Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich glaube, es war im Ältestenrat beschlossen worden, die Diskussion in einer gewissen Gliederung durchzuführen, wobei man sich darüber klar war, daß gewisse Überschneidungen nicht zu vermeiden wären. Herr Kollege Erler hat aber gesprochen über die Sicherheit, die jetzt zur Debatte stehen sollte, über die Wiedervereinigung, über die finanziellen und über die wirtschaftlichen Fragen.
Ich möchte auf die wirtschaftlichen und finanziellen Fragen nicht eingehen. Das werden, wenn die Zeit es erlaubt, im gegebenen Augenblick die Herren Kollegen Schäffer und Erhard tun.
Aber ich möchte auf einige wesentliche Ausführungen eingehen, die Herr Erler gemacht hat, weil sie mir auch für die Öffentlichkeit wichtig zu sein scheinen. Er hat eingangs seiner Ausführungen davon gesprochen, daß eine Abrüstung absolut notwendig sei. Ich teile durchaus diese Auffassung, und ich kann erklären, daß die Bundesregierung überall jetzt schon, soweit sie dazu in der Lage ist, sich für eine solche Abrüstung einsetzt. Wir haben bei den Londoner Verhandlungen, wie Sie wissen, auf die ABC-Waffen verzichtet, um damit ein Beispiel zu geben und den Anfang zu machen. Ich möchte hinzufügen, auf der Londoner Konferenz ist auch ausdrücklich erklärt worden, daß, wenn eine allgemeine Abrüstung komme, auch die Kontingente, die die einzelnen Länder der Westeuropäischen Union aufstellen, entsprechend vermindert werden sollen. Ich möchte weiter hinzufügen, daß gerade die Westeuropäische Union eine Kontrolle der Waffenbestände eingeführt hat und daß die Westeuropäische Union geradezu ein Modell für eine allgemeine Abrüstung ist.
Ich muß noch hinzufügen, daß die Bundesrepublik — das gilt für Sie und gilt für die Bundesregierung — sich mit ganz anderer Kraft für dieses Ziel einsetzen kann, wenn wir unsere Souveränität wiedererlangt haben.
Das gilt auch von Verhandlungen mit der Sowjetunion
und von der Herbeiführung von Konferenzen. Ich meine, es heißt das Pferd am Schwanze aufzäumen, wenn man an uns Forderungen stellt, die an sich berechtigt sind, denen wir aber nicht folgen können, solange wir nicht souverän sind, und wenn man uns gleichzeitig die Zustimmung zu dem Vertrage, der unsere Souveränität wiederherstellt, verweigert.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Erklärungen des Generals Gruenther zurückkommen, weil sie für jeden Deutschen, sowohl für die Deutschen in der Bundesrepublik wie für die Deutschen in der Sowjetzone, von der größten Bedeutung sind und weil darin allein schon die Rechtfertigung dafür liegt, daß auch wir unsere Truppen der NATO zur Verfügung stellen. General Gruenther hat gesagt:
Solange keine deutschen Truppen zur Verfügung stehen, ist die NATO-Strategie eingestellt auf Verteidigung am Rhein.
Das bedeutet also, daß ganz Deutschland — ich wiederhole: die Bundesrepublik und Deutschland jenseits des Eisernen Vorhangs — Schlachtfeld wird genau wie Korea.
General Gruenther hat aber dann hinzugefügt:
Wenn wir diesen wesentlichen zusätzlichen deutschen Beitrag haben, werden wir mit dem Potential aller Waffen unseres NATO-Arsenals dann in der Lage sein, realistisch eine Strategie der vorderen Räume zur Verteidigung Westdeutschlands zu planen.
— Jawohl, mit den Atombomben!
Man kann Dinge auch einfach sagen, ohne anderthalb Stunden lang alle möglichen Fragen anzuschneiden.
Deswegen will ich ganz einfach dem deutschen Volke folgendes sagen:
Solange wir nicht zur NATO gehören, sind wir im Falle eines heißen Krieges zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten das europäische Schlachtfeld,
" und wenn wir in der Atlantikpaktorganisation sind,
dann sind wir dieses Schlachtfeld nicht mehr.
Herr Kollege Erler hat weiter erklärt, wir müßten mehr Mut zur Viererkonferenz haben. Er hat ausgeführt, daß wir unsere ganze außenpolitische Energie verzehrt hätten in dem Nachjagen nach der europäischen Vereinigung. Ich habe schon wiederholt hier erklärt, und ich erkläre es nochmals: die Berliner Konferenz ist lediglich auf die Initiative der deutschen Bundesregierung zurückzuführen.
Wir haben damals, als die drei Westalliierten allein in Washington versammelt waren, Herrn Blankenhorn nach Washington geschickt mit meiner dringlichsten Bitte, eine Viererkonferenz vorzubereiten und einzuberufen. Man war dazu erst nicht bereit. Aber unserem Drängen ist es zuzuschreiben, daß die Berliner Konferenz schließlich zustande gekommen ist.
Wie kann man da behaupten, daß wir unsere ganze politische Energie verzehrten in dem Nachjagen nach der europäischen Vereinigung und die Wiedervereinigung nicht im Auge hätten! Ich kann nur nochmals sagen: ich finde es unmöglich — und ich bin überzeugt, eine spätere Generation wird mir recht darin geben —, daß Deutsche sich gegenseitig ständig vorhalten: W i r sind für die Wiedervereinigung, und ihr wendet nicht die nötige Energie dafür auf.
Ich empfinde einen derartigen Vorwurf als beleidigend.
Das erinnert außerordentlich an frühere Methoden
in Deutschland, als gerufen wurde: Ich bin nationaler als du! Sollen wir wieder dahin kommen?
Sollen wir wieder mit diesen Methoden anfangen,
daß man sagt: Du bist nicht national, aber ich bin es?
Ist es nicht viel vernünftiger und richtiger, wenn wir Deutschen in dieser schrecklichen Lage als Folge des Nationalsozialismus uns nicht diese gegenseitigen Vorwürfe machen?
Glauben Sie denn, daß Reden, wie sie hier in diesem Haus gehalten werden,
etwa die drei Westalliierten ermutigen,
uns ihre Geheimnisse mitzuteilen?
Herr Erler hat von der Erklärung, die Dulles in London abgegeben hat, gesprochen. Es ist richtig, was er gesagt hat: Kein Präsident der Vereinigten Staaten ist nach der Verfassung seines Landes in der Lage, eine solche auch seine Nachfolger bindende Verpflichtung einzugehen. Aber sollen wir denn deswegen auch von dem jetzigen Präsidenten der Vereinigten Staaten keine Erklärung entgegennehmen?
Ich will Ihnen aber mitteilen, was Herr Dulles auf der Londoner Konferenz in sehr ernstem Ton noch gesagt hat. Er hat ausgeführt, daß, wenn die Europäer sich nicht vereinigten, die Gefahr einer Änderung der Politik der Vereinigten Staaten in bezug auf Europa eine absolut nahe sei.
Kann man solche Mitteilungen, die — ich wiederhole — im Ton einer sehr ernsten Warnung an Frankreich gerichtet waren, etwa überhören? Muß man nicht damit rechnen — wir sind uns doch wohl darüber klar —, daß ganz Europa ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten überhaupt erledigt ist?!
Es ist schon so: unser ganzes Geschick hängt davon ab, daß wir uns mit ,dem Westen verbinden auch militärisch; sonst können wir nicht erwarten, daß der Schutz gegenüber Sowjetrußland uns wirklich gewährt wird.
Wenn Herr Erler sagt, Sowjetrußland wisse doch, daß eine Aggression eine sofortige Reaktion bei den Vereinigten Staaten auslösen würde, — ja, ich möchte eben, daß keiner von den beiden etwas Derartiges tut. Deswegen möchte ich dafür eintreten, daß dieses Deutschland, das nun mal zwischen den beiden Machtblöcken liegt, Einfluß als souveräner Staat bekommt, um dem Frieden zu dienen.
Herr Erler hat soeben mit solcher Emphase gesagt: Wir sprechen ja nur von der Bündnislosigkeit des wiedervereinigten Deutschlands.
Soll ich daraus entnehmen, daß er nichts dagegen
hat, wenn die Bundesrepublik Bündnisse eingeht?
- Das ist eine Antwort, keine Frage; aber ich habe nichts dagegen.