Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf an die Schlußworte des Herrn Vorredners von der Verantwortung anknüpfen.
Jeder von uns trägt die Verantwortung für das Ja
oder Nein, das er spricht. Jedes Mitglied des Kabinetts trägt die besondere Verantwortung für das
Amt und die Aufgabe, die ihm in diesem Kabinett gestellt ist, für die Gesetze, die es infolgedessen zu unterzeichnen hat.
Jeder von uns hat sich in seinem Gewissen und seinem Verantwortungsbewußtsein der Nation gegenüber zu prüfen, ob er ja oder nein sagen kann. Es ist kein Grund für einen Vorwurf gegen ein Mitglied des Kabinetts, wenn es am Tage vorher erklärt hat, es habe nach ernster Prüfung sich entschlossen, die Verantwortung des Ja zu übernehmen.
Ich mache niemandem von der Opposition einen Vorwurf, wenn er sagt, er habe nach Prüfung die Verantwortung für das Nein übernommen. Die kommenden Geschlechter werden richten.
Nun darf ich aber auf den sachlichen Inhalt eingehen. Der Herr Kollege Gülich wird es verstehen, wenn ich sage: ich glaube, dafür nicht viel Zeit beanspruchen zu müssen. Ich gehe zunächst einmal auf das Wort von den „unklaren Verträgen" und von der Rolle, die die deutsche Bundesrepublik spielt, ein. Herr Kollege Gülich, die Verträge, die wir unterzeichnet haben, geben auch nach finanzieller Richtung hin dem deutschen Volke dieselbe Stellung wie allen anderen vierzehn Nationen, die in der NATO vereinigt sind. Wenn ein besiegtes Volk wenige Jahre nach der Niederlage dieselbe Stellung wie die Siegervölker erhält, so kann man nicht sagen, daß ein unklarer Tatbestand erzielt ist.
Es ist klar, daß wir aus der Rolle des Besiegten in die Rolle des Gleichberechtigten, auch finanziell, gekommen sind.
Da, Herr Kollege Gülich, begegnen sich jetzt unsere Gedanken, oder vielleicht, wenn Sie mich wirklich nicht verstanden haben, trennen sich unsere Gedanken: Ich kann nicht davon ausgehen, daß ich sage, die kommenden Jahre werden an Verteidigungsausgaben — Sie sagen ironisch: „sogenannte Aufrüstung", ich sage: „Verteidigungsausgaben" — für alle beteiligten Nationen genau die und die Summe bringen. Ich bin kein Prophet. Selbst wenn ich wüßte, was heute die Planung ist, weiß ich nicht, was im nächsten Jahr die Planung ist. Die Technik und die Entwicklung auf allen Gebieten gehen so rasch vorwärts, daß ich darauf Verträge nicht aufbauen kann. Ich kann Verträge aufbauen auf einen Grundsatz, und der Grundsatz hat geheißen: alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit mit den gleichen Leistungen, mit den gleichen Pflichten. Darauf beruhen die Verträge, und darüber hat das deutsche Parlament jetzt zu entscheiden.
Der § 8 der Reichshaushaltsordnung bezieht sich auf finanziell voraussehbare, auf übersehbare finanzielle Verpflichtungen wie etwa einen Brückenbau, Straßenbau oder sonst etwas. Hier handelt es sich um die Wirkungen des Vertrags, und infolgedessen ist nach dem Vertragsinhalt auch haushaltsmäßig vorzugehen.
— Ganz richtig! Ich glaube, daß Herr Vialon meinen
Ausführungen nicht widersprechen würde. Sie können ja nachher mit ihm unter vier Augen reden.
— Der Vertragsinhalt sagt: gleiche Leistungsfähigkeit, gleiche Verpflichtungen. Ich habe Ihnen gestern die Rechnung vorgemacht. Ich habe Ihnen gesagt, was die übrigen Nationen in all den Jahren und im laufenden Rechnungsjahr an Ausgaben leisten. Ich habe Ihnen vorgerechnet, daß, wenn ich das deutsche Brutto-Sozialprodukt mit dem Brutto-Sozialprodukt der anderen Länder vergleiche, wenn ich davon ausgehe, daß es sich nicht nur um den Etatposten 9000 Millionen DM, sondern um alle anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben insgesamt handelt, wir nach unserer Überzeugung heute schon von einer Summe von 13 Milliarden DM sprechen können und daß wir, wenn wir das vergleichen, im Prozentsatz des Brutto-Sozialprodukts heute bereits über vielen anderen Nationen der NATO stehen.
— Bereits stehen, habe ich gesagt!
Das ist die Situation, von der wir vertraglich auszugehen haben. Ich habe gesagt: es kommt nicht darauf an, was nach Ihrer Meinung die Aufrüstung als solche kostet, sondern es kommt darauf an, was sie uns kostet. Und wenn ich frage, was sie uns kostet, dann muß ich auch in Rücksicht nehmen die Erklärungen, die uns von alliierter Seite gegeben worden sind, die Erklärungen, die uns McCloy seinerzeit — ich habe gestern das Datum genannt — gegeben hat, wo die amerikanische Regierung die Verpflichtung übernahm, für die Zeit der Erstausstattung die schwere Bewaffnung an die Bundesrepublik unentgeltlich zu liefern, also die schweren Waffen und auch einen zahlenmäßig mit 200 Millionen benannten kleineren Teil der leichten Bewaffnung, gleiche Benutzung der Exerzier- und Übungsplätze und so fort. Diese Erklärung wurde seinerzeit von dem stellvertretenden Verteidigungsminister Nash übernommen, und sie ist durch Dulles beim Abschluß der Londoner Konferenz als verbindlich auch für die neuen Pariser Vereinbarungen anerkannt und bestätigt worden.
Davon haben wir doch auszugehen, und danach kann ich dann auch die Berechnungen aufstellen.
Wenn Sie aber nun sagen, es sei eine Irreführung des Parlaments in seinem parlamentarischen Recht, wenn ich mich darauf beriefe, dann darf ich Ihnen sagen, Herr Kollege Gülich: das deutsche Parlament hat in Zukunft in dieser Frage „Kosten der Verteidigungsausgaben" genau dieselbe Stellung wie das britische, französische, belgische, holländische und italienische Parlament.
Die Dinge liegen praktisch so. Wir gehen in die NATO nunmehr als gleichberechtigtes Mitglied. Wir haben in der NATO das Stimmrecht wie die anderen Nationen. Die Empfehlungen der NATO werden einstimmig abgegeben. Es ist selbstverständlich, daß jede Regierung, die mit „ja" gestimmt hat — denn es sind ja einstimmige Beschlüsse —, diese Empfehlungen, für die sie selbst gestimmt hat, für sich als verbindlich betrachten muß und infolgedessen die Durchführung dieser Empfehlungen in ihrem Parlament zu erreichen versucht. Sie wissen genau so gut wie wohl jeder andere auch, daß nicht alle Empfehlungen von allen
Parlamenten bisher voll durchgeführt worden sind. Aber Sie müssen von einer Nation, die mehr als alle anderen Nationen heute die Verpflichtung hat, die innere Vertragstreue zu halten und in der Welt das Vertrauen in ihre Vertragstreue zu erwerben, selbstverständlich erwarten können, daß die Regierung, die eine Empfehlung übernommen hat, sich auch im Parlament für diese Empfehlung einsetzen wird. Insofern gibt die Regierung eine verbindliche Erklärung. Das Parlament ist in seiner Entscheidung völlig frei.
Wenn Sie nun sagen, Sie hätten aus der ausländischen Presse die und die Zahlen entnommen, Herr Kollege Gülich, — ich habe aus der ausländischen Presse gerade in Zeiten, bevor man in internationale Verhandlungen eintritt, schon sehr viel Zahlen entnommen und habe meine Nervenruhe trotz der Zahlen, die ich dort gelesen habe, Gott sei Dank nie verloren und werde sie mir auch in dieser Stunde zu bewahren versuchen.
Ich gehe von der Rechtsgrundlage aus, und wenn ich bei dieser Rechtsgrundlage nun einmal sage: wenn ich jetzt die anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben einrechne und wenn ich einrechne, daß ich damit in der Leistungsfähigkeit die übrigen Nationen erreicht habe, wenn ich feststellen kann, daß der Prozentsatz „Bruttosozialprodukt" in Deutschland heute schon danach erreicht ist, dann dürfen Sie nicht wieder mit unrichtigen Pressemeldungen kommen, ich hätte z. B. in Kiel und Lübeck von bisherigen Besatzungskosten in Höhe von 87 Milliarden geredet. Mein Gott, dafür kann ich wirklich nichts, wenn ich in Kiel und in Lübeck wie hier davon geredet habe, daß wir von 1949 bis zum Jahre 1955 — also Landes- und Bundeszeit — 55 Milliarden und in der Bundeszeit allein 32 Milliarden DM ausgegeben haben, wenn ein Journalist das zusammenzählt und 87 Milliarden daraus macht. Das ist ein Fehler des Journalisten, das ist aber nicht mein Fehler.