Rede von
Ernst
Kuntscher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage des BHE, zu der heute Stellung zu nehmen ist, behandelt eine sehr ernste Frage: die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs, mit anderen Worten die Frage, wie wir in den kommenden Jahren die zügige Abwicklung des Lastenausgleichs sicherstellen können. Es geht nicht allein um die Auseinandersetzung, ob die Zusicherung der Regierung vom Mai 1952, im Laufe von drei Jahren dem Lastenausgleichsfonds Vorfinanzierungsmittel in Höhe von 1050 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, erfült wurde, sondem es geht darum, wie wir diese Vorfinanzierung in den kommenden Jahren durchführen können. Wenn wir uns das Gesamtaufkommen des Lastenausgleichs in den letzten zweieinhalb Jahren vergegenwärtigen, so wird klar, daß diese 1050 Millionen DM eigentlich kein so entscheidendes Kriterium darstellen, wie es von dem Begründer der Großen Anfrage hingestellt wurde. Tatsächlich wurden in diesen zweieinhalb Jahren 565 Millionen DM auf Grund der in der Erklärung vorgesehenen Titel vorfinanziert und weitere 300 Millionen durch Kassenkredite des Bundesfinanzministeriums als Vorfinanzierung bereitgestellt. Das sind also zusammen 865 Millionen; die Differenz beträgt also nur 185 Millionen. Wenn wir diese 185 Millionen zu den Gesamtleistungen ab 1. September 1952, wo der Lastenausgleich in Kraft getreten ist, bis zum Ablauf des Rechnungsjahrs 1954 in Beziehung setzen, so beläuft sich das Aufkommen in diesen zweieinhalb Jahren auf 9061 Millionen, und weitere 185 Millionen Vorfinanzierungsmittel fehlen.
Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, daß jede Vorfinanzierung, also ,auf gut deutsch ausgedrückt eine Darlehensaufnahme oder eine Verschuldung des Lastenausgleichsfonds, auch Kosten verursacht. Diese bescheidenen Vorfinanzierungsmittel von 565 Millionen erfordern bereits im Wirtschaftsjahr 1955 64 Millionen an Tilgungsraten und an Verzinsung. Hätten wir also auch die beiden Tranchen, die in der Erklärung vom Mai 1952 zugesagt waren, in den Jahren 1953 und 1954 aufgenommen, so hätte sich natürlich die Position für Tilgung und Verzinsung im Wirtschaftsplan für das kommende Jahr wesentlich erhöht.
Am Anfang des Wirtschaftsjahrs 1954, also am 1. April 1954, ging der Lastenausgleichsfonds noch mit 885 Millionen flüssiger Mittel in das neue
Haushaltsjahr. Wer an diesen Dingen interessiert ist und sich seit Jahren über die Abwicklung des ganzen Problems Lastenausgleich Gedanken macht, weiß, was in der Öffentlichkeit und in einem großen Teil der Presse über die Anhäufung von flüssigen Geldern beim Lastenausgleichsfonds gesprochen und geschrieben wurde. Man weiß auch, welch scharfe Kritik in Vertriebenenkreisen daran geübt wurde, daß zeitweise 1 Milliarde flüssiger Gelder vorhanden waren, während die Menschen draußen auf die ihnen gesetzlich zustehenden bescheidenen Zuwendungen aus dem Lastenausgleich warteten.
— Wer hier die Verantwortung trägt? Auch das will ich Ihnen sagen, ganz nüchtern: nicht allein die fehlenden Rechtsverordnungen, die zur Durchführung unbedingt notwendig sind und über die wir uns in diesem Raume nicht einmal, sondern schon mehrere Male auseinandergesetzt halben,
auch der langsame und zögernde organisatorische Aufbau bei unseren Kreisausgleichsstellen und bei den Landesausgleichsstellen war mit ein Hindernis, daß diese Mittel nicht in dem Maße abfließen konnten, wie wir es alle miteinander gern gewollt hätten.
Am 1. April 1955, also am Beginn des neuen Haushaltsjahrs, waren die 885 Millionen DM flüssiger Mittel, die wohl verplant waren, abgeflossen, und es zeigte sich, daß noch ein Kassendefizit von 173 Millionen DM vorhanden war. Somit ergibt sich die unbestreitbare Tatsache, daß im kommenden Jahr 1 Milliarde DM weniger an flüssigen Mitteln zur Verplanung bereit stehen, und darin liegt die große Sorge.
Der Herr Bundesfinanzminister hat heute zugesagt, daß, wie im Wirtschaftsplan des Lastenausgleichsamts bereits vorgesehen, die zweite und dritte Tranche, diese 400 Millionen DM der Lastenausgleichsbankanleihe, aufgelegt und zur Verfügung stehen werden. Ferner werden 500 Millionen DM kurzfristiger Kassenkredite, also zusammen 900 Millionen DM, bereitstehen. Damit wäre diese Anfrage an und für sich günstig beantwortet.
Aber da sind noch einige andere Angelegenheiten, die in diesem Zusammenhang heute wohl erörtert werden müssen; denn mit den 900 Millionen DM ist dem Lastenausgleich im kommenden Wirtschaftsjahr noch nicht geholfen. Auch diese Frage ist ja noch davon abhängig, wie die endgültigen Beschlüsse des Vermittlungsausschusses ausfallen werden, die da zum vierten Änderungsgesetz zum LAG gefaßt werden müssen. Aber wichtig bleibt, daß auch für die kommenden Jahre eine klare Vorfinanzierung des Lastenausgleichsfonds unerläßlich ist.
Zu der geplanten Vorfinanzierung für das Jahr
1955 hat aber die Bank deutscher Länder bereits
sehr starke Bedenken geäußert. Kollege Ohlig hat
bereits das Schreiben der Bank deutscher Länder
vom 18. April 1955 an den Bundesfinanzminister
angezogen. In diesem Schreiben heißt es einleitend:
In Ihrem Schreiben vom 30. März 1955 an den
Herrn Präsidenten des Bundesausgleichsamts,
das uns abschriftlich zur Kenntnis gekommen
ist, erklären Sie, daß keine Bedenken bestehen, wenn der Herr Präsident des Bundesausgleichsamts bei der Aufstellung des Wirtschafts- und Finanzplanes für das Rechnungsjahr 1955 davon ausgeht, daß ihm Kreditmittel in der Höhe von insgesamt 900 Millionen DM zur Verfügung stehen werden, und zwar neben dem Ertrag der zweiten und dritten Tranche der Lastenausgleichsbankanleihe in Höhe von 400 Millionen DM und durch die Aufnahme kurzfristiger Schulden in Höhe von 500 Millionen DM.
Die Bank deutscher Länder fährt in ihrem Schreiben fort:
Die Ausgaben der letzten Jahre für Hausrathilfe, Aufbaudarlehen, Währungsausgleich usw. haben das vom Gesetzgeber in Aussicht genommene Maß weit überschritten.
Das ist das Bedauerliche, und ich fürchte, wir werden auch in der Zukunft bei der Erstellung einer klaren Vorfinanzierung mit der Bank deutscher Länder die größten Schwierigkeiten haben. Das Allerbedauerlichste in diesem Schreiben, das wirklich ein Dokument für uns Vertriebene bedeutet und das wir nicht so leicht vergessen werden, ist, daß die Bank bei allen ihren Erwägungen ausschließlich von kaufmännisch-bankmäßigen, oder sagen wir, währungspolitischen Gesichtspunkten ausgeht. Da müssen wir denn doch sagen, daß der Sinn des Lastenausgleichs ein ganz anderer ist. Denn die soziale Hypothek, die das Vertriebenenproblem in sich birgt, ist nicht allein mit währungspolitischen und bankmäßigen Maßstäben zu messen und auf diese Art und Weise zu liquidieren, aus der Welt zu schaffen oder in Ordnung zu bringen. Dazu gehören ganz andere Dinge, z. B. die zügige Fortführung der wirtschaftlichen Eingliederung der Vertriebenen in alle Zweige unseres Wirtschaftslebens. Dazu gehört noch immer die Beseitigung des herrschenden Wohnraummangels, der natürlich gerade in den Vertriebenensektor — und wenn wir uns die Umsiedlung überlegen, noch um so stärker — mit hineinspielt und dort am drückendsten ist. Dazu gehört auch die Erfüllung der sozialen Verpflichtungen. Wenn ich von einer klaren Vorfinanzierung spreche, so denke ich an die Menschen, die, heute alt und arbeitsunfähig, echte Ansprüche aus dem Lastenausgleich haben und die natürlich nicht jahre- und jahrzehntelang darauf warten können, daß ihnen ein bescheidener Anteil ihrer Ansprüche erfüllt wird.
Aber noch ein zweites bedrückt uns bei der Erörterung dieser Frage. Lassen Sie mich diese Sorge ganz offen aussprechen. Es ist die wachsende Meinung gewisser Kreise, die Eingliederung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge gehe ihrem Abschluß entgegen; aus diesem Grunde solle das Aufkommen für den Lastenausgleichsfonds auf die drei Hauptabgaben zurückgeschraubt werden; die Zuschüsse, die aus den von den öffentlichen Haushalten übernommenen Fürsorgelasten heute noch fließen, sollen abgebaut werden. Endlich soll uns, was für uns das Allerwichtigste ist und auch jetzt bei der Novelle zum Lastenausgleichsgesetz der umstrittenste Punkt ist, jeder Anteil an dem wachsenden Volksvermögen, also an der Vermögensteuer, als Zuschuß für den Lastenausgleich genommen werden. Die Punkte in der Vierten Novelle zum Lastenausgleichsgesetz, deretwegen der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen hat, bewegen sich alle in der Richtung der großen
Sorge, daß dort immer mehr die Meinung Platz greift, die Eingliederung sei abgeschlossen und der Lastenausgleich habe nur noch gewisse am Rande liegende soziale Verpflichtungen zu erfüllen. Die Entscheidung im Vermittlungsausschuß ist noch nicht gefallen. Aber das, was wir bereits wissen, was als Vorentscheidung anzusehen ist, hat in den Reihen der Vertriebenen eine berechtigte große Erregung hervorgerufen.
Es wäre unerträglich, wenn die beweglichen Ausgaben im Wirtschafts- und Finanzplan des Bundesausgleichsamtes, die zur Finanzierung einer glatten Durchführung unbedingt notwendig sind, wegen der Minderung der Zuschüsse gekürzt würden. Dies würde sich besonders bitter auf die Hausrathilfe auswirken, über die ja vorhin schon gesprochen wurde. Die Hausrathilfe soll nach den Plänen der Fachleute binnen fünf Jahren in vollem Umfang erfüllt werden. Heute sind noch Beträge von 3,7 Milliarden DM zur vollständigen Honorierung der Hausrathilfe notwendig; das bedeutet rund 700 bis 800 Millionen DM in einem Jahr.
Überlegen Sie bitte: Wenn wir nach dem heutigen Wirtschafts- und Finanzplan des Bundesausgleichsamts durch die Kürzung der Zuschüsse auf der einen Seite und durch die vom Bundestag beschlossene Erhöhung der sozialen Leistungen aus dem Lastenausgleich auf der anderen Seite bei der Abzahlung der Hausrathilfe auf eine Jahressumme zurückfallen müßten, die sich zwischen 350 und 400 Millionen DM bewegt, dann hätten wir im Jahre 1957/58, in dem die Hausrathilfe erfüllt sein soll, also 14 Jahre nach der Vertreibung, noch einen Hausrathilferückstand von 1,6 Milliarden DM.
Überlegen Sie bei dieser Rechnung auch noch ein Zweites! Wie war die Kaufkraft für die Empfänger von Hausrathilfe im Jahre 1952 — auch wenn der Betrag noch so bescheiden war —, und wie wird die Kaufkraft im Jahre 1957, im Jahre 1958, im Jahre 1959 oder 1960 — wenn wir die Leistungen hinausziehen müssen — sein?
Diese Dinge sind so ernst, daß man sich wirklich eingehend mit ihnen beschäftigen muß. Wir müssen eine klare Vorfinanzierung nicht nur für ein Jahr, sondern für eine Reihe von Jahren sicherstellen. Wir müssen zweitens an den Vermittlungsausschuß, vor allem an die Vertreter des Bundesrats, noch einmal das dringende Ersuchen richten, unserem Anliegen Rechnung zu tragen. Denn wir verlangen nichts, was uns nicht nach dem Gesetze und dem Grundgedanken der ersten Fassung des Gesetzes zusteht. Wir verlangen ja nur einen bescheidenen Anteil an dem Vermögenszuwachs, der sich seit dem Jahre 1948 vollzogen hat. Wir beanspruchen lediglich einen Teil der ständig steigenden Vermögensteuer für den Lastenausgleich.
Um hier Zahlen zu nennen und Ihnen ein Bild zu geben: Als der Lastenausgleich in seiner Geburtsstunde stand, als er im Mai 1952 beschlossen wurde, ist man bei der Berechnung der Finanzierung von einem Aufkommen an Vermögensteuer von 130 Millionen DM jährlich ausgegangen. Dieses Aufkommen vom Jahre 1952 wird sich im kommenden Jahr auf 700 Millionen DM erhöhen, und von dieser Erhöhung wollen wir auch für die Zukunft einen bescheidenen Anteil für den Lastenausgleich sicherstellen.
Das ist nichts anderes als eine ganz gerechte Forderung: Von dem vergrößerten Kuchen wollen wir ein vergrößertes Stückchen haben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas sagen, was nicht nur nach Kritik aussieht, sondern was auch das Positive des Erreichten beleuchtet Am 1. September 1952 ist das Lastenausgleichsgesetz in Kraft getreten. Denjenigen, die sich damals aus ihrer Verpflichtung heraus sehr stark mit dem Lastenausgleich beschäftigten, schwebte vor, daß neben den sozialen und sonstigen Leistungen, die im Gesetz festgelegt sind, jährlich mindestens 1 Milliarde DM für produktive Eingliederungszwecke vorhanden ist.
Wie sind die Dinge gelaufen? In dem ersten Rumpfrechnungsjahr 1. September 1952 bis 31. März 1953, also innerhalb von sieben Monaten, konnten für die produktive Eingliederung 806 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Im Jahre 1953 waren es 1328 Millionen, im Jahre 1954 1853 Millionen DM.
— Einschließlich Wohnraumhilfe! Das ist doch eine produktive Leistung, denn hier werden Werte geschaffen.
Im Jahre 1955 werden uns nach dem vorläufigen Wirtschaftsplan für diese produktiven Leistungen 1429 Millionen DM zur Verfügung stehen, zu denen dann noch Verplanungsreste aus dem vorhergehenden Jahr in Höhe von 865 Millionen DM hinzuzurechnen sind. Allerdings sind in dem vorläufigen Wirtschaftsplan zum Ende des Rechnungsjahrs wiederum Verplanungsreste von 419 Millionen DM enthalten, die in das Jahr 1956 übertragen werden sollen.
Im großen und ganzen wollen und müssen wir also anerkennen, daß das Aufkommen für den Lastenausgleich wesentlich günstiger gelaufen ist, als die Väter des Gesetzes und auch als das Finanzministerium mit seinen Fachleuten es im Jahre 1952 in ihren Berechnungen zugrunde gelegt hatten.
Auch diese Binsenwahrheit und dieses Ergebnis, das heute nicht mehr mit fiktiven Zahlen, sondern mit den tatsächlichen Leistungen belegt wird, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Damit möchte ich nicht sagen, daß ein Übersoll erfüllt ist. Ich möchte aber diese Tatsache doch zur Steuer der Wahrheit festgestellt haben.
Ich kann allerdings, Herr Kollege Kather, mit Ihren Gedankengängen nicht konform gehen, wenn Sie meinen, daß uns die Sorgen um die Aufkommensseite im Lastenausgleich genommen wären, wenn eine Verlagerung der Dienstaufsicht vor sich gehen würde.
Die Größe und die Höhe der Verteilerseite hängt nicht von der Dienstaufsicht ab, sondern es kommt auf die Aufbringerseite an. Die Verteilerseite kann nur mit dem wirtschaften, was auf der Aufbringerseite zur Verfügung gestellt wird. Wenn wir die
Aufbringerseite in Ordnung bringen wollen, brauchen wir den Finanzminister und das Finanzministerium, brauchen wir die Länderfinanzminister und brauchen wir auch die Bank deutscher Länder.
— Ach, Herr Dr. Kather, „Dann müßte der Finanzminister auch Verteidigungsminister werden", —
ich glaube, in diesem Zusammenhang ist dieser Zwischenruf wirklich nicht allzu geistreich.
Richtig ist aber das eine: Wir haben darüber zu wachen und dafür zu sorgen, daß unsere beweglichen Positionen im Wirtschafts- und Finanzplan nicht absinken, daß die Hausrathilfe so schnell wie möglich zur Abstattung kommt und daß die Mittel für die Eingliederung nicht geschmälert werden. Und das, meine Damen und Herren, ist trotz aller Ihrer negativen Kritik nur möglich, wenn wir uns zusammensetzen und alle miteinander, Parlament und Bürokratie, für mehrere Jahre einen klaren Vorfinanzierungsplan erstellen
und wenn wir zweitens auch so viel Einfluß auf die Ländervertretungen ausüben — und hier appelliere ich an alle Parteien, die positiv oder negativ heute Stellung genommen haben, auf ihre Vertreter und Minister in den Ländern einzuwirken —, daß die jetzt bei den Entscheidungen im Vermittlungsausschuß auch Verständnis haben, damit uns nicht von dieser Seite her die Mittel gekürzt werden, die wir für den Lastenausgleich benötigen.