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ID0207010300

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    2. Deutscher Bundestag — 70. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1955 3663 70. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. Februar 1955. Zur Geschäftsordnung — betr. Absetzung der Beratung der Verträge: Wehner (SPD) 3663 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3664 B, 3665 A Erler (SPD) 3664 D Absetzung abgelehnt 3665 B Fortsetzung der zweiten Beratung der Gesetzentwürfe betr. das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 1000, zu 1000), den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1060), den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag (Drucksache 1061, Umdruck 293), das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksache 1062, Umdruck 294); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 1200) Wiedervereinigung Deutschlands (Fortsetzung): Dr. Kather (GB/BHE) 3665 C Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/ CSU) 3668 A Saarabkommen: Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . 3669 B, 3670 B Dr. Mommer (SPD). . . . 3670 B, 3673 C, 3677 B, D, 3681 C, 3.68.4 C, 3704 A, 3716 B, 3720 D, 3722 A Dr. von Merkatz (DP) . 3677 B, C, 3681 B, 3689 B, 3696 B, C, 3700 C, 3704 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler. . 3683 C, 3684 D, 3690 B, 3692 C, 3719 A, 3721 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) 3684 D, 3698 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 3692 C Behrisch (SPD) (Persönliche Erklärung) 3692 D Unterbrechung der Sitzung . 3693 C Walz (CDU/CSU) 3693 C Feller (GB/BHE) . . . 3695 C, 3696 B, C Dr. Arndt (SPD) 3705 D, 3708 D, 3709 A, B Haasler (GB/BHE) . . . 3708 D, 3709 A, B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 3709 C Trittelvitz (SPD) 3710 C Schütz (CDU/CSU) . . . . 3712 A, 3713 D Dr. Kather (GB/BHE) 3713 D Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . 3714 D Ladebeck (SPD) 3716 A Sicherheit und Verteidigung: Erler (SPD) . . . . 3722 D, 3726 C, 3727 B, 3730 A, B, C, 3731 C, 3737 B, C, 3742 A, C Dr. von Merkatz (DP) . . 3726 B, 3731 C Euler (FDP) 3727 B Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . 3730 B, 3737 D, 3740 A, 3742 B, C Kiesinger (CDU/CSU) 3730 A, C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 3735 C, 3737 C, D Dr. Arndt (SPD) 3739 D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 3743 A, 3745 C, D Ritzel (SPD) 3745 C Weiterberatung vertagt . 3746 A Persönliche Erklärungen: Strauß (CDU/CSU) 3746 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 3746 D Nächste Sitzung 3746 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider eröffnet.
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    Rede von Hermann Trittelvitz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Man sollte doch wohl den Eindruck haben, als ob dieses Abkommen, das vor uns liegt, ein Geschenk des Himmels wäre,

    (Zuruf rechts: Wer hat das gesagt?)

    und ich weiß nicht, ob nicht einer unserer Vorredner dem Schicksal dankte. Wir hörten, wie der Herr Bundeskanzler meinte, dieses Abkommen sei von einer Qualität, daß man es auch ohne alle anderen Verträge ratifizieren könne und daß es beinahe genau das sei, das wir brauchten, um einer Lösung des Saarproblems näherzukommen. Aber ich frage: Woher kommen denn dann jene Unruhe und jene Sorge, die nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen im Volk sind, und warum kommt es zu gewissen Formulierungen, die vielleicht nicht immer ganz korrekt sind, die uns aber doch in irgendeiner Form draußen öffentlich an unsere Verantwortung für Brüder, die auch im Westen in Not sind, zu erinnern vermögen?
    Statt zu glauben, der Eindruck des Abkommens als Ganzes sei gut, wollen wir uns doch lieber fragen: Warum ratifizierte Pierre Mendès-France jenes Abkommen? Tat er es etwa, um die Saar wieder zu ihrem Mutterland heimzuführen? Warum jenes Junktim des französischen Kabinetts, durch das der französische Ministerpräsident in den Verhandlungen zwischen dem 22. und 23. Oktober 1954 gehalten und gebunden war? Doch ganz einfach deswegen, weil man die Saar; die man seit 1945 in Händen hatte, ohne die Zustimmung der Bundesrepublik sicher nicht mehr halten zu können glaubte, ohne die Zustimmung der einzigen frei gewählten deutschen Regierung zu einer Maßnahme, die keinerlei Rechtsgrundlagen hatte und die mit Mitteln der Besatzungsmacht zu dem unfreiesten Regime diesseits des Eisernen Vorhangs führte.
    Bei diesem Saarunternehmen brauchte man endlich die deutsche Zustimmung zu einer Regelung, die dem bisherigen Zustand doch wirklich ähnlich ist. Man brauchte diese Zustimmung, um einen Einfluß auszuschalten, der von seiten Deutschlands, von seiten der Bundesrepublik auf die politische Meinungsbildung in jenem Gebiet ausgeübt werden könnte, auch wenn er im Augenblick noch so gering sein mag. Man brauchte jenen offiziellen,


    (Trittelvitz)

    durch den Beschluß des Bundestages gedeckten Verzicht auf den Rechtsanspruch der Gebietshoheit Deutschlands auf jenes abgetrennte Gebiet, und wenn es nur auf Zeit und bis zu jenem Tage sein sollte, der den Friedensvertrag der Vier Mächte mit Gesamtdeutschland bringen würde. Das war Frankreich wichtig genug, um jene Forderung der Sicherung seiner Ansprüche auf jenes Gebiet zu stellen.
    Die zweite Frage ist: Warum ratifizierte Hoffmann, und warum freute man sich in Saarbrücken und war der Jubel über jenes Abkommen so groß, das uns hier als durchaus tragbar und als der erste Schritt auf dem Wege der „Rückführung" der Saar dargestellt wird? Hoffmann ratifizierte jenes Abkommen, weil er weiß, daß sein Regime auf die Dauer politisch nicht bestehen kann, wenn ihm die formale Anerkennung und die de-facto-Anerkennung fehlt. Weil ihm die völkerrechtliche Legitimation fehlt, darum bedurfte er jenes Abkommens, das die Unterschrift der Bundesregierung tragen und die Zustimmung dieses Hauses haben soll.
    Dieses Regime kann auf die Dauer aber auch wirtschaftlich nicht bestehen, weil man erkannt hat, daß die einseitige Bindung der Saarwirtschaft an einen Wirtschaftsraum im Westen nicht möglich ist und daß die Saar in einer solchen Bindung nicht leben kann, in der ihr die echte Partnerschaft versagt ist.
    Politisch mußte Hoffmann zu einem Statut kommen, das den deutschen Anspruch auf die Saar zumindest auf Zeit ausschließt

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und das ihm die Legitimation gibt, sein unfreies Verhalten durch Verträge zu decken, um das fortzuführen, was in diesem Hause seit Bestehen des Deutschen Bundestages wiederholt deutlich genug — auch von Ihnen — gebrandmarkt worden ist.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nach Leistung jener Unterschrift wird er in der Lage sein, gleichberechtigter Partner in den politischen Gesprächen zu sein, und er wird damit den Protest, der von hier kommen könnte, auszuschließen vermögen, wenn er die Dinge so fortführt, wie er sie bis zum Tage des Inkrafttretens des Statuts zu praktizieren gedenkt. Er hätte bereits nach dem 23. Oktober bis zum heutigen Tag oft Gelegenheit gehabt, ein ganz klein wenig zu zeigen, ob er die Absicht hat, eine Änderung eintreten zu lassen in seinem Verhalten und eine Änderung in den Polizeimethoden politischen Meinungsäußerungen gegenüber. Er tat es nicht. Er verbietet weiterhin deutsche Zeitungen, die sich zu den Verhältnissen an der Saar äußern,

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    er läßt Bundesdeutsche nicht sprechen, wenn sie in ihre Heimat kommen, um dort irgendwo unter Freunden zu sein, und er gedenkt dem „Übel", wie er es meint, in den Anfängen zu wehren, damit wir nur ja nicht auf die Idee kommen könnten, daß über den Zeitabschnitt hinaus, in dem die politische Freiheit auf Zeit gewährt wird, nämlich bis zur Volksabstimmung über die Billigung des Saarstatuts durch die saarländische Bevölkerung, nun demokratische, westlichen Demokratien eigene Zustände in jenem Lande einkehren.
    Sie entschuldigen, wenn ich auf diese Dinge eingehe. Aber es ist nun so: wenn man sie am eigenen
    Fell verspürt, ist das viel wichtiger, als wenn man es nur vom Hörensagen kennenlernt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Diese Dinge sind ernst genug, weil es so entscheidend darauf ankommt, ob wir bereit sind, zu dulden, daß das gleiche Regime, das die Mißbilligung dieses Hauses erfährt, in den Stand versetzt wird, weiterhin eine bestimmte Zeitlang die politische Meinungsbildung an der Saar zu lenken.
    Dieses Statut, das da vor uns liegt, regelt die Situation genau so, wie Hoffmann und seine Freunde es sich wünschen; über den Rest kann man wohl streiten. Es wird dort nur so viel politische Freiheit geben, wie möglich ist, ohne dem Regime zu schaden. An wirtschaftlichen Dingen wird so viel geregelt, daß es der deutschen Wirtschaft gerade gestattet wird, jene Hilfen zu gewähren, die das Saarregime braucht, um weiterexistieren zu können, ohne sich dazu zu bekennen, daß die einseitige Bindung der Wirtschaft und der Industrie dieses Landes an Frankreich auf die Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein wird.
    Aber wie ist die Situation der deutschen politischen Parteien an der Saar, die einmal den Boden suchen und finden sollen für ihre politische Tätigkeit, die einmal eine gute Arbeit tun sollen bei den Wahlen und Abstimmungen, von denen in Art IX des Saarabkommens die Rede ist? Sie sollten doch eine breite Basis der Betätigung haben, und sie sollten in dem, was sie an freier Meinungsbildung an der Saar tun, nicht eingeschränkt sein. Zehn Jahre hat jenes Regime hinreichend Gelegenheit gehabt, sich ein Meinungsmonopol zu sichern. Wie könnte es den deutschen politischen Parteien möglich sein, ohne die ideelle Unterstützung, ohne eine Solidaritätserklärung dieses Hauses wirksam tätig zu sein und die Saarbevölkerung in wenigen Monaten auf den Weg demokratischer Meinungsbildung zu führen, den sie bisher nie hat gehen können?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Vergessen wir doch nicht, daß die Menschen an der Saar bis 1918 unter dem System des Dreiklassenwahlrechts lebten, daß sie dann unter die Herrschaft eines Völkerbundregimes getreten sind und schließlich die zehn Jahre Hitlerdiktatur haben erleben dürfen, so daß sie, nachdem 1945 das Besatzungsregime und jene Institutionen folgten, die Ihnen bekannt sind, bis auf den heutigen Tag freies demokratisches Wesen nie haben kennenlernen dürfen und nie in der Lage gewesen sind, die politischen Zeiterscheinungen kritisch zu betrachten. Wie soll sich eine solche Bevölkerung angesichts der Haltung dieses Parlaments zu Deutschland bekennen? Soll sie sagen müssen, daß sie vielleicht deutscher sei als der Bundestag?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das ist doch die Frage, die sich uns dort unten stellt; das ist die Situation, vor die wir gestellt sind. Die Schwierigkeiten sind nicht materieller Art, die Schwierigkeiten sind ideeller Art: daß die Deutschen an der Saar das Gefühl bekommen könnten, aus der Solidarität dieses Hauses und der übrigen deutschen Menschen entlassen zu sein, daß auf sie eine Verantwortung gelegt worden ist, die zu tragen sie nicht stark genug sein könnten, wenn man ihnen alle Möglichkeiten und Chancen nimmt.
    Sind wir bereit, dieses zu tun, auch wenn die deutschen Parteien an der Saar der Bundesregierung haben sagen müssen, daß dies ein Statut sei,


    (Trittelvitz)

    ohne das sie besser würden arbeiten können, und daß sie die Unfreiheit jenes Regimes vorziehen, wenn nur der Rechtsstandpunkt der Deutschen Bundesrepublik auf jenes Gebiet gewahrt bleibt? Sie wissen, daß die dynamische Kraft, die der saarländischen Bevölkerung innewohnt und die in der saarländischen Wirtschaft lebt, die Saar zurückführen wird aus dem Zwangsregime, und sie wissen, daß es den politischen Kräften an der Saar möglich ist, einmal den Nachweis zu liefern, daß die Saar deutsches Land geblieben ist.
    Durch das Statut und durch die Entscheidung dieses Hauses könnte die Haltung dieser Menschen einen harten Stoß bekommen; sie werden trotzdem das ihre tun und versuchen, sich zu bekennen, wie sie sich früher bekannt haben.
    Das Statut, das man ihnen hier anbietet, ist schlechter als der gegenwärtige Zustand; es bietet wenig Chancen zu wirksamerer politischer Aktivität, weil dieses Regime die Opposition dann weiter unterdrücken wird. Vielmehr würden die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Saar und die Dynamik, die den Menschen an der Saar innewohnt, eher zu einer Beendigung des Regimes an der Saar führen, wenn es nur nicht die ausdrückliche Approbation dieses Bundestages als einziger frei gewählter Repräsentanz des deutschen Volkes bekäme.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des GB/BHE.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.

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    Rede von Hans Schütz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie, daß es eine Regierungsmehrheit und eine Opposition gibt. Daher stehen in einem demokratischen Parlament in der Regel These und Antithese einander gegenüber. Es gibt aber politische Anliegen eines Volkes, die den Wunsch, ja, wenn Sie wollen, sogar die Sehnsucht auslösen, daß die Hüter dieser demokratischen Spielregeln von These und Antithese einmal abweichen, ja daß es Ihnen gelingen möge, eine Synthese, d. h. einen gemeinsamen Weg zur Bewältigung jener Aufgaben zu finden. Es besteht gar kein Zweifel, daß es sich bei dem Fragenkomplex, der in diesen Tagen hier diskutiert wird, um ein solches Anliegen handelt, und es sind ganz gewiß nicht die Schlechtesten in diesem Hause und weit darüber hinaus in unserem Volke, die darunter leiden, daß es zu dieser Synthese in diesem Anliegen nicht gekommen ist.
    Zu dem gewiß heikelsten Fragenkomplex, der dieses Haus in schmerzliche Meinungsverschiedenheiten verwickelt hat, gehört das heute diskutierte Saarstatut. Ich will nicht wiederholen, was meine Kollegen von meiner Fraktion und von der Deutschen Partei hier ausgeführt haben. Ich möchte nur auf einige wenige Einwände, die hier vorgebracht wurden, eingehen.
    Zuvor aber lassen Sie mich noch einmal ein Wort über die Quelle der Schwierigkeiten, die uns bei dieser Frage beschäftigen, sagen.
    Auch in dieser Diskussion ist mit großem Pathos wieder nach der Viererkonferenz gerufen worden. Das Schauspiel „Die Konferenz der Großen Vier" wurde zum ersten Male 1945 in Potsdam — dort waren es nur drei — auf der politischen Weltbühne aufgeführt. Es wurde dann in London und Moskau je einmal wiederholt und, nachdem es in Paris
    ebenfalls den Beifall der Beteiligten nicht fand, schließlich vom Spielplan abgesetzt. Wir alle wissen, daß ein Jahr später dieses Schauspiel durch ein Drama — ich meine den Korea-Konflikt — ersetzt wurde. Wir waren deshalb glücklich, als nach einer fünfjährigen Pause Anfang 1954 die Konferenz der Großen Vier wieder auf der politischen Weltbühne erschien.
    Wir alle haben nach Beendigung der Berliner Konferenz immer wieder feststellen müssen, daß sie — wenigstens was Deutschland betrifft — ohne Ergebnis geblieben ist. Aber sie hat uns, so scheint mir, doch eine dreifache Lehre erteilt, die wir uns, ohne Unterschied, wo immer wir politisch stehen mögen, zu eigen machen sollten.
    Jene Berliner Konferenz vor einem Jahr hat uns erstens gezeigt, daß der Gegensatz zwischen Ost und West ein totaler, wenn Sie wollen, ein weltanschaulicher ist und daß in diesen Gegensatz alle Einzelfragen notwendigerweise einbezogen sind; zweitens, daß die Hauptprobleme der gegenwärtigen Welt samt und sonders miteinander zusammenhängen; drittens, daß Entscheidungen, die in den vergangenen Jahren getroffen worden sind, ihr eigenes Schwergewicht haben und ihr eigenes Schwergewicht auch heute noch zur Wirkung bringen. Auf diese dritte Feststellung kommt es mir in diesem Augenblick an. Wir alle erliegen immer wieder der Versuchung, zu vergessen, daß solche Entscheidungen, die nachwirken, in den Jahren 1945 und nachher gefallen sind.
    Auch unsere heutige Auseinandersetzung über das Saarproblem hat hier ihre Quelle. Wir wissen, daß bald nach der Potsdamer Konferenz Interessen- und Ideengegensätze zwischen den Alliierten in ihrer Deutschlandpolitik zutage traten. Wir wissen heute, daß eines der strittigsten Hauptfelder bei diesen Interessengegensätzen die Festsetzung der Reparationen unter den Alliierten war, und wir wissen darüber hinaus, daß die Sowjetunion auf solchen Reparationen bestand. Sie sollten von der ganzen Wirtschaft aus der laufenden Produktion geleistet werden. Die Amerikaner und die Engländer erkannten, daß sie ihre Vorstellungen aus der Kriegszeit über ihre kommende Deutschlandpolitik aufgeben mußten, wenn nicht das von ihnen vertretene westliche, privatwirtschaftliche Wirtschaftsgefüge und damit ihre Weltpolitik überhaupt schweren Schaden nehmen sollte. Infolge der zunehmenden Uneinigkeit im damaligen Kontrollrat lehnten die Russen den Vorschlag eines Ost und West umfassenden Wiederaufbauplanes ab. Er stand in Paris in der Zeit vom 24. Juni bis 2. Juli 1947 zur Diskussion. In der Frage der Reparationen aber war Frankreich lange Zeit unentschieden. Es sympathisierte mit der russischen Auffassung. Es ist nicht schwer zu erraten, wie es dazu kam, daß 1947 das damalige SaarOktroi die Billigung der Amerikaner und der Engländer fand.
    Wir Deutschen aber handelten damals im politischen Raum überhaupt nicht mit. Die Bundesrepublik als ein Teil Deutschlands war noch gar nicht existent. Die Staatsgewalt war den deutschen Händen entglitten; sie wurde seit der bedingungslosen Kapitulation von den Alliierten ausgeübt. In diesem Zustand wurde das, was wir heute Saarsorge nennen, geboren. Von der bedingungslosen Kapitulation bis zur Handlungsfreiheit der Bundesrepublik als des freien Teiles Deutschlands war ein weiter Weg. In den Verträgen, die gestern, heute und morgen zur Diskussion stehen, wird


    (Schütz)

    über den Eintritt in eine dritte Etappe auf diesem Wege diskutiert. Die erste Etappe war die Zeit der Besatzungswillkür von 1945 bis 1948, die zweite Etappe die Zeit des Besatzungsrechtes von 1948 bis zur gegenwärtigen Stunde, und nun sollen wir in eine fast vollständige Handlungsfreiheit für den Teil Deutschlands, der Bundesrepublik heißt, eintreten. Zu den drei Besatzungsmächten, die zu- stimmen müssen, gehört Frankreich. Zwischen uns und Frankreich aber steht als strittigstes Problem die Saarfrage. Alle beide, wir und die Franzosen, haben eine optimale Vorstellung von der Lösung des Saarproblems. Die optimale deutsche Vorstellung lautet sehr einfach: Wir brauchen gar kein Saarstatut. In das Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes brauchten wir nur zu schreiben: „Die Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Saargebietes ...", und damit wäre alles erledigt. Über diese optimalen deutschen Vorstellungen gibt es keine Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause.
    Wir wissen aber, daß die Franzosen andere optimale Vorstellungen über das Saargebiet haben. Sie sind heute von allen Seiten lang und breit dargelegt worden. Das Saarstatut, das heiß umkämpfte, bringt für keinen der beiden Partner die Erfüllung seiner optimalen Vorstellungen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Es versucht, für beide ein vertretbarer Kompromiß zu sein.

    (Abg. Dr. Lenz [Godesberg]: Sehr richtig!)

    Mit verschiedenen vorgebrachten Einwänden haben sich einige Kollegen 'bereits beschäftigt; ich kann darauf verzichten, das zu wiederholen. Ich möchte nur auf zwei oder drei, die mir besonders I am Herzen liegen, noch einmal eingehen. Da ist von einem Kollegen gesagt worden, daß durch dieses Statut ein rechtliches Präjudiz für die Vertreibungsgebiete im Osten geschaffen werde. Wenn die westlichen Alliierten, so wird im Lande argumentiert, und die Bundesrepublik sich das Recht herausnehmen, über 'das Saargebiet ein Abkommen zu treffen, mit welchem Recht wollen wir dann der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion das gleiche Recht hinsichtlich der Gebiete jenseits von Oder und Neiße verwehren? — Hier werden die Dinge auf den Kopf gestellt.

    (Abg. Dr. Keller: Von Ihnen!)

    Tatsache ist, daß nach der Erklärung der Bundesregierung die Bundesrepublik alle Saarverhandlungen als Sachwalterin Gesamtdeutschlands führt und daß sie dazu nach der Präambel zum Grundgesetz staatsrechtlich berechtigt war. Es handelt sich hier um einen Modus vivendi, durch welchen der endgültigen Regelung durch einen mit Gesamtdeutschland zu schließenden Friedensvertrag niemals vorgegriffen wird. Man kann sogar sagen, die Bundesrepublik war im Hinblick auf die Lage der Deutschen an der Saar dazu verpflichtet, diese unverzüglich — d. h. unbeschadet der noch bestehenden Spaltung Deutschlands — aus dem Okkupationsrecht Frankreichs zu befreien und alles nur mögliche zu versuchen, um diese Deutschen in den Genuß der wichtigsten politischen Freiheiten zu bringen und sie auch wirtschaftlich möglichst weitgehend aus der einseitigen Fesselung an fremde Interessen zu lösen.
    Die Bundesregierung ist zu dieser Handlungsweise für die Saarbevölkerung auch international berechtigt

    (Abg. Dr. Kather: Nein!)

    durch die Pariser Erklärung der im Atlantikpakt zusammengeschlossenen 14 Mächte. Durch diese Erklärung wird die Bundesrepublik als die berufene und berechtigte Vertreterin der gesamtdeutschen Interessen anerkannt.

    (Abg. Dr. Kather: Sie darf aber nur sprechen, nicht handeln!)

    Ich befinde mich, Herr Kollege Kather, mit diesen Ansichten in einer sehr guten Gesellschaft;

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sie können die gleichen Gedanken im Bulletin unter dem Namen des Herrn Bundesministers Kraft lesen, der Ihnen gewiß so nahe steht wie mir. Während die Bundesrepublik ausdrücklich und eindeutig die Grenzen ihrer Zuständigkeit in der Frage des Saargebiets in dem gewiß umstrittenen Saarabkommen und auch in den anderen Pariser Verträgen auf den Zeitpunkt der Friedensverhandlungen festlegt und somit einer gesamtdeutschen Regierung freie Hand ausdrücklich vorbehalten hat, lautet der vergleichbare Artikel 1 des sogenannten Grenzabkommens der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Polen vom 6. Juli 1950 wie folgt:
    Die Hohen Vertragschließenden Parteien stellen übereinstimmend fest, daß die festgelegte und bestehende Grenze, die von der Ostsee entlang der Linie westlich von der Ortschaft Swinemünde und von dort entlang dem Fluß Oder bis Einmündung der Lausitzer Neiße und die Lausitzer Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen bildet.
    Es liegt danach ein entscheidender Unterschied zwischen diesen beiden Fakten vor.
    Darüber hinaus möchte ich behaupten, daß es für mich und für viele meiner Freunde, die entweder aus den umstrittenen Ostgebieten oder aus dem Sudetenland gekommen sind, geradezu ein befreiendes Gefühl auslösen müßte, wenn wir die Möglichkeit hätten, eine solche Zwischenlösung, wie sie das Saarstatut darstellt, für jene Gebiete mit der Dornenkrone heute abzuschließen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.) Ich betone: eine Zwischenlösung!