Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein, Herr Präsident; ich möchte mit meiner Zeit haushalten.
Ich darf als letztes noch, bevor ich auf das Zitat von Herrn Kollegen Ollenhauer komme, noch einmal Braun hier zitieren und das wiederholen, was eben durch die Frage unterbrochen wurde:
Ich hegte nie Feindschaft gegen die Armee. Viel eher hatte ich eine gewisse Sympathie für sie und ihren Offiziersstand, der von seinen Angehörigen bei richtiger idealer Auffassung ihres Berufs sehr viel Selbstlosigkeit und Hingabe erheischte und wenig Aussicht auf materielle Vorteile bot. Der äußere Glanz muffle viel innere Not verdecken. In mancher armen Offiziersfamilie wurde viel mehr gehungert als in den Haushalten vieler Kleinbürger, ja gut bezahlter Angestellter und Arbeiter. Wer sich indes das Bild des preußischen Offiziers vornehmlich nach Witzblattkarikaturen gestaltet, der wird nicht nur den zahlreichen, ihrem idealen Beruf der Landesverteidigung in ernster Arbeit dienenden Berufsoffizieren nicht gerecht, sondern der wird sich auch nie erklären können, wie die deutsche Armee über die vier Weltkriegsjahre den zahlreichen numerisch und materiell weit überlegenen Gegnern standhalten konnte.
Herr Ollenhauer am 7. Februar 1952 im Deutschen Bundestag:
Die Anhänger einer pazifistischen Idee müssen sich darüber im klaren sein, daß sie die Freiheit, nach ihren pazifistischen Grundsätzen zu leben, nur so lange haben werden, wie es gelingt, die Freiheit der Demokratie zu erhalten. Die Alternative sind die Konzentrationslager der totalitären Systeme. Der Ohne-mich-Standpunkt löst keines der menschlichen Probleme seiner Anhänger. Im Falle einer Aggression der Totalitären ist ihnen die Uniform auf alle Fälle sicher.
Nach diesen vielen Zitaten aus der Haltung der Sozialdemokratischen Partei in ihrer über 80jährigen Tradition zu Wehrfragen stelle ich zum Abschluß die Frage: Gilt das alles, gilt das, was Herr Ollenhauer im Jahre 1952 sagte, auch heute noch, oder hat man vor, die Linie der mittelrheinischen Jungsozialisten nunmehr als die offizielle zu praktizieren? Gilt das Wort Ollenhauers noch, oder gilt die Auffassung des Präsidenten der deutschen Friedensbewegung der Pazifisten, des Herrn SPD-Abgeordneten Dr. Wenzel? Das ist die Frage. Wenn das noch gilt, was Herr Ollenhauer gesagt hat, dann halte ich es für richtig, das bei den Kundgebungen ebenso deutlich zu sagen, wie das hier im Bundestag deklariert wurde.
Damit würde am ehesten jene Verwirrung beseitigt werden, von der Julius Leber gesprochen hat.
Ich darf nun zu der Frage der Jugend und der Wehrbereitschaft noch einige Bemerkungen machen, ohne mich zu wiederholen, weil ja das Thema schon am 16. Dezember 1954 hier eine ausführliche Erörterung erfahren hat. Wir stellen allgemein fest, daß der Wille zur militärischen Ausbildung bei den jüngeren Jahrgängen denkbar gering ist. Das ist nach dem Mißbrauch der Opferbereitschaft und des Idealismus der deutschen Jugend durch Hitler auch erklärlich, ebenso nach der Fehlbehandlung der Heimkehrer durch alliierte und deutsche Stellen nach 1945 und auch nach den Fehlern, die wir selbst in der Gesetzgebung — in der Kriegsopfergesetzgebung und in der mangelnden Soldaten- und Heimkehrer-Gesetzgebung—begangen haben. Aber die Bereitschaft wird leider auch nicht größer, wenn man in Paulskirchen- oder Gegenkundgebungen neue Verwirrung in die jungen Seelen trägt.
Ich darf mich hier einer Pflicht entledigen, die ich gegenüber dem Herrn Bundesfinanzminister Schaffer übernommen habe. Durch einen Zwischenruf des Kollegen Eschmann veranlaßt, habe ich in der Debatte des 16. Dezember 1954 erklärt, daß der Herr Bundesfinanzminister zum Heimkehrerentschädigungsgesetz vor der Wahl ja gesagt habe, während er nach der Wahl nein gesagt habe. Der damals erkrankte Bundesfinanzminister hat aus Bad Tölz ein empörtes Telegramm geschickt, und es ergibt sich aus dem Schriftwechsel, den ich dann mit ihm führte, daß Behauptung gegen Behauptung steht. Der Heimkehrerverband, sein Vorsitzender, der Oberbürgermeister Fischer, und andere bestätigen das, was auch wir, Kollege Eschmann, Kollege Merten und ich als Eindruck aus der Haltung des Bundesfinanzministers annahmen. Er bestreitet es. Ich stelle fest, daß eine letzte Klärung nicht erfolgen kann, aber daß der Herr Bundesfinanzminister mitteilt, er habe vor der Wahl gegen das Heimkehrerentschädigungsgesetz aus finanzpolitischen Gründen Stellung genommen, er habe es nach der Wahl getan; und wenn ich nicht irre, hat er auch heute noch diese Auffassung.
Ich darf auch noch mit einer Bemerkung auf das eingehen, Herr Bundeskanzler, was der Kollege Dr. Becker gestern sagte. Der Kollege Becker wollte keineswegs eines der bösen Junktims machen,
eines der bösen Junktims zwischen Hingabe der Saar und Dafür-das-Recht-Haben, Soldaten zu stellen.
Becker wollte nur erklären, daß es bei der Ohnehin großen psychologischen Verwirrung sehr schlimm sei, wenn man auch noch dieses Argument in dem psychologischen Kalten Krieg mit mißbrauchen brauchen könnte. Es lag Kollegen Becker fern, sich dieses Argument selbst zu eigen zu machen.
Meine Damen und Herren, ich halte es für richtig, daß wir uns in allen Parteien und Verbänden — vielleicht wird das beim Deutschen Gewerkschaftsbund bei seiner Vorstandssitzung am kommenden Dienstag nun wenigstens gehört werden — an einen Tisch setzen, um wenigstens in diesem psychologischen Krieg, der Deutschland durchtobt,
Einigung über das Prinzip des Notwehrrechts zu finden, weil ich nicht glauben kann, daß es in Deutschland Menschen gibt — von einigen überzeugten Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen abgesehen —, die zwar das Recht beanspruchen, alle Vorteile der Demokratie für sich zu haben, die aber nicht gewillt sind, auch die Pflichten dieser Demokratie ebenfalls auf sich zu nehmen;
und zu einer dieser Pflichten gehört die Anerkennung des Prinzips des Notwehrrechts. über die Modifikation in seiner Ausführung läßt sich streiten! Das Prinzip jedoch sollte außer Streit stehen in der Staatsbürgerkunde der Schulen, auf den höheren Lehranstalten, in den Universitäten. Im Gegenteil, Rechte und Pflichten sollten dem jungen deutschen Staatsbürger nahegebracht werden. Und ich hoffe, daß der Herr Bundeskanzler oder der Herr Bundespräsident baldmöglichst dieses Gespräch am runden Tisch zur Klärung der Einigkeit über das Prinzip zustande bringen.
Ich darf noch einige Bemerkungen zum Kriegsdienstverweigerungsrecht machen, weil auch dieses Recht nach Art. 4 Abs. 3 unseres Grundgesetzes augenblicklich Gegenstand von Volksbewegungen und mißbräuchlicher Auslegung ist.
Wir haben damals schon im Parlamentarischen Rat dem Antrag der SPD widersprochen, weil, wie der damalige Sprecher sagte, ein Kriegsdienstverweigerungsrecht aus Gewissensgründen nicht ins Grundgesetz, sondern in ein einfaches Gesetz gehöre und weil es im Ernstfall zu einem Massenverschleiß an Gewissen führen würde. Trotzdem ist nachher der Antrag, es zu streichen, mit 18 gegen 3 Stimmen im Hauptausschuß abgelehnt worden. Ich glaube, wir sollten jetzt schon denen, die sich darauf berufen, sagen, daß das Ausführungsgesetz keinesfalls ein absolutes Kriegsdienstverweigerungsrecht, keinesfalls ein solches aus Bequemlichkeit fixiere, sondern sich beschränken wird auf echte Gewissensgründe aus dem religiösen, aus dem ethischen, nicht aber aus dem politischen Raum und daß derjenige, der es ablehnt, mit der Waffe in der Hand einen Kriegsdienst auszuführen, analog zu der Einrichtung in den Niederlanden einen Ersatzdienst ohne Waffe wird leisten müssen.