Rede von
Käte
Strobel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr geehrten Damen unid Herren! In dieser Auseinandersetzung um die Sicherheit unseres Volkes ist bis jetzt ein Problem nur am Rande angesprochen worden: das ist der Schutz der Zivilbevölkerung,
der Schutz der Männer, Frauen und vor allen Dingen der hilflosen Kinder. Sicher muß man in diesem Zusammenhang zuallererst sagen, daß es eine wirkliche Sicherheit vor Verstümmelung und Vernichtung überhaupt nur durch die Verhinderung des Krieges gibt. Ist es nicht sehr ernst zu nehmen, daß ausgerechnet in diesem Stadium der Auseinandersetzung zwischen den großen Mächten und in unserem Rahmen namhafte Wissenschaftler der Welt die Staatsmänner mahnen, angesichts der verheerenden, zerstörenden Wirkung der Wasserstoff- und der Kobaltbomben zur Verständigung zu kommen? Angsthaben und Angstmachen verleiten — das erleben wir doch gegenwärtig sehr stark — zu immer massiveren Drohungen. Die gerade wiedergewonnene Geborgenheit unserer Kinder, die Hoffnung auf ein klein wenig Menschenglück geht doch beinahe schon verloren in der Sorge, ob Vernunft oder Wahnsinn siegen werden. Der Nobelpreisträger Professor Hahn zeigte in seinem Vortrag im NWDR die tödliche Gefahr auf, durch die die Menschheit von der Kobaltbombe bedroht ist, schonungslos, und ich möchte sagen: wir müssen ihm dankbar dafür sein, daß er das jetzt getan hat. Aber auch die amerikanischen Atomwissenschaftler haben in ihrem Bulletin durch Herrn Professor Dr. Ralph Lapp feststellen lassen — und das, meine Damen und Herren, sollte uns Deutschen ganz besonders eingeprägt werden —, daß ein Geschwader von 28 Bombern, ausgestattet mit den neuesten Wasserstoffbomben, genügt, um 50 Millionen Männer, Frauen unid Kinder eines teils sofortigen, teils langsamen, qualvollen Todes sterben zu lassen. Schon die Versuche mit den Atombomben vermitteln uns eine grausige Ahnung von dem furchtbaren Zerstörungswerk, das droht. Der Vorsitzende der amerikanischen Atomenergiekommission, Herr Strauss, hat der Presse mitgeteilt, daß beim letzten Versuch von Bikini ein Gebiet von 18 000 qkm Ausdehnung in Richtung des Windes derart verseucht wurde, daß die Erhaltung des Lebens dort von der unverzüglichen Evakuierung aus dem Gebiet oder von der Zuflucht in Schutzräume und anderen Schutzmaßnahmen abgehangen haben könnte.
Meine Herren und Damen, das ist keine Greuelpropaganda, die Furcht einflößen soll, sondern das sind nüchterne Feststellungen von Wissenschaftlern, die den Verantwortlichen noch rechtzeitig die Augen öffnen und das Gewissen stärken sollen.
Wir erleben heute gleichzeitig die Veröffentlichung des englischen Weißbuches, in dem mitgeteilt wird, daß das englische Kabinett nicht allein die Produktion der Wasserstoffbomben beschlossen hat, sondern auch droht, diese Bomben in einem kommenden Krieg anzuwenden.
Sicher kann diesen Krieg niemand wollen, aber — um zu meiner Eingangsfrage zuückzukommen — wer als deutscher Politiker in einem Teil
Deutschlands das Risiko der Wiederaufrüstung in einem einseitigen Militärbündnis eingehen will, wer es in Kauf nimmt, daß Deutsche in zwei verschiedenen Armeen einander als bewaffnete Soldaten gegenüberstehen, vielleicht Geschwister gegen Geschwister, wer soviel Geld für die militärische Verteidigung ausgeben will, obwohl die Wunden des letzten Krieges noch schmerzlich offen sind,
wer diese Risiken eingeht, obwohl ihm die Gefahren bekannt sind, der hält doch einen Konflikt immerhin für möglich. Dann muß aber auch ein Maximum an Sicherheit für die zivile Bevölkerung da sein, und zwar nicht irgendwann einmal, sondern am Anfang, heute!
Diese Sicherheit müßte doch in erster Linie einen Schutz für die Zivilbevölkerung umfassen. Auch wenn die Bundesrepublik nicht aufrüsten würde oder hoffentlich nicht in dieser Militärallianz aufrüsten wird, ist dieser Schutz unbedingt notwendig. Diese Forderung hat gar nichts mit der Einstellung zur Wiederaufrüstung zu tun; sie ist einfach ein Gebot der Menschlichkeit und schon dadurch diktiert, daß heute bereits Atomkanonen auf deutschem Boden stehen. Ich will nichts von dem wiederholen, was bereits gestern gesagt wurde. Solange aber die Kriegsgefahr nicht gebannt ist, so lange ist es erstes und dringendes Gebot, sich zum Schutz der Zivilbevölkerung positiv auszusprechen und die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Und darum geht es, meine Herren und Damen.
Ich darf an die Auseinandersetzungen bei den
Haushaltsberatungen des Vorjahres erinnern. Wir
haben damals beantragt, daß aus ,den neun Milliarden Verteidigungsbeitrag, die im Haushalt eingesetzt waren, eine Milliarde zunächst einmal für
vorbereitende Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung bereitgestellt werde. Allein für die
Forschung, die wir auf diesem Gebiet betreiben
müssen, weil wir ja im Gegensatz zu den anderen
keinerlei Anlauf haben, wäre dieser Betrag dringend nötig gewesen. Aber die Situation ist doch die,
daß die gleichen Kräfte in diesem Bundestag, die
gleichen Kräfte in unserer Bundesregierung, die
die Aufstellung von Atomkanonen durch Besatzungsmächte auf deutschem Boden geduldet haben,
die Mittel für den zivilen Schutz abgelehnt haben.
In diesem Haushalt, 1955, sind auch nur einige wenige Millionen für zivilen Schutz eingestellt. Diese werden wahrscheinlich für das bißchen Forschung draufgehen, so daß für den wirklichen Schutz überhaupt nichts mehr übrigbleibt.
Gestatten Sie den Hinweis auf einige wenige Vergleichszahlen. In USA werden 2,30 DM pro Kopf, in England 4,10 DM, in Schweden 8 DM pro Kopf der Bevölkerung für zivilen Schutz ausgegeben, — in der Bundesrepublik ganze 24 Pfennig.
Dabei haben diese Vergleichsländer im Gegensatz zu uns keinen Nachholbedarf. Ich frage Sie: Nennen Sie das Sicherheit und Schutz unserer Bevölkerung?
Man begegnet immer wieder der Auffassung, daß im Stadium der Atombombe Schutz sinnlos sei. Dafür gibt es gewiß keine Beweise. Der Herr
Bundeskanzler hat gestern abend hier zum deutschen Volk gesagt — etwa sinngemäß, ich kann es nicht wörtlich wiederholen —: „Wenn es zu einem heißen Krieg zwischen den Mächten kommt, dann werden wir Kriegsschauplatz sein. Wenn wir Mitglied der Atlantikpakt-Organisation werden, werden wir nicht Kriegsschauplatz sein." Ich frage mich: Woher nimmt der Herr Bundeskanzler den Mut zu einer solchen Behauptung?
Ich meine, es ist dem Letzten, ja beinahe dem Jüngsten in unserem Volke klar: Wenn es jemals zu einer solchen Auseinandersetzung in Europa käme, sind wir auf jeden Fall die Todeszone. Warum hat denn die Veröffentlichung über einen amerikanischen Evakuierungsplan für ihre zivilen Staatsangehörigen so große Bestürzung in der deutschen Zivilbevölkerung hervorgerufen? Weil unsere Bevölkerung weiß, daß es für uns im Ernstfall keine Möglichkeit des Entrinnens gibt! Ausgerechnet für uns Deutsche, für die die Gefährdung in Europa am größten ist und die am ersten des zivilen Schutzes bedürfen, und dazu gehört auch die mögliche Evakuierung, — die große Unbekannte in dieser Rechnung, und niemand aus der Bundesregierung hat uns bis jetzt gesagt, wie diese Frage befriedigend gelöst werden soll.
Von den 9 Milliarden sollen — das haben wir gestern wieder gehört — 3,2 Milliarden für Stationierungskosten, 5,8 Milliarden für Aufstellung und Unterhaltung der deutschen Truppen ausgegeben werden, für die Sicherheit der Heimat und ihrer Menschen, — und dabei fehlt alles für den Schutz der Zivilbevölkerung. Der ganze Wahnsinn des Beginnens kommt doch darin zum Ausdruck, daß uns das im Atomkrieg nichts nützt, daß es diese Sicherheit nicht gibt, am wenigsten für uns Deutsche.
Sie leugnen doch die Gefahr nicht; das kam auch in den Reden immer wieder zum Ausdruck. Das Wettrüsten ist aber doch ein Zeichen, daß bis jetzt die Vernunft nicht gesiegt hat; und, meine Herren und Damen, ich empfinde es als einen schrecklichen Hohn, daß am gleichen Tage, an dem in London die Abrüstungskonferenz beginnt, der Deutsche Bundestag die Wiederaufrüstung beschließen soll.
Sie haben sich in einem Flugblatt an die deutschen Mütter gewandt mit der Aufforderung, für den Schutz der Heimat durch den Wehrdienst ihrer Söhne beizutragen. Ich darf Ihnen für den Fall, daß Sie dieses Flugblatt nicht selber gelesen haben, einen einzigen Satz daraus zitieren. Diese deutsche Mutter sagt angeblich in einer Diskussion mit anderen Frauen und ihren Söhnen:
Wir Mütter müssen unsere Söhne beeinflussen, nicht etwa, daß sie zum Kriege drängen — du lieber Gott, das wäre ja gar nicht möglich —, aber wir können sie von der moralischen und menschlichen Notwendigkeit, die Heimat und die Freiheit zu schützen, überzeugen. Das ist unsere Aufgabe.
Sehen Sie, das klingt, als ob es den Mißbrauch der Atome überhaupt nicht gebe, als ob die Teilung Deutschlands überhaupt nicht existiere. Wer Heimat und Freiheit schützen will, der darf dem Krieg, der darf aber auch dem Bolschewismus keine Chance geben. Und unsere Heimat ist doch ganz Deutschland, die Freiheit beginnt doch mit
der Freiheit von Not, und die Sicherheit vor dem Bolschewismus ist doch — das ist gestern hier auch schon einmal von meinem Kollegen Erler gesagt worden — viel mehr als ein militärisches Problem, ja sie ist nicht in erster Linie ein militärisches Problem.
Man muß doch bei einer solchen Auseinandersetzung als Abgeordneter dieses Hauses unwillkürlich daran denken: nie war bis jetzt genügend Geld zur Lösung der sozialen Probleme da.
Wie oft haben Sie zwar die Tatsache anerkannt, daß es für diese oder jene Bevölkerungsgruppe mehr materielle Hilfe durch den Staat geben müsse, sich aber bei der Verweigerung immer wieder darauf berufen, es fehlten die Mittel dazu. Denken Sie gerade in diesem Zusammenhang an das Kindergeldgesetz. Aus finanziellen Gründen haben Sie dem größten Teil der deutschen Mütter Kindergeld für eine gute und gesunde Erziehung ihrer Kinder verweigert. Von den gleichen deutschen Müttern aber verlangen Sie jetzt ihre Söhne als Soldaten, und dafür haben Sie Geld.
Sie behaupten auch immer wieder, vor allem durch den Mund des Herrn Wirtschaftsministers, daß durch die Wiederaufrüstung und die dafür vorgesehenen Milliarden und die dafür noch in den Wolken geschriebenen Milliarden keine Verschlechterung der Lebenshaltung der Bevölkerung zu erwarten sei. Sie verschweigen praktisch das finanzielle Opfer, das Sie damit der Bevölkerung zumuten, malen aber auf der anderen Seite das Schreckgespenst des materiellen Opfers der Wiedervereinigung an die Wand. Wir sind der Auffassung: die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen dieses einseitigen Militärbündnisses sichert dem deutschen Volke nicht Nahrung, Kleidung und Wohnung, sondern bringt seinen Lebensstandard und seine Existenz in Gefahr.
Warum sagen Sie denn dem deutschen Volke nicht, was diese fragwürdige Sicherheit kostet? Auch der Herr Finanzminister hat das gestern abend nicht getan, sondern er hat darum herumgeredet.
Wo sind denn die notwendigen Milliarden für den größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung? Warum hat sich der Herr Bundesfinanzminister dazu gestern nicht konkreter geäußert, als daß er sagte, er übernehme die Verantwortung dafür, daß es weder eine Inflation noch einen Rückgang der Lebenshaltung gebe?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend darauf aufmerksam machen: Sicher führt diese Politik nur im allerschlimmsten Falle zum Krieg. Sie führt aber zur Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands, und dadurch wird die Unruhe hüben und drüben vermehrt. Gerade die Beseitigung der Unruheherde ist heute doch eine Lebensfrage für die Menschheit geworden. Die Rettung für unser Land liegt in der Entspannung, und diese Entspannung wird — so fürchten wir —jetzt verhindert.
Es ist gestern und heute immer wieder versichert worden, daß alle den Frieden wollen und daß man deshalb aufrüstet. Sehen Sie, das ist doch die alte Leier, die wir immer wieder gehört haben. Was sind aber die Tatsachen? Die Tatsachen sind doch, daß Wettrüsten immer wieder zum Krieg geführt hat,
daß einseitige Militärbündnisse der möglichen Feinde auch immer wieder zum Krieg geführt haben.
Ist es denn so furchtbar schwer, einmal einen wirklich neuen Weg zu gehen, nicht den alten der Drohung hüben und drüben, sondern den der Verständigung? Lassen Sie uns doch keine vollendeten Tatsachen schaffen, sondern lassen Sie uns das unsere dazu beitragen, daß das Wettrüsten nicht beschleunigt, sondern eingedämmt wird.
Es jährt sich gerade jetzt zum zehnten Male die traurige Wiederkehr der Bombennächte. Denken Sie an Dresden, an Würzburg, an Heilbronn, an Nürnberg und an viele andere Städte. Es ist eine grausige Geschichte, die wir sicher alle nicht vergessen haben. Aber jetzt wäre das Unheil doch noch viel größer. Das haben die Wissenschaftler ohne jede Polemik bewiesen. Sie haben aufgezeigt, daß die Atomwaffen von heute jedes Leben auf der Erde vernichten können. Selbst Generale mahnen. General MacArthur hat an seinem 75. Geburtstag darauf aufmerksam gemacht, und ich darf aus der „Frankfurter Allgemeinen" folgendes zitieren. Der General betonte, die Welt müsse, wenn sie überleben wolle, früher oder später den Beschluß fassen, den Krieg abzuschaffen. Neue Zeiten erforderten neue Methoden. Die Abschaffung des Krieges dürfe nicht mehr nur eine Forderung von Philosophen und Kirchenmännern, sondern müsse eine Forderung aller Staatsmänner sein. Eine solche Bewegung, getragen von den Massen, könne sogar auf eine Kontrolle der Rüstungen verzichten. Die Armeen könnten verkleinert werden und brauchten nur noch den einfachen Problemen der Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Ordnung und den Zielen einer internationalen Polizei zu dienen. Nun, ich bin nicht der Meinung, daß wir im Augenblick schon auf die Kontrolle der Abrüstung verzichten können. Aber diesen Weg zu gehen ist doch die einzige Möglichkeit für die Menschheit, am Leben zu bleiben.
Neben den Generälen mahnen uns doch vor allen Dingen die Opfer des letzten Krieges.
Sie rufen uns zu: Geht nicht den Weg, der ins Verderben führt, sondern geht den Weg der totalen Sicherheit! Ächtet den Krieg! — Ich glaube, Sie haben in dieser Situation alle Veranlassung, heute hier nicht den Beitritt, die Ratifizierung und die Wiederaufrüstung Deutschlands im Rahmen dieser Verträge zu beschließen, sondern wir haben alle Veranlassung, von dieser Stelle aus an die Abrüstungskonferenz in London die Aufforderung zu richten, an die Großmächte auf beiden Seiten, meine Herren und Damen: Beschließt das Verbot der Herstellung von Atomwaffen! Stellt in Ost und West auch die Versuche ein, die Atomenergie in den Dienst der Vernichtung zu stellen! Achtet den Krieg! Beginnt tatsächlich mit der Abrüstung!