Herr Kollege Dr. Mende, ich bin ihnen für diese Frage sehr dankbar. Wenn Sie den Ausführungen meines Freundes Fritz Erler gestern abend zugehört hätten, dann hätten Sie heraushören können, daß wir heute praktisch wieder bei der Situation von 1949 angelangt sind. Deshalb die Aktualität Ihrer heutigen Zitate!
Aber ich bin bereit, im Rahmen meiner weiteren Ausführungen auch darauf einzugehen.
Ich führte vorhin aus, daß Sie damals sehr geschickte Darlegungen gemacht haben, und das entsprach der Situation; ich billige Ihnen das zu. Wir haben immer wieder den Nachweis zu führen versucht, daß sich inzwischen trotz Korea usw. nichts in dem Maße geändert hat, daß die Politik gerechtfertigt wäre, die Sie heute durchführen wollen.
Lassen Sie mich dafür noch zwei Beispiele bringen. Ich darf mich nunmehr unserem sehr verehrten Herrn Bundeskanzler zuwenden. Der Herr Bundeskanzler hat am 6. August 1950, also schon nach dem Ausbruch des Koreakriegs, erklärt:
Soll Westdeutschland aufgerüstet werden? Ich habe mich wiederholt
— so sagte der Herr Bundeskanzler damals — gegen die Wiederaufrüstung Deutschlands ausgesprochen. weil ich vor allem dem tiefen Friedenswillen des deutschen Volkes und der Jugend Ausdruck geben wollte. Man darf nicht vergessen, daß diese Jugend, die mit 15 Jahren von der Schulbank geholt, zu Flakhelfern gemacht und schließlich ungenügend ausgebildet in den Kampf geschickt wurde, einen tiefen Abscheu vor Uniformen, vor Waffen und vor Krieg hat.
So damals in der „Welt am Sonntag". Und so könnte ich eine Unzahl von Zitaten anführen.
— Hoffentlich sagen Sie nachher noch, daß es richtig war!
Aber was will ich damit sagen? Noch nach dem Ausbruch des Korea-Konflikts ist von dem Herrn Bundeskanzler erklärt worden, daß er nicht für eine Remilitarisierung und Wiederaufrüstung sei. Aber in der Ausgabe des Bonner General-Anzeigers vom 26. Januar 1952 steht:
Leise über Teetassen und Sandwiches hinwegsprechend erschütterte Bundeskanzler Dr. Adenauer auf einem Empfang der Auslandspresse gestern die Alliierten mit der Mitteilung, daß er als Privatmann bereits 1948 die. heutige weltpolitische Lage vorausgesehen und den Aufbau einer westdeutschen Armee vorbereitet habe.
Nunmehr bin ich genau bei der psychologischen Situation, von der vorhin auch der Kollege Dr. Mende gesprochen hat. Versetzen Sie sich doch bitte einmal in die Situation einer Jugend, die nach dem Kriegserlebnis zunächst einmal sehr desillusioniert jedem freudig zustimmt, der ihren Gefühlen Ausdruck verleiht! Stellen Sie sich diese Jugend vor, von der auch der Herr Innenminister Dr. Schröder einmal gesagt hat, daß sie wieder zu einer Elitebildung und zu echten Idealen kommen müßte! Stellen Sie sich diese Jugend einmal vor, die sich bereitwillig dem Wiederaufbau in Deutschland zur Verfügung gestellt hat unter dem, was damals gesagt wurde, und sie muß dann 1952 erfahren, daß man ihr zwar von 1947 bis 1950 immer wieder gesagt hat „wir wollen nicht", aber als Privatmann das schon vorbereitet hat, was die Jugend in Wirklichkeit nicht wollte. Das ist keine gute Form von Vorbild. Das sollte man heute verstehen, und dazu sollte der Herr Bundeskanzler einige klärende Worte sagen, damit hier wieder Vertrauen geschaffen werden kann um der gemeinsamen Aufgabe willen, die wir hier nicht unter den Tisch fallenlassen sollten. Denn, ich sagte es vorhin schon, wenn Ihre These die richtige sein sollte — und Sie haben ja im Moment die Mehrheit, um das hier durchzudrucken —, dann brauchen Sie diese deutsche Jugend. Ich habe sehr ernste Sorgen und Bedenken über die Wehrbereit-
schaft dieser Jugend, wenn solche Zweifelsfragen offengeblieben sind und wenn sie nicht das absolute Vertrauen in all das hat, was Sie bisher gesagt haben.
Nun, Sie haben immerhin, nachdem aus einem großen Prozentsatz der deutschen Jugend, die Sie so mit einer Handbewegung als die „Ohnemichler" bezeichnet haben, eruptiv etwas zum Vorschein gekommen ist, auch solch ein propagandistisches Dreigespann von der CDU ins Leben gerufen, und diese Troika hatte dann wohl die Aufgabe, mit Balalaika-Klängen der Jugend klarzumachen, was bisher der Politik noch nicht gelungen war. Aber ich glaube, man sollte auch hier die Formen sehen.
- Herr Rasner, allein mit einer virtuosen Geschicklichkeit in Grenzlandreden kann man die deutsche Jugend nicht überzeugen. Da muß man sehr sachlich argumentieren und auf die Fragen eingehen, die diese deutsche Jugend dann immer wieder stellt.
Es gibt noch eine andere Art der Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Jugend und dem, was heute ist. Wir kennen die Bestrebungen des Amtes Blank, eine Normalisierung zwischen Volk und Armee zu erreichen, weil man von der Jugend weiß — und das ist von allen Seiten wiederholt zum Ausdruck gebracht worden —, daß sie das, was einmal war, grundsätzlich ablehnt. Nun, wir kennen diese Pläne, und wir halten einen Teil dieser Pläne für gut. Aber es sind nur Pläne, und wir haben noch nicht die Überzeugung gewonnen, daß diese Pläne einmal in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Warum? Wir haben ein klassisches Beispiel. Das kann man hier anwenden. Auch das Außenamt ist nach 1949 neu aufgebaut worden, und die Form des Restaurativen in diesem Außenamt berechtigt uns zu allem Mißtrauen und allen Bedenken, die in diesem Zusammenhang hier vorgebracht werden.
Dann gibt es auch so etwas, was die Jugend heute noch kopfscheu macht: eine ganze Reihe von Traditionsverbänden, die mehr oder weniger qualifizierte Leute an der Spitze haben und die bei der Wiedergabefreudigkeit der deutschen Presse für ganz bestimmte Dinge nunmehr so dann und wann auch das Ohr der Öffentlichkeit geliehen bekommen. Was dort in letzter Zeit an Verlautbarungen herausgekommen ist, was dort von verschiedenen gesagt worden ist, gibt doch ebenfalls Anlaß zum allergrößten Mißtrauen und zur allergrößten Vorsicht. Aber worauf kommt es dieser Jugend denn eigentlich an? Hier darf ich den allseits verehrten verstorbenen Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Ehlers einmal zitieren, der in der „Jungen Kirche", in der Nr. 15 vom 27. September 1950, u. a. geschrieben hat:
Der dritte Vorgang in diesem Zusammenhang ist das erwähnte Wort des Rates, in dem es heißt:
Es kommt alles darauf an, daß wir uns nicht durch eine verlogene Propaganda beirren lassen, daß wir allen Versuchen, uns und unsere Kinder in eine Gesinnung des Hasses hineinzutreiben, ein entschlossenes Nein entgegensetzen und uns weder an Kriegshetzerei noch an Angstpsychosen mitschuldig machen.
Dies alles gilt insbesondere von einem gewaltsam zerspaltenen Volk. Deutsche Brüder und deutsche Schwestern, redet Gutes voneinander, auch über den Eisernen Vorhang hinweg! Vertraut einander und haltet Gemeinschaft miteinander! Daß Deutsche jemals auf Deutsche schießen, muß undenkbar bleiben.
Jeder, der diese Dinge liest, spürt, daß hier eine große Spannung vorhanden ist und daß nicht alles auf einen Nenner zu bringen ist. Er sagt dann ungefähr eine halbe Seite weiter:
Einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden, weder was den Westen noch was den Osten anlangt.
In seinem dritten Punkt geht er dann noch einmal
sehr konkret auf diese Dinge ein, indem er sagt:
Wir wissen, daß die Teilung Deutschlands und die damit ständig wachsende Gefahr, daß Deutsche auf Deutsche schießen, die größte Friedensbedrohung ist. Wir müssen daher erwarten, daß ausländische und deutsche Politiker so handeln, daß diese Teilung irgendwann und irgendwie überwunden, aber nicht verewigt und zu einem Mittel der Machtpolitik der großen Weltmächte gemacht wird.
Und das ist mit ein wesentliches Element, ein wesentliches Motiv bei der Jugend von heute, die nein zu Ihren Verträgen sagt und die deshalb aktiv geworden ist.
Das ist vorhin hier schon durchgeklungen.
— Ich habe ja von dem Teil gesprochen, der im Sinne gegen die Verträge aktiv geworden ist.
Ich bin nicht so vermessen, zu glauben, daß auch die katholische Jugend hinter uns steht, aber ich glaube, einzelne von ihnen — ich könnte Beispiele bringen — gewiß aus dieser Gewissensnot heraus.
Nunmehr hat sich, obwohl der Herr Bundeskanzler, soweit ich mich erinnern kann, um dieses Gespräch mit den verantwortlichen Jugendverbänden über die Probleme, über die psychologische Situation bis heute noch nicht nachgesucht oder es geführt hat, der Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder liebenswürdigerweise bereit erklärt, vor dem Bundesjugendring ein Wort zur Diskussion der Wehrfrage zu sagen. Ich möchte auch das noch hier anklingen lassen, um das Problem noch einmal herauszuarbeiten. Da ich unterstellen darf, daß Ihnen allen der Text durch das Bulletin der Bundesregierung vom 17. Dezember vorliegt, kann ich mich auf das beschränken, worauf es mir ankommt. Er hat u. a. gesagt:
Natürlich ist der Jugend völlig freigestellt, alle Aspekte der inneren und äußeren Politik in Deutschland zu diskutieren, soweit sie sich das dafür notwendige Rüstzeug erarbeitet hat.
Er kommt dann weiter, nachdem er noch Einzelheiten aufgezählt hat, zu dem Schluß, daß sich
nunmehr am Schluß einzig und allein die Frage stellt:
Ist es recht und billig, daß sich jeder Deutsche an der militärischen Verteidigung seines Vaterlandes beteiligt und daß zu diesem Zweck bestimmten Jahrgängen die notwendige Ausbildung zuteil wird?
Es hat dann nach einer etwas verzögernden Diskussion, die um die Diskussion Ihres Referates ging, verehrter Herr Minister, noch eine Aussprache stattgefunden. Wie gut Sie mit dem, was Sie zu dieser Frage gesagt haben, nunmehr den Bundesjugendring überzeugt haben, scheint mir am treffendsten der Brief des Bundesjugendrings zum Ausdruck zu bringen, der, wenn auch etwas protokollwidrig, an die vier Hohen Kommissare, an den Herrn Bundeskanzler und an die einzelnen Fraktionsvorsitzenden gerichtet worden ist. Ich nehme an, daß der Inhalt dieses Briefes bekannt ist. Aber hier geht man nicht so sehr auf die Fragestellung ein, Herr Minister Dr. Schröder, die Sie dort aufgeworfen haben, als vielmehr auf das Herzensanliegen dieser Jugend, daß man zur Wiedervereinigung kommen müsse. Ich kann mir nicht aus der Situation vorstellen — ohne mir anmaßen zu wollen, das richtig zu interpretieren —, daß sich der Bundesjugendring nach der Diskussion über diese Dinge bereitfindet, in einem Brief an die Hohen Kommissare, an den Herrn Bundeskanzler und an die Fraktionsvorsitzenden heranzutreten, wenn er den Eindruck hatte, daß alles und jedes und auch das Letzte versucht worden ist, um diese Frage zur Zufriedenheit zu lösen.
Und hier kommt man dann auf die recht schaurige Perspektive, die heute schon aufgezeigt worden ist und die wir alle nicht wollen.
Erlauben Sie mir dann noch ein Wort zu der Berichterstattung der Presse über diese Dinge. Die „Kölnische Rundschau" bringt z. B. heute zum Ausdruck: „Der Jugendring treibt Politik auf eigene Faust", und dann in einer kleineren Überschrift: „Antwort auf einen Brief an Botschafter Puschkin abschlägig beschieden". Ich will diesen Artikel nicht ganz vorlesen; aber wer ihn durchliest, stellt fest, daß man hier nicht sehr korrekt berichtet hat und daß man nicht gesagt hat, daß auch der Brief an die anderen geschrieben worden ist, was darüber an Antwort kam und was man darüber nunmehr noch zu sagen weiß.
Lassen Sie mich versuchen, noch einmal das herauszustellen, worauf es uns ankommt. Wir wissen, daß zunächst einmal, wenn es um die Frage der Wiedervereinigung geht — und das ist ein Herzensanliegen der Jugend, wie ja von allen Seiten anerkannt —, alles und jedes versucht wird. Unternehmen Sie doch dann nicht immer wieder den Versuch, so zu tun, als wollten wir so irgend etwas, was unerfüllbar sei und was dann doch in letzter Konsequenz von Ihnen eben wegen dieses Irrealen, Unerfüllbaren nicht gewertet werden könne. Wir müssen heute Wert darauf legen, zu einem gemeinsamen Handeln zu kommen. Deshalb habe ich in bewußt überspitzter Form diese Gegensätze aufgezeigt; denn man kann ja diese Gegensätze einmal nur überwinden, wenn sie offen ausgesprochen werden. Man soll sie allerdings nicht in der Form aussprechen, wie es in den letzten Tagen hier teilweise geschehen ist. Man sollte der deutschen Jugend und vor allen Dingen denjenigen, meine Damen und Herren von der Koalition, die nicht mit Ihrer Politik einverstanden sind, die Konzession machen, daß sie keine Ohnemichler sind. Ohnemichler sind auch nicht bei den Sozialdemokraten vorhanden, wenn es um diese Frage geht.
Wir wünschen aber, daß alles das versucht wird, was wir Ihnen in diesen Tagen dargelegt haben. Wir können zu einem gemeinsamen Handeln nur nach dem Prinzip kommen: „Vereint nur sind wir alle stark, sind einzeln wir auch ohne Mark; mit einem Seil, aus Gras gewunden, wird selbst der böse Elephant gebunden", wenn Sie bereit sind, das einmal zur Kenntnis zu nehmen, was wir wirklich zu den Dingen sagen, sich nicht immer selbst einen Popanz hinzustellen und diesen zu bekämpfen, sich mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen und dann mit diesen sachlichen Argumenten in die Öffentlichkeit, in die Diskussion mit der Jugend zu gehen; nicht so, wie es ein Kollege von Ihnen gemacht hat, der auf Fragen in eigner Versammlung den Jugendlichen antwortete: „Was reden Sie von den Pariser Verträgen! Ich habe sie selbst noch nicht gelesen, denn ich verlasse mich auf die Erfahrungen des Herrn Bundeskanzlers." Auf diese Erfahrungen, meine Damen und Herren, können und wollen wir uns sehr gern verlassen, wenn die Beweise für die Richtigkeit der Thesen angetreten werden. Bis dahin muß die Jugend aus der Erfahrung heraus, die sie machen mußte, mißtrauisch bleiben und muß prüfen. Wenn Sie dafür kein Verständnis aufbringen, vertiefen Sie die Kluft, die heute vorhanden ist, und das wäre sehr sehr bitter.