Rede von
Heinrich-Wilhelm
Ruhnke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf und begrüßt die Initiative, die er enthält. Die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers haben uns sehr interessiert. Auch wir sind der Auffassung, daß hier etwas geschehen muß. In dieser Frage arbeiten nämlich wieder, wie uns bekannt ist, drei Ministerien nebeneinander, und zwar idas Innenministerium, das Wirtschaftsministerium und das Verkehrsministerium. Es ist, glaube ich, dringend notwendig, daß hier eine Koordination erfolgt, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß es so ähnlich geht wie mit dem Wasser.
Darauf möchte ich besonders hinweisen.
Bei den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers taucht auch eine andere Frage auf, die ich sowieso behandeln wollte. Ich muß da zunächst etwas ausholen. Dies ist ja nicht das erste Gesetz dieser Art, das wir hier im Bundestag behandeln. Wir haben hier schon einmal ein Gesetz behandelt, das sehr still und ruhig über die Bühne gegangen ist, das aber eine sehr große Bedeutung hatte, nämlich das Gesetz betreffend das Abkommen vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung. Ich glaube, das war der Anfang; denn diese Organisation hat die Zusammenarbeit bestimmter Staaten, allerdings mit Ausnahme von Amerika und Rußland, bei der rein wissenschaftlichen Forschung und Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Kernphysik sowie der hiermit wesentlich zusammenhängenden Fragen zum Ziele. Wir haben bisher noch nichts über die Ergebnisse hören können und glauben auch, daß das bei der außerordentlich schwierigen wissenschaftlichen Arbeit, die hier zu leisten ist, noch gar nicht möglich war. Aber diese Organisation befaßt sich nicht mit den Arbeiten für militärische Zwecke, sondern nur für den zivilen Bedarf, und sie hat auch ein internationales Laboratorium für Forschung errichtet. Interessant ist, daß ein Austausch von wissenschaftlichen und technischen Informationen stattfindet. Ich glaube, es wäre sehr von Interesse, wenn wir später hören könnten, wie weit diese Dinge dort angelaufen sind.
Nun, meine Damen und Herren, Sie wissen, daß der Vortrag von Professor Hahn, der vor nicht langer Zeit gehalten worden ist, außerordentliches Aufsehen erregt hat. Ich stimme dem Herrn Vorredner völlig zu, daß man diese Fragen ja nicht unterdrücken, sondern in aller Offenheit behandeln soll, damit Beruhigung in der Bevölkerung eintritt. Bei diesem Vortrag hatte man den Eindruck und erkannte, daß in der wissenschaftlichen Erforschung der radioaktiven Rückstände noch eine ungeheure Lücke besteht, die unbedingt geschlossen werden muß.
Nun hat ja seit der berühmten Erfindung Professor Hahns im Jahre 1938, der Kernspaltung, die Atomfrage eine geradezu rasante Entwicklung genommen, eine Entwicklung, die wohl kein Mensch und auch kein Wissenschaftler ahnen konnte. Es ist hier etwas geschehen, was die Frage doch in eine sehr ernste Richtung hineingedrängt hat: daß, ich möchte sagen, die Technik diesen wunderbaren und gewaltigen Brocken der Wissenschaft weggenommen und nun angefangen hat zu bauen, zu produzieren, ohne daß die Grundlagenforschung beendet war. Das sind die Dinge, um die es sich im Augenblick dreht. Es gibt nämlich radioaktive Rückstände, die völlig ungeklärt sind, es gibt sogenannte Spaltungsabfälle oder Kernschlacken oder Atom-Müll, mit dem man nichts anzufangen weiß. Hier ist die gewaltige Lücke, die die Wissenschaft noch füllen muß. Wenn wir von all den Ver-
suchen in Amerika hören, von dem Aschenregen, von der Vergiftung des Wassers und dem radioaktiven Regen und von der Beeinflussung des Wetters — nun, meine Damen und Herren, diese Dinge sind wissenschaftlich einfach noch nicht bis zum letzten geklärt. Es ist auch einfach nicht wahr, daß diese Dinge in bezug auf die Wirkung auf den Menschen, auf das Individuum, auf die Pflanzen usw. usw. geklärt wären. Daß erbliche Veränderungen eintreten, hat der Herr Vorredner schon erwähnt, genetische Schäden ebenfalls. Aber es ist doch sehr interessant, daß eine Atomwolke ja nicht Tausende, sondern vielleicht Millionen von Menschen bestrahlt und daß bisher wissenschaftlich noch nicht erwiesen ist, wieweit diese Bestrahlung für das Individuum schädlich ist. Denn die Höhe der schädlichen Dosierung ist überhaupt nicht bekannt. Und es ist ja ganz klar, daß die Menschheit sich an die Strahlenumwelt seit ewigen Zeiten gewöhnt hat und daß wir gerade seit ungefähr 50 bis 60 Jahren eine neue Strahlenumwelt haben, die sich verstärkt hat und deren Wirkung überhaupt noch nicht abzusehen ist. Hier hat die Wissenschaft also noch eine erhebliche Arbeit zu leisten, um die Dinge überhaupt zu klären. Es ist erfreulich, daß es schon einzelne Institute, Korporationen und Institutionen gibt, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Wenn z. B. beim Verein Deutscher Ingenieure ein Ausschuß für Atomtechnik unter Beteiligung zahlreicher Verbände gegründet ist, nun, so kann man sich darüber freuen. Um eine Forschungsstelle allerdings handelt es sich hier nicht. Wir haben auch einmal gehört, daß die Industrie eine Forschungsstelle gründen will oder daß dort eine besteht. Uns fehlen aber die Unterlagen dafür.
Aber wir haben eine Forschungsstelle, und ich habe mich gewundert, daß der Herr Bundesinnenminister davon nicht gesprochen hat: eine Forschungsstelle bei der Max-Planck-Gesellschaft. Ich glaube, daß da die Heimstätte der großen Forschung in dieser Frage ist. Bei allen diesen Problemen, die wir hier sehen, müssen wir bedenken, daß die Atomenergie eine neue, natürliche Hilfsquelle der Erde geworden ist und daß hier noch eine ganz intensive wissenschaftliche Forschung betrieben werden muß, um große Schäden zu vermeiden. Also es muß eine umfassende Prüfung der Strahlenauswirkung auf den pflanzlichen und auch den tierischen Organismus unter besonderer Berücksichtigung der in der lebenden Zelle hervorgerufenen Veränderungen und der Beeinflussung der erbbiologischen Mechanismen erfolgen. Darüber besteht gar kein Zweifel.
Nun kommt die große Frage: wie soll das geschehen? Wir haben von dem Herrn Innenminister gehört, daß bestimmte Beträge bestimmten Universitäten oder Instituten zur Verfügung gestellt worden sind, um dort für diese wissenschaftliche Arbeit die entsprechenden finanziellen Grundlagen zu schaffen. Ich weiß nicht, ob das genügt. Am 8. August dieses Jahres wird in Genf eine internationale Tagung — die erste Tagung in der Geschichte der Menschheit — über die Nutzung der Atomkraft für friedliche Zwecke stattfinden. Wir sehen also, daß die Welt daran ist, sich um diese Probleme besonders zu kümmern und sie zu erörtern. Deshalb glaube ich, daß auch wir in Deutschland unter allen Umständen ein einheitliches Forschungsinstitut schaffen müssen, das sich mit diesen wissenschaftlichen Fragen beschäftigt. Eine Zersplitterung auf diesem Gebiete würde ungünstig wirken, weil dadurch die wenigen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, noch zersplittert werden.
Sie wissen, daß die deutschen Wissenschaftler in dieser Frage einmal führend in der Welt gewesen sind, und Sie wissen, daß wir uns vor der Arbeit, die damals geleistet worden ist, verneigen müssen, weil sie die Grundlage für die jetzigen Fortschritte überhaupt erst geschaffen hat. Der Krieg und die Nachkriegszeit haben eine Lücke aufklaffen lassen, die noch nicht wieder geschlossen werden konnte. Aber ich bin sicher, daß sie geschlossen wird, wenn die Bundesregierung ein entsprechendes Institut schafft, die unsere deutsche Wissenschaft in die Lage versetzt, auf diesem Gebiet wieder führende Arbeit zu leisten.