfristen im Interesse der Verhinderung von Mißbräuchen erhöht wurden. Wir wollen nur hoffen, daß die Arbeitsverwaltungen möglichst wenig von dieser Institution der Sperrfristen Gebrauch machen müssen; denn das hieße dann, daß wir die Arbeitsmoral in unserem deutschen Volke um ein Erhebliches verbessert hätten.
Auch das Schwarzarbeitsgesetz, das wir gerade im Ausschuß für Arbeit behandeln, wird dazu dienen, daß demjenigen, der in erheblichem Umfang, ich möchte sagen: sittenwidrig, aus Gewinnsucht Schwarzarbeit leistet, das Handwerk gelegt wird und daß sich wieder normale Verhältnisse einstellen.
Ein besonderes Wort muß noch gerade im Interesse unserer Zonenrandgebiete und all der Gebiete, die eine große Anzahl von Arbeitslosen haben, zur Frage der Umschulung gesagt werden. Von der Umschulung sollte man gerade in den Gebieten, in denen Arbeitslose in überreichem Maße vorhanden sind, in ganz besonderer Weise Gebrauch machen. Allerdings müssen die Bedingungen der Umschulung, die Voraussetzungen und Begleitumstände der Umschulung von seiten der Bundesanstalt noch weit mehr verbessert werden. Es wird vor allem darauf Bedacht genommen werden müssen, daß die Ausbildung und der Unterhalt während der Zeit der Umschulung besser gewährleistet werden, als das im gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist.
Die Arbeitslosenhilfe in der Novelle bedeutet für Bayern und, ich glaube, auch für Baden-Württemberg eine Verbesserung; denn der Kreis derer, denen Arbeitslosenhilfe zuteil wird, wird erheblich vergrößert. Dadurch wird zu Lasten des Bundes den Gemeinden und damit unserer öffentlichen Fürsorge eine spürbare Entlastung zuteil werden. Wir haben uns erst vor ganz kurzer Zeit mit dieser Frage hier im Bundestag beschäftigt. Herr Odenthal, hier haben wir wieder einen Antrag, der ja auch nur Flickwerk gewesen ist und den Sie seinerzeit eingebracht haben, daß nämlich die Arbeitslosenfürsorge in ,diesen Ländern dem übrigen Bundesgebiet angepaßt werden soll.
— Bayern scheint nachzuhinken, weil es auf Grund des Besatzungsrechts eben diese Hindernisse hatte und hintangesetzt wurde. Wir freuen uns deshalb, daß die Arbeitslosenhilfe in diesen Ländern, die, wie Herr Odenthal sagte, nachhinken, angeglichen wird und daß ihnen das zuteil wird, was den anderen schon seit längerer Zeit zuteil geworden ist.
Alle Gesetze, insbesondere dieses Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, sind nur Menschenwerk. Alle diese Gesetze können uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir gerade in der Ausbildung unserer Jugend und gerade in der charakterlichen Erziehung unserer arbeitenden Menschen alles tun müssen, um zu bewirken, daß die Arbeit als solche den Menschen wieder Freude macht und der Allgemeinheit Nutzen und damit dem deutschen Volk eine Befriedung und Beruhigung bringt.