Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben dem Deutschen Bundestag bekanntgegeben, daß die Ratifizierungsurkunden des gesamten Vertragswerks von London und Paris heute hinterlegt worden sind. Die Verträge sind damit in Kraft getreten.
Niemand von uns wird sich dem tiefen Eindruck entziehen können, den diese Mitteilung auslöst, und ich stehe nicht an, zu erklären, daß meine politischen Freunde und ich selbst auf das tiefste bewegt sind. Der heutige Tag weckt Erinnerungen an die zurückliegende Zeit. Er erinnert an die Jahre, in denen eine unselige Führung das Ansehen und die Achtung des deutschen Volkes verspielte. Er erinnert an den beispiellosen Zusammenbruch des Jahres 1945, der jede staatliche, wirtschaftliche und soziale Ordnung zerstörte und von dem viele befürchteten, daß er auch die geistige und sittliche Ordnung in seinen Strudel ziehen und vernichten würde. Er erinnert uns an zerstörte Wohnungen und leere Arbeitsplätze, zwischen denen Millionen von Menschen herumirrten, die Haus, Hof und Existenz verloren hatten und von denen viele auch ihre Heimat hatten aufgeben müssen. Er erinnert uns an die Zerreißung unseres Vaterlandes, die bis zur Stunde noch andauert und die es Millionen von deutschen Menschen unmöglich macht, ihre Anstrengungen mit den unseren zu vereinen und an dem Wiederaufbau des gesamten Deutschlands mitzuwirken. Er erinnert uns aber auch an die mutigen Bemühungen des deutschen Volkes, sich aus diesem Chaos zu befreien und dem deutschen Volke eine neue, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung zu geben. In den Teilen unseres Vaterlandes, in denen die Besatzungsmächte die freie Entfaltung der aufbauenden Kräfte unseres deutschen Volkes ermöglichten, ist eine solche neue Ordnung geschaffen worden, die ihren äußeren und sichtbaren Ausdruck in dem Entstehen und in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gefunden hat.
Mit dem heutigen Tage wird der Bundesrepublik Deutschland die souveräne Stellung eines freien und gleichberechtigten Staates zurückgegeben. Damit erlangen wir Rechte. Aber diesen Rechten steht auch die schwere Verantwortung gegenüber, die das deutsche Volk in der Bundesrepublik an diesem Tage auf sich nimmt. Diese Verantwortung wiegt um so schwerer, als wir sie auch tragen müssen für diejenigen, die noch von uns getrennt sind.
Unsere politische Arbeit wird weitergehen. Sie wird unbeirrbar dem gleichen Ziele gelten wie seither: ein freies, wiedervereintes deutsches Volk in Frieden einzugliedern in die Gemeinschaft der freien Völker der Welt. Wir werden unsere Bemühungen vereinigen mit allen denen, die mit uns an die Freiheit glauben und das Recht des Menschen achten. Wir werden alles daransetzen, das Vertrauen zu erhalten und zu stärken, das die freie Welt uns entgegengebracht hat und das einen so sichtbaren Ausdruck in den Verträgen findet.
Ich möchte hier an dieser Stelle und zu dieser Stunde den Regierungen und ihren Vertretern danken, die sich in den Verträgen mit uns zusammengeschlossen haben, und ihnen versichern, daß für das neue Deutschland Verträge nicht politische Instrumente bedeuten, sondern daß wir uns der sittlichen Verpflichtung bewußt sind, die wir auch in diesen Verträgen übernommen haben.
Und Ihnen, verehrter Herr Bundeskanzler, möchte ich den tiefen Dank Ihrer Fraktion aussprechen. Seit nahezu sechs Jahren stehen Sie an der Spitze der Regierung der jungen deutschen Bundesrepublik. Unbeirrbar haben Sie daran gearbeitet, dem deutschen Volk das Vertrauen wieder zu verschaffen, das es verloren hatte, ihm Freundschaften zu vermitteln, um es aus seiner Isolierung zu befreien, und Partner zu gewinnen, die mit uns zusammen auch die obersten Ziele unserer Politik verfolgen werden.
Es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß unter Ihrer Führung, Herr Bundeskanzler, dem ganzen deutschen Volk das zurückgegeben wird, was heute durch die Verträge der Bundesrepublik anvertraut wird.
Mit diesem Dank, verehrter Herr Bundeskanzler, verbinde ich die Versicherung aufrichtiger Mitarbeit auch für die schweren Aufgaben, die noch vor Ihnen, die noch vor uns allen liegen.