Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider bin ich trotz der vorgerückten Zeit gezwungen, auf Grund der Ausführungen des verehrten Kollegen Herrn Dr. Mende doch noch einiges zu sagen und Ihre Geduld in Anspruch zu nehmen.
Herr Dr. Mende hat, genau wie der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben Strauß, sich einen Gegner hier zurechtgestellt, den sie dann mit Bravour niederzureiten versuchten. Aber ich glaube, es ist doch einmal an der Zeit, daß wir versuchen, die Dinge, die wir gegenseitig darstellen, so zu sehen, wie sie wirklich sind. Der Herr Kollege Mende hat Hilferding aus dem Jahre 1929 zitiert, und man hatte dabei den Verdacht, daß
heute in der Diskussion nur tote Sozialdemokraten etwas gelten, aber keine lebenden Sozialdemokraten.
— Ich komme darauf, Herr Dr. Mende. — Sie, meine Damen und Herren, haben sich aber zur Zeit mit den vorhandenen Sozialdemokraten und mit ihr en Argumenten auseinanderzusetzen, auch wenn Ihnen das unbequem ist.
Ich möchte nunmehr, nachdem der Herr Kollege Mende Hilferding aus dem Jahre 1929 zitiert hat, den Herrn Dr. Mende aus dem Jahre 1949 — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — zitieren.
— Herr Dr. Mende, Sie haben sich aber nicht voll-
ständig zitiert, und diese pikante Note, glaube ich,
muß hier noch zur Kenntnis gebracht werden. Sie
haben im Jahre 1949 nach einer Meldung des
„Essener Tageblatts" vom 17. Dezember gesagt: Ich habe mehr Kameraden begraben müssen, als Abgeordnete in diesem Bundestag sitzen, darunter meinen eigenen Vater und Bruder. Man kann nur den Kopf schütteln, wenn man heute die Divisionen wieder aufstellen will, die man bei Kriegsende wie Tierherden in einen Pferch trieb.
Man sollte jeden, der über Remilitarisierung spricht, zunächst über seine militärische Vergangenheit befragen, besonders nach seinen Kriegs- und Gefangenschaftserlebnissen.
Die Antwort wird manchen jeglicher Legitimation berauben, das Wort „Remilitarisierung" überhaupt in den Mund zu nehmen.
Wer dagegen einwendet, die Lage in der Ostzone erfordere als Gegenmaßnahme die Aufstellung deutscher militärischer Einheiten, der hat die militärische Entwicklung seit 1939 verschlafen,
der beweist damit gleichzeitig eine geradezu sträfliche Unkenntnis des sowjetischen Kriegspotentials. Deutsche Divisionen würden die Spannungen zwischen Ost und West nur noch verschärfen.
Das Ende wäre glatter Selbstmord der uns noch verbliebenen Volkssubstanz ;beiderseits der Elbe.
— Ich komme noch darauf, Herr Dr. Mende!
— Herr Dr. Mende, ich will erst, damit mir nicht der Vorwurf gemacht wird, ich hätte nicht alles gebracht, Ihr Zitat zu Ende bringen und gehe dann darauf ein. Sie haben welter gesagt:
Wir sollten daher alles vermeiden, was auch nur den Anschein erwecken könnte, wir wollten auf der einen oder der anderen Seite die vordere Linie darstellen.
Sie haben vorhin u. a. August Bebel zitiert und ausgeführt, daß August Bebel bereit gewesen sei, mit zu verteidigen. Nun, Herr Kollege Dr. Mende, sagen Sie mir doch bitte einmal, wo es einen verantwortungsvollen Sozialdemokraten gegeben hat, der nicht gesagt hat, wir wären bereit, Freiheit und Leben und Heimat zu verteidigen, wenn das überhaupt erforderlich ist.
— Ich komme auch darauf, Herr Kollege Majonica.
Aber nehmen Sie doch bitte auch einmal zur Kenntnis, was aus der Kenntnis der Situation heraus von seiten der Friedensfreunde, einer Organisation, gesagt wird und was von dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in Berlin zu dieser entscheidenden Frage gesagt worden ist.
Ich habe leider nicht die Fähigkeiten Ihres Herrn Kiesinger , der ja eine Vergangenheit als Repetitor hat, Ihnen das immer wieder klarzumachen; aber einmal anässen Sie es doch zur Kenntnis nehmen, wenn Sie mit uns in ein fruchtbares Gespräch kommen wollen.
Was haben wir auf diesem Parteitag gesagt, und
was hat Kurt Schumacher dazu immer wieder ge-
sagt? Kurt Schumacher hat einmal gesagt:
Das deutsche Volk braucht eine Bundesregierung, die das Schicksal der Nation über das Wohlergehen der eigenen Klasse und Clique stellt. Das deutsche Volk kann keine Bundesregierung dulden, die sogar das Letzte, was wir haben, das menschliche Leben und die Verfügung darüber freiwillig den Alliierten anbietet, wie es die Bundesregierung in ihrer Note an die New Yorker Außenministerkonferenz im September 1950 getan hat, und die, solange sie keine Wehrmacht hat, mit paramilitärischen Organisationen zu :arbeiten versucht.
Nachdem Sie, Herr Kollege Dr. Mende, vorhin Bebel zitiert haben, darf ich Sie daran erinnern, daß zur Zeit Bebels im Jahre 1903 Deutschland noch nicht geteilt war und es auch noch keine Atom- und H-Bomben gab
und deshalb ganz andere Aspekte gültig waren, als das heute der Fall Ist.
Wir haben aus diesen Überlegungen heraus auf .unserem Parteitag auch eine Entschließung gefaßt, und ich darf jetzt, wenn es vielleicht auch so klingt, als sei ich hier ein Repetitor, die maßgebendsten Sätze daraus vortragen, damit wir nicht immer wieder aneinander vorbeireden:
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kennt die Gefahren, die von der sowjetischen Politik ausgehen. Für den Fall, daß wirksame Vereinbarungen zwischen östlicher und westlicher Welt nicht zu erzielen sind, die Gefahren für die Freiheit und den Frieden der Völker fortbestehen und die Einheit Deutschlands in einem umfassenden System kollektiver Sicherheit trotz aller Bemühungen nicht erreicht werden kann, erklärt sich die Sozialdemokratie bereit, an gemeinsamen Anstrengungen zur Sicherung des Friedens und der Verteidigung der Freiheit auch mit militärischen Maßnahmen teilzunehmen.
Und jetzt merken Sie sich doch nur eins: daß wir das für den Fall tun, daß diese anderen Wege sich als unbrauchbar erwiesen haben. Diesen Beweis haben Sie trotz anderthalbstündiger Ausführungen auch nicht antreten können.
Nunmehr zu dem, was Sie hier von Pazifisten vorgetragen haben. Damit haben Sie auf meinen Parteifreund Fritz Wenzel angespielt. Ich will nur, um es kurz zu machen, darauf hinzuweisen, daß auch Ihr Parteifreund Rademacher dieser Organisation angehört,
und ich bin deshalb nicht gleich bereit, Ihrer Fraktion zu unterstellen, daß dort eine recht wankelmütige Einstellung vorhanden ist, obwohl wir ja gerade von Ihrer Fraktion in dieser Angelegenheit in letzter Zeit kuriose Dinge erlebt haben.
Ersparen möchte ich es mir, auf das einzugehen, was von Ihnen über den Bruderkrieg und über die Gewissensgründe hier vorgetragen worden ist. Ich glaube, darüber werden wir uns, wenn es erforderlich ist, bei der Beratung der maßgebenden Gesetze sehr intensiv auseinanderzusetzen haben.
Aber dann haben Sie — und damit kann ich zu meinem eigentlichen Thema kommen — auf das übergeleitet, was mein Anliegen hier schlechthin ist. In diesen zweieinhalb Tagen ist schon sehr viel von der Verteidigung, von der Sicherheit, von der Wiedervereinigung und von der Saar gesprochen worden. Man hat sehr harte und sehr forsche Worte, besonders von idem bewährten deutschen Stamm der Bajuwaren, darüber gehört, daß wir hier so etwas wie eine Volksbewegung entfesselt haben, die uns nunmehr miet in den Orkus zu ziehen droht. Ich glaube, Sie haben ein sehr gerütteltes Maß an Schuld daran, weil Sie immer wieder davon ausgegangen sind, um Ihre Argumentation zu erleichtern, politische Gegner der Öffentlichkeit oder dem Parlament in einem Spiegel darzustellen, der Ihr eigener Spiegel ist. Diesen Gegner haben Sie dann, wenn Sie ihn mit dem ausgestattet haben, was Ihnen nicht gefährlich werden kann — oder wie es der Minister mit besonderen Aufgaben, Herr Strauß, hier mit zwei Abwesenden getan hat, die sich dann nicht wehren konnten —, mit echt bajuwarischer oder auch anderer Bravour niedergeritten; und dann
glauben Sie, das sei eine echte politische Auseinandersetzung.
— Herr Kollege Lücke, ich komme auch noch zu Ihnen, weil Sie gerade dort vorn sitzen. —
So kann man eine politische Auseinandersetzung nicht führen. Ich möchte, nicht weil ich zufällig der jüngste Vertreter dieses Parlaments und einer von der Kriegsgeneration bin, um die es heute geht, gerade auf diese Fragen sehr intensiv eingehen. Ich bedaure, daß ich im Moment den Herrn Bundeskanzler nicht sehe; denn ich hätte mir etwas davon versprochen, wenigstens hier einmal mit ihm ein Gespräch über diese Dinge führen zu können.
— Nun, man kann über den Wert von Erfahrungen geteilter Meinung sein. Man kann Erfahrung auch als die Summe der in einem Leben gemachten Dummheiten definieren, und davor sollten wir uns hüten.
Um nun in diese Auseinandersetzung zu kommen — die man mit Absicht einmal mit Ihnen suchen muß, meine Damen und Herren von der Koalition —, eine Auseinandersetzung, die den Sinn haben soll, in diesen lebenswichtigen Fragen des deutschen Volkes zu einer einheitlichen Meinung zu kommen, aber nicht, indem wir uns willenlos dem fügen, was Sie wünschen, sondern indem wir gemeinsam versuchen, das herauszuarbeiten, benötigen Sie all die wertvollen Ansätze, die in der deutschen Jugend vorhanden sind und die Sie bis heute noch nicht in dem Maße fruchtbar gemacht haben, wie es erforderlich gewesen wäre. Vorhin ist von meinen verehrten Herren Vorrednern von der psychologischen Frage gesprochen worden. Dabei ist man dankenswerterweise von den Kriegsverurteilten auf all die Einzelgruppen zu sprechen gekommen, die man hier mitberücksichtigen müsse, um das psychologische Klima in der Bundesrepublik zu schaffen. Aber eins hat man nicht angesprochen. Man hat nicht angesprochen, daß das größte psychologische Problem zunächst einmal bei der deutschen jungen Generation vorhanden ist, die nach Ihrem Willen morgen Soldat werden soll.
— Sie müssen laut sprechen, Herr Kollege, dann kann ich Ihnen antworten.
— Dr. Strosche hat das getan. Ich setzte mich jetzt mit den Rednern auseinander, die diese anderen Fragen ausgewalzt haben.
Nach 1946 haben sich die prominentesten Leute von der jetzigen Koalition aus der Situation bereit gefunden, der deutschen Jugend das zu sagen, was sie damals nur hören wollte, nur hören konnte, weil sie, die aus dem Kriege schon zurückgekehrt war und ihn unmittelbar miterlebt hatte, von Soldatenspielerei und Barras zunächst einmal die Schnauze bis obenhin voll hatte, um es mit diesem Ausdruck einmal zu sagen.
Da hat zum Beispiel auch unsere verehrte Kollegin Fr au D r. Weber, vielleicht in einer Erinnerung an mütterliche Gefühle,
erklärt: Wer die beiden furchtbaren Weltkriege
— ich bin bereit, zu sagen: aus mütterlichen Gefühlen —,
wer die beiden furchtbaren Weltkriege erlebt hat, kann nur betonen: Nie wieder Krieg! Ich bin gegen jede Remilitarisierung!
Herr Kollege Paul Lücke, Sie, der Sie neun Jahre Soldat waren, wie Sie selbst angegeben haben, und als Beinamputierter wie ich haben ebenfalls nach dem „Essener Tageblatt" vom 17. Dezember erklärt:
Deutschland scheint mir durch ein militärisches Vakuum besser geschützt zu sein als durch ein deutsches Truppenkontingent. Die Frage der Remilitarisierung wird seit Monaten vom Ausland mit einer Hartnäckigkeit an uns herangetragen, daß der Verdacht aufkommen muß, daß hier weniger Deutschland gemeint ist als der kräftige deutsche Soldat, auf den man bei der scheinbar unvermeidlichen Auseinandersetzung mit dem Osten nicht verzichten zu können glaubt.
— Bitte, Herr Kollege!