Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Kollege Dr. Arndt, dazu wäre zweierlei zu sagen. Erstens ist in diesen Worten, die mir bekannt sind, nicht mit unbedingter Klarheit ausgedrückt, wo dieses Europa verteidigt wird, ob an der Elbe oder am Rhein oder noch etwas weiter westlich.
Zweitens ist mir aus meinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten bekannt, daß es in der Innenpolitik der USA zwei Kräfte gibt, die Kräfte, zu denen Herr Dulles und das Staatsdepartement, das Außenministerium, gehören, die Europa halten wollen und die Auffassung vertreten, die Sie da angeführt haben, daß es aber auch einen Teil des Offizierskorps gibt, der eine andere Meinung vertritt, die für uns sehr gefährlich ist. Ich freue mich, daß Herr Dulles so gesprochen hat, aber darauf können wir nicht allein bauen.
Da wir aber gerade dabei sind, maßgebende Amerikaner zu zitieren, darf ich noch einmal auf das schon erwähnte Zitat des Generals Gruenther, das vorgestern in den Zeitungen stand, hinweisen, der gesagt hat, bisher habe man sich auf den Rhein-Widerstand eingerichtet, d. h. fast das ganze Deutschland preisgegeben. Wenn wir mittun, dann werde man zu einer offenen Verteidigung übergehen; dann werde dieses ganze westliche Deutschland mit in den Verteidigungsring 'eingeschlossen. Das ist dann mindestens von der gleichen Bedeutung.
Daraus sehen wir, daß die Ablehnung die Kriegsgefahr erhöht, die Gefahr erhöht, daß wir ein Schlachtfeld werden, während die Annahme sie vermindert, soweit sie überhaupt durch menschliche Kräfte verhindert werden kann.
Herr Kollege Erler hat auf die Gefahr der Atomwaffen hingewiesen. Wahrhaftig, wir wünschen wie er, daß es keinen Krieg gibt. Wir wünschen wie er, daß die Atomwaffen nicht angewendet werden. Was aber kann man tun, damit sie nicht angewendet werden? Es gilt zuerst einmal — was wir tun wollen—, alles zu tun, den Krieg zu verhindern, dem Angreifer das Risiko so groß zu machen, daß es überhaupt nicht zum Krieg kommt. Wenn aber Herr Kollege Erler in die Diskussion schon den Gedanken des Verlaufs eines Krieges hineingebracht hat, muß ich doch sagen: Die furchtbarste Waffe im zweiten Weltkrieg war das Gas. Es ist nicht angewendet worden. Es wäre bestimmt angewendet worden, wenn eine Macht auf dem Gebiet der sogenannten klassischen Waffen so schwach gewesen wäre, daß sie in einem Akt der Verzweiflung zu dem Gas hätte greifen müssen. Wenn wir auf der westlichen Seite mit diesen sogenannten klassischen Waffen, die wahrhaftig furchtbar genug sind, so schwach sind, daß Amerika zur Atombombe greifen muß, dann allerdings passiert ein furchtbares Unglück. Aber wir wollen eben durch unseren Verteidigungsbeitrag mit dazu helfen, daß die Abwehrkraft des Westens mit den klassischen Waffen so groß wird, daß wir bei einem wahrscheinlichen Gleichgewicht der ABC-Waffen in ferner oder sogar näherer Zukunft hoffen können, daß diese Waffe überhaupt nicht angewendet wird, — wenn wir uns nicht darauf verlassen, was unser erstes Ziel ist, lieber den Krieg überhaupt zu verhindern, denn das ist um vieles sicherer.
Natürlich wird uns immer wieder gesagt — es ist heute erfreulicherweise nicht gesagt worden —, diese 12 Divisionen seien ja gar nicht in der Lage, die Freiheit Deutschlands zu verteidigen. Es wundert mich immer, wenn in der Diskussion draußen dazu gesagt wird, diese 12 Divisionen, die Deutschland gar nicht schützen könnten, seien für Rußland eine Provokation.
Hier sieht man die Unlogik, die in der Argumentation vieler unserer Gegner vorhanden ist. Eine Bedrohung für Rußland sind sie bestimmt nicht, denn eine um vieles, um das Zehnfache größere Zahl von Divisionen hat Rußland in einem für Rußland viel ungünstigeren Zeitpunkt nicht unterwerfen können. Se sind auch nicht das, was allein Deutschland verteidigen kann. Aber in einem Deich von tausend Metern Länge müssen alle Hundertmeterstreifen gut gebaut sein. Ist einer schlecht gebaut, bricht die Sturmflut an dieser Stelle ein. Und die Rolle, die eine Strecke von hundert Metern in einem Deich von einem Kilometer spielt, spielen die 12 deutschen Divisionen in der Verteidigung Europas.
Im übrigen: wenn Sie Neutralität, bewaffnete Neutralität wollten, meine Herren von links, dann müßten wir wahrhaftig aus eigener Kraft mehr aufstellen, als wir menschenmäßig, materialmäßig und finanziell können.
Es ist für den Starken schon nicht gut, allein zu sein. Die Bündnislosigkeit oder die schlechten Bündnisse haben wir im Jahre 1914 und — wenn Sie so wollen — auch im Jahre 1939 gehabt. Diese Isolation ist dem starken Deutschland nicht gut bekommen, dem schwachen Deutschland von heute müßte sie zum Tode gereichen, und schwach wäre ja ein Gesamtdeutschland wirtschaftlich und militärisch nicht viel weniger als die Bundesrepublik. Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen diese Bündnisse dringlichst; denn mit Neutralität — ja, das mögen die Inder machen, das mögen die Schweden machen und das mögen die Schweizer machen. Das sind doch ganz andere Verhältnisse: die Inder im Schutze des Himalaja, die Schweizer im Schutze ihrer Berge. Und beide allein könnten es nicht schaffen, wenn sie nicht eine starke Armee aufstellen würden. Die Schweizer haben sie schon, von den Indern haben Sie in diesen Tagen gelesen, daß sie gerade dabei sind, sich zu überlegen, wie sie eine solche aufstellen können, und Schweden ist im kontinentalen Europa vielleicht die stärkste Militärmacht überhaupt.
Sie finden auf der Welt kein Beispiel eines auch nur ähnlich gefährdeten Landes wie ein Deutschland, das waffenlos neutral wäre. Denken Sie 'doch an die Lage Deutschlands! Ich glaube ja, wenn es zu einem dritten Weltkrieg kommen sollte, würde er gar nicht wegen Deutschlands, sondern wegen viel wichtigerer Dinge ausbrechen, als es diese Bundesrepublik oder auch die Ostzone für die großen Mächte dieser Welt ist. Aber, meine Damen und Herren, weshalb auch ein Weltkrieg jemals wieder ausbrechen sollte und wer ihn beginnen sollte, er wird immer über unser Territorium geführt werden. Wir sind das Land der Mitte — unser Segen in Zeiten des wirtschaftlichen Austausches, unser Glück in Zeiten des kulturellen
Austausches, Fluch unseres Volkes in einem jeden Krieg. Wir haben es nicht nur in der Schule gelernt, wir haben es doch zweimal selbst erlebt. Wenn ein solcher Krieg ausbricht, muß er über Deutschland führen, weil es ja die Brücke zwischen Ost und West ist, über die der Osten dem Westen an den Kragen gehen kann und, wenn er es wollte, der Westen dem Osten. Wenn wir neutral sein wollten, dann hätten sich die alten Germanen nicht in der Mitte Europas ansiedeln dürfen, dann hätten sie sich in Patagonien oder Australien ansiedeln müssen. Vielleicht würde es auch da heute nicht mehr ausreichen. Aber hier ist eine Neutralität bestimmt nicht mehr möglich.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang von der Wiedervereinigung reden, so brauche ich den Argumenten meiner Vorredner und gar denen des Herrn Bundeskanzlers nicht viel hinzuzufügen. Ich kann nur wiederholen, was einer meiner Parteifreunde heute gesagt hat: Sie tun ja, als wenn es am Westen, schon gar aber an der Regierung der Bundesrepublik läge, daß wir noch kein wiedervereinigtes Deutschland haben.
Und es liegt doch schließlich an den Sowjets! Wir haben doch vor einem Jahr eine Viermächtekonferenz in Berlin gehabt. Sie sagen, man müsse den Sowjets Auge in Auge gegenüberstehen; dann werde man es leichter schaffen. Na, da müßte ein sozialdemokratischer Außenminister schon ein Augendiagnostiker oder ein Mann mit besonders schönen Augen sein, um diesen Erfolg zu erreichen.
Nein, meine Damen und Herren, den ernsten Versuch hat man gemacht. Ich glaube immer — das hat auch einer meiner Kollegen gesagt —, daß die Sowjets erst dann bereit sind, die hervorragende strategische Position in Mitteldeutschland zu räumen, wenn ihnen dafür irgendwo auf der Welt etwas Besseres geboten wird. Sie wissen zu genau, daß — was Herr Erler gesagt hat — Deutschland, selbst wenn es kein Bündnis hätte, im Herzen auf der Seite des Westens wäre und daß dieses Deutschland also nur unter Zwang vereinigt für den Russen überhaupt etwas darstellen würde und daß er sich deshalb auf Deutschland nicht verlassen kann, daß er also die Entlassung des deutschen Ostens aus seiner Herrschaft gar nicht billigen kann, wenn ihm eben nicht anderswo mehr geboten wird.
Dann ist gesagt worden, die Erlösung der Ostzone müsse mit den Mitteln der Politik und nicht mit denen des Krieges erfolgen. Das ist voll und ganz meine Meinung und die meiner Freunde. Aber, meine Damen und Herren, was kann die schwache Bundesrepublik mehr zur Erlösung der Ostzone tun, als daß sie die 14 Mächte des Atlantikpaktes, darunter die stärksten westlichen Mächte, England und USA, dazu verpflichtet, diese Politik der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit Schulter an Schulter mit uns zu erkämpfen!
Im Bündnis mit diesen Mächten sind wir jederzeit bereit, jeden Mut in der Frage der Wiedervereinigung an den Tag zu legen. Aber wenn man mir sagt, wir sollten allein, hilflos und schutzlos, mutig, mutiger noch als bisher an die Dinge herangehen,
dann kann ich nur sagen: Wer dem Lamm rät, mutig zum Wolf zu gehen, der rät ihm zum Selbstmord.
Als ein Abgeordneter des deutschen Volkes vermag ich dies nicht zu verantworten.
Ich bitte Sie, doch auch noch zu überlegen, daß es nicht so ist, als ob nun die Aufrüstung den Krieg bewirkt, sondern daß im Jahre 1939 die nicht genügende Aufrüstung der freien Welt den Diktator dazu ermutigt hat, die Welt mit Krieg zu überziehen.
Meine Herren Sozialdemokraten, Sie wie wir, die Sie Gegner des Nationalsozialismus waren, wo Sie damals auch immer gewesen sein mögen, haben Sie sich nicht an den Kopf gefaßt und gesagt: „Wie kann die Welt zuschauen, wenn das kleine Österreich überfallen wird? Wie kann die Welt zuschauen, wenn all das andere geschieht?" Die Welt mußte zuschauen, weil sie zu schwach war. Eine Aufrüstung der Freiheit ist der beste Schutz der Freiheit und der beste Schutz des Friedens.
Dann soll mir doch niemand erzählen, daß Verhandlungen an und für sich das Allheilmittel wären. Wenn eine Verständigung der großen Mächte das Allheilmittel wäre, dann wäre Potsdam ja die Frucht dieses Allheilmittels gewesen. Man hat sich auf unsere Kosten geeinigt. Und heute, wo wir noch keine Verbündeten haben, ist immer noch die Gefahr, daß sich die Welt auf Kosten des Schwächsten einigt. Wenn wir nach der Ratifizierung verhandeln, dann wissen wir: Die Westmächte werden sich nicht mehr auf unsere Kosten einigen.
Ich bin ganz der Meinung, daß man nicht als Maßstäbe unseres Handelns sozusagen die umgekehrten Vorzeichen dessen macht, was drüben Maßstäbe der Sowjets sind. Es würde zweifellos unserer geistigen Haltung, es würde den Idealen der Freiheit nicht entsprechen, wenn wir uns die Gehirnwindungen, wie gesagt wurde, vom Gegner aufzwingen ließen. Aber, meine Damen und Herren, es läßt sich doch, ohne daß man so denkt, ganz objektiv feststellen, was den Sowjets nützt und was den Sowjets schadet. Ich sage Ihnen offen: Bei allem, was den Sowjets nützt, habe ich Angst, es könnte für unser Vaterland gefährlich sein.
Wenn deshalb in einem Nervenkrieg, der gegen uns geführt wird, deutsche Politiker, die keine Kommunisten sind, nie waren und nie werden wollen, und an deren ehrlicher demokratischer Überzeugung ich nicht zweifle, Dinge tun, die parallel den Wünschen eines Molotow sind, dann frage ich mich: Sind sie nicht auf dem falschen Weg?
Wenn man in einem Augenblick, da dieses Volk ruhig, einig und gefaßt sein sollte, um in dieser schwierigen weltpolitischen Lage zu bestehen, mit einem falschen, nämlich öffentlichen und nicht geheimen sogenannten Teilvolksentscheid dieses Volk aufwühlt, dann weiß ich bestimmt, daß wir auf dem falschen Wege sind. Denn es mögen sehr honorable Männer sein — und sie waren es —, die da in der Paulskirche gesprochen haben; aber es sind auch sehr horrible Männer in der Gefolgschaft dieser Paulskirchenbewegung.
I In den Briefen, die ich da bekomme, wie die anderen Kollegen sie bekommen, kann ich oft nicht unterscheiden, ob der Schreiber ein ehrenhafter Sozialdemokrat oder ein schreckenerregender Mann aus der Kommunistischen Partei oder ihrer Hilfsorganisation, dem Bund der Deutschen, ist.
Nein, meine Damen und Herren, hier hat man leider Instinkte mobilisiert, und das ist gerade in diesem Augenblick gefährlich. Den Appell ans Volk haben wir nicht zu scheuen. Aber der Appell ans Volk vollzieht sich in einer rechtsstaatlichen Demokratie eben nur mit ,dem Stimmzettel in der geheimen Wahl. Einen solchen Appell ans Volk haben wir am 6. September 1953 gehabt.
Im alten Bundestag konnten Sie uns erzählen, das Volk habe bei der Wahl von 1949 nicht gewußt, daß der Verteidigungsbeitrag auf der Tagesordnung unseres Staates steht. Im Jahre 1953 hat es das Volk gewußt; denn es ging bei der EVG um dieselben 12 Divisionen, um dieselben 500 000 Mann, um dieselben 18 Monate Dienstpflicht, wie es jetzt darum geht.
— Ich stimme zu.