Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich habe fast den Eindruck, das war das erstemal in zwei Tagen, daß der Beifall einmütig war. Welche Eloge für den Herrn Bundesminister Strauß!
Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, mich an diesem Rekord zu beteiligen oder ihn gar zu übertreffen. Ich bin der Meinung, daß wir die Fragen an den Orten behandeln sollten, wo sie eigentlich vorgesehen waren. Außerdem ist die Frage nach den wirtschaftlichen Folgen und nach den Kosten des Verteidigungsbeitrags eine Frage, die nicht eine Fraktion der anderen stellt, sondern die der Bundesregierung und dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister im besonderen gestellt ist. An der Beantwortung dieser Frage sind wir genau so interessiert wie die Opposition, weil wir es mit dem Haushaltsrecht und damit mit den Steuergeldern des deutschen Volkes genau so ernst nehmen.
Aber wir wissen zweierlei: einmal, daß eine Ablehnung dieser Verträge uns nicht von den Besatzungskosten freimachen würde, außerdem — und, Herr Kollege Erler, Sie hätten es ruhig sagen können, nachdem Sie die Verträge genau so gut kennen wie ich —, daß das Mindestmaß der deutschen Aufrüstung, soweit es nicht auch in Zukunft in der Souveränität dieses Hauses liegt, eben durch die NATO-Empfehlungen ausgedrückt wird. Damit bestimmen die NATO-Empfehlungen naturgemäß auch über die Kosten. Wir wissen, daß diese Empfehlungen nur einstimmig gefaßt werden können, also nur mit der Stimme des deutschen Vertreters. Damit sind wir davor geschützt, in ein finanzielles Abenteuer gestürzt zu werden.
Ich glaube, das muß man auch hier an dieser Stelle sagen.
Nun komme ich zu den militarpolitischen Gesichtspunkten meines Vorredners. Er hat sich hier zur Abrüstung bekannt. Meine Damen un Herren, es gibt niemand in diesem Hause, und es gibt niemand im deutschen Volke, der sich nicht zu dem Ideal der Abrüstung bekennt.
Aber nach dem, was die Abrüstungskonferenzen der zwanziger und dreißiger Jahre mit sich gebracht haben, und nach dem, was wir nach 1945 erlebt haben, ist das Ideal der Abrüstung nicht gerade glaubwürdig geworden. Wir wollen zwar ein Ziel im Auge behalten; aber wir wollen nicht einem Phantom nachjagen in einer Welt, in der es — ohne Deutschland! — mehr nach Aufrüstung aussieht als nach Abrüstung. Wenn Herr Erler erklärt hat, es sei ein schlechtes Zeichen, die Weltabrüstung mit der deutschen Aufrüstung zu beginnen, dann muß ich sagen: Wenn es an Deutsch-
land liegen würde und an der deutschen Gefahr, daß die Welt aufgerüstet ist, dann bräuchte die Welt keinen einzigen Soldaten; denn so abgerüstet, wie das westliche Deutschland heute ist, war es noch nie in den tausend Jahren seiner Geschichte.
Es ist doch allzu einfach, wenn man — Herr Erler hat es nicht so einfach gesagt; aber die Konsequenz seiner Parteifreunde draußen im Lande ist so einfach — sagt: Wir sind gegen die Aufrüstung, weil wir gegen den Krieg sind. Da gibt es doch nur eine Parallele: Wir sind gegen die Feuerwehr, weil wir gegen den Brand sind.
Ich habe bei der Beurteilung der Lage, wie sie die Opposition vor allem draußen im Lande, wo sie ja eine noch um vieles härtere Sprache als hier spricht, vornimmt, immer die Meinung, sie setzt sich zusammen aus einer idealistischen Weltbetrachtung à la Berta von Suttner und aus einer materialistischen Weltgeschichtsbetrachtung à la Karl Marx. Man meint so etwa, wir lebten noch im Zeitalter der Kabinettskriege, wo eine Regierung aus Freude am Kriegführen und um ein Stück Land zu gewinnen einen Krieg vom Zaune bricht, oder im Zeitalter des Imperialismus des 19. Jahrhunderts, wo man eben auch aufrüstet, und wenn die Aufrüstung da ist, dann drängt die Rüstungsindustrie zum Kriege, dann kommt es eben zum Krieg unter Nationen, die im Grunde alle ganz anständige Regierungen haben. Nein, meine Damen und Herren, so automatisch und auf diese Weise geht es in einer Welt nicht mehr, in der die Rüstungsindustrie gar keinen maßgebenden Einfluß mehr hat, weil sie in den europäischen Ländern, die in der Geschichte am meisten Krieg geführt haben, verstaatlicht ist, nicht nur im Osten, auch im Westen. Es ist doch vielmehr dadurch eine völlige Änderung der Lage eingetreten, daß — um ein Wort des englischen Premierministers Baldwin zu zitieren — Kriege in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr Kriege alten Stils, sondern leider wieder eine Art von Religionskriegen geworden sind. Der letzte Krieg war doch eine Art säkularisierter Religionskrieg zwischen der Demokratie und der Diktatur, und ein dritter Weltkrieg, vor dem uns der Himmel und unsere Politik bewahren mögen, würde, wenn er käme, das in noch viel stärkerem Maße sein.
Es sind nicht lauter Kavaliere in den Regierungen der heutigen Welt, die sich durch Dispositionen wirtschaftlicher Mächte — etwa der Rüstungsindustrie — in Kriege treiben ließen., sondern es ist doch so: die eine Hälfte der Welt wird von Gentlemen geführt, die andere Hälfte der Welt von Banditen. Diese Banditen wollen ihre Herrschaft über die Welt ausdehnen, und davor müssen wir uns schützen.
In diesem Zusammenhang sagt die Sozialdemokratie, sie sei nicht grundsätzlich gegen einen Wehrbeitrag. Herr Erler hat es hier wenigstens so gesagt und andere Redner im Parlament auch. Draußen hört man's manchmal anders. Aber es müßten neue Voraussetzungen geschaffen werden, und wenn diese neuen Voraussetzungen geschaffen sein sollten, dann wird man — ich nehme an: nach dem
Scheitern der 122. Viererkonferenz — einen neuen SPD-Parteitag einberufen, um über die Aufrüstung zu befinden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie zum größten Teil den Saal verlassen haben, ich möchte Ihnen und uns selbst nur den Wunsch ausdrücken, daß zu diesem Ihren Parteitag — und allenfalls zu parallelen Parteitagen anderer Parteien — nicht bereits die Rote Armee den Saalschutz übernommen hat; denn das könnte Ihnen und allen anderen passieren, wenn man nicht rechtzeitig vorsorgt. Sie tun doch so, als ob die Gefahr, in der wir leben, gar nicht dringlich sei. Und sie ist doch höchst dringlich, um so dringlicher, als die Machtverhältnisse in Sowjetrußland so ungeklärt sind, daß niemand weiß, wer morgen wen ermordet oder wenigstens verdrängt und wer morgen dort an der Führung steht, so daß über Nacht diese Gefahr noch aktueller werden kann, als sie es in dieser Stunde ist.
Der Herr Kollege Dr. Arndt hat davon gesprochen, man solle sich nicht einen Popanz machen und ihn dann bekämpfen. Er meinte das innenpolitisch. Aber, meine Damen und Herren, Sie können doch nicht bestreiten: die Rote Armee ist kein Popanz, den wir uns machen, sondern die größte Realität auf dem europäischen Boden.
Da kann man nicht sagen, wie der eine es gesagt hat: Wer es eilig hat, muß zahlen, und auch nicht, wie es ein anderer tat, wir sollten uns teuer machen. Wer muß sich denn teuer machen? Wer braucht denn wen? Brauchen die Amerikaner das kleine Deutschland zu ihrer Existenzbehauptung,
oder braucht das kleine Deutschland das große Amerika, um bestehen zu können?
Herr Kollege Erler hat gemeint, die Westmächte wollten ihre Positionen nicht räumen. Er hätte hinzufügen können, daß Rußland sie bestimmt nicht räumen will, noch weniger heute, wo Männer der Roten Armee das Gewicht des Staates stärker als bisher in die Hand genommen zu haben scheinen. Ich frage Sie aber etwas anderes. Sie sagen, die Westmächte wollten ihre Positionen nicht räumen. Ja, meine Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, wollen Sie denn, daß die Westmächte ihre Positionen räumen? Wollen Sie denn, daß damit Deutschland eine Art luftleerer Raum wird, in den die überfüllte Luft des Ostens hineindrückt? Wollen Sie uns damit zu einer waffenlosen Beute der Sowjets machen?
Sie übersehen eines, was Sie nicht übersehen dürften, wenn Sie die Weltpolitik beobachten und wenn Sie vor allem die amerikanische Politik an Ort und Stelle betrachten würden: daß es dort drüben immer noch die Gefahr eines Isolationismus als Stimmung im Volk und als Überlegung der verantwortlichen Offiziere gibt. Ob Europa an der Elbe oder ob es peripher in England, Spanien und Nordafrika verteidigt wird, mag für die Amerikaner die Frage mehr oder weniger großer Ausgaben sein. Für uns ist es die Frage unserer Existenz.
Wir wollen nicht am Ende eines dritten Weltkrieges „befreit" werden, denn da wäre nichts mehr zu befreien, sondern wir wollen, daß dieser dritte Weltkrieg nicht stattfindet, weil wir den Schutz der freien Welt in unserer Mitte haben.
Wenn wir aber das Bündnis, das uns angeboten ist, nicht annehmen, wenn wir nicht bereit sind, die Opfer zu übernehmen, die auch andere Staaten übernehmen, dann wird sich Amerika an uns desinteressieren. Denn immer wieder ist mir in den Vereinigten Staaten von Amerikanern — von den maßgebendsten Politikern wie vom Mann auf der Straße — gesagt worden: Wenn ihr Deutschen nicht einen finanziellen Verteidigungsbeitrag leistet, der euren Kräften angemessen ist, könnt ihr vom amerikanischen Steuerzahler, der amerikanischer Wähler ist, nicht verlangen, daß er einen Beitrag zur deutschen Verteidigung leistet; und die amerikanische Mutter ist nicht bereit, ihren Sohn auch nur zum friedlichen Wachdienst nach Deutschland zu schicken, wenn die deutsche Mutter nicht dasselbe Opfer bringt, daß ihr Sohn Wachdienst in unserem eigenen Vaterland leistet.
Wenn wir also nicht bereit sind, diese Opfer für unsere eigene Freiheit zu bringen, dann müssen ja die Amerikaner das Interesse an diesem Deutschland, das sich nicht selbst schützen will, soweit seine Kraft reicht, verlieren und es räumen und sich selbst überlassen. Und ich glaube, wenn ein sozialdemokratischer Außenminister mit der Politik, die Sie uns vorschlagen, an diesem Punkt wäre, dann müßte er die Amerikaner auf den Knien bitten, daß sie uns nicht unserem Schicksal, d. h. dem Osten überlassen.
Und wenn der Herr Kollege Erler sagt: ob die zwei Teile Deutschlands aufgerüstet werden oder nicht, das komme auf dasselbe heraus, so will ich mich hier nicht in militärpolitische Spekulationen einlassen, ob das wahr ist oder nicht, sondern ich will nur eines sagen: der östliche Teil hat ja 140 000 Volkspolizisten. Und was haben wir? Drüben ist eben stillschweigend und ohne Parlamentsdebatten und ohne daß man darüber einen jahrelangen Pressekrieg, Rundfunkkrieg und Parlamentskrieg geführt hat, bereits gehandelt worden, weil die Diktaturen leider Gottes schneller handeln als die Demokratien! Da kann man nicht behaupten, daß wir es hier besonders eilig hätten.