Ich weiß es sehr wohl. Ich habe kein so kurzes Gedächtnis, daß ich das nicht wüßte. Es hat sich aber um ganz etwas anderes gehandelt. Herr Kollege Schmid hat hier erklärt: „Wo zahlt ein Staat für fremde Truppen noch Unterhaltskosten?"
— Ich muß jetzt bitten,
mich ausreden und mich wenigstens diese Frage beantworten zu lassen.
Ich habe erklärt: Die Gleichberechtigung ergibt sich einmal daraus, daß wir weder nach Grund noch nach Höhe verpflichtet sind, nach Ablauf des Übergangsjahres Stationierungsbeiträge zu bezahlen. Da bin ich mit Herrn Kollegen Gülich völlig einig.
— Herr Kollege Schmid,
ich meine, daß die Übergangszeit von zwölf Monaten notwendig ist, zumal durch die ganzen Auseinandersetzungen sowieso sehr viel Zeit verloren wurde. Das ist doch ganz selbstverständlich. Ich spreche hier über das Prinzip der Gleichberechtigung und wollte nur nachweisen, daß wir so weit kamen, daß wir mit allen übrigen gleichberechtigt sind.
Und nun kommt die Antwort an Herrn Kollegen Gülich. Wenn wir erklärt haben: Wir sind bereit, auf der NATO-Basis zu verhandeln, und zwar so, wie alle anderen gestellt sind, dann widerspricht das doch nicht dem Grundsatz der Gleichberechtigung.
Ich habe ja nur gesagt, daß wir gleichberechtigt
sind. Darum geht es doch. Es dreht sich hier um
das Grundanliegen, um das es uns in diesen Verträgen geht; und dieses Grundanliegen scheint mir
in der Tat völlig gewahrt zu sein. Sie wissen ja
auch, daß dieses Grundanliegen nach Umbau der
EVG in die Form unseres neuen Verteidigungsbei-
trages noch viel stärker ausgeprägt ist, als es dies zuvor war.
Und nun etwas Weiteres. Ich kann nur einige Punkte, die mir besonders wichtig erscheinen, herausgreifen, damit sie hier nicht unwidersprochen bleiben.
Sie wissen, daß wir uns darum bemüht haben, diesen gesamtdeutschen Vorbehalt in das richtige Licht zu rücken. Sie wissen, daß wir darum kämpfen, daß wir davon überzeugt sind, dieser gesamtdeutsche Vorbehalt — was sich nicht nur aus dem Brief ergibt, den der Herr Bundeskanzler bekommen hat — könne niemals_ dazu führen, daß der Bundesrepublik gegenüber wieder irgendwelche alten besatzungsrechtlichen oder hoheitsrechtlichen Dinge auftauchen. Diese Fragen haben wir eingehend geprüft. Wir waren da auch weitgehend — ich will nicht sagen, in allen Punkten, aber doch weitgehend — zu in der Tendenz übereinstimmenden Erklärungen gekommen. Wir hatten uns klargemacht, daß dieser gesamtdeutsche Vorbehalt zum mindesten kein, wie Sie es ausdrücken, Monopol der Westmächte in der Politik der Wiedervereinigung bedeuten könne, sondern daß es das Ergebnis der neuen Rechtslage ist — das Ergebnis, das wir in mehreren Punkten festgehalten haben —, daß wir berechtigt sind, auch in der Frage der Wiedervereinigung eine eigene Politik zu betreiben. Dabei haben wir natürlich gewisse vertragliche Verpflichtungen übernommen, über die wir gar nicht zu debattieren brauchen. Die wollen wir ja auch einhalten. Wir wollen nicht auf jene Seite kommen, wo wir gegen diese vertraglichen Verpflichtungen verstoßen würden; ich will mich einmal vorsichtig ausdrücken, um niemandem zu nahe zu treten. Aber daß ein Monopol der Westmächte in der Frage der Wiedervereinigung vorliege, ist nicht der Fall.
Nun etwas anderes. Wir haben uns lange über die berühmten Fragen der Notwehr und des Notstandsrechtes unterhalten. Das Notwehrrecht war früher — im alten Deutschlandvertrag — ausdrücklich festgelegt. Es ist eine Selbstverständlichkeit völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Art, daß, wenn irgendeine Truppe direkt angegriffen wird — sagen wir, aus dem Hinterhalt beschossen —, sie sich wehren kann. Das ist das Notwehrrecht. Dieses ist völkerrechtlich so anerkannt und so selbstverständlich, daß wir darüber gar nicht zu streiten brauchen. Entgegenkommend haben die Drei Mächte erklärt, sie verzichteten auf eine Niederlegung in diesem Vertrag, und der Herr Bundeskanzler hat einen Brief geschrieben, um alle Mißverständnisse auszuschließen. Dieses Notwehrrecht bedeutet eine Selbstverständlichkeit, belastet uns also in keiner Weise stärker als, sagen wir einmal, das Notwehrrecht von Truppen, die in Frankreich oder in Italien oder irgendwo sonst stationiert sind, diese Staaten belastet.
Nun zum Notstandsrecht. Da ist zunächst einmal sehr wichtig, wie man diese Dinge behandelt. Es ist doch so, daß man ganz objektiv zugeben muß — man mag zu den Verträgen stehen, wie man will —, daß in der Frage des Notstandsrechts ein außerordentlicher Fortschritt selbst gegenüber dem Zustand des Vertragsentwurfs von 1952 erzielt ist,
ein ungeheurer Fortschritt gegenüber unserer gegenwärtigen Lage, die uns in einer besatzungsreichen Situation findet.
Aber Sie haben dann, statt anzuerkennen, daß wir im Bundestag es völlig in der Hand haben, dieses Notstandsrecht abzulösen, das nur noch von unserer Entschließung abhängt, lediglich die Frage aufgeworfen: wer entscheidet darüber, wenn es einmal einen Streit gibt, ob das deutsche Bundesgesetz genügt, diese Notstandsrechte abzulösen? Zunächst, Herr Kollege Schmid, kann man ja wohl nicht für jeden Streitfall ein besonderes Schiedsgericht einbauen. Es ist auch schließlich so, daß die Formulierung eine für uns ausgesprochen glückliche ist. Es steht nirgends, daß die Alliierten eine Erklärung abgeben müssen, sie seien damit einverstanden, daß das Notstandsrecht aufhört. Es heißt einfach: diese Rechte erlöschen mit dem Erlaß eines entsprechenden Gesetzes.
Nun gebe ich Ihnen zu, daß man eventuell darüber streiten kann, ob dieses Gesetz genügt oder nicht genügt. Aber Sie wissen auch so gut wie alle hier im Hause, die den Verhandlungen beigewohnt und den Bericht gelesen haben, daß zu diesem Punkt noch besondere Interpretationserklärungen abgegeben worden sind, aus denen sich eindeutig ergibt: es wird von uns nicht ein Gesetz mit einem ganz bestimmten Inhalt verlangt. Es wird durchaus nicht verlangt, daß wir einen Art. 48 der Weimarer Verfassung wiederholen. Es wird nur gefordert, daß wir diese Materie überhaupt regeln, daß wir unsere Verfassung — entschuldigen Sie, wenn ich das einmal sage — in diesem Punkte auf einen Stand bringen, der für eine Verfassung eine Selbstverständlichkeit sein müßte. Ich persönlich halte eine Verfassung, die keine Regelung für den Fall gibt, daß wirklich einmal Not am Mann ist, für unzulänglich. Dann muß irgend etwas durchgesetzt werden, denn das Leben in einem Staat geht ja weiter, und man ist einfach gezwungen, die Menschen gewissermaßen in die Verfassungsbrüche hineinzutreiben. Also ist es doch eine legitime Notwendigkeit, unsere Verfassung dahin auszubauen. Wir werden uns später noch genügend darüber unterhalten, in welchem Umfang und in welcher Form dies geschehen kann.
Dann etwas, was mir noch sehr am Herzen liegt. Immer wieder kommen alle und auch Sie, Herr Kollege, auf die berühmte Frage der Souveränität zurück. Ich will mich mit Ihnen nicht auf völkerrechtliche Theorien einlassen. Ich will hier nur zwei Dinge ganz deutlich klarstellen. Einmal haben Sie erklärt, die Bundesregierung habe gewissermaßen mit Hilfe dieses Begriffes der Souveränität falsche Vorstellungen erweckt. Ich glaube, daß ich Sie ziemlich wörtlich zitiere. Sie haben gesagt: hier wird etwas in Aussicht gestellt, was in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist. Mit anderen Worten: man bringt dem Volk so einen großartigen fremdländischen Begriff, und das Volk meint nun, wir seien jetzt ein Staat geworden, der sich machtmäßig, wirtschaftlich usw. durchaus sehen lassen kann. So muß man das verstehen, Herr Kollege Schmid. Aber ich meine, Sie sollten die Dinge doch nicht so durcheinandermischen. Wir wissen genau: es gibt einen formalen Begriff der Souveränität, und es gibt den politischen oder den faktischen Begriff der Souveränität. Niemand von der Bundesregierung hat behauptet, dadurch, daß das Wort Souveränität im Vertrag stehe, wachse unser Staat plötzlich unge-
heuer an effektivem, realpolitischem Gewicht. Lesen Sie bitte die Regierungsbegründung nach, und lesen Sie bitte nach, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dem Hohen Hause vorgetragen hat.
Es hat sich nicht darum gehandelt, daß wir nun plötzlich das Gewicht einer Großmacht bekämen, sondern es hat sich um einen ganz klaren und für uns sehr wichtigen Sachverhalt rechtlicher und völkerrechtlicher Art gehandelt, nämlich darum, daß erstmals in diesem Vertragstext gesagt wurde: die Bundesrepublik erhält die volle Macht eines souveränen Staates in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten. Aus dieser Fassung ergibt sich rein juristisch, ohne faktische Gewichtsverlagerung, daß uns niemand mehr einwenden kann, wir hätten einen irgendwie obskuren, nicht ganz klaren, besatzungsrechtsähnlichen Sonderstatus, sondern wir können uns daruf berufen, daß der internationale Rechtsbegriff der Souveränität uns zusteht, und daß uns in allen zweifelhaften und offenen Fällen die Zuständigkeit zuwächst.
Das ist der ganz klare Sachverhalt. Dieser Sachverhalt, Herr Kollege Schmid, ist für uns, für unsere Weiterentwicklung, gerade für die Dinge, die auch Sie wollen, von besonderer Bedeutung. Ich hätte einmal Ihre Rede und die Reden Ihrer Kollegen hören mögen, wenn das Wort „Souveränität" nicht vorgekommen wäre, wenn man irgendeine zweifelhafte Umschreibung gebraucht hätte.
Dann wäre hier gesagt worden: Was ist das für ein I Vertrag! Nicht mal eine saubere, klare juristische Lösung! Sie haben nicht mal den Mut gehabt, das Wort „Souveränität" zu verlangen! — Das wäre die Argumentation gewesen, die wir zweifellos hier zu hören bekommen hätten.
Das ist die Situation. Und ich meine, es wäre eigentlich unser aller Interesse — unser aller, sage ich, auch der Opposition —, diese Rechtsposition für uns zu wahren und auszubauen und sie nicht trotz des klaren Wortlauts in Zweifel zu ziehen.
Aber es ist nun nicht so, als stiege uns gewissermaßen der Begriff Souveränität in den Kopf und als wären wir nun plötzlich ein Wesen in der internationalen Völkergemeinschaft, das durch einen ungeheuren Auftrieb Ansprüche stellt. Wir wollen das gar nicht. Im Grunde geht es uns um den juristischen Status der Souveränität, und es geht uns — das ist für mich das Entscheidende — um die Gleichberechtigung mit den anderen Völkern. Das ist der springende Punkt. Nur wenn wir diesen Souveränitätsbegriff haben, können wir immer weiter in die Gleichberechtigung hineinwachsen. Man kann uns nicht mit dubiosen Fällen kommen, die schließlich auf Grund einer Diskriminierung gelöst werden sollen. So viel möchte ich zu dem sagen, was Sie hier zur Souveränität vorgebracht haben.
Aber noch ganz kurz einige allgemeine Bemerkungen. Wenn ich so höre, daß argumentiert wird: warum diese ganzen Verträge? Auch ohne Verträge sind wir doch stark geworden, auch ohne Verträge sind wir vorwärtsgekommen. Sicher würde man unser Wort, unseren Ruf auch vernehmen, wenn wir diese Verträge nicht hätten! —Ja, Herr Kollege
Schmid, wie soll eine Regierung überhaupt noch völkerrechtlich auftreten und arbeiten, wenn Sie alle Verträge ablehnen, weil Sie meinen, man käme auch de facto weiter?
Ist es nicht eine Pflicht, auch einmal aus dieser besatzungsrechtlichen Situation herauszukommen und uns ehrlich und rechtlich zu legalisieren?
Natürlich sind wir nicht mehr in einem Stande, wie wir dies im Jahre 1946 waren. Aber ich meine, es ist unser politisches Recht, diese Legalisierung zu fordern, und die Drei Mächte haben auch gesagt, daß wir von Rechts wegen als Volk darauf Anspruch haben. Ich meine, es ist gerade für uns Juristen — ob wir nun der völkerrechtlichen, der zivilrechtlichen oder einer anderen Richtung angehören, wenn wir noch ein Herz für das Recht haben — eine wirkliche Aufgabe, hier auf einen sicheren Rechtsboden zu kommen. Ich frage: Wie hätte man sonst weiter argumentieren können? Man konnte sich doch nicht in diesem unklaren Zustand weiter bewegen. Auch in diesem Punkt, in der Frage: Wie soll man die internationalen Verträge gestalten? muß man nach dem, was ich heute gehört habe, eigentlich ein Wort des englischen Arbeiterführers Attlee zitieren, das ich wörtlich aus der Zeitschrift „Englische Rundschau" entnehme und das er bei der Vertragsdebatte im englischen Unterhaus gesprochen hat. Da sagte Attlee wörtlich:
Ich bin seit Jahren interessierter Teilnehmer an internationalen Sozialistenkongressen. In der Regel waren wir nicht der Meinung, daß die deutschen Sozialdemokraten besonders gute und zuverlässige Wegweiser waren.
Ich möchte Sie doch an dieses Wort erinnern. Wir müssen hier offen miteinander sprechen, besonders in einer Situation, wo es um ein gemeinsames Anliegen geht.
Wenn Sie nun sagen: die Verträge weisen wenig Geist des Vertrauens auf, dann muß ich erwidern: ich glaube, alle, die sich ernsthaft um diese Verträge bemüht haben, sind beeindruckt von dem Vertrauen, das man uns gibt.
Sie sind beeindruckt darüber, daß es gelungen ist, zu solchen Verträgen zu gelangen. Das war ja nicht so ganz selbstverständlich. Die theoretischen Erwägungen, man brauche nur die Folgerungen zu ziehen, die sind nicht gut. Man muß das Vertrauen sich auch durch eine klare und konsequente Politik erwerben.
Ich glaube, wir haben allen Grund, dafür dankbar zu sein, daß es gelungen ist, oft auch gegen gewisse emotionale Erscheinungen in unserem Volk, dieses Vertrauen durch eine Regierung und durch eine parlamentarische Mehrheit durchzusetzen, die eine klare Linie verfolgt hat.
Nun ganz zum Schluß noch folgendes! Man kann das Recht verschieden betrachten. Man kann das Recht nach der Vergangenheit hin sehen. Man kann immer sagen: Ja, da ist eine Klausel, die gefällt mir nicht; hier sind Dinge geregelt, die mit dem Kriegsende zusammenhängen, und da hätten wir noch
etwas Besseres bekommen können. — Diese Betrachtung des Rechts, die immer nur in die Vergangenheit führt und die den Deutschen schließlich zu einem Michael Kohlhaas werden läßt, diese Betrachtung des Rechts ist nicht diejenige, die uns vorwärts bringt. Vorwärts bringt uns die Betrachtung des Rechts, die in die Zukunft blickt.
Wir müssen die Rechtslage auch immer dahin prüfen: welche Entwicklungsmöglichkeiten gibt sie uns? Und es ist ganz das, was der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck brachte: Wir dürfen nicht immer nur mit Angst in die Vergangenheit sehen und denken: haben wir da einen kleinen Fehler gemacht, muß der Notar das beanstanden oder kann er es vielleicht durchlassen
oder muß er es gleich seiner Versicherungsgesellschaft melden? Nein, wir müssen die Ansatzpunkte für eine Entwicklung sehen, und nur wer die Ansatzpunkte sieht und wer seinen Weg weiter geht, der handelt politisch und der handelt auch im Sinne eines großen und eines weiten Rechts.
In diesem Sinne haben wir alle Positionen für eine Gleichberechtigung erreicht. Wir haben alles, was uns ermöglicht, überhaupt weiterzukommen und vorwärtszuschreiten. Wir sind in der großen Gemeinschaft dieser westlichen Völker unter und mit ihnen. Wir sind gleichberechtigte Partner geworden mit Staaten und Völkern, mit denen uns eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Kultur verbindet und von denen wir leider Jahre hindurch so schrecklich und so unheilvoll getrennt waren. Gerade daß wir mit ihnen keine Gemeinschaft mehr hatten, hat uns doch in das Unglück, das hinter uns liegt, hineingeführt.
Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, müssen wir die große politische Linie erkennen, die auch in dem Recht dieser Verträge zum Ausdruck kommt. Und dann dürfen wir — und ich muß das ausdrücklich betonen — auch mit einem Stolz auf das sehen, was erreicht worden ist, und nicht nur immer das Negative betrachten.
Ich frage: War es denn nicht so, daß den verantwortlichen Staatsmännern in der Weimarer Republik das Leben geradezu unmöglich gemacht wurde, weil es eine Opposition gab — damals saß sie auf der andern Seite des Hauses —, die diese Menschen durch ständiges Vorrechnen der Unzulänglichkeiten, der Hemmungen, der nicht genügenden Fortschritte einfach verhindert hat, ans Ziel zu kommen?!
Wir sollten hier mehr zusammenarbeiten und wir sollten denen, die die Verantwortung tragen, stärker helfen, weiterzukommen, als daß wir immer aus juristischen Schwierigkeiten heraus ihr Werk schmälern und ihnen damit auch ihr Selbstvertrauen nehmen.
Damit möchte ich das abschließen, was ich gerade zum rechtlichen Teil dieser Verträge noch zu sagen hatte.