Richtig, je handlungsfreier und gleichberechtigter wir neben ihnen stehen. Aber hier kann man nicht im Komparativ sprechen, sondern hier muß man im Positiv reden, dann. heißt es aber: so gleichberechtigt, wie wir sind!
Wie gesagt, ich erhebe keinen Vorwurf, Herr Strauß, gegen diese Leute. Das Wesen der Politik besteht darin, daß man das Interesse des Staates, dessen Geschicke man lenkt, verfolgt.
— Darum haben sogar bei Bündnisverträgen, Herr Haasler, die Partner das souveräne Recht, zu bestimmen, wann der Bündnisfall gegeben sein soll. Und so ein Bündnisvertrag ist doch ein sehr viel engeres Verhältnis als eine Vertragsbestimmung, die darauf ausgeht, eine langwierige Politik für die Zukunft festzulegen. Anders ist es bei Systemen kollektiver Sicherheit, wenn darin ein Organ vorhanden ist — wie etwa der Sicherheitsrat der UNO —, das bestimmt: Jetzt ist der Bündnisfall gegeben. Aber in dieser Lage sind wir hier nicht.
Ein Beispiel dafür, wie die Staaten und Regierungen in diesen Dingen denken, kann man in der Regierungserklärung der jüngsten französischen Regierung finden. Sie haben sie sicher gelesen, Herr Bundeskanzler. Diese Erklärung ist sehr lang. Die Außenpolitik hat darin nur einen verhältnismäßig kleinen Platz. Aber es stehen einige bemerkenswerte Dinge darin. Es werden sehr viele Worte darüber gemacht, wie nützlich es für Frankreich sei, das Saarabkommen durchzuführen, Worte darüber, daß die Verhandlungen Paris—Saarbrücken weitergehen müßten, aber nicht ein einziges Wort über eine Wiedervereinigungspolitik!
Dagegen stellt man dort fest, der Wert dieser Verträge sei für Frankreich, Deutschland in die Ge-
meinschaft des Westens einzubeziehen. Das sei das Entgelt, das Frankreich für die Genehmigung der Wiederbewaffnung Deutschlands erhalte, und dieser Vertragszweck sei das Opfer wert, das Frankreich bringe.
Das Mindeste, was mir daraus hervorzugehen scheint, ist, daß die französische Regierung den Bestimmungen der Verträge, die sich auf die Wiedervereinigungspolitik beziehen, ein besonderes Gewicht nicht beizumessen scheint.
Eine besondere Bedeutung ist in der Debatte dem Umstand beigemessen worden, daß die Partner dieser Verträge erklärt haben, die Bundesregierung sei die einzige Regierung, die für das ganze deutsche Volk sprechen könne. Das ist eine Erklärung, die lediglich wiederholt, was im September 1950 zu New York schon erklärt worden ist. Was ist die Tragweite dieser Erklärung? Sie bedeutet nicht, daß die Bundesregierung eine Art vorweggenommener Regierung Gesamtdeutschlands sei,
weder aktiv noch passiv. Darüber besteht wohl kein Zweifel in diesem Hause. Diese Erklärung bedeutet: Die Westmächte akzeptieren, daß die Bundesrepublik und damit die Bundesregierung Treuhänderin für Gesamtdeutschland ist, d. h. wie ein Treuhänder Rechte wahren und Rechte erwerben kann, aber nicht über Bestand oder Rechte Gesamtdeutschlands verfügen kann.
Es hat in der vorletzten Debatte der französischen Nationalversammlung eine recht interessante Anfrage an den französischen Ministerpräsidenten, damals Herrn Mendès-France, gegeben und eine noch interessantere Antwort des Befragten. Die Frage lautete: Ob denn damit die Bundesregierung die Rechte einer gesamtdeutschen Regierung haben werde? Die Antwort war so, daß man daraus entnehmen kann, der französische Ministerpräsident sei der Meinung gewesen, der Sinn dieser Bestimmung sei, die Bundesrepublik zu legitimieren, Verträge etwa in der Art des Saarstatuts abzuschließen und daß sich nach französischer Auffassung die politische Bedeutung der Klausel auf Operationen dieser Art beschränke ....
Nun, ich bin der Meinung, daß der rechtliche Stand der Bundesrepublik irgendwelche Verfügungen, die den Bestand Deutschlands mindern oder belasten könnte, nicht erlaubt. Die Souveränität im substantiellen Sinne, d. h. das Recht, über den Bestand Deutschlands zu verfügen, liegt nicht bei den Teilen, sie liegt nur beim Gesamtvolk.
Allein das eine und unteilbare deutsche Volk kann über sich selbst, kann über Deutschland verfügen, auch über Teile Deutschlands, und dabei spielt es keine Rolle, ob diese Teile zum Anwendungsbereich des Grundgesetzes gehören oder nicht. Diese Souveränität kann uns nicht verliehen werden und braucht uns nicht verliehen zu werden. In einem demokratischen Zeitalter ist diese Souveränität mit dem Begriff der Nation gegeben,
und eine Nation ist nach einem Wort Ernest Renans
nichts anderes als ein Plebiszit, das jeden Tag
wiederholt wird; und das deutsche Volk wiederholt dieses Plebiszit jeden Tag sehr eindringlich!
Weil dem so ist, haben wir im Grundgesetz die Bundesrepublik nicht als einen eigenen Staat „konstituiert", sondern als ein gesamtdeutsches Staatsfragment nur „organisiert". Und hier, Herr Kollege Mende, muß ich Ihnen widersprechen. Sie haben heute morgen ausgeführt, wenn wir den Verträgen nicht zustimmen wollten, hätten wir dem Grundgesetz nicht zustimmen dürfen. Nun, Sie übersehen den entscheidenden Unterschied zwischen dem Grundgesetz und diesen Verträgen. Im Grundgesetz ist bestimmt, daß die Bundesrepublik ein Provisorium ist, ja das Grundgesetz bestimmt seinen provisorischen Charakter selbst, und es will nach seinem eigenen Willen automatisch seine Geltung verlieren, wenn das deutsche Volk sich in freier Selbstbestimmung eine Verfassung gegeben hat. Das ist gerade das, was wir an diesen Verträgen vermissen. Schreiben Sie in diese Verträge eine entsprechende Kassationsklausel, und die politische Bedeutung, der politische Gehalt dieser Verträge wird wesentlich verändert sein!
Aus diesem Charakter der Bundesrepublik ergeben sich Konsequenzen. Das Fragment kann mit dem Ganzen nicht identisch sein.
— Die Revisionsklausel? Das ist doch keine Kassationsklausel! Die Revisionsklausel stipuliert doch lediglich, daß im Falle des Eintritts bestimmter Umstände unsere Vertragspartner sich auf Verhandlungswünsche unsererseits einlassen müssen. Ob sie diesen Wünschen stattgeben, liegt in ihrem souveränen Ermessen,
d. h. sie werden dies tun, wenn sie glauben, es sei in ihrem Interesse.