Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier ein Abgeordneter das Wort nimmt, der die Entwicklung an der Saar in den letzten Jahren mit besonderen Sorgen und mit besonderer Unruhe verfolgt hat und der auch die sich abzeichnende Politik an der Saar mit großen Bedenken begleitet und diesen Bedenken gelegentlich öffentlich Ausdruck gegeben hat, wenn dieser Abgeordnete heute sich entschließt, ja zu dem Saarstatut zu sagen, so bedar
das einer besonderen Begründung. Dieses Ja erfolgt nicht, wie ich ausdrücklich feststellen möchte, aus formeller Parteidisziplin — obwohl ich auch diese Pflicht nicht gering schätze; aber ich würde sie bescheiden und still erfüllen —, sondern ich sage das Ja nach einer gewissenhaften und monatelangen Erwägung des Für und Wider, nach einer sehr ernsthaften Prüfung vor dem eigenen Gewissen. Es bestimmt mich in erster Linie — ich mache gar kein Hehl daraus — die Tatsache, daß ich es weder logisch noch moralisch — auch nicht moralisch — für möglich halte, die Verträge vom Saarstatut zu trennen. Das mag eine 'bequeme Ausflucht für den einen oder andern sein; ich nehme es auch der Opposition nicht übel, sie trägt nicht die unmittelbare Verantwortung für die Folgen, die eine Fortsetzung des jetzigen recht- und machtlosen Zustandes unseres Landes haben würde.
Aber daß jemand, der die Mitverantwortung für diese Regierungspolitik trägt, der mit uns die europäische Einigung und den Schutz unseres Staates und die Wiedererlangung einer gewissen Souveränität will, diesen Teil herausbricht und für sich allein verneint, halte ich — ich wiederhole es — weder logisch noch moralisch für verantwortbar.
Trotzdem würden wir zu einer Verneinung des gesamten Vertragswerks kommen können und kommen müssen, wenn wir zu der Überzeugung gelangten, daß uns dieses Statut Zugeständnisse auferlegt, die wir gewissensmäßig nicht verantworten könnten. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann Ihnen nicht zugeben — und
Sie wissen es wahrscheinlich selbst, wie sehr ich mich mit diesem Problem herumgeschlagen habe —, daß solche Voraussetzungen vorliegen.
Ich habe vielmehr den Eindruck, wir machen den Fehler — aus einem gewissen begreiflichen und verständlichen Mißtrauen gegen die französische Politik an unserer Westgrenze, aus einem nicht ohne weiteres überwindbaren Ressentiment gegenüber manchen geschichtlichen Erfahrungen, auch aus einer begreiflichen Bitterkeit über das, was die Franzosen in den letzten zehn Jahren an der Saar angerichtet haben —, daß wir uns noch nicht recht haben zu der Erkenntnis durchringen können, daß hier auch unter diesen Gesichtspunkten eine völlig neue Situation geschaffen werden soll. Je mehr ich mich mit dem Saarstatut beschäftige, ich muß sagen, desto höher wächst meine Hochachtung vor der staatsmännischen Leistung, die einem alle Trümpfe in der Hand haltenden Gegner unter beispiellosen Schwierigkeiten solche Zugeständnisse hat abringen können.
Es ist aber noch ein besonderer Grund, weshalb ich meine Zustimmung gebe. Ich habe mich bei früherer Gelegenheit in einer etwas herausgehobenen Form gegen die damalige Saarpolitik gewandt, weil ich in ihr einen Präzedenzfall für die Entwicklung an der deutschen Ostgrenze fürchtete, die ich als Berliner Vertreter und als geborener Schlesier in meine besondere Aufmerksamkeit genommen hatte. Wir hatten die Sorge, daß irgendein Verzicht auf deutsches Gebiet, irgendeine Zustimmung zu weitgehenden Internationalisierungen oder Europäisierungen nicht ohne Rückwirkungen auf das Schicksal der Gebiete östlich der Elbe sein würde. Aber diese Bedenken sind doch tatsächlich durch das Abkommen nunmehr ausgeräumt.
Und wenn wir Präzedenzfälle gefürchtet haben, so möchte ich jetzt geradezu wünschen, daß dieser Präzedenzfall auch für die Gebiete östlich der Elbe angewandt würde.
Ich wage mir einmal vorzustellen, es gelänge, ein solches Abkommen, wie es hier mit Frankreich geschlossen worden ist, mit der Sowjetunion zu erreichen, ja es gelänge, an Stelle des Herrn Puschkin einen neutralen Kommissar aus Schweden oder Großbritannien oder aus der Schweiz einzusetzen, um über die Innehaltung der demokratischen Rechte in diesen deutschen Gebieten zu wachen. Das würde doch geradezu eine revolutionäre Verbesserung der ganzen Situation bedeuten!
Oder es würde — ich gehe weiter — möglich sein, die demokratischen Rechte und Freiheiten wiederherzustellen, die Parteien wieder zuzulassen. — Lieber Herr Kollege Franz Neumann, wir würden zusammen zur Leipziger Messe fahren und in einer öffentlichen Versammlung dort sprechen können.
Was für eine unerhörte Wendung in dem Schicksal dieses Landes würde darin bestehen!
Und weiter: Die sogenannte Deutsche Demokratische Republik hat es fertiggebracht, daß der deutsche Wirtschaftsverkehr heute zu 94 % — ich wiederhole: zu 94 % — nach der andern Seite erfolgt. Ich nehme an, es würde nun durch ein paralleles Abkommen gelingen, die Zweiseitigkeit herbeizuführen. Wieviel wäre für die Wiederherstellung eines gesunden inneren deutschen Handelsverkehrs gewonnen!
Und endlich: Es gelänge, durch ein solches Abkommen die Sowjetunion zu der Zusicherung zu bringen, daß alles, was sie im Friedensvertrag mit diesen Gebieten vorhat, der Zustimmung der beteiligten Bevölkerung unterliegen müßte. Stellen Sie sich das einmal vor! In demselben Augenblick würde die gesamte gewaltsame Bolschewisierungspolitik nicht mehr durchführbar.
Ich kann also sagen, wenn ich einmal von meiner unglücklichen Heimat Schlesien ganz absehe, allein schon für das Gebiet zwischen Elbe und Oder,
— auch für dort, lieber Kollege und Landsmann Rinke, aber auch schon für das Land zwischen Elbe und Oder wäre unendlich viel gewonnen. Ich glaube, wir alle hier würden einmütig sein, wir würden die Glocken läuten lassen, wenn es gelänge, für dieses deutsche Gebiet solche gewaltigen Verbesserungen zu erreichen.