Nein, davon dürfen Sie nicht ausgehen, Herr Kollege Strauß. Ich unterhalte mich hier ja nur über die Indemnität, auch über Ihre Indemnität, die durch den Abs. 4 des § 2 aufgehoben wird, und ich weiß nicht, was die Indemnität für Abgeordnete überhaupt noch für einen Sinn haben soll,
wenn wir nicht mehr rügen dürfen, daß es Maßnahmen gibt, die darauf hinauslaufen, die Verfassung der Bundesrepublik oder eines Landes zu brechen.
Wenn wir zu uns selbst hier im Bundestag oder in einem Ausschuß dieses Bundestages das Vertrauen verloren haben, derartige Dinge zu sagen, dann ist die ganze militärische Aufrüstung dieser Bundesrepublik nicht einen Pfennig wert, meine Damen und Herren!
Sie müssen in diesem Zusammenhang doch bedenken, daß damit das Recht der freien Meinungsäußerung, das uns nach Art. 5 des Grundgesetzes zugestanden wird, und die in Art. 46 des Grundgesetzes verankerte Indemnität verletzt werden. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was an Knebelung für einen Abgeordneten überhaupt nur möglich ist, daß ihm das Recht genommen wird, etwas zu rügen, was nach seiner Auffassung verfassungsmäßig nicht zulässig ist. Damit ist natürlich der Verfolgung von politischen Gegnern von vornherein Tür und Tor geöffnet. Wenn einer von uns in Zukunft in Fragen, die militärische Dinge betreffen, auf Umstände hinweist, die verfassungsmäßig nicht zulässig sind, dann läuft er nicht nur Gefahr, verfolgt zu werden, sondern — darauf können Sie sich verlassen — er wird auch verfolgt werden. Wir haben schon manches erlebt in einer Zeit, in der wir in Deutschland eine demokratische Republik hatten. Ich brauche hier in diesem Hause doch wohl nur den Namen Ossietzky zu nennen,
um Ihnen in Erinnerung zu rufen, welcher Maßnahmen gegen demokratische Politiker Institutionen wie die Staatsanwaltschaften zur Zeit der Weimarer Republik fähig gewesen sind.
Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie kennen alle auch die übrigen Fälle, die ich im einzelnen hier nicht zu erwähnen brauche, um sich selbst klarzumachen, welche Gefahr in dieser Bestimmung des § 2 Abs. 4 liegt. Warum soll denn, meine Herren vom Auswärtigen Amt und vom Bundesjustizministerium, hier in diesem Hause, im Plenum und in seinen Ausschüssen, nicht davon gesprochen werden, wenn militärische Maßnahmen ,die Verfassung zu brechen drohen? Ich frage insbesondere das Bundesjustizministerium, ob es zu diesem § 2 Abs. 4 seine Zustimmung gegeben hat. Aber ich darf wohl annehmen, daß das geschehen ist; denn sonst würde doch auf dringende Vorstellungen seitens des Bundesjustizministeriums die Möglichkeit bestanden haben, diese Bestimmung aus den Pariser Verträgen herauszulassen.
Ich glaube, daß hier ein Weg beschritten wird, der uns von den demokratischen Mitteln, die jeder einzelne von uns haben muß, abbringt, und daß wir hier in unseren verfassungsmäßigen Rechten in einer Art und Weise beschränkt werden, daß von der freien Ausübung des Abgeordnetenmandats in unserem eigenen Parlament nicht mehr die Rede sein kann. Und das scheint mir zumindest ein Weg zu sein, auf dem man dahin kommen kann, wohin wir in Deutschland schon einmal gekommen sind; das alles geschieht im Zeichen der Wiederbewaffnung und Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland!
Das waren einige Beispiele aus den Verträgen, die ich noch vermehren könnte. Es waren Beispiele von Bestimmungen, die mit Zustimmung ,der Bundesregierung in diese Verträge hineingekommen sind, ohne daß sie sich mit den grundgesetzlichen Bestimmungen in Übereinstimmung befinden.
Nun will ich Ihnen sagen, Herr Kollege Strauß, daß wir, falls diese Verträge in Kraft treten sollten, selbstverständlich alle Maßnahmen ergreifen werden, die erforderlich sind,
um der Verfassung Rechnung zu tragen, damit eben
in erster Linie den Verfassungsbestimmungen
Rechtswirksamkeit verliehen wird, damit nicht Bestimmungen, die nicht verfassungsmäßig sind, in den Verträgen bleiben und damit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in dem Genuß ihrer verfassungsmäßigen Rechte bleiben und ihnen nicht durch Bestimmungen in den Pariser Verträgen diese Rechte genommen werden.
— Nein, nicht „doch", Herr Kollege Strauß. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß meine Ausführungen eine Kritik an den Verträgen bedeuten, aber nicht den ersten Schritt zu einer Klage beim Verfassungsgericht in Karlsruhe. Welche Maßnahmen dazu notwendig sind, das müssen Sie uns allein überlassen. Dazu nützen auch gar keine gutgemeinten Ratschläge, denn sie würden eher das Gegenteil von dem erreichen, was Sie erreichen wollen.
Es ist nach meiner Auffassung bedauerlich, daß sich die Bundesregierung dadurch, daß sie eben die Verträge durch den Bundeskanzler um meines Erachtens fragwürdiger militärpolitischer Ziele willen unterzeichnen ließ, vertraglich verpflichtet, das Grundgesetz zu verletzen; denn das muß sie, wenn sie Bestimmungen nachkommen will, die in diesem Vertrag enthalten sind, sofern es von ihr von den Drei Mächten verlangt wird.
Nun werden Sie mir in dem Eifer, in dem die Wiederbewaffnung und Wiederaufrüstung betrieben wird, sagen: Was ist schon Todesstrafe, was ist Auslieferung von Deutschen, und was sind Bundestagsabgeordnete und deren Indemnität wert, wenn es sich um Wiederbewaffnung und Wiederaufrüstung handelt! Meine Damen und Herren, so ist es nicht. Ich glaube, daß die von mir hier nur beispielhaft aufgezeigten Probleme keine Angelegenheit sind, denen man ihre Bedeutung absprechen kann. Es handelt sich hier um Fragen, vor die jeder einzelne Deutsche gestellt sein kann, auch Sie und auch ich. Wir werden uns jetzt zu entscheiden haben, ob wir etwas tun, das uns in der Ausübung unserer Rechte hindert. Diese Bestimmungen sind, wie vieles andere, das ,was man einfach eine Verletzung des Grundgesetzes nennen muß, und gar nichts anderes. Es handelt sich bei ihnen nämlich um Symptome einer Art und Weise, das politische Leben in Deutschland schon wieder mit Dingen zu belasten, die einfach unerträglich sind.
Sie haben in diesen Tagen hier von meinen Freunden im wesentlichen politische Argumente gehört, die ins Feld geführt worden sind, um diese Verträge nicht Rechtskraft erlangen zu lassen. Ich habe versucht, Ihnen an einigen Beispielen klarzumachen, daß es aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, diese Verträge so hinzunehmen, wie sie uns hier vorgelegt werden, weil sie in wesentlichen Punkten nicht mit idem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen sind. Ich habe versucht, in der kurzen Zeit, die ich hier heute Abend nur in Anspruch nehmen kann, Ihnen die Steine aufzuzeigen, an denen Sie auf Ihrem Opfergang einfach nicht vorbeikommen, wenn Sie Deutschland wiederbewaffnen und wiederaufrüsten wollen.
Was aus diesen Verträgen — und nun lassen Sie mich hier ein persönliches Wort sagen — entstehen wird, wird nicht das Recht des deutschen Volkes und des deutschen Staates sein, in Freiheit und in Frieden zu leben, sondern was hier aus diesen Verträgen kommt, das wird möglicherweise der unter falscher Flagge geführte Kampf aller gegen alle sein, der möglicherweise mit der Vernichtung von
Millionen von Menschen aller Völker in der ganzen Welt enden wird, die in Wirklichkeit nichts anderes und nichts weiter wollen als das Recht zum Leben, als leben, leben und nochmals leben.