Ich habe es leider nicht so verstehen können. Aber wenn es so gemeint gewesen sein soll, Herr Kollege Schmid, dann isst meine Bemerkung überflüssig gewesen.
Ich will etwas systematisch und rein juristisch vorgehen insofern, als ich mich an die Kritik und Disposition halte, die mir aus dem Rechtsausschuß, wo ein anderer Vertreter der Opposition der Hauptsprecher war, noch im Gedächtnis ist; denn ich muß mich in der Hauptsache auf mein Gedächtnis verlassen.
Dort war die erste Frage, die auftauchte: Welches ist denn eigentlich der Inhalt dieses ganzen Vertragswerks? Läßt sich das überhaupt unter die Normen des Grundgesetzes verbindlich subsumieren; mit anderen Worten, verstößt er nicht gegen dieses Grundgesetz? Dann haben wir eindeutig geklärt — auch das war eine sehr erhebliche Zweifelsfrage —, was der Inhalt dieser Verträge ist. Wir haben geklärt, daß durch die Formulierung des Art. 1 des Pariser Protokolls jeder Abgeordnete, der diesen Verträgen zustimmt, den Gesamtverträgen in der neuen Fassung zustimmt. Das war auch eine rechtliche Zweifelsfrage, die aufgeworfen worden war und die wir im Rechtsausschuß mit Zustimmung der Opposition in dieser Weise gelöst haben.
Über die Frage, ob die Gesamtverträge mit unserer Verfassung vereinbar sind, ob sie beispielsweise mit dem Art. 142 a des Grundgesetzes, den wir hier einmal verabschiedet haben, gedeckt sind, entspann sich sofort wieder ein Streit. Der Sprecher der Gegenseite sagte, für ihn sei der Art. 142 a, der jetzt in unserem Grundgesetz steht, null und nichtig, er habe für ihn noch nicht einmal den Schein eines Rechts, denn nach seiner Auffassung sei der Art. 79, auf dem der Art. 142 a fuße, überhaupt nicht abänderbar. Deshalb sei das weder eine Grundgesetzänderung noch sei es eine authentische Interpretation, sondern — wie er einmal formuliert hat — es sei. ein Urteilsspruch in Gesetzesform.
Ich will das nicht vertiefen; wir haben im Rechtsausschuß nicht bis zum Schluß ausdiskutiert, was denn nun von den Verträgen unter Art. 142 a alter Art fällt. Wir müssen jedenfalls unterstellen: solange nicht eine Stelle in unserem Staat, sei es das Bundesverfassungsgericht, durch Urteilsspruch mit Rechtskraft festgestellt hat, daß der Art. 142 a nichtig ist, müssen wir ihn, weil er nun mal in unserer Verfassung steht, als gültig behandeln. Wenn wir das als richtig unterstellen, dann werden die Verträge — das ist aber meine persönliche Auffassung — durch den Art. 142 a so weit gedeckt, als sie damals, als wir ihn hier verabschiedeten, in ihrer Formulierung bereits vorlagen. Was die neuen Teile, also die Änderungen, anbelangt, so möchte ich für mich sagen, sie werden durch den Art. 142 a nicht gedeckt, und es bliebe zu untersuchen, ob diese Änderungen gegen unser Grundgesetz verstoßen oder nicht.
Um es zusammenfassend zu sagen: Ich bin der Meinung — das haben wir im Rechtsausschuß sehr eingehend untersucht, und dem ist auch von der Gegenseite bis auf einen einzigen Fall, den ich gleich behandeln werde, nicht widersprochen worden —, daß auch die neuen Änderungen zu den Verträgen nicht grundgesetzwidrig sind. Selbst ein Sprecher der Opposition im Rechtsausschuß gab zu, daß an sehr, sehr vielen Stellen Änderungen haben erzielt werden können, die mit Bezug auf die Frage, ob sie mit dem Grundgesetz konform gehen oder nicht, Zweifel beseitigt haben.
Mir fällt auf, daß Herr Kollege Schmid soeben in seinen Ausführungen über die Souveränität, die uns in Art. 1 Abs. 2 — er lautet bekanntlich: Die Bundesrepublik wird demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben — gewährt wird, gesagt hat: Das ist eine Scheinsouveränität, die ist noch mit fallen möglichen Vorbehalten belastet, sie ist gar keine echte Souveränität; es hätte uns da viel mehr gegeben werden müssen. Daß sie uns diese echte Souveränität nicht gegeben hätten, begründet er mit dem mangelnden Vertrauen — wie er mir eben deutlich gemacht hat — der anderen zu uns. Er hat formuliert, die anderen seien die Freien, und wir seien die Freigelassenen. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist denn die Situation? Ich hätte eigentlich geglaubt, daß Herr Kollege Carlo Schmid weiß, aus welcher Situation wir kommen. Wir haben doch den Krieg verloren!
Wir waren besetzt. Man soll doch hier nicht immer so tun, als ob wir in einer Situation seien, die frei sei, als ob wir eine freie Nation gewesen wären, als ob wir tun und lassen könnten, was wir wollten. Wir waren doch ein niedergebrochenes Volk. Wir hatten das Vertrauen der ganzen Welt durch die 12 Jahre Nationalsozialismus verloren, und wir können doch nicht erwarten, daß uns die ganze Welt umarmt und uns sagt: Hier habt ihr eure Freiheit, nun macht damit, was ihr wollt!
Vielmehr müssen wir uns doch Schritt für Schritt durch Erwerbung neuen Vertrauens diese Freiheit wieder erkaufen. Wenn ich das mal unterstelle, dann bin ich allerdings der Meinung, daß die Formulierung in Art. 1 Abs. 2 ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der früheren Fassung ist; denn er stellt jetzt eindeutig und einwandfrei fest, daß überall da, wo nicht irgendwelche Vorbehalte aus den Verträgen sich ergeben, wir zweifellos unsere staatliche Handlungsfreiheit und damit unsere Souveränität haben. Wir haben die Rechtsvermutung der Souveränität vorerst für uns, und die andern müssen in jedem einzelnen Fall dartun, daß dem nicht so ist.
Aber das Merkwürdige — und jetzt komme ich auf das Merkwürdige —: gerade diese Fassung des Art. 1 Abs. 2 war für den Sprecher der Opposition im Rechtsausschuß der Stein des Anstoßes. Er sagte: „Gerade dieser Art. 1 Abs. 2 hätte in dieser Formulierung niemals seinen vertraglichen Niederschlag finden dürfen. Gerade dieser Art. 1 Abs. 2 verstößt grundsätzlich gegen unser Grundgesetz." Er nahm folgende Konstruktion vor und sagte: Hier ist zum ersten Mal überhaupt von der Bundesrepublik im Sinne eines souveränen Staates — auf das Wort „Staates" legte er Wert — gesprochen, und das hat man ganz bewußt und vorsätzlich so formuliert, weil man das zu einem ganz bestimmten politischen Zweck brauchte, nämlich zu dem Zweck, uns in den Brüsseler Pakt, im wesentlichen aber in die NATO aufzunehmen. Er sagte: In die NATO können nur Staaten aufgenommen werden, die echte völkerrechtliche Grenzen, die ein befriedetes Staatsgebiet und die keine territorialen Ansprüche mehr haben; das hat man hier vorsätzlich konstruieren wollen; das Wort „Bundesrepublik" ist hier in einer Art und Weise gebraucht, die unser Grundgesetz verbietet. — Insoweit hat er recht, wenn er sagt, daß das Wort „Bundesrepublik" niemals bedeuten kann, daß dieses Westdeutschland etwa das ganze Deutschland wäre. Ich komme aber gleich darauf zurück.
Er bezieht sich dann auf die Erklärung in der Londoner Schlußakte, die wir abgegeben haben, die Grenzen dieser Bundesrepublik nicht mit Gewalt verändern zu wollen, und auf das Prinzip
der NATO, das für ihn darin besteht, nur befriedete Staaten mit echten Grenzen könnten dort als Mitglieder aufgenommen werden. Er führt das Beispiel Irlands an und sagt: Mit diesen drei Elementen, Verzicht auf gewaltsame Revision dahingehend, die Wiedervereinigung zu erlangen, das Prinzip der NATO und die Formulierung „souveräner Staat", wird gerade ein Zustand geschaffen, der durch das Grundgesetz verboten wird; denn hier wird ein Staat „Bundesrepublik Deutschland" festgelegt, auch völkerrechtlich in seinen Grenzen festgelegt, was grundgesetzlich nicht möglich ist; und das ist ein elementarer Verstoß gegen den Sinn und den Geist und die positive Vorschrift unseres Grundgesetzes.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, der eine Sprecher sagt: Wir haben zuwenig Souveränität, das ist bloß eine Scheinsouveränität, der andere Sprecher der Opposition sagt: Wir haben viel zuviel Souveränität, wir sind viel zu weit über die Dinge hinausgegangen.
Das Entscheidende ist: er wollte ja damit zu einer gewissen Schlußfolgerung kommen, er wollte nämlich zu der politischen Schlußfolgerung kommen, die er auch teilweise expressis verbis in seinem Minderheitsbericht festgelegt hat, daß wir das in Kauf nehmen, in Kauf nehmen selbst um den Preis, daß wir damit, wie er es zu konstruieren versucht, hier vertraglich bindend auf den Anspruch auf Wiedervereinigung verzichten wollten. Das ist nämlich dann die politische Konsequenz, die daraus gezogen werden soll.
Die Regierung hat uns die notwendigen Auskünfte gegeben, und ich zweifle nicht an ihrer Richtigkeit. Wer die Entstehungsgeschichte kennt, der weiß es auch so, daß diese Konstruktion durch
nichts begründet ist. Denn wenn dort von unserer Seite — von unserer Seite ist darauf Wert gelegt worden, diesen Ausdruck „souveräner Staat" zu bekommen — so formuliert ist, dann hatte das nichts mit Grenzen Deutschlands zu tun, die völkerrechtlich echte Grenzen sind, sondern bezog sich auf die Linien, die — ich will mich vorsichtig ausdrücken — den Geltungsbereich des Grundgesetzes begrenzen, wo etwas anderes beginnt, also Grenzen nur in diesem Sinn, aber nicht Grenzen im völkerrechtlichen Raum. Wir haben keinen Zweifel, daß dem so ist. Dias andere ist doch herbeigeholt, weil man zu einer bestimmten politischen Schlußfolgerung kommen wollte.
Das Beispiel Irlands zieht überhaupt nicht; denn Irland ist nicht zu NATO beigetreten, weil es erklärt hat, es würde damit für immer rechtlich auf Nordirland verzichten. Aber Nordirland und der neue Staat Irland waren noch niemals eins, wie wir als Deutschland eins sind. Infolgedessen zieht dieses Beispiel nicht. Im Gegenteil, es ist doch selbstverständlich, daß wir darauf verzichten, Gewalt anwenden zu wollen, denn dann wollten wir ja den Krieg. Gerade weil die anderen wissen, daß wir hier einen echten, einen gar nicht wegzudisputierenden Anspruch auf Wiedervereinigung haben — gewissermaßen als ein selbstverständliches Naturrecht —, weil sie diesen Anspruch so sehr empfinden, weil sie wissen, daß er gar nicht weggeleugnet werden kann, deshalb haben sie vielleicht gefordert, daß wir nicht zu ungeduldig werden in der Verwirklichung, und deshalb haben sie vielleicht von uns gefordert, wir sollten sagen: diesen Anspruch dürft ihr aber nicht mit Waffengewalt verwirklichen wollen, und das ist gerade eine Anerkenntnis dieses unseres Anspruchs.
Ich bin der Meinung, daß es auch sehr gefährlich ist, wenn man behauptet, daß hier die Formulierung „die Bundesrepublik" in dem Sinne zu interpretieren sei, wie es dort die Opposition getan hat. Denn damit könnte man Argumente für die Gegenseite liefern, daß, wenn es ihr einmal paßte, sie dann vielleicht den Begriff so auslegen würde, um uns zu sagen: ihr habt ja damals wirklich auf etwas anderes verzichtet, ihr habt eure Grenzen selbst vertraglich festgelegt; nun können wir uns im Sinne unserer Vorstellungen von Koexistenz auf eurem Rücken einigen; ihr könnt dagegen gar nichts haben, denn ihr habt das ja zugestanden.
Nun zu Art. 2 und Art. 4. Auch diese Artikel hat der Herr Kollege Schmid hier als mit dem Begriff einer echten Souveränität nicht vereinbar kritisiert. Dann hat er aber im gleichen Atemzug gesagt: Ich bin selbst der Meinung, daß das Vorbehaltsrecht, soweit es die Beziehungen der drei westlichen Mächte mit Bezug auf Berlin, mit Bezug auf Gesamtdeutschland, auf Wiedervereinigung betrifft, vorbehalten bleiben muß, weil sonst die Rechtsbeziehungen zwischen den Vier Mächten überhaupt entfallen. — Ja, wenn man selbst zugeben muß, daß dem so ist, dann weiß ich nicht, wie man die aus diesen Verträgen sollte eliminieren können, und dann weiß ich auch nicht, wieso uns das besonders belasten soll.
Sehen wir doch das Positive in diesen beiden Artikeln, die ich eben angezogen habe. Sie besagen doch, daß mit Inkrafttreten der Verträge die Truppen der anderen, die bei uns stehen, eben keine Besatzungstruppen mehr sind, sondern daß sie auf Grund eines besonderen Aufenthaltsvertrags sich bei uns aufhalten können und dürfen. Ihre Zahl ist beschränkt, und — darin liegt gerade die Bedeutung — wenn diese Zahl, die heute da ist, demnächst erhöht werden soll, bedarf das unserer ausdrücklichen Zustimmung und kann nicht gegen unseren Willen geschehen. Ich meine, so müßte man die Bestimmungen des Art. 2 und des Art. 4 sehen.
Das nächste, was besonderen Anstoß erregte und was Herr Kollege Schmid hier ja auch mit einem gewissen Recht angesprochen hat, ist der Art. 5 in seiner Totalität vor allen Dingen der Abs. 2. Aber auch da haben wir einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem früheren Zustand erreicht. Denn früher hatten die Besatzungsmächte den Notstandsvorbehalt für sich auf allen Gebieten, und die Notstandsklausel bezog sich restlos auf alles. Jetzt ist es so, daß sie sich zwar auch noch ein gewisses Notstandsrecht vorbehalten. Aber wir haben es in der Hand, das Notstandsrecht dadurch abzulösen, daß wir in unsere Verfassung eine Bestimmung hineinsetzen, die unsere Regierung in den Stand setzt, gegebenenfalls, wenn dies nötig sein sollte, gewisse Notstandsmaßnahmen zu ergreifen. Das ist natürlich ein sehr heikles Kapitel. Die Regelung von Notstandsrechten in einer Demokratie wirft einen ganzen Haufen von Rechtsproblemen und auch politischen Problemen auf. Die Zeit ist zu fortgeschritten, als daß ich das sehr ausspinnen könnte. Ich will nur einiges strichweise andeuten.
Es tauchen sofort die Fragen auf: Wer soll den Notstand verkünden können? Wer soll ihn beenden können? In welche Grundrechte soll er eingreifen können? In welche Länderrechte? Wer soll die Exekutivgewalt haben? Usf., usf. Welche Prärogativen des Parlaments werden angetastet oder werden beibehalten? Man kann das gar nicht isoliert
sehen, man muß sich auch vorstellen, welche zukünftige Wehrverfassung auf uns zu kommt. Denn Notstand und Exekutive durch Militärbefehlshaber sind ja so eng verwandt, daß sie beinahe nicht auseinandergedacht werden können. Dann die Frage: Wie ist dieses Heer organisiert, wie ist es eingebettet in eine echte parlamentarisch-verfassungsmäßige zivile Kontrolle?
Eine andere Frage, die auch noch in diesem Rahmen gesehen werden muß, ist: Wie ist das Wahlrecht geordnet? Denn das Wahlrecht bestimmt ja entscheidend die Zusammensetzung des Parlaments. Die Frage: Wie ist dieses Wahlrecht, wie wird dieses Parlament voraussichtlich sein? ist eine wesentliche Frage, wenn man daran geht, hier Notstandsbefugnisse irgendwie zu umreißen, zu umgrenzen und festzulegen. Aber das wollen wir heute abend nur mal anschneiden. Darüber werden wir uns später hier in diesem Hause zu unterhalten haben. Ich will es nur mal umreißen. Aber es ist doch ein Fortschritt 'gegenüber dem seitherigen Zustand insofern, als wir es in der Hand haben, aus freiem Willen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß dieses Vorbehaltsrecht im Art. 5 Abs. 2, das die Besatzungsmächte in einem viel engeren Rahmen als seither für sich beansprucht haben, fällt.
Dann kommt der berühmte Art. 7 Abs. 2. Er lautet:
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt, und das in die Europäische Gemeinschaft integriert ist.
Dieser letzte Halbsatz war der Stein des Anstoßes. Sie haben ja gehört, daß auch mein verehrter Herr Vorredner daran wieder Anstoß genommen hat, indem er dahin formulierte, mit diesem letzten Halbsatz habe man sich verpflichtet, keine andere als eine ganz bestimmte, spezifische Wiedervereinigungspolitik zu treiben. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, ist denn dem wirklich so? Ist das wirklich eine so entscheidende rechtliche Verpflichtung, die hier normiert ist, oder ist das nicht die Fixierung eines gemeinsamen bestimmten politischen Zieles? Ich bin der Meinung, das letztere ist der Fall. Das entspricht auch ganz unserem Verfassungsauftrag, die Bundesrepublik und auch Gesamtdeutschland nicht etwa nach Osten absinken zu lassen, sondern sie in Europa, in einem vereinten Europa, wie die Verfassung sagt, wirksam werden zu lassen. Aber das ist gar nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist ja doch, daß der Art. 7 Abs. 3 — das muß man zusammen sehen — gestrichen worden ist. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß dieses wiedervereinigte Deutschland — das hoffentlich bald kommen möge —fr e i ist, frei ist von all diesen Verträgen, daß es seine Handlungsfreiheit wiedergewinnt. Darüber sind sich 'alle Partner einig, und der engliche Außenminister Eden hat es erst noch vor einigen Wochen expressis verbis als amtliche Auffassung Englands vor dem Unterhaus erklärt. Auch in der französischen Kammer hat man sich darüber auseinandergesetzt.
— Einen Moment, einen Moment! Der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses hat sich namentlich mit den Theorien auseinandergesetzt, die ein Abgeordneter — ich habe seinen Namen nicht mehr in der Erinnerung; es tut auch nichts zur Sache — entwickelt hat. Er unterschied nämlich drei Fälle von deutscher Wiedervereinigung, und je nachdem, wie diese Fälle gelagert seien, würden ganz bestimmte andere Rechtsfolgen eintreten. Dieser Abgeordnete hat den Fall unterschieden, daß wir den Raum dort drüben absorbieren, wie er sich ausgedrückt hat, oder den Fall, daß sie uns absorbieren, oden den Fall — den wir anstreben müssen und sollen —, daß durch eine freie Wahl eine gesamtdeutsche Nationalversammlung und damit eine gesamtdeutsche Regierung kommt. Ich kann auf die Einzelheiten jetzt nicht eingehen, sonst würde das eben doch zu weit führen.
Und darauf hat der Berichterstatter geantwortet: Er wolle diese Einzelheiten nicht untersuchen; denn er sagte: Das sind nur juristische Späße; darauf wird es gar nicht entscheidend ankommen, sondern es wird darauf ankommen: Was ist hier eine politische Realität, dann, wenn dieser Fall der deutschen Wiedervereinigung im politischen Raum und vor der Entscheidung steht?
Jedenfalls sind sich die anderen mit uns darüber einig, daß die Streichung des Art. 7 Abs. 3 bedeutet, daß wir, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland kommt, dann frei sind in unserem Handeln, daß wir dann nicht mehr an diese Verträge gebunden sind, und das ist doch auch gegenüber Rußland von Bedeutung. Hier wird dauernd gesagt, diese Verträge mit ihrem ganzen Inhalt versteiften die Lage gegenüber dem Osten. Das ist doch die wesentlichste Garantie auch für den Osten, wenn er weiß: Kommt ein wiedervereinigtes Deutschland, dann hat dieses die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden! Ich meine, gerade darin liegt der entscheidende Fortschritt gegenüber den Fassungen von früher.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich eigentlich mit dem Deutschlandvertrag schon am Ende. Ich erwähne nur noch den Art. 10, den Revisionsartikel. Daß er gegenüber dem früheren Zustand eine wesentliche Verbesserung ist, brauche ich ja nicht auseinanderzusetzen. Das können Sie selbst aus dem Text herauslesen.
Nun hat der Herr Kollege Carlo Schmid beanstandet, wir brauchten eigentlich eine Kündigungsklausel. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu was brauchen wir denn eine Kündigungsklausel? Ich unterstelle einmal theoretisch, wir kündigen diese Verträge. Dann muß ich mir doch klar sein, was dann eintritt: dann tritt doch normalerweise der vorvertragliche Zustand wieder ein, d. h. der Zustand, daß wir unter Besatzungsregime bleiben!
— Das isst eben nicht urjuristisch. Sie sprechen nach mir, Herr Kollege Greve, und Sie können mich dann widerlegen.
Schiedsgericht. Auch da ist ein wesentlicher Unterschied, eine wesentliche Verbesserung eingetreten. Sie wissen, früher hatte das Schiedsgericht,
das wir damals leider mit, ich will mal den Ausdruck gebrauchen, schlucken mußten, um die ganzen Dinge zu retten, die Befugnis, wenn wir bestimmten Auflagen und Auslegungen in unseren Gesetzen nicht nachkommen, dann durch ein Urteil, das im deutschen Raum dann als ein wirksames Gesetz galt, das anzuordnen. Durch schiedsgerichtliches Urteil konnte also in unsere eigene Gesetzeskompetenz entscheidend eingegriffen werden. Das ist gefallen, und darin sehe ich den entscheidenden Fortschritt. Das Schiedsgericht hat jetzt nur noch die Funktionen, wie sie eben ein Schiedsgericht unter gleichen Partnern nur haben sollte und nur haben kann. Das ist auch eine sehr entscheidende verfassungsmäßige Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand.
Ich gebe zu, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß da beispielsweise im Anhang A zum Truppenvertrag — nicht zum Aufenthaltsvertrag — noch so manche Unschönheit ist. Da ist es beispielsweise nicht gelungen, den Artikel zu streichen, der sich mit der rechtlichen Stellung von uns, den Bundestagsabgeordneten, mit Bezug auf Wahrung militärischer Geheimnisse befaßt. Das ist sehr unschön und muß auch demnächst, wenn wir das in einem neuen NATO-ähnlichen Truppenvertrag auszuhandeln haben, unter allen Umständen gestrichen werden. Das ist auch die Meinung des Rechtsausschusses gewesen. Dieser Meinung haben wir einheitlich Ausdruck gegeben.
Ich gebe auch zu, daß in den strafrechtlichen Tatbeständen, die dort normiert sind, Zweifel auftauchen, weil sie nach unseren Begriffen nicht so objektiv und subjektiv umgrenzt sind, daß man nicht alles mögliche mit ihnen machen könnte. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, es dreht sich um ein Provisorium, denn dieser Truppenvertrag wird ja durch einen anderen abgelöst, sobald die Verträge in Kraft getreten sind. Bis dahin kann also wahrscheinlich, wie wir doch hoffen wollen, nicht sehr viel Unheil entstehen. Wir müssen nur im Auge behalten, daß, wenn wir einen NATO-Truppenvertrag abschließen, diese unschönen Dinge beseitigt werden.
Daß in den Annexen, mit denen sich heute schon mein Kollege Scheel und andere beschäftigt haben, noch sehr unschöne Dinge stehen und daß es sich hier um echte Vorbehalte handelt, die selbstverständlich unsere Souveränität noch beschweren und beeinträchtigen, kann man natürlich nicht leugnen. Schuld daran ist die Situation, in der wir uns befinden. Man muß sich politisch fragen, will man dies oder will man nichts, und dann bekommen wir viel weniger, als wir jetzt haben. Das ist doch das Entscheidende!
Nun könnte ich eigentlich schließen. Aber ich habe mich hier mit verfassungsrechtlichen Dingen und Verfassungsproblemen zu befassen, und wenn ich das tue, dann kann ich das nicht, ohne daß ich noch einige Bemerkungen über die Methoden der politischen Auseinandersetzung mache, die in den letzten Wochen dieser Debatte vorausgegangen ist, und darüber, wie ich diese Methoden unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten beurteile. Ich bedaure zutiefst, daß die Auseinandersetzung in diesen Formen geschehen ist. Denn wir haben auch mit Zustimmung der Opposition im Parlamentarischen Rat eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre geschaffen. Das war auch der Wille der Opposition, und sie wußte, warum sie das damals wollte. Sie hatte nämlich die Gefahr erkannt, die darin liegt, daß man die Möglichkeit hat, draußen unserem Volk Alternativen oder Fragen vorzulegen, die gar keine echten Alternativen sind.
Darin liegt die Gefährlichkeit, und das hat die Opposition damals abgelehnt. Ich bedaure außerordentlich — ich sage es ruhig und sachlich —, daß sie davon abgegangen ist; denn, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wohin soll dieser Weg führen, wenn wir ihn weitergehen, wo soll das enden, wenn man den Anfängen nicht wehrt?
Sie haben ja selbst lesen und hören können, über den Rundfunk und über Gott weiß was vom Osten, wie sehr man dort diesen Methoden zujubelt. Es sind nämlich im Prinzip die Methoden des Ostens, die Methoden der totalitären Systeme.
Ich bedaure außerordentlich — —
— Lassen Sie mich doch bitte aussprechen, Sie können mir ja dann erwidern! Ich sage es nicht gehässig, ich sage es mahnend, ich sage es warnend, anders meine ich es gar nicht: Wohin soll dieser Weg führen, meine sehr verehrten Damen und Herren? Dieser Weg führt nicht zur freiheitlichen Demokratie, wie wir sie haben und wie Sie sie doch auch behalten wollen, sondern dieser Weg führt in der letzten Konsequenz zu einer Staatsform, die jede Freiheit und jede Demokratie erneut wieder auslöschen möchte. Sie warten doch schon alle draußen, jene Schakale, die da herumstreichen
— ich will gar keine Namen nennen. Von außen posaunen sie ja schon: Laßt mich jetzt kommen, ich werde schon die Kräfte organisieren, die organisiert werden müssen, um aus diesem Deutschland wieder etwas anderes zu machen.
— Sie lachen. Es hat schon einmal mit Lachen begonnen und endete in Blut und Tränen und Leid.
Ich warne davor, diesen Weg weiter zu gehen. Und, meine Herren von der Opposition, ich möchte hier einen Wunsch aussprechen. Heute mittag sprach ein junger Sprecher von Ihnen; ich weiß den Namen nicht mehr, Wienand, glaube ich. Seine Ausführungen haben mir ausgezeichnet gefallen. Da klang zum erstenmal etwas :an: daß man doch dieses Schicksal nur gemeinsam lösen könne.
— Meine Damen und Herren, ich sage: es klang etwas an; vielleicht habe ich ihn auch nicht verstanden.
— Nun gut, dann bedaure ich. Ich hatte wenigstens geglaubt, daß dia so etwas angeklungen wäre. Ich hätte das sehr, sehr begrüßt. Denn das ist doch wohl eine Erkenntnis, die man nicht leugnen kann,
meine Herren von der Opposition: wir können dieses Schicksal doch nur zusammen meistern. Und wenn wir schon eine wirklich reife, echte Demokratie hätten, dann müßte, gerade was die Außenpolitik :anlangt, die Rolle der Opposition eine andere sein. Ich will nicht untersuchen: Schuld oder nicht Schuld; das würde zu weit führen. Ich möchte nur aus innerstem Herzen wünschen, daß wir endlich — es wird hier so viel von Koexistenz gesprochen — dahin kämen. Wenn wir nicht bei uns endlich die Gesetze echter Koexistenz anwenden, wenn wir nicht endlich aufhören, uns gegenseitig vorzuwerfen: „Euer Weg 'ist grundsätzlich falsch", und wir sagen dann: „Euer Weg ist grundsätzlich falsch", und jeder nimmt für sich in Anspruch, daß er allein recht hat, daß er allein die deutschen Interessen vertritt, ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wo soll denn das hinführen? Wir müssen da doch zu einem gemeinsamen Weg kommen, namentlich in Beziehung auf die Fragen, die dann noch auf uns zukommen. Wir können doch nicht einseitig, machtpolitisch eine Wehrmacht aufbauen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da müssen Sie im Interesse Gesamtdeutschlands doch auch mitwirken.
Oder wollen Sie dann vielleicht sagen: Das lehnen wir ab, gleichgültig, mit welcher Mehrheit hier in diesem Deutschen Bundestag die entsprechenden Vorgesetze beschlossen warden sind? Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie das täten — ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das überhaupt nur ernsthaft überlegen —, dann würden Sie überhaupt das tragende Prinzip einer Demokratie vernichten; denn das tragende Prinzip der Demokratie ist nun einmal die Mehrheitsentscheidung, und ein anderes gibt es nicht.
Ich will nicht hoffen, daß Sie solche Überlegungen überhaupt ernstlich anstellen. Ich wünsche es von ganzem Herzen, daß wir in diesen Fragen endlich zueinanderkommen.
Ein Phänomen — das darf ich noch sagen — ist mir bei Ihnen bis jetzt immer unverständlich geblieben. Ich habe schon oft darüber nachgedacht. Ich habe darüber nachgegrübelt: Was mag denn eigentlich das Motiv sein? Sehen Sie, das ist die merkwürdige zwiefache Beurteilung, die Sie verschiedenen totalitären Systemen zuteil werden lassen.
Viele von Ihnen haben doch den hitlerischen Totalitarismus am eigenen Leibe gespürt. Und wie grauenvoll und wie leidvoll! Viele waren gezwungen, in die Emigration zu gehen und haben von dort aus ganz mit Recht nach ihren schwachen Kräften versucht, gegen dieses totalitäre System anzukämpfen und bei den anderen Hilfe zu bekommen, daß dagegen angekämpft wind. Gegen seine Expansionsbestrebungen haben sie aufgerufen. Sie haben auf die Gefährlichkeit hingewiesen. Ganz mit Recht! Aber wenn Sie heute von Rußland sprechen, dann tun Sie genau so, als ob dieses meines Erachtens noch viel furchtbarere totalitäre System des Ostens ein menschliches wäre,
eines, das zur Versöhnung bereit sei, und dergleichen mehr.