Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte geglaubt, daß der Herr Kollege Dr. Arndt für seine Fraktion heute zu den Ziffern 1, 2 und 4 die Erledigung des Antrags feststellen würde; denn wenn man weiß, daß inzwischen der Kupferschieferbergbau bereits zur Hälfte stillgelegt ist und die ganze Stillegungsaktion dazu geführt hat, daß nur noch etwa die Hälfte der Belegschaft beschäftigt ist und nur noch die Hälfte der früheren Ausbeute im Bergwerk gewonnen wird, dann hätte man doch annehmen sollen, daß wenigstens der Antrag, die Liquidation nicht durchzuführen und die eingeleitete Stilllegungs- und Kündigungsaktion einzustellen — der vielleicht am 16. Februar 1955 noch verständlich gewesen wäre —, infolge des inzwischen erreichten Stadiums für erledigt erklärt werden würde.
Was an dem Antrag der SPD jetzt überhaupt noch interessant sein kann, ist die Ziffer 3, nämlich Vorschläge über eine zusätzliche Industrieansiedlung in der Stadt Sontra zu machen und dafür die erforderlichen Kredite bereitzustellen. Das ist aber insofern falsch formuliert, als es nicht Angelegenheit der Bundesregierung, sondern Angelegenheit der hessischen Landesregierung ist, diesbezügliche Vorschläge hinsichtlich der auszuwählenden Firmen zu machen. Wenn man darin anders dächte, würde es überhaupt nicht mehr ein einigermaßen sachgemäßes Zusammenarbeiten zwischen Bundesregierung und Landesregierung geben können.
Herr Staatssekretär Westrick hat eben die für die wirtschaftliche Beurteilung der Angelegenheit entscheidenden Zahlen genannt. Ich möchte sie noch durch einige ergänzen, weil die Zahlen zu eindrucksvoll sind, als daß man, wenn man sie kennt, überhaupt noch darüber im Zweifel sein kann, ob der Beschluß des Wirtschaftskabinetts und der Beschluß des Wirtschaftspolitischen Ausschusses richtig sind. Die sachliche Richtigkeit steht völlig außer Zweifel. Man muß wissen, daß der Weltmarktpreis für 100 kg Kupfer im Sommer 1954 bei 350 bis 400 DM lag, daß aber
damals die Selbstkosten von Sontra bei 880 bis 900 DM lagen. Im Januar 1955 — zur Zeit der Beschlußfassung im Wirtschaftspolitischen Ausschuß und eine Woche später im Wirtschaftskabinett — war der Weltmarktpreis vorübergehend auf 430 DM gestiegen; die Selbstkosten von 880 DM hatten sich aber nicht verändert. Die Selbstkosten bestehen auch heute noch in dieser Höhe, während inzwischen der Weltmarktpreis auf 350 DM abgesunken ist. Was bedeuten diese Zahlen? Sie bedeuten, daß der Weltmarktpreis im Januar, zur Zeit der Beschlußfassung im Wirtschaftskabinett bei knapp 50% der Selbstkosten lag, während der Weltmarktpreis heute auf weniger als 40 % der Selbstkosten von Sontra gesunken ist. Die Ursachen für dieses geradezu groteske Mißverhältnis liegen darin, daß die nationalsozialistische Regierung es in dem doppelten Wahne ihrer Planwirtschaft und ihrer Autarkiewirtschaft für richtig hielt, ein bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts stillgelegtes Kupferschiefervorkommen wieder auszubeuten, obwohl dieses Vorkommen einen sehr geringen Kupfergehalt von nur 0,8 bis 1 % hatte, obwohl die äußerst geringe Mächtigkeit der Erzadern keinen Zweifel darüber lassen konnte, daß die Kosten der Ausbeute in keinem Verhältnis zu den erzielbaren Preisen stehen würden, und obwohl das Fehlen einer eigenen Weiterverarbeitungsstätte naturgemäß auch in dieser Richtung von vornherein besondere Aufwendungen erforderlich gemacht hätte, wenn man damals eine Weiterverarbeitungsstätte in Sontra hätte errichten wollen. Aber wir wissen ja, daß Fragen einer vernünftigen Relation von Kosten und Preisen für das nationalsozialistische Regime völlig gleichgültig waren. Es galt in den Jahren nur der Gesichtspunkt der Autarkie, gleichgültig, wie hoch die Kosten sein mochten. Das Geld und die Währung konnten ja ruiniert werden, und wir haben auch die entsprechende Zeche dafür bezahlen müssen, daß man eben keine Kosten scheute, wenn man nur die entsprechenden Materialien zur Ausbeute bringen konnte.
Insofern — das muß man doch der Bevölkerung vor allen Dingen immer wieder sagen — handelt es sich doch um die Liquidation eines Wirtschaftsunternehmens aus nationalsozialistischer Zeit, das nur unter dem Gesichtspunkt der Autarkie entstanden war und nun endlich abgebaut werden mußte. Wohin wollten wir eigentlich kommen, wenn wir statt des einen oder anderen dieser Betriebe vielleicht Dutzende hätten, etwa noch in größeren Dimensionen, und dann aus menschlichen Gründen überall so argumentieren würden, wie es der Herr Kollege Arndt hier getan hat? Was wäre das unvermeidliche Ergebnis? — Daß wir in eine völlig unproduktive Wirtschaftsführung hineinkommen könnten! Und das weitere unvermeidliche Ergebnis: daß wir dann allerdings eine allgemeine Senkung des Lebensstandards erfahren würden. Das ist ja auch überall die unvermeidliche Folge, wo nach sozialistischen Prinzipien gewirtschaftet wird. Sie tritt da am krassesten ein, wo diese Prinzipien am reinsten und radikalsten angewandt werden.
— Nein, das ist gar nicht billig, sondern das sind Tatsachen und Zusammenhänge, die Ihnen allerdings unbequem sind, auf die man aber bei solchen Gelegenheiten immer wieder hinweisen muß.
Es ist Tatsache, daß bei diesem grotesken Mißverhältnis von Weltmarktpreis und Förderkosten in Sontra — gesteigert dadurch, daß nach 1945 auch die ursprüngliche Weiterverarbeitungsstätte Eisleben weggefallen ist, so daß also jetzt die Erze nach Hamburg transportiert werden müssen, was zu einer weiteren außerordentlichen Steigerung der Kosten beiträgt —, daß bei diesem grotesken Mißverhältnis zwischen Kosten und Weltmarktpreis die Zahlen völlig zutreffend sind — das kann in keiner Weise überraschend sein —, die uns Herr Staatssekretär Westrick hier genannt hat: ein Unterstützungsbetrag von 7000 DM pro beschäftigten Arbeiter und die andere Tatsache, daß wir erheblich weniger Subventionen hätten zu zahlen brauchen, wenn wir das Bergwerk gar nicht mehr in Betrieb gehalten hätten, sondern jedem Arbeiter seinen vollen Lohn ohne Gegenleistungen gegeben hätten.
Diese Tatsachen sind doch für jedermann sprechend genug. Deswegen ist es kein Wunder, daß die hessische Regierung — die von der SPD getragene hessische Regierung — völlig damit einverstanden war, daß der Kupferschieferbergbau eingestellt würde. Sie war keiner anderen Meinung als die Bundesregierung, und auch im Wirtschaftspolitischen Ausschuß bestand ja völlige Übereinstimmung, wenigstens bei der Beschlußfassung im vorigen Sommer über — —
— Es gibt aber zuverlässige Kollegen, die dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß damals angehört haben. Sie haben uns niemals gesagt, daß bei dieser Beschlußfassung die SPD dagegen gestimmt hätte. Bei diesen ökonomischen Tatsachen kann es ja auch gar nicht anders sein, als daß jeder halbwegs vernünftig und billig Denkende dem Entschluß, den Kupferschieferbergbau stillzulegen, zustimmen muß.
Allerdings ist eine völlig andere Frage, was dann zu geschehen hatte, um diese Stillegung auf eine Weise durchzuführen, daß alle sozialen Härten vermieden wurden. Da hat Herr Kollege Arndt immerhin schon eine sehr bemerkenswerte Tatsache festgestellt, daß nämlich bisher der ganze Stillegungsvorgang so angefaßt wurde, daß bisher nicht eine einzige Kündigung ausgesprochen zu werden brauchte. Von den unmittelbar Beteiligten hat also bis jetzt noch niemand einen Nachteil durch die Stillegung gehabt, abgesehen davon, daß nun natürlich Umsetzungen zu anderen Arbeitsplätzen und Arbeitsorten notwendig werden. Aber wenn man darauf verzichten und jedem in Arbeit Stehenden eine absolute Garantie für die Aufrechterhaltung seines Arbeitsplatzes geben wollte, dann könnte es ein vernünftiges Wirtschaften überhaupt nicht mehr geben, dann wäre nur noch ein Wirtschaften möglich, in dem der Wahnwitz regiert, nicht aber die wirtschaftliche Vernunft. Die sozialen Folgen eines solchen Wirtschaftens — wenn man es sich allgemein vorstellt — müßten ja so sein, daß sie die Gemeinschaft durch Ausgleichsleistungen überhaupt nicht mehr in Ordnung bringen könnte.
Was nun die Auswahl der Firmen anlangt, so konnte es gar nicht anders sein, als daß man sich, wenn die Bundesregierung und die hessische Landesregierung über die Art der Stillegung und andererseits über die Art der Ersatzindustrien und
über den Standort der Ersatzindustrien verhandelten, völlig darüber im klaren war, daß die Bearbeitung der Ersatzprojekte in concreto nur Angelegenheit der hessischen Landesregierung sein konnte. Die hessische Landesregierung hat Vorschläge unterbreitet. Die Bundesregierung sah keinen Anlaß, diesen Vorschlägen nicht zu folgen.
Wenn nun eine Verkoppelung zwischen Sontra und Eschwege eingetreten ist, zwei Städten, die 18 km auseinanderliegen, dann ist es nicht die Schuld der Bundesregierung, sondern es ist die Folge des Verhaltens der hessischen Regierung. Die hessische Landesregierung hat zwei Ersatzprojekte vorgeschlagen, erstens das Anliegen der kanadischen Landmaschinenfabrik Harris und zweitens die Betriebserrichtung der Tochtergesellschaft von Voigt und Haeffner, der „Prometheus". Beide sind von der hessischen Regierung für Eschwege vorgeschlagen worden, nicht für Sontra. Dabei hat notabene die hessische Landesregierung noch übersehen oder nicht wissen wollen, obwohl es ihr mehrfach gesagt worden ist — sie ist den Einladungen, das Gelände zu besichtigen, überhaupt nicht gefolgt —, daß in Sontra hinreichendes Ansiedlungsgelände zur Verfügung stand und vielleicht bei entsprechender Einflußnahme der hessisehen Landesregierung die beiden Firmen auch für Sontra zu gewinnen gewesen wären.
Nun ist die Entscheidung für Eschwege insofern an sich kein Unglück — wir begrüßen auch die Entscheidung für Eschwege —, weil nämlich Eschwege in einem Grenzgebiet mit sehr hoher struktureller Arbeitslosigkeit liegt, so daß wir die Stadt Eschwege durchaus beglückwünschen, daß die beiden Betriebe dorthin gekommen sind. Aber wie sind sie dahin gekommen? Dadurch, daß die hessische Landesregierung diese beiden Betriebe der Bundesregierung als diejenigen Betriebe benannt hat, die die vom Bunde zur Verfügung gestellten 15 Millionen Kreditmittel bekommen sollten, damit die Arbeitskräfte von Sontra eine neue Beschäftigung gewinnen könnten. Dieser Zusammenhang ist nicht von der Bundesregierung böswillig ersonnen worden, sondern er beruht auf Vorschlägen, die die hessische Landesregierung gemacht hat. Sehr geehrter Herr Kollege Arndt, wenn irgend etwas auf die Dauer die Demokratie gefährdet, dann sind es diese Methoden einer Unterrichtung der Bevölkerung, die darauf beruhen, daß man der Bevölkerung etwas ganz anderes sagt, als den Tatsachen entspricht, nur um sich den Erfolg für bestimmte Maßnahmen zuzuschanzen, andere ins Unrecht setzt. Ich glaube, diese Methoden sind nicht fair. Sie können nicht dazu dienen, das Ansehen der Demokratie in der Bevölkerung zu heben.
Es bleiben jetzt natürlich einige Probleme zu lösen, wenn auch im Laufe der nächsten Monate — und das ist ja Herrn Dr. Arndt auch bekannt — die Unterbringung der Arbeitskräfte weiterhin so gute Fortschritte macht, wie das in den vergangenen Monaten der Fall war, nämlich so, daß Ihr Antrag, der im Februar eingebracht worden ist, heute in den Hauptpunkten gegenstandslos ist und man sich eigentlich genieren sollte, ihn heute noch aufrechtzuerhalten.
Von den 50 % der ursprünglichen Belegschaft, die
heute noch tätig sind — rund 750 Arbeitskräfte —,
sollen ja nach den Entwicklungsplänen von Harris, die jetzt in der Ausführung begriffen sind, bis zum Juli weitere 50, bis zum September weitere 150, bis zum Oktober weitere 200, insgesamt 400 untergebracht sein. Es wären dann von den heute noch beschäftigten 750 — genau 762 — noch rund 350 übrig. Da 100 auf den Anlagen bleiben sollen, nur damit diese einen gewissen Erhaltungswert für die Zeit der Wiedervereinigung behalten, wären an und für sich aus dem Bestand der Belegschaft noch 250 Kräfte unterzubringen.
Nun darf man allerdings eines nicht unterschätzen: von den Arbeitskräften aus Sontra und aus den rund 50 Gemeinden um Sontra herum, die inzwischen in Tätigkeit nach Eschwege gekommen sind, wird ein großer Teil wahrscheinlich nicht auf die Dauer in Eschwege bleiben, wenn er nicht das mühselige und kostspielige Pendlerdasein auf sich nehmen wird. Da bestehen zwei Möglichkeiten. Entweder die Arbeitskräfte werden zu einem Teil zurückwandern, oder aber sie werden in dem Maße nach Eschwege hineinziehen, wie da neue Wohnungen gebaut werden, und wenn das geschieht, dann wird die Not in Sontra für mittelbar Beteiligte insofern größer, als dann folgendes eintritt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, darauf möchte ich insbesondere die Aufmerksamkeit gelenkt haben. Wir haben in diesem ja auch noch obendrein von Flüchtlingen außerordentlich stark belegten Gebiete eine große Anzahl von Kleingewerbetreibenden und Handwerkern, die sich auf einen bestimmten Standard ihres Geschäfts eingerichtet haben, weil eben der Betrieb der Kupferhütte Jahr für Jahr unterhalten wurde und die politischen Parteien fast allesamt darin wetteiferten, die Fortdauer dieses Zustandes der Bevölkerung immer wieder erneut zu versprechen. Daraufhin sind Investitionen gemacht worden, und heute würde ein erheblicher Teil dieser Handwerker und Kleingewerbetreibenden in empfindliche Not gebracht, wenn infolge der Arbeitsbeschaffung in Eschwege und der nachfolgenden Abwanderung der Familien die Kundschaft dieser Gewerbetreibenden, dieser Handwerker noch weiter zurückginge. Deswegen und weil darüber hinaus auch unabhängig vom Kupferschieferbergbau in diesem Gebiet noch eine sehr erhebliche Arbeitslosigkeit struktureller Art besteht, ist es erforderlich, über die bisherigen Industrieansiedlungsmaßnahmen hinaus weitere Maßnahmen zu treffen, und zwar nun nicht auf den Ratschlag der hessischen Regierung in Eschwege oder sonst irgendwo, sondern unmittelbar in Sontra selbst.
Wir haben sehr dankbar gehört, daß die Bundesregierung von sich aus bereits über die bisher gewährten Kredite von 15 Millionen DM zur Ansiedlung der Betriebe von Harris und Voigt & Haeffner in Eschwege hinaus weitere 5 Millionen DM Kredite bereitstellt. Ob dieser Betrag ausreichen wird, ist jetzt noch nicht zu sagen, da ja auch diese Arbeiterwohngemeinden des Kupferschieferbergbaus in Sontra außerordentliche kommunale Belastungen zu tragen haben, von denen man noch nicht weiß, wie diese Gemeinden mit ihnen fertig werden sollen, wenn ihre finanzielle Leistungskraft weiter zurückgeht. Diese Probleme sollten doch noch geprüft werden. Damit hierzu die Gelegenheit gegeben wird, werden wir einen Antrag einbringen, der besagt:
Die Bundesregierung wird ersucht,
a) zur wirksamen Durchführung des Beschlusses des Wirtschaftskabinetts vom 21. Januar 1955 über die Sanierung der Lage im Raum Sontra weitere Kredite für die Ansiedlung neuer Betriebe oder die Erweiterung bestehender Betriebe zum Ausgleich der in Gang befindlichen Stillegung des Betriebes der Kurhessischen Kupferschieferbergbau GmbH Sontra bereitzuhalten,
b) durch Verhandlungen mit der hessischen Regierung sicherzustellen, daß diese weiteren Bundeskredite ausschließlich für die Gemeinde Sontra und andere für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Betracht kommende Arbeiterwohngemeinden des Sontraer Kupferschiefer-Bergbaus verwandt werden.
Wir bitten, die Ziffern 1, 2 und 4 des Antrags der Sozialdemokratie für erledigt zu erklären, nur die Ziffer 3 des Antrags der Sozialdemokratie den Ausschüssen zu überweisen und unseren Antrag dem SPD-Antrag in die Ausschüsse folgen zu lassen.