Rede von
Dr.
Walter
Menzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion lehnt diesen Antrag ab. Wir machen eine solche Galoppmethode nicht mit.
Abseits alles Politischen halten wir es auch im Interesse der Zusammenarbeit in diesem Hause nicht für fair und nicht für loyal, daß Sie den Bundestag so kurzfristig zu einer dritten Lesung zwingen wollen.
Meine Damen und Herren, w a s zwingt Sie eigentlich, jetzt diese Verträge in einer bisher im Bundestag nicht üblich gewesenen Sonntagssitzung durchzupeitschen? Oder sollte man vielleicht richtiger fragen, nicht: Was zwingt Sie, sondern: Wer zwingt Sie?
Nach Zeitungsnachrichten, die mehrfach bestätigt wurden, hat sich nun auch der Rat der Französischen Republik entschlossen, an die Beratung der Verträge kaum vor Ostern, wahrscheinlich kaum vor den Sommerferien heranzugehen. Wir waren ja schon einmal, oder ich muß korrekterweise sagen: S i e waren ja schon einmal so voreilig, und haben damals überstürzt den EVG-Vertrag ratifiziert und sind dann schrecklich dabei hereingefallen.
Und nun haben Sie im Grundgesetz den Art. 142 a stehen und nun drucksen Sie jetzt herum, wie Sie ihn wieder loswerden.
Was machen Sie übrigens, wenn der Rat der Französischen Republik nur das Saarstatut annimmt und durch Vorbehalte bei den anderen Verträgen die Verträge abgelehnt werden? Dann ist das eine von Deutschland geleistet und das andere ist nicht da!
Üben Sie doch bitte einmal — das wäre in der Politik, vor allem in der Außenpolitik sehr gut — etwas die Tugend der Geduld. Sehen Sie, wir halten es da mit dem alten Peter Rosegger: Etwas langsamer, aber richtiger, und Sie sagen: Schnell, wenn es auch falsch ist.
Unsere Fraktion jedenfalls möchte die Möglichkeit haben, sich noch einmal eingehend zu beraten.
— Ja, wir nehmen die Sache doch ernster und sorgfältiger! Auch Sie alle sollten sich der Verpflichtung bewußt werden, vor der endgültigen Abstimmung noch einmal gründlich Rechenschaft abzulegen — vor sich und dem Volke —, auf welchen Weg Sie das deutsche Volk für die nächsten Jahrzehnte schicken wollen.
Warum, meine Damen und Herren, diese nervöse Hatz? — Ist sie denn nicht ein Zeichen Ihres schlechten Gewissens
und des Gefühls einer Unsicherheit gegenüber einer sorgfältig vorbereiteten und gründlichen dritten Lesung? !
Es gibt natürlich einige Gründe, warum man so nervös ist und die Verträge so schnell von der Tagesordnung haben möchte. Das bewies die gestrige Debatte. Ich verstehe sehr gut, daß der Herr Bundeskanzler Furcht hat, daß, wenn wir nochmals eingehender über die Saar debattieren könnten, die Koalition vielleicht doch bricht. Die Freundlichkeiten, die der Herr Bundeskanzler hier gestern mit Herrn Dr. Becker ausgetauscht hat, werden ja eine gewisse Akrobatik erfordern, um sie wieder aus der Welt zu schaffen
Hängen wir doch der Katze die Schelle um. Meine Damen und Herren, letzten Endes — das ergaben auch gewisse Äußerungen in den interfraktionellen Besprechungen und im Ältestenrat — ist es doch Ihre pure Angst um die Aktion „Einheit, Freiheit und Frieden", die draußen so großen Erfolg gehabt hat.
Sie möchten gern die Verträge schnell erledigt sehen, weil Sie hoffen, daß dann draußen im Volk wieder etwas mehr Ruhe eintritt. Wie schlecht kennen Sie dieses Volk!
Wenn Herr Kollege Kiesinger hier gesagt hat, die Befragungen hätten ergeben, daß die Mehrheit hinter der Politik des Kanzlers stehe, — na, meine Damen und Herren, warum haben Sie dann solche Angst, das Volk zu fragen, wenn Sie gewiß sind, daß es hinter Ihnen steht?
Ihre Angst ist doch ganz offensichtlich, daß sich draußen die Bevölkerung aus ihrer tiefen Unruhe und Sorge gegen das wehrt, was man mit ihr zu tun beabsichtigt. Das beweist doch zugleich, wie richtig es war, diese Parolen in das Land zu tragen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie nun glauben, durch die Verhinderung einer sorgfältigen
dritten Lesung draußen Ruhe schaffen zu können, sollten Sie sich klar sein, daß Sie bei Ihrem jetzigen Verhalten gerade das Gegenteil bewirken, daß die Unruhe wachsen und zunehmen wird, wenn man draußen sieht, wie hier in diesem Bundestag die Debatte über das Knie gebrochen werden soll.
Davor warnen wir, und aus diesem Grunde wehren wir uns gegen den Antrag, noch heute die dritte Lesung stattfinden zu lassen. Wir bitten, ihn abzulehnen und den Bundestag nicht zum Sonntag einzuberufen.