Rede von
Walter
Kutschera
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist jetzt in aller Deutlichkeit das Thema der Wehrwilligkeit und Wehrbereitschaft der deutschen Jugend angeschnitten worden. Erlauben Sie mir, daß ich darauf eingehe und die Auffassung meiner politischen Freunde und die meine zum Ausdruck bringe.
Das ganze Problem um die Wehrbereitschaft ist durch die Diskussion beeinflußt worden, die sich nach dem totalen Zusammenbruch anbahnte und die immer wieder Begriffe wie Soldatentum, Militarismus und Wehrhaftigkeit durcheinandermischte und einfach zu einem falschen Bild verführte. Von diesem Standpunkt müssen wir ausgehen und also feststellen, daß es wahrhaftig unseren jungen Menschen nicht so leicht fällt, nun plötzlich wieder all die Dinge, die sie nun seit der Zeit des Zusammenbruchs bis vor wenigen Jahren immer wieder gepredigt erhalten hat, über Bord werfen zu müssen,
die ganzen Begriffe, wie „Pflichterfüllung", die man dann nachher geißelte, den „Dienst am Vaterland", den man nachher für eine unmögliche Angelegenheit hielt, „der graue Rock" schlechthin, der angegriffen wurde. Man mußte auch Zeiten erleben, wo jeder glaubte, seine demokratische Einstellung dadurch unter Beweis zu stellen, daß er auf diese soldatische Vergangenheit schimpfte.
Wir meinen, daß das Soldatentum schlechthin nicht gelitten hat. Wir glauben aber und sind davon überzeugt, daß die gewachsene Verbindung der jungen Generation durch die Ereignisse der jüngsten Geschichte abgerissen ist und daß wir selber uns wieder bemühen müssen, die Fäden anzuknüpfen, ohne die Jugend leichtsinnig dazu zu verleiten, mit fliegenden Fahnen zu den Waffen zu eilen.
Wir müssen auch sagen, daß die Erwachsenen gerade in diesen hinter uns liegenden Jahren unseren jungen Menschen nicht immer das rechte Beispiel gegeben haben. Es fehlt also da und dort die Möglichkeit des Sichorientierens, des Sich-andem-Vorbild-Ausrichtens. Und auch hier müssen wir korrigieren, wenn wir die Wehrbereitschaft unserer jungen Menschen wieder erhalten wollen.
Die mangelnde Begeisterung — ich will sie einmal als Tatsache annehmen — unserer jungen Menschen sollte man dann auch nicht gleich mit dem Begriff Neutralismus zusammenwerfen.
Man sollte nicht immer gleich meinen, daß der fehlende Schwung, sich der neuen Situation wieder anzuschließen, durchaus das Zeichen dafür sein muß, daß man unter keinen Umständen und auf keinen Fall mehr den grauen Rock anziehen möchte.
Bewegt werden diese Menschen, die die Wehrfähigkeit unseres Volkes wieder tragen sollen, auch von der Sorge um die Zukunft unseres deutschen Vaterlands, nämlich der Sorge um die große Gefahr, daß Deutsche gegen Deutsche antreten müssen. Die Sorge ist echt, und die müssen wir erkennen. Und es ist weiter die soziale Frage, die sehr groß geschrieben ist; denn unsere jungen Menschen kämpfen einen echten Existenzkampf, sie kämpfen in vielen Tausenden Fällen um den Bestand ihrer Familie, ihrer kleinen Geschwister, weil die Väter seit Jahr und Tag ausgefallen sind.
Und dieser Kampf um die Existenz nicht nur ihrer eigenen Person ist groß, ist schwer. Wir haben ihnen bis jetzt nicht die auferlegten Lasten abnehmen können. Ich denke, ohne mich darüber verbreiten zu wollen, daran, wie viele junge Menschen noch einmal von vorne anfangen mußten, wie viele junge Menschen unter größten Entbehrungen sich bemühen, einen echten Beruf zu ergreifen, weil sie wieder ein wertvolles Mitglied unserer Gemeinschaft sein wollen. Ich denke auch an die vielen Studenten; es sind, glaube ich, heute noch mindestens 30 %, die mit weniger als 50 Mark im Monat für den Lebensunterhalt auskommen müssen, die von sich aus auf jede Freizeit verzichten, die die Semesterferien, die die vorhergegangene Generation mit Recht zur Erholung benutzt hat, hergeben müssen, um durch Zeitungsverkauf, Würstchenanbieten und Kohleschippen sich wieder das nächste Semester zu erarbeiten.
Ich möchte das nur aufzeigen, damit die jungen Menschen wissen: wir kennen ihre Not und wir wissen, daß all ihr Ringen um die Existenz berechtigt ist. Die soziale Unsicherheit beunruhigt sie sehr.
Dazu kommen natürlich kleine persönliche Einschränkungen. Wir alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehen auch die kleinen menschlichen Dinge, die den jungen Menschen einfach irgendwie bedrücken. Denken Sie einmal daran, daß man zwei Jahre in die Kaserne geht. Denken Sie daran, daß man persönliche Einschränkungen auf sich nehmen muß. Und wenn ich gehässig wäre, dann würde ich sagen: auch der Entschluß, einen Regenschirm, an den man sich gewöhnt hat, wieder in die Ecke zu stellen, ist eine kleine persönliche Einschränkung. Man wird also auch auf die Dinge Rücksicht nehmen müssen; man wird sie erkennen.
Aber gerade weil wir Verständnis für all die großen und kleinen Sorgen haben, deshalb glauben wir an die Wehrbereitschaft unserer jungen Generation. Wir sind uns allerdings bewußt, daß wir diese Bereitschaft durch unsere politische Arbeit untermauern müssen, daß wir diese Bereitschaft durch unser Beispiel, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch durch unser Beispiel hier in diesem Hohen Hause, festigen müssen.
Wir werden — und darüber gibt es, glaube ich, keinen Zweifel mehr — endgültig die Diffamierung unserer deutschen Soldaten zu begraben haben, und wir werden unser Bekenntnis zu ganz Deutschland durch die Tat untermauern müssen, wir werden damit einen Zustand eintreten lassen müssen, der von einer nahezu nationalen Entwürdigung wieder zur Schaffung und zum Aufbau einer nationalen Würde führt, ohne daß dieses Bekenntnis auch nur das leiseste mit Nationalismus zu tun haben muß und darf.
Wir werden ein Europa aufbauen müssen, in dem alle Völker, die darin zusammengefaßt sind, frei und gleichberechtigt nebeneinander stehen und in dem auch unser Volk vorbehaltlos seinen Platz in der europäischen Gemeinschaft besitzt. Wir werden vor allen Dingen die soziale Unsicherheit, von der ich gesprochen habe, beseitigen müssen. Wir werden in einer Wehrgesetzgebung dafür zu sorgen haben, daß die Berufsausbildung nicht gefährdet wird, daß die jungen Menschen sich erst mal beruflich festigen können und damit ihre Existenz sichern können. Wir werden — und das ist ein nicht geringer Teil — dafür sorgen müssen, daß der persönlichkeitstötende Drill, der sogenannte Kasernenhofdrill aus dem Lehrplan der kommenden Wehrmacht verschwindet.
Wir werden an Stelle des Kasernenhofdrills, der die Persönlichkeit — das haben wir doch zum größten Teil selbst erlebt — einfach zerbricht, eine echte Wehrertüchtigung setzen, die dazu beiträgt, daß der junge Mensch bereit und in der Lage ist, im Augenblick der Gefahr zur Seite zu stehen.
Es ist der Einwurf bezüglich der alten Einheitsführer gekommen. Ich möchte auch dazu etwas sagen. Ich glaube, es gehört zum Wiederaufbau einer neuen Wehrmacht, daß man sehr genau überprüft, welche Einheitsführer wiederum unseren jungen Menschen vorgesetzt werden.
Ich meine — und darf das in aller Deutlichkeit aussprechen —: Diejenigen, die seit 1945 in der Zeit der größten Not Deutschlands sich von uns abgewandt haben, diejenigen, die mit einer Selbstverständlichkeit zugelassen haben, [daß andere den Karren aus dem Dreck ziehen, sind nicht die Einheitsführer für unsere jungen Menschen.
— Sicher! — Wir brauchen auch hier wieder die Menschen, die als Beispiel zu gelten haben.
Wir glauben, daß wir unsere junge Generation wieder zu dieser Wehrbereitschaft bringen, wenn wir auch darauf hinweisen, wie sehr z. B. die sowjetisch besetzte Zone sich bemüht, die jungen Menschen wieder irgendwie zu kasernieren und in ihnen den Willen zur Wehrbereitschaft zu stärken. Es ist für unsere jungen Menschen nicht unwesentlich, zu wissen, daß im 4. Jugendparlament der FDJ in Leipzig bereits 1952 die jungen Menschen zur Verteidigung der Heimat aufgerufen wurden.
Dieser Aufruf zur Verteidigung der Heimat ist natürlich nicht eine Wehrbereitschaft, wie wir sie uns vorstellen. Aber er zeigt unseren jungen Menschen, daß es doch hoch an der Zeit ist, eine Parallele zu schaffen, um hier nicht einen luftleeren Raumentstehen zu lassen.
Ein Wort — ich weiß, daß ich mit damit auf sehr heikles Gebiet begebe — zur Frage der Kriegsdienstverweigerung. Wenn wir von unseren jungen Menschen im allgemeinen verlangen, daß sie unter den verschiedensten Schwierigkeiten und persönlichen Belastungen bereit sind, ihren Wehrdienst zu erfüllen und auch mit einer gewissen inneren Bereitschaft dahinzugehen, dann müssen wir uns die Frage vorlegen: Wie soll dann auf der gleichen Ebene unterschieden werden zwischen denen, die also gehen wollen, und denen die sagen, sie würden einen Dienst mit der Waffe immer ablehnen müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir respektieren die Menschen, die sich seit Jahr und Tag aus einer religiösen gewissensmäßigen Einstellung heraus einfach nicht in die Lage versetzt fühlen, mit der Waffe zu dienen. Aber wir müssen uns dann, um gleiches Recht gelten zu lassen, ernsthaft Gedanken darüber machen, wie diese Menschen, die wir als Personen voll und ganz respektieren, in diesem Augenblick der Wiederbewaffnung auf einem Gebiet angesetzt werden können, auf dem sie ebenfalls ihre zwei Jahre oder je nachdem, wie lange der Wehrdienst dauern soll, im Dienste des Vaterlandes stehen.
Ich möchte schließen mit einem Wunsch: Möge es, meine sehr verehrten Damen und Herren, unserer gemeinsamen Arbeit gelingen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß unsere jungen Menschen nicht dem Zwang, sondern einer inneren Bereitschaft folgen, wenn sie zum Wehrdienst einberufen werden müssen!