Ich möchte aber auch auf die Steuerseite hinweisen, der eine hervorragende Korrekturmöglichkeit bei etwaigen wirtschaftlichen Verzerrungen zufällt.
Und dann heißt es weiter:
Wir haben schon studiert, wie andere Staaten in neuerer Zeit das Problem gelöst und wie sie jeden Mißbrauch ihrer Notenpresse verhindert haben.
Meine Damen und Herren, Sie werden mir zugeben, daß man bei diesen Worten ernsteste Besorgnisse haben muß und daß mit diesen Besorgnissen des Bundesfinanzministers und seines Staatssekretärs die Worte, die hier vom Bundeswirtschaftsminister gefallen sind, in keinem Zusammenhang stehen.
Ich möchte auch hier für mich persönlich nur feststellen, daß ich die Äußerung des Herrn Bundeswirtschaftsministers: „Laß doch den Amerikaner die Differenz bezahlen" nicht gerade als ein diplomatisches Meisterstück ansehe.
Herr Kollege Kreyssig hat auf die Hauptbedenken hingewiesen, die von uns aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus bei diesen Verträgen in den Vordergrund zu stellen sind. Ich möchte auf einige dieser Punkte gar nicht eingehen, sondern ich möchte nur zu dem Punkt etwas sagen, den der Herr Bundeswirtschaftsminister hier besonders herausgegriffen hat: es ist die Frage der Belastungsmöglichkeit des sozialen Gefüges. Ich möchte von vornherein feststellen: es handelt sich bei unseren Darlegungen keineswegs um Prognosen, sondern es handelt sich um das Herausstellen ernster Besorgnisse,
und dazu sollte man wohl wirklich in der Lage sein. Sie waren so freundlich, den Zwischenruf „Aha!" zu machen. Ich möchte dann doch folgendes sagen. Wir haben unserer Besorgnis bei Abschluß des Schuman-Plans von dieser Stelle aus Ausdruck gegeben, und nach drei Jahren waren es Angehörige der Regierungskoalition, die zu mir kamen und sagten: Was Sie damals zum Schuman-Plan von hier aus gesagt haben, war hundertprozentig richtig.
Man hat im Wirtschaftsausschuß — und die Auffassung wurde auch vom Wirtschaftsminister vertreten; wie käme auch sonst der Wirtschaftsausschuß in seiner Mehrheit dazu? — beschlossen, „festzustellen, daß die Rüstung ohne eine den sozialen Fortschritt hemmende Belastung der Güterund Arbeitsmärkte vor sich gehen kann." Wir hatten vorhin schon von einem Zitat des Herrn Bundeswirtschaftsministers Erhard gehört, in dem von einer Rüstungskonjunktur gesprochen wurde. Herr Kollege Dr. Pferdmenges ist heute schon mehrfach von dieser Stelle aus zitiert worden. Ich darf mich dem anschließen. Er sprach von einem langsamen Anlaufen der Rüstungsprogramme; also haben wir hier schon den Versuch, diese Schwierigkeiten etwas zu applanieren. Wir haben doch schon einmal erlebt und wissen, wie sich eine Rüstung auf die Wirtschaft auswirkt, und mag sie noch so langsam anlaufen. Veränderungen in der Produktionsquote sind doch selbstverständlich, insofern nämlich, als Investitionen, die bisher in das werbende industrielle Vermögen hineingingen, nun nicht mehr in dieses werbende industrielle Vermögen, sondern in einen anderen Sektor hineingehen; sinngemäß: daß Teile des Sozialprodukts und des Volkseinkommens nicht mehr zum Konsum zur Verfügung stehen. Deswegen ist es doch ein offenes Geheimnis der Wirtschaftswissenschaften, daß hiermit eine Konsumkürzung eintritt.
— Nein? Ich weiß nicht, wo Sie Nationalökonomie studiert haben. Vielleicht wird Professor Erhard mir helfen. In den 30er Jahren wurde von Professor Lampe eine sogenannte Wehrwirtschaftstheorie entwickelt. Die werden Sie, Herr Professor, sicher besser kennen als ich. Ich war damals in Kanada in Kriegsgefangenschaft, da wurde gerade dieser Gedanke aufgegriffen. Die Ausführungen und die Gedanken von Herrn Lampe stützen sich auf die Ergebnisse nationalökonomischer Untersuchungen. Es ist nun leider so. Sie können sich es ja auch selbst ausrechnen.
— Nein! Das Sozialprodukt — aber ich möchte Ihnen keine Anfangvorlesung in Nationalökonomie geben — ist ein Stück, das seine Entsprechung im Volkseinkommen findet. Das eine Stück sehen Sie unter dem Blickpunkt des Produzierens, das andere unter dem des Konsums. Nun ist es eine bekannte Tatsache, daß mit anlaufender Rüstung die Konsummöglichkeit sinkt.
Sehen Sie, nun kommt doch für uns natürlich das Bedenken: Wenn die Konsummöglichkeit sinkt, sinkt sie dann in einem solchen Verhältnis, daß das soziale Gefüge bei uns verzerrt wird? Ist es der Fall, dann erreicht man doch eigentlich genau die gegenteilige Wirkung von dem, was man heute will. Das ist das Problem!
Wenn diese Fragen von meinem Kollegen Kreyssig hier angesprochen wurden, dann doch deswegen, weil wir es bei der Frage der finanziellen Belastung erlebt haben, daß man seitens der Bundesregierung mit, ich möchte beinahe sagen, leichter Hand über diese Probleme hinweggeht und es nicht für nötig hält, ganz exakt die Ziffern auf den Tisch zu legen. So kommen wir doch zu der Mutmaßung, daß man diese Probleme ebenfalls als ziemlich belanglos beiseite drückt.
Nun hat Herr Professor Erhard von der stets wachsenden Zuwachsrate gesprochen. Ich habe hier vor mir liegen einen Auszug aus der Zeitschrift „Der Volkswirt" — es handelt sich nicht um ein sozialdemokratisches Organ, sondern um eine anerkannte wissenschaftliche Zeitschrift — vom 1. Januar; es ist die Nr. 1/55:
Die Jahreszuwachsrate des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik betrug 1951 26,5 Milliarden, 1952 10,9 Milliarden, 1953 6,6 Milliarden, 1954 7,4 Milliarden.
Was ich zunächst feststelle, ist ein Absinken von 26 auf 7.
— Ja, können Sie anders lesen? Ein Absinken der Zuwachsrate,
ein Absinken der Zuwachsrate des Bruttosozialproduktes vom Jahre 1951 bis zum Jahre 1954.
— Herr Kunze, bitte, ich stelle Ihnen das zur Verfügung; ich brauche es nur jetzt im Moment noch.
— Als Schlußfolgerung sei jedenfalls die Tatsache festgestellt, daß die Zuwachsrate des Sozialprodukts absinkt, d. h. daß man nicht mehr so optimistisch mit einer Zuwachsratensteigerung rechnen kann.
— Genau dasselbe, Frau Dr. Lüders, hatte ich zur EVG-Debatte festgestellt auf Grund einer wissenschaftlichen Untersuchung von Herrn Dr. Friedensburg, die ich hier von dieser Stelle aus verlesen habe.
Es heißt dann in diesem Aufsatz weiter — ich zitiere —:
Aber auf diesen relativen Zahlen der Wachstumsraten
liegt ein falscher Glanz, über dem man allzuleicht die Schatten im Bild vergißt. Macht man die Rechnung je Kopf der Bevölkerung, so sind es nicht mehr die anderen europäischen Länder, sondern wir selbst sind es, die nachhinken, erheblich sogar.
— Und nun hören Sie bitte zu! —
In Preisen des Jahres 1953 stellte sich der private Verbrauch in der Bundesrepublik je Kopf auf 1543 DM. Mit großem Vorsprung liegen die Engländer bei 2564, die Franzosen bei 2605 und die Belgier bei 2564. So gesehen
— heißt es —
machen wir, was unseren persönlichen Aufwand angeht, auf dem westeuropäischen Terrain nach wie vor eine beklagenswerte Figur.
Nun, meine Damen und Herren, ich sage das nur, um zu zeigen, wie groß bei uns der Konsumanteil im Moment ist und daß der Konsumanteil für die breitesten Schichten der Bevölkerung doch durch die Aufrüstung, auch in bescheidenstem Umfang, einem Druck ausgesetzt ist. Es ist doch das soziale Gefüge, was unter Druck gesetzt wird! Die Tatsache, daß das soziale Gefüge in Gefahr ist, kann doch gar nicht bestritten werden. Wir hätten es sehr gern gesehen, wenn statt irgendwelcher Erklärungen vielleicht der Herr Bundesarbeitsminister bindende Erklärungen zur sozialen Sicherheit und zur Sicherheit des sozialen Gefüges von dieser Stelle aus abgegeben hätte.
Meine Damen und Herren, es ist doch so: Wenn Sie eine Aufrüstung durchführen, dann müssen Sie selbstverständlich vom Sozialprodukt und vom Volkseinkommen Teile für den nichtwirtschaftlichen Sektor abzweigen, und nun erst recht bei diesem Finanzieren der Rüstung über die 9 Milliarden hinaus, also zusätzlich durch Steuern und stärkere Inanspruchnahme des Kapitalmarktes. Woher dann unsere Besorgnis? Weil hier eine Entwicklung aufgezeigt wird, deren Anfang die Politiker bestimmen. Aber nur den Anfang! Die weitere Entwicklung bestimmen doch letzten Endes die Militärs.
Das sind die Sorgen, die wir im Hinblick auf den wirtschaftlichen Sektor der Verträge haben, daß man hier nicht klar genug sieht und nicht klar genug erkennt, daß das wesentliche Fundament der Sicherheit die Ausgeglichenheit der sozialen Struktur ist.