Rede von
Dr.
Alfred
Gille
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister sich die Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion doch etwas leicht gemacht hat. Es ist richtig, daß die Anfrage sich in der Formulierung auf die noch ausstehenden Tranchen der Lastenausgleichsanleihe bezogen, die vor Jahren ein Versprechen, eine Zusage im Rahmen des Kompromisses gewesen sind, den damals die Regierungsparteien bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes f anden. Es ist aber doch unmöglich, das Gesamtproblem der Vorfinanzierung nun allein in solch einem engbegrenzten Teilausschnitt sehen zu wollen, wie es der Herr Bundesfinanzminister in seiner Antwort getan hat.
Mit dem Ansprechen des Begriffs der „Vorfinanzierung" war dem Herrn Bundesminister ohne weiteres die Aufgabe gestellt, die Bitte vorgelegt, sich einmal im Grundsatz zu dieser Frage zu äußern. Dieser Bitte ist der Herr Bundesfinanzminister mit großer Eleganz, aber restlos ausgewichen.
Wir müssen doch die Frage der Vorfinanzierung so sehen: Als das Lastenausgleichsgesetz zustande kam, waren sich alle, die politisch verantwortlich
an diesem Gesetz mitzuwirken hatten, darüber im klaren, daß etwas Sinnvolles aus dem Gesetz nur dann herauskommen könne, wenn es in großem Maße gelänge, die über Jahrzehnte sich ausdehnende Wirksamkeit dieses Gesetzes in die ersten Jahre komprimiert vorzuziehen. Wenn das nicht die Meinung gewesen wäre, dann wäre es ja völlig sinnlos gewesen, im § 7 des Lastenausgleichsgesetzes eine Kreditermächtigung in Höhe von 5 Milliarden, wenn ich nicht irre,
festzulegen. Wem war diese Ermächtigung erteilt? Dem Herrn Bundesfinanzminister als demjenigen, der die politische Verantwortung für die Durchführung dieses Gesetzes zu tragen hatte. Ich meine, es ist reichlich billig, wenn uns der Herr Bundesfinanzminister heute hier erklärt: „Bisher ist ja noch kein Malheur passiert!" In den letzten Jahren haben ja die glücklichen Umstände des nicht schnellen Abwickelns, also des Nichtfunktionierens des ganzen Apparates auf der einen Seite und die ungenügenden oder zu geringen Schätzungen des Aufkommens auf der anderen Seite, die Dinge leidlich laufen lassen. Dabei wird aber doch das eine vergessen: daß eine planvolle Eingliederung mit ganz anderer Intensität und ganz anderen Folgerungen in den letzten 3, 4 Jahren hätte erfolgen können, wenn diese gesetzliche Verpflichtung vom Herrn Bundesfinanzminister einmal wenigstens ernstlich angepackt, wenn auch nicht erfüllt worden wäre. Ich habe leider den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister die Dinge auch heute nicht in diesem großen Sachzusammenhang zu sehen gewillt ist.
Zum Thema Bank deutscher Länder kann man eigentlich nur mit Erschütterung sprechen. Ich weiß nicht, inwieweit die Verpflichtung besteht, gutachtliche Äußerungen dieser Herren zur Kenntnis zu nehmen. Ich glaube, eine gewisse Zuständigkeit ist da wohl gegeben. Wir können leider nicht mit einer Handbewegung über diese sogenannte gutachtliche Äußerung hinweggehen. Es ist aber für die Millionen Menschen, für die es hier um eine Leistung geht, auf die sie seit Jahren maßvoll und diszipliniert warten, unerträglich, wenn ein so hohes Gremium der wirtschaftspolitischen Führung überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, daß hier unter wirtschaftspolitischer Betrachtung unter allen Umständen auch die Berücksichtigung dieser sozialen Hypothek zu verstehen ist. Die Herren verfehlen ihre Verpflichtung, wenn sie ihre wirtschaftspolitischen Führungsaufgaben so eng zu betrachten pflegen.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, daß die Hausratsentschädigung, ich glaube, im Jahre der Bundestagswahl, sehr reichlich floß, daß bestimmte Sparten der Wirtschaft nicht genug bekamen und noch eine Spritze durch Steigerung des Konsums haben wollten, um ihre Umsätze zu erhöhen. Da war die Ausschüttung des Lastenausgleichs eine sehr willkommene Angelegenheit.
Wir sollten uns, glaube ich, bei politischer Betrachtung mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß die gesetzlich vorgeschriebenen und nach dem Geiste des Gesetzes notwendigen Leistungen irgendwie durch wirtschaftspolitische Betrachtungen der Art, wie sie die Bank deutscher Länder angestellt hat, gehemmt werden. Die Dinge liegen vielmehr so: dies ist die soziale Hypothek, mit der wir als einem Faktum rechnen müssen. Alle wirtschaftspolitischen Überlegungen haben von dieser Tatsache auszugehen; wenn sie sie nicht richtig sehen, dann verfehlen sie ihre Aufgabe.
Ich habe manches, was Herr Kuntscher hier sagte, mit großer Befriedigung aufgenommen. Er wird es mir aber vielleicht nicht übelnehmen, wenn ich mir zur Klarstellung die Frage erlaube, ob er die Ehre hatte, für seine Fraktion insgesamt zu sprechen, oder ob er das aus seinem eigenen guten Herzen sagte, das wir bei Wahrung der Vertriebenenangelegenheiten öfter erlebt haben. Das wäre nämlich deshalb interessant, weil wir gerne wissen möchten — und auch das, Herr Bundesfinanzminister, gehörte zweifellos zu der Anfrage und mußte beantwortet werden —, wie die stärkste Regierungsfraktion zu der außerordentlich besorgniserregenden Situation im Vermittlungsausschuß steht, zumal Sie heute erklärten, daß Ihre Fraktion oder Sie persönlich Wert darauf legten, daß dem Fonds der Anteil an der Vermögensteuer unter allen Umständen erhalten bleibt, weil dies der einzige Posten auf der Einnahmeseite ist, der in etwa die Möglichkeit eröffnet, in Anbetracht des sich verbessernden Gesamtstandes der Wirtschaft das sich inzwischen gebildete Vermögen mit einem bescheidenen Anteil auch zur Abdeckung dieser Ausgleichsverpflichtungen heranzuziehen. Sie wissen ja, Herr Kuntscher, wie die Dinge im Vermittlungsausschuß stehen. Ich möchte mit allem Nachdruck und mit großem Ernst auf folgendes hinweisen. Die Öffentlichkeit wird, wenn — was hoffentlich nicht eintreten wird — der Vermittlungsausschuß auf die Initiative des Bundesrats zu viel geringeren Deckungen des Mehraufwandes durch die so einmütig beschlossene vierte Novelle kommen sollte, mit Recht den politischen Parteien, die an dieser Arbeit und Aufgabe beteiligt sind, den Vorwurf machen: Im Bundestag habt ihr so getan, als ob ihr mit allem, was ihr an politischer Kraft habt, dafür eintreten wolltet, und außerhalb dieses Saales über Länderregierungen und im Vermittlungsausschuß -- unsere Herren Vertreter vom Bundestag — scheint das nicht mehr gelten zu sollen.
— Jawohl, gar kein Zweifel! Aber bitte: Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich gerne die Sache dadurch unter Dach und Fach gebracht haben möchte, daß die stärkste Partei der Regierung, die ja doch eine ganz andere Macht und Einflußmöglichkeit hat als meine kleine Gruppe von 27, heute den Betroffenen und den Wartenden ganz klipp und klar das sagt, was Herr Kunze für die Fraktion bei der ersten Lesung gesagt hat
— wir haben ihm von dieser Stelle aus Beifall gespendet — und was heute Herr Kuntscher gesagt hat: das ist ein Wort, das die Christlich-Demokratische Union in all ihren Gliedern vom Haupt bis zum letzten hier der Öffentlichkeit kundtut, und danach werden wir uns richten.
— Herr Kollege, ich beneide Sie um die Einmütigkeit der Auffassung in dieser Frage. Ich erkläre ja, daß wir Herrn Kunze im Unterschied zu Herrn Kuntscher nie als einen — ich muß mein Urteil
sehr vorsichtig formulieren — besonders wohlwollenden Betrachter unserer Ansprüche auf dem
Gebiet des Lastenausgleichs angesehen haben.
Wenn beide Seiten das so einmütig und unmißverständlich erklärt haben, dann kann ich Ihnen
eigentlich zu dieser geschlossenen Auffassung in
Ihrer Fraktion nur Glück wünschen. In dieser Frage
sind wir auch geschlossen. Ich möchte es nicht
gern erleben, daß das, was hier im Plenum der
Öffentlichkeit gesagt worden ist, in den Länderregierungen — und da dürfen wir in Parenthese
Nordrhein-Westfalen mit besonderem Unterstreichen nennen; denn es ist nun einmal das finanzkräftigste Land in dem Kranz der Länder — —
— Ich gebe Ihnen völlig recht: auch andere Länder, auch Flüchtlingsländer!
— Ganz klar, ich will mich an alle richten, aber besonders müßten wir uns mit unserer Bitte eigentlich an die Damen und Herren aus unserem Plenum richten, die im Vermittlungsausschuß, wenn ich die Konstruktion richtig verstehe, nach Möglichkeit den geschlossenen Willen des Bundestages zur Geltung bringen sollen. Sie sind doch von dieser Verpflichtung nicht etwa in dem Augenblick völlig befreit, in dem sie die Schwelle zum Vermittlungsausschuß übertreten. Ich möchte jedenfalls doch sehr herzlich bitten, sich die einfach nicht übersehbaren Folgen zu überlegen, wenn es dahin kommen sollte, daß die von Ihnen so einmütig und deshalb auch als notwendig anerkannten Verbesserungen des Lastenausgleichs, wobei für die lange fällig gewesene Erhöhung der Unterhaltshilfe allein 250 Millionen DM benötigt werden, auch nur zum Teil von den Betroffenen auf Kosten nicht nur der produktiven Hilfen, sondern auch der sozialen Hilfen — das hat Herr Kuntscher sehr eindringlich geschildert — bezahlt werden sollen. Das kann nicht ohne ernste Rückwirkungen bleiben. Angesichts der Situation, in der sich die deutsche Bundesrepublik gegenwärtig befindet und in der sie voraussichtlich in den nächsten Wochen und Monaten stehen wird, können wir es uns auf einem Gebiet der inneren Politik, das leidlich befriedet zu sein schien, weil Versprechungen und Gesetzesworte dem Sinn nach verstanden wurden, nicht leisten, diese Versprechungen mit solchen Manipulationen wie jetzt das Verfahren über den Vermittlungsausschuß wieder zu zerschlagen. Denn wenn auch nur die Hälfte der notwendigen Summe von einigen 200 Millionen DM auf dem Lastenausgleichsfonds hängenbleibt — Herr Kuntscher, Sie werden mir recht geben —, dann sind Ihre Ausführungen über die ganzen Planungen schon nicht mehr richtig.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und möchte nur noch an eines erinnern. Mir ist sehr lebhaft eine ausgezeichnete Rede in Erinnerung geblieben, die der Herr Bundeswirtschaftsminister gelegentlich der Beratung der Pariser Verträge hier an dieser Stelle gehalten hat, in der er die deutsche wirtschaftliche Situation und die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in seiner bekannten überzeugenden Art so optimistisch darstellte, daß er sich zu der Formulierung für berechtigt hielt, die großen Ausgaben auf Grund der Pariser Verträge, an denen auch wir mitgewirkt und die wir gewollt haben, sollten unter gar keinen Umständen etwa zu einer Verminderung der sozialen Leistungen führen. Wenn das Wort gilt — und es sind ja erst einige wenige Wochen vergangen, und deswegen kann das Ministerwort nicht etwa wegen veränderter Umstände zurückgenommen werden —, dann, glaube ich, ist unsere Forderung auf Mehrleistungen im Lastenausgleichsgesetz, die lediglich den inzwischen abgesunkenen Standard wieder anheben sollen, also insonderheit die Erhöhung der Unterhaltshilfe, durch dieses Ministerwort gedeckt. Das heißt: der Fonds muß die Mittel bekommen, um die Dinge erfüllen zu können; denn sonst geht es unter Beanspruchung des Niveaus und des Standards.
Nun noch ein letzter Gedanke. Herr Bundesfinanzminister, es ist Ihnen doch seit mindestens sechs Monaten, vielleicht sogar seit der ersten Lesung des Lastenausgleichsgesetzes bekannt, daß auf die öffentliche Hand, d. h. auf Bund und Länder insgesamt gesehen, diese Mehranforderung von rund 450 Millionen DM zukommt. Denn in der ersten Lesung bereits hat auch der Entwurf der CDU/CSU zur Deckung — bei einzelnen Abweichungen, aber im Prinzip genau dasselbe — als Ihren unumstößlichen Willen hier der Öffentlichkeit kundgetan, daß dem Fonds eine volle Dekkung für die Mehrausgaben gegeben wird. Woher sollte sie kommen? Entweder vom Bund oder von den Ländern! Ich begreife nicht, warum man diese unbestreitbare Tatsache, die einmal bei der Erörterung der großen Frage der Steuersenkung, die ja ein Volumen von 3 Milliarden DM umfaßt, zum andern aber auch bei dem monatelangen Tauziehen über die Verteilung der Steuerquellen zwischen Bund und Ländern bekannt war, nicht rechtzeitig als ein zu lösendes Problem in die Beratung mit hineingenommen hat. Dann würden wir heute nicht vor dieser schwierigen Frage stehen. Ich möchte Sie sehr herzlich bitten, Herr Bundesfinanzminister, vielleicht doch noch einmal zu überlegen, ob Sie es mit dieser von uns allen als sehr dürftig empfundenen Antwort wirklich bewenden lassen wollen oder ob Sie nicht vielmehr aus Ihrer gesetzlichen Verpflichtung, den § 7 und die Grundgedanken des Gesetzes durchzuführen, bei dieser Gelegenheit dem Plenum und der Öffentlichkeit etwas Genaueres von Ihren Gedanken und Absichten mitteilen wollen.