Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie, daß es eine Regierungsmehrheit und eine Opposition gibt. Daher stehen in einem demokratischen Parlament in der Regel These und Antithese einander gegenüber. Es gibt aber politische Anliegen eines Volkes, die den Wunsch, ja, wenn Sie wollen, sogar die Sehnsucht auslösen, daß die Hüter dieser demokratischen Spielregeln von These und Antithese einmal abweichen, ja daß es Ihnen gelingen möge, eine Synthese, d. h. einen gemeinsamen Weg zur Bewältigung jener Aufgaben zu finden. Es besteht gar kein Zweifel, daß es sich bei dem Fragenkomplex, der in diesen Tagen hier diskutiert wird, um ein solches Anliegen handelt, und es sind ganz gewiß nicht die Schlechtesten in diesem Hause und weit darüber hinaus in unserem Volke, die darunter leiden, daß es zu dieser Synthese in diesem Anliegen nicht gekommen ist.
Zu dem gewiß heikelsten Fragenkomplex, der dieses Haus in schmerzliche Meinungsverschiedenheiten verwickelt hat, gehört das heute diskutierte Saarstatut. Ich will nicht wiederholen, was meine Kollegen von meiner Fraktion und von der Deutschen Partei hier ausgeführt haben. Ich möchte nur auf einige wenige Einwände, die hier vorgebracht wurden, eingehen.
Zuvor aber lassen Sie mich noch einmal ein Wort über die Quelle der Schwierigkeiten, die uns bei dieser Frage beschäftigen, sagen.
Auch in dieser Diskussion ist mit großem Pathos wieder nach der Viererkonferenz gerufen worden. Das Schauspiel „Die Konferenz der Großen Vier" wurde zum ersten Male 1945 in Potsdam — dort waren es nur drei — auf der politischen Weltbühne aufgeführt. Es wurde dann in London und Moskau je einmal wiederholt und, nachdem es in Paris
ebenfalls den Beifall der Beteiligten nicht fand, schließlich vom Spielplan abgesetzt. Wir alle wissen, daß ein Jahr später dieses Schauspiel durch ein Drama — ich meine den Korea-Konflikt — ersetzt wurde. Wir waren deshalb glücklich, als nach einer fünfjährigen Pause Anfang 1954 die Konferenz der Großen Vier wieder auf der politischen Weltbühne erschien.
Wir alle haben nach Beendigung der Berliner Konferenz immer wieder feststellen müssen, daß sie — wenigstens was Deutschland betrifft — ohne Ergebnis geblieben ist. Aber sie hat uns, so scheint mir, doch eine dreifache Lehre erteilt, die wir uns, ohne Unterschied, wo immer wir politisch stehen mögen, zu eigen machen sollten.
Jene Berliner Konferenz vor einem Jahr hat uns erstens gezeigt, daß der Gegensatz zwischen Ost und West ein totaler, wenn Sie wollen, ein weltanschaulicher ist und daß in diesen Gegensatz alle Einzelfragen notwendigerweise einbezogen sind; zweitens, daß die Hauptprobleme der gegenwärtigen Welt samt und sonders miteinander zusammenhängen; drittens, daß Entscheidungen, die in den vergangenen Jahren getroffen worden sind, ihr eigenes Schwergewicht haben und ihr eigenes Schwergewicht auch heute noch zur Wirkung bringen. Auf diese dritte Feststellung kommt es mir in diesem Augenblick an. Wir alle erliegen immer wieder der Versuchung, zu vergessen, daß solche Entscheidungen, die nachwirken, in den Jahren 1945 und nachher gefallen sind.
Auch unsere heutige Auseinandersetzung über das Saarproblem hat hier ihre Quelle. Wir wissen, daß bald nach der Potsdamer Konferenz Interessen- und Ideengegensätze zwischen den Alliierten in ihrer Deutschlandpolitik zutage traten. Wir wissen heute, daß eines der strittigsten Hauptfelder bei diesen Interessengegensätzen die Festsetzung der Reparationen unter den Alliierten war, und wir wissen darüber hinaus, daß die Sowjetunion auf solchen Reparationen bestand. Sie sollten von der ganzen Wirtschaft aus der laufenden Produktion geleistet werden. Die Amerikaner und die Engländer erkannten, daß sie ihre Vorstellungen aus der Kriegszeit über ihre kommende Deutschlandpolitik aufgeben mußten, wenn nicht das von ihnen vertretene westliche, privatwirtschaftliche Wirtschaftsgefüge und damit ihre Weltpolitik überhaupt schweren Schaden nehmen sollte. Infolge der zunehmenden Uneinigkeit im damaligen Kontrollrat lehnten die Russen den Vorschlag eines Ost und West umfassenden Wiederaufbauplanes ab. Er stand in Paris in der Zeit vom 24. Juni bis 2. Juli 1947 zur Diskussion. In der Frage der Reparationen aber war Frankreich lange Zeit unentschieden. Es sympathisierte mit der russischen Auffassung. Es ist nicht schwer zu erraten, wie es dazu kam, daß 1947 das damalige SaarOktroi die Billigung der Amerikaner und der Engländer fand.
Wir Deutschen aber handelten damals im politischen Raum überhaupt nicht mit. Die Bundesrepublik als ein Teil Deutschlands war noch gar nicht existent. Die Staatsgewalt war den deutschen Händen entglitten; sie wurde seit der bedingungslosen Kapitulation von den Alliierten ausgeübt. In diesem Zustand wurde das, was wir heute Saarsorge nennen, geboren. Von der bedingungslosen Kapitulation bis zur Handlungsfreiheit der Bundesrepublik als des freien Teiles Deutschlands war ein weiter Weg. In den Verträgen, die gestern, heute und morgen zur Diskussion stehen, wird
über den Eintritt in eine dritte Etappe auf diesem Wege diskutiert. Die erste Etappe war die Zeit der Besatzungswillkür von 1945 bis 1948, die zweite Etappe die Zeit des Besatzungsrechtes von 1948 bis zur gegenwärtigen Stunde, und nun sollen wir in eine fast vollständige Handlungsfreiheit für den Teil Deutschlands, der Bundesrepublik heißt, eintreten. Zu den drei Besatzungsmächten, die zu- stimmen müssen, gehört Frankreich. Zwischen uns und Frankreich aber steht als strittigstes Problem die Saarfrage. Alle beide, wir und die Franzosen, haben eine optimale Vorstellung von der Lösung des Saarproblems. Die optimale deutsche Vorstellung lautet sehr einfach: Wir brauchen gar kein Saarstatut. In das Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes brauchten wir nur zu schreiben: „Die Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Saargebietes ...", und damit wäre alles erledigt. Über diese optimalen deutschen Vorstellungen gibt es keine Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause.
Wir wissen aber, daß die Franzosen andere optimale Vorstellungen über das Saargebiet haben. Sie sind heute von allen Seiten lang und breit dargelegt worden. Das Saarstatut, das heiß umkämpfte, bringt für keinen der beiden Partner die Erfüllung seiner optimalen Vorstellungen.
Es versucht, für beide ein vertretbarer Kompromiß zu sein.
Mit verschiedenen vorgebrachten Einwänden haben sich einige Kollegen 'bereits beschäftigt; ich kann darauf verzichten, das zu wiederholen. Ich möchte nur auf zwei oder drei, die mir besonders I am Herzen liegen, noch einmal eingehen. Da ist von einem Kollegen gesagt worden, daß durch dieses Statut ein rechtliches Präjudiz für die Vertreibungsgebiete im Osten geschaffen werde. Wenn die westlichen Alliierten, so wird im Lande argumentiert, und die Bundesrepublik sich das Recht herausnehmen, über 'das Saargebiet ein Abkommen zu treffen, mit welchem Recht wollen wir dann der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion das gleiche Recht hinsichtlich der Gebiete jenseits von Oder und Neiße verwehren? — Hier werden die Dinge auf den Kopf gestellt.
Tatsache ist, daß nach der Erklärung der Bundesregierung die Bundesrepublik alle Saarverhandlungen als Sachwalterin Gesamtdeutschlands führt und daß sie dazu nach der Präambel zum Grundgesetz staatsrechtlich berechtigt war. Es handelt sich hier um einen Modus vivendi, durch welchen der endgültigen Regelung durch einen mit Gesamtdeutschland zu schließenden Friedensvertrag niemals vorgegriffen wird. Man kann sogar sagen, die Bundesrepublik war im Hinblick auf die Lage der Deutschen an der Saar dazu verpflichtet, diese unverzüglich — d. h. unbeschadet der noch bestehenden Spaltung Deutschlands — aus dem Okkupationsrecht Frankreichs zu befreien und alles nur mögliche zu versuchen, um diese Deutschen in den Genuß der wichtigsten politischen Freiheiten zu bringen und sie auch wirtschaftlich möglichst weitgehend aus der einseitigen Fesselung an fremde Interessen zu lösen.
Die Bundesregierung ist zu dieser Handlungsweise für die Saarbevölkerung auch international berechtigt
durch die Pariser Erklärung der im Atlantikpakt zusammengeschlossenen 14 Mächte. Durch diese Erklärung wird die Bundesrepublik als die berufene und berechtigte Vertreterin der gesamtdeutschen Interessen anerkannt.
Ich befinde mich, Herr Kollege Kather, mit diesen Ansichten in einer sehr guten Gesellschaft;
Sie können die gleichen Gedanken im Bulletin unter dem Namen des Herrn Bundesministers Kraft lesen, der Ihnen gewiß so nahe steht wie mir. Während die Bundesrepublik ausdrücklich und eindeutig die Grenzen ihrer Zuständigkeit in der Frage des Saargebiets in dem gewiß umstrittenen Saarabkommen und auch in den anderen Pariser Verträgen auf den Zeitpunkt der Friedensverhandlungen festlegt und somit einer gesamtdeutschen Regierung freie Hand ausdrücklich vorbehalten hat, lautet der vergleichbare Artikel 1 des sogenannten Grenzabkommens der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Polen vom 6. Juli 1950 wie folgt:
Die Hohen Vertragschließenden Parteien stellen übereinstimmend fest, daß die festgelegte und bestehende Grenze, die von der Ostsee entlang der Linie westlich von der Ortschaft Swinemünde und von dort entlang dem Fluß Oder bis Einmündung der Lausitzer Neiße und die Lausitzer Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen bildet.
Es liegt danach ein entscheidender Unterschied zwischen diesen beiden Fakten vor.
Darüber hinaus möchte ich behaupten, daß es für mich und für viele meiner Freunde, die entweder aus den umstrittenen Ostgebieten oder aus dem Sudetenland gekommen sind, geradezu ein befreiendes Gefühl auslösen müßte, wenn wir die Möglichkeit hätten, eine solche Zwischenlösung, wie sie das Saarstatut darstellt, für jene Gebiete mit der Dornenkrone heute abzuschließen.
Ich betone: eine Zwischenlösung!