Herr von Merkatz, ich bin davon überzeugt, daß unsere Partner mit oder ohne Verträge die Stimme der Bundesregierung nicht überhören würden, wenn diese ihnen energisch zurufen sollte, was sie von ihnen erwartet.
Ich bin überzeugt, daß mit oder ohne Verträge die Stimme dieses deutschen. Volkes von unseren Vertragspartnern nicht überhört werden wird.
Aber vielleicht darf ich jetzt fortfahren, Herr von Merkatz.
— Aber es wären dann vielleicht brauchbare Faktoren einer deutschen Politik.
Nun, der Herr Bundeskanzler hat uns sehr eindringlich gesagt, daß wir jetzt auf Grund dieser Verträge, auf Grund der Souveränitätsbestimmung, die darin enthalten ist, die Möglichkeit hätten, diplomatische Beziehungen mit Moskau, mit dem Kreml, mit der Sowjetunion — drei Kreuze, Herr Strauß! —
aufzunehmen. — Wie sie in Ihrer Heimat über den Stalltüren stehen, um die bösen Geister abzuwehren, nicht im Sinne der „Dämonologie", von der Sie vorgestern sprachen!
Wenn wir diplomatische Beziehungen mit Moskau aufnehmen wollen, setzt doch die Verwirklichung dieses Wunsches voraus, daß die Sowjetunion die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit uns wünscht und will, nicht wahr?
Gut! Wenn wir also davon ausgehen, daß sie die diplomatischen Beziehungen, die wir wünschen, mit uns auf der Grundlage der uns heute vorliegenden Verträge unterhalten solle, würde die Verwirklichung unserer Absicht doch voraussetzen, daß die Sowjetunion diese Verträge als die Rechtsgrundlage des politischen Status der Bundesrepublik akzeptiert. Mit anderen Worten: die Verwirklichung unseres Anliegens setzte voraus, daß man sich mit der Sowjetunion zum mindesten über einen provisorischen internationalen Status der Bundesrepublik und wohl auch Gesamtdeutschlands geeinigt hat. Ohne das ist es doch schlechterdings nicht möglich, diplomatische Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik zustande zu bringen. Das bedeutet aber, daß solche diplomatischen Beziehungen nur möglich sein werden auf der Grundlage von Vereinbarungen, bei denen die Sowjetunion doch nicht verfehlen wird, ihr Interesse und ihre Vorstellungen von der bestmöglichen Ordnung Europas sehr energisch geltend zu machen. Und damit ist man doch wieder bei der Notwendigkeit von Viermächteverhandlungen angelangt! Anders läßt sich doch nicht herstellen, was Sie wünschen, Herr Bundeskanzler. Die Voraussetzungen für die Entsendung eines deutschen Botschafters nach Moskau und für den Antrittsbesuch eines Moskauer Botschafters beim Herrn Bundespräsidenten können doch nur auf Grund einer Vereinbarung zwischen den drei Westmächten und Moskau und der Bundesrepublik geschaffen werden! Anders ist es doch einfach nicht möglich. Mit anderen Worten: Wenn Sie wirklich diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion herstellen wollen, müssen Sie so rasch wie möglich Vierer-, ja Fünferkonferenzen verlangen.
Es scheint mir auf diesem Felde mit unserer Souveränität nicht sehr weit her zu sein. Man vergißt in der Bundesrepublik zu häufig, daß Verträge Wirkungen nur erzeugen inter partes, daß dadurch also kein absoluter, von allen anzuerkennender Status erzeugt wird.
In den Verträgen verpflichtet sich die Bundesrepublik, eine ganze Reihe besonderer Bindungen einzugehen. Eine ganze Menge davon sind ausgezeichnet, und es ist nichts dagegen zu sagen. Wer könnte etwas dagegen haben, daß wir uns verpflichten, Politik auf der Grundlage der UNO-Prinzipien zu machen? Das ist ganz richtig und soll auch gar nicht anders sein. Aber daneben hat die Bundesrepublik eine Reihe von materiellen Bindungen ihrer Souveränität, d. h. ihrer Möglichkeit, politisch frei zu handeln, übernommen, die recht weit gehen. Nun, vertragliche Bindungen brauchen in sich selber nichts Schlechtes zu sein. Es gibt keinen Staat, der nicht vertragliche Bindungen seiner Handlungsfreiheit eingegangen wäre und der das nicht immer wieder täte. Aber man muß da unterscheiden: Es gibt Bindungen auf der Ebene des Normalen, auf der das Prinzip der Gegenseitigkeit, der Reziprozität, herrscht, das heißt: ich verpflichte mich zu etwas, damit der andere auf derselben Ebene etwas tue, woran ich ein Interesse habe. Aber es gibt auch andere Bindungen, und das sind die Bindungen, wie sie zum Teil, zum großen Teil in diesen Verträgen übernommen rw rden sind: einseitige Bindungen, die nur auf Grund der durch die Siegermacht geschaffenen Tatsachen eingegangen worden sind.
Wenn ein souveräner Staat in einem Vertrag auf Rechte verzichtet, so handelt er bei Verfolgung seiner Interessen in Ausübung seiner freien Selbstbestimmung. Wenn der Vertragspartner auf seine Vorschläge und Absichten nicht eingehen will und es kommt keine Einigung zustande, dann bleibt er souverän, d. h. Herr seiner selbst. Kommt es zu einer Vereinbarung, dann ist in diesem Fall die vertragliche Bindung in der Tat ein Ausfluß seiner Souveränität, und er kann Gegenleistungen auf der gleichen Ebene seiner Leistungen fordern.
Aber ganz anders ist doch der Fall der Bundesrepublik! Hier hat ein Staat, dem man die Ausübung seiner Souveränität durch die Besetzung unmöglich gemacht hat, um die Lockerung seiner Fesseln zu erreichen, sich durch Verträge verpflichtet, bestimmte Rechte nicht in Anspruch nehmen, die souveräne Staaten für sich in Anspruch zu nehmen pflegen. In diesem Falle ist die vertragliche Einschränkung der normalen Handlungsfreiheit nicht ein Ausfluß der Souveränität, sondern ein Zeichen dafür, daß man die Souveränität nicht hat. Es ist eine Beinahe-Souveränität, die da geschaffen worden ist, aber keine echte und volle. Sie kann ihre Nützlichkeit haben, aber auf der andern Seite hat mancher schon mit dem „Beinahe" die Wege zum Ganzen blockiert.
Der Herr Bundeskanzler hat uns gesagt, daß die Souveränität, die uns in den Verträgen gegeben werden soll, uns eine ganz andere Möglichkeit gebe, auf die Abrüstungsbereitschaft der anderen Staaten zu wirken, als dies heute der Fall sei. Nun, auch hier möchte ich eine schon gestellte Frage wieder stellen: Glauben Sie nicht, daß man auch ohne die Verträge draußen in der Welt die Stimme der Bundesregierung anhören würde, wenn sie an etwas so Vernünftiges appelliert wie die Abrüstung?
Und glauben Sie, daß man die Stimmen aus diesem Bundestag und die Stimmen aus den tausend Kundgebungen, die von der Paulskirche ausgegangen sind, draußen nicht gehört hat?
Auch diese Verträge werden uns, zumindest für geraume Zeit nicht mehr Möglichkeiten geben als eine Außenpolitik der Ordnung der nachbarschaftlichen Beziehungen, der Kooperation, der Koexi-
Stenz — nicht im sowjetischen Sinn, Sie verstehen, was ich meine — zu treiben: eine Politik der Handelsverträge und anderer sehr guter, nützlicher, notwendiger Sachen. Aber die eigentliche „politische" Außenpolitik, wenn ich so sagen darf, nämlich eine Außenpolitik, die auf Veränderung und Begründung von Machtverhältnissen — das Wort ohne dämonischen Akzent verstanden, Herr Strauß
ausgeht, wird sich auch nach diesen Verträgen darauf beschränken müssen, auf die Westmächte zu wirken, mit denen wir diese Verträge geschlossen haben. Und da geben, meine ich, die Verträge keine anderen realpolitischen Möglichkeiten als die, die jetzt schon bestehen.
Diese Mächte haben in diesen Verträgen auch Verpflichtungen übernommen, z. B. die Verpflichtung, die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem politischen Anliegen auch ihrer selbst zu machen. Aber — es ist wohl schon gesagt worden — diese Verpflichtungen sind ganz abstrakt. Es sind Blankettbestimmungen. Und solche Blankettbestimmungen interpretieren im jeweils konkreten Fall souveräne Mächte selbst! Das ist kein Vorwurf gegen irgend jemand; es ist die Feststellung einer Tatsache. Und hier werden obendrein Mächte diese Verpflichtung interpretieren, die auf unserem Boden Truppen stehen haben. Und diese Truppen sollen ja nicht nur Verteidigungstruppen sein, sondern — die Debatte in der französischen Nationalversammlung hat es klar erwiesen — auch Pfandhalter.
Hier hat — im Zusammenhang mit den Ausführungen meines Freundes Wehner über die Verpflichtungen unserer Partner, eine Wiedervereinigungspolitik zu treiben — Herr Minister Srauß einige Fragen an uns gestellt, Herr Minister Strauß, dessen Sonderaufgaben in oder für das Kabinett vorgestern manifest geworden sind,
Herr Minister Strauß, dessen Natürlichkeit, die, wie jene des Nadowessiers in Seumes unsterblichem Gedicht durch Europas übertünchte Höflichkeit noch nicht verdorben worden ist.
Herr Strauß hat uns mit der Subtilität eines Auditors einer Nebenstelle des Inquisitionstribunals einige Fragen gestellt.
— Ja, sicher, Herr Strauß, die Verwandtschaften sind so entfernt nicht.
Aus diesen Fragen sollte hervorgehen, daß wir entweder in den guten Willen der Westmächte Vertrauen setzten — dann dürften wir aber keine Sorgen um die Wiedervereinigung haben — oder daß wir kein Vertrauen zu dem guten Willen der Westmächte hätten, — dann aber sei unsere Forderung nach einer Viererkonferenz sinnlos. Diese Fragen haben Sie gestellt.
Nun, meine Damen und Herren, allen Ernstes: ich habe in dieser Beziehung alles Vertrauen in den guten Willen der Westmächte, in ihren guten Willen, ihre Interessen zu wahren und zu verfolgen,
und ich bin überzeugt, daß die Westmächte begriffen haben, daß ihr Interesse auch die Wiedervereinigung Deutschlands ist.
Dieses Interesse aber besteht mit oder ohne die Verträge!
Aber auch mit den Verträgen steht dieses ihr Interesse neben anderen Interessen, die sie haben, und neben anderen politischen Anliegen und anderen eigenen Notwendigkeiten, und sie werden. — das ist die Pflicht ihrer Regierungen — jeweils in jeder Lage prüfen, welche ihrer Interessen sie glauben mit Vorzug verfolgen zu müssen.