Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Erler hat in seinen Ausführungen über die Sicherheit auch die finanzielle Seite angeschnitten, indem er dabei die Frage aufgeworfen hat, warum denn die Bundesregierung bisher nie offen bekannt habe, was die Kosten der gesamten sogenannten „Aufrüstung" — ich spreche nicht von Aufrüstung; ich spreche von den Verteidigungs- und Sicherheitsaufwendungen — seien und ob sie finanziell getragen werden könnten. Es solle nicht von den 9000 Millionen im nächsten Etat, sondern von den Gesamtaufwendungen gesprochen werden. Meine Damen und Herren, diese Bemerkungen veranlassen mich, zu dem Problem der Aufwendungen für Verteidigungsausgaben, der finanziellen Möglichkeiten, der Größenordnungen etc. Stellung zu nehmen.
Herr Abgeordneter Erler wird ganz gewiß nicht wünschen, daß wir in der Zeit, in der wir uns, wenn die Verträge angenommen sind, in der NATO mit den anderen Mächten über die Empfehlungen für die wirklichen Leistungen der deutschen Bundesrepublik unterhalten und uns anschließend daran mit den anderen über die finanziellen Auswirkungen und über die Leistungen des deutschen Volkes unterhalten, etwa dadurch, daß wir allzu große Zahlen nennen und in die Welt hinausrufen, als ob sie schon Tatsache wären, während sie es noch gar nicht sind, die eigene Verhandlungslage des deutschen Volkes erschweren.
Ich darf auch bemerken, daß es, glaube ich, niemanden in der Welt gibt, der in der Lage wäre, mit bestimmten Zahlen heute darüber zu reden, was eine Gesamtaufrüstung in den Jahren 1955, 1956, 1957, 1958 kostet. Aber ich darf soviel Auffassungsgabe voraussetzen, daß er aus dem, was in anderen Ländern geschehen ist und geschieht, selbst sich die Zahlen ungefähr bereitstellen und die Folgerungen daraus ziehen kann.
Wir sind nicht die ersten in Europa, die an die Aufgabe, Verteidigungsausgaben zu übernehmen, herangehen. Wir sind leider die letzten, die es tun, und wir haben das Beispiel der anderen bereits vor uns.
Nun darf ich eines vorausschicken. Wenn über die Kosten gesprochen wird, so wird vielleicht manchmal in dem Sinne von den Kosten gesprochen, die Übernahme der Verteidigungsausgaben müßte die Gefahr einer inflationären Entwicklung, wenigstens die Gefahr einer Einschränkung der sozialen Leistungen, wenigstens die Gefahr starker Steuererhöhungen bringen, und man redet gern von dieser Gefahr, wenn man dem deutschen Volke einen Schrecken vor den Auswirkungen der Verteidigungsverträge einflößen will.
Ich darf die Frage von dem Standpunkt dessen beantworten, der vor seinem Volke und aus seinem
Amt heraus die Verantwortung für solche Verteidigungsausgaben übernehmen muß.
Jeder der mich kennt, weiß, daß der Kern der Auffassung von der Aufgabe, die ich zu erfüllen habe, ist, ,daß ich dem deutschen Volke unter allen Umständen die Gefahr einer inflationären Entwicklung vermieden sehen will.
Jeder weiß, daß ich stolz darauf bin, daß das deutsche Volk in der Zeit der Bundesrepublik seit dem Jahre 1949 diese außergewöhnlichen sozialen Leistungen gemacht hat und alle seine Aufgaben in finanzieller Ordnung erfüllt hat.
Jeder weiß, daß ich, wenn ich mich trotzdem entschließe, ,die Verantwortung auch für die Kosten der Sicherheit des deutschen Volkes, seiner Verteidigung zu übernehmen, das unter der Voraussetzung tue,
daß die finanzielle Ordnung gewahrt
und die sozialen Leistungen
erfüllt werden, und daß ich mir deswegen die Kosten überlegt habe, meine Herren!
Da darf ich nun sagen: wir haben seit Jahren die Grundlage für die Festlegung dieser Kosten uns selbst geschaffen, indem wir in allen Verhandlungen in der Zeit der EVG und dann in der Londoner Konferenz dafür gesorgt haben, daß die Kostenrechnung automatisch sich nach gewissen Grundsätzen ergeben wird. Der erste Grundsatz ist gewesen, daß das deutsche Volk bereit ist, in demselben Umfange wie alle anderen Nationen seine Verpflichtungen zu übernehmen, als ein Gleichberechtigter nach denselben Grundsätzen.
Wenn Sie immer von den 9000 Millionen reden und meinen, das sei das einzige, begehen Sie schon einen Gedankenfehler! In den Haushalten der anderen Länder ist unter Verteidigungsausgaben mehr verstanden, als bei uns unter dem Poster 9000 Millionen enthalten sein würde. In all den anderen Ländern sind gewisse Ausgaben. die wir heute schon leisten, obwohl wir einen Verteidigungshaushalt noch nicht haben, mit enthalten. Das war ja der Gegenstand der Auseinandersetzungen in den Jahren von 1952 ab, daß wir die deutschen Verteidigungsleistungen aufgliedern mußten in das, was unmittelbar für neue militärische Aufwendungen erforderlich ist, und in das, was wir als anrechnungsfähige Verteidigungsausgaben bereits leisten.
Wenn die Herren, wie ich annehme, die Vorbemerkungen zum Haushalt 1955 lesen, dann finden sie darin bereits auch die Zahlengrößen. Nach deutscher Berechnung sind darin anrechnungsfähige Verteidigungsausgaben, wie wir sie heute schon leisten, mit einem Betrag von 4177 Millionen enthalten, so daß also die gesamten deutschen Verteidigungsleistungen, wenn ich die 9000 Millionen dazu rechne, heute schon mit jährlich 13 Milliarden zu schätzen sind.
Meine Damen und Herren, das ist die Ausgangsziffer, die Sie nehmen müssen.
Wenn Sie jetzt wissen wollen, wie denn die Verhältnisse in den andern Ländern sind, so kann ich Ihnen die Zahlen ganz ruhig nennen. Ich nenne Ihnen einmal die Haushaltszahlen z. B. von Großbritannien mit Flotte, Landmacht und Luftmacht: jährlich etwa 17 Milliarden DM nach unserem Geld,
Frankreich etwa 12 Milliarden DM nach unserem Geld, Italien 3,7 Milliarden DM, Belgien 1,3 Milliarden, Holland etwa 2 Milliarden.
Ich darf bemerken, daß z. B. Italien nach dem Krieg bereits 15 Divisionen aufgestellt hat. Ich kann feststellen, daß Italien seit dem Jahre 1949/50 bis zum Haushaltsjahr 1954/55 insgesamt aus eigener Kraft nach unserem Geld 20 Milliarden DM aufgebracht hat.
Dem darf ich gegenüberstellen, daß die deutsche Bundesrepublik im gleichen Zeitraum an Besatzungskosten allein bereits 55 Milliarden RM und DM aufgebracht hat.
Wenn ich die Jahre 1950 bis 1954/55 nehme, dann ergibt sich, daß die deutsche Bundesrepublik seit ihrem Bestehen allein 32,5 Milliarden DM Besatzungskosten getragen hat. Wir müssen doch daran denken, daß der kommende Posten „Verteidigungsausgaben" im deutschen Bundeshaushalt an die Stelle der alten Besatzungskosten tritt. Wenn ich also davon ausgehe, daß ich zwar die Gesamtkosten nicht mit Zahlen, für die mir heute jede Unterlage, auch jede prophetische Gabe fehlt, aufstellen kann, aber genau weiß, daß auch die anderen Länder nach dem Kriege vielfach doch ganz von vorn beginnen mußten, und wenn ich deren Haushalte und Haushaltsleistungen kenne, dann kann ich nach dem Grundsatz „Gleiches Recht und gleiche Pflicht" für die deutsche Bundesrepublik je nach ihrer Leistungsfähigkeit im Lande auch das berechnen, was nach den NATO-Empfehlungen finanziell dann vom deutschen Volk verlangt werden kann.
Ich nehme also zunächst das Brutto-Sozialprodukt; wir werden ja Gelegenheit haben, in internationalen Verhandlungen darüber zu reden. Dazurechnen muß ich meine anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben; dazu gehört z. B. Polizei, dazu gehören die Ruhegehälter für die früheren Wehrmachtsangehörigen, und dazu gehört nach deutscher Überzeugung — das ist der Streitpunkt — auch das, was wir tun, um die Widerstandskraft der Stadt Berlin aufrechtzuerhalten,
weil wir der Überzeugung sind, daß sich am Schicksal der Stadt Berlin die Frage des Friedens in Europa entscheiden wird;
deswegen sagen wir: was wir für Berlin aufwenden, muß als deutsche Verteidigungsleistung von der übrigen Welt anerkannt werden. Wenn ich all das zusammennehme, dann komme ich zu der Überzeugung, daß wir heute gemessen am deutschen Brutto-Sozialprodukt, wenn wir die anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben den 9000 Millionen hinzurechnen,
prozentual schon eine höhere Leistung haben als andere Länder, mit denen wir uns vergleichen.
Meine Damen und Herren, ich werde wie bisher in den Verhandlungen für die deutsche Bundesrepublik eintreten müssen, und ich bitte, die kommenden Verhandlungen nicht etwa dadurch zu erschweren, daß hier dem Ausland gegenüber von deutschen Verpflichtungen, höher als die deutsche Bundesregierung sie für notwendig hält und die deutsche Bundesregierung in Pflichterfüllung aus dem Vertrag heraus nur für notwendig halten zu müssen glaubt, gesprochen wird.
Es wird dem Ausland gegenüber genau so sein, wie es leider im innerdeutschen Verhältnis zwischen Gemeinden und Ländern beim Inner-Länderausgleich und zwischen Bund und Ländern beim inneren Finanzausgleich ist. Es wird genau so, genau so hart und genau so zäh auch hier gekämpft werden müssen.
Wir haben in diesen Verträgen auch nach der Seite der Kostenerstattung und der Höhe der Leistungen unser deutsches Schicksal selbst in der Hand.
Es liegt heute so, daß wir im Gegensatz zu früher nunmehr bei den NATO-Empfehlungen und bei den Ausarbeitungen der Vorschläge, wenn die Verträge zustande kommen, nicht mehr ein zugelassener Gast in der NATO sind,
der nur in Anwendung der für die anderen geltenden Grundsätze hilfsweise mit zugezogen wird. Wir sind künftig gleich im Stimmrecht mit den anderen, und alle NATO-Empfehlungen haben einstimmig angenommen zu werden.
Und zweitens: die NATO-Empfehlungen, die angenommen werden und die Grundlage für die deutschen Leistungen sind, binden das deutsche Parlament nicht. Das deutsche Parlament hat künftig nach seinem Haushaltsrecht über den Verteidigungshaushalt zu entscheiden.
Herr Kollege Erler, wenn Sie heute die Frage aufgestellt haben, warum im deutschen Haushalt noch nicht etwas nach Kategorien, nach Waffengattungen zu finden ist, — sehr einfach: weil wir nur den Bundesgrenzschutz haben, und der steht drin im Haushalt,
und alles andere steht noch nicht drin.
Wenn Sie aber künftig die Summen zu genehmigen haben werden, steht Ihnen im Parlament das Recht zu fragen frei, für welche Zwecke, und dann wird Ihnen die Regierung auch die Antwort geben, die möglich ist.
Also wir haben nichts zu verbergen, und wir werden unser Schicksal rein parlamentarisch durch den Deutschen Bundestag in voller Höhe der Wahrung seines Budgetrechtes bestimmen können. Wir haben dann auch die Möglichkeit, daß wir die Zweckmäßigkeit der Verwendung der Gelder vom deutschen Parlament überwachen lassen, den Gesichtspunkt der
1 Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auch im deutschen Bundeshaushalt zum Ausdruck bringen.
Wenn ich jetzt die Überzeugung ausspreche,
daß das, was wir an Verpflichtungen zu übernehmen haben, mit einer Summe von rund 4 Milliarden anrechnungsfähiger Verteidigungsausgaben und 9 Milliarden unmittelbaren Ausgaben im Bundeshaushalt wird geleistet werden können, ist die Frage: kann das deutsche Volk das übernehmen? Das deutsche Volk hat bisher jährlich 7200 Millionen an Besatzungskosten zu tragen gehabt. Die 1800 Millionen Differenz werden das deutsche Volk belasten. Denn was bisher im ordentlichen Haushalt drin stand, ist erspart und für den außerordentlichen Haushalt in Höhe von 1,5 Milliarden zur Verfügung gestanden, und ich brauchte in dieser Zeit zur Dekkung des außerordentlichen Haushalts an den Kapitalmarkt — der damals nicht vorhanden gewesen wäre — nicht heranzutreten. Das deutsche Parlament muß damit rechnen, daß künftig diese Möglichkeiten nicht mehr bestehen, und muß damit rechnen, daß der deutsche Bundesfinanzminister gezwungen ist, den außerordentlichen Haushalt durch Inanspruchnahme des Kapitalmarkts zu decken, muß infolgedessen auch wissen, daß damit eine Verengung im Haushalt eintritt; denn der außerordentliche Haushalt kann nicht erspart werden. Sind wir uns doch klar: zu einem Drittel Wohnungsbau, zu einem Drittel Verkehrswesen, zu einem Drittel wirtschaftliche und Unterstützungsmaßnahmen, lauter Dinge, die praktisch doch erfüllt werden müssen. Aber die Hoffnung darf ich aussprechen,
daß die deutsche Bundesregierung in einer vorausschauenden Politik alles Mögliche getan hat, um für die nächsten Jahre einen in diesem Umfang leistungsfähigen Kapitalmarkt wirklich zu schaffen, und daß ich es als möglich und als wahrscheinlich bezeichnen muß, daß wenigstens der außerordentliche Haushalt auf dem Weg, der dafür ja bestimmt ist, auf dem Weg der langfristigen Anleihe gedeckt werden kann.
Ich möchte also die Frage so beantworten: Die Höhe der künftigen Belastungen wird nicht größer sein, als wir sie in den Haushalten der entsprechenden gleichstarken Länder heute bereits finden und nachrechnen können. Daraus ergibt sich die Rechnung, daß das, was der deutsche Bundesfinanzminister bisher 'den übrigen Ländern auf Grund der bisherigen Empfehlungen vorgeschlagen hat, gehalten wird. Er hat das getan, nachdem im Jahre 1952, nachdem im Jahre 1953 und auf der Londoner Konferenz die amerikanische Seite immer wieder erklärt hat, daß sie die Lieferung der schweren Waffen an die deutschen Kontingente übernehmen wird mit denselben Bedingungen, wie sie für alle anderen NATO-Mächte nach Menge und Güte gelten.
Ich kann es Ihnen ja wörtlich vorlesen, wenn Sie es wünschen. Unter der Voraussetzung sind die Leistungen, die das deutsche Volk aufzubringen hat, meiner Überzeugung nach ausreichend, um das, was die NATO von uns erwarten darf, auch wirklich zu erfüllen.