Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich bedaure diese außerordentlich unglückliche Rede des Herrn Abgeordneten Dr. Becker.
Diese Rede, meine Damen und Herren, zu der der Herr Abgeordnete Dr. Becker sich, 'anscheinend vielleicht etwas wenig vorbereitet, hat hinreißen lassen,
hat, meine Damen und Herren, Deutschland außerordentlich geschadet.
Und nun lassen Sie mich zunächst einige tatsächliche Berichtigungen vornehmen.
Ich weiß nicht, wie der Herr Abgeordnete Dr. Becker dazu kommt, zu sagen, daß bei diesen ganzen Verhandlungen über die Verhältnisse in Europa, über den Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland, von der Saar erst im Oktober des vergangenen Jahres die Rede gewesen sei. Das ist nicht wahr.
— Das haben Sie wohl gesagt!
Das haben Sie ausdrücklich gesagt, und Sie haben das mit einem Vorwurf an meine Adresse verbunden.
Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß im I Jahre 1952 der Conseil de la République erklärt hat, es könne eine europäische Regelung nicht erfolgen, wenn nicht in der Saarfrage zwischen Frankreich und Deutschland eine Einigung erfolge,
und ich stelle fest, daß dasselbe erklärt haben Herr Schuman, Herr Bidault, Herr Pinay, Herr Pleven, Herr René Mayer. Alle haben es erklärt. Und, meine Damen und Herren, wie die Situation ist, muß derjenige, der zwischen Frankreich und Deutschland einen Ausgleich will, auch wollen, daß die Saarfrage schiedlich-friedlich erledigt wird. Aber mit solchen nationalistischen Reden, wie Sie, Herr Dr. Becker, sie geführt haben,
wird man das niemals erreichen.
Meine Damen und Herren, was ich am 30. Mai 1951 gesagt habe, halte ich Wort für Wort aufrecht;
und was ich damals gesagt habe, Herr Dr. Becker, verträgt sich durchaus mit dem, was hier vereinbart worden ist.
Noch eines möchte ich Ihnen sagen. Wer an solche völkerrechtlichen Probleme herangeht auf Grund einer dreißigjährigen notariellen Erfahrung, der bleibt besser davon!
— Meine Damen und Herren, da wird „Pfui" gerufen. Ich weiß nicht, warum. Ich habe selbst Notar werden wollen. Ich halte das für einen sehr guten Beruf.
Aber, meine Damen und Herren, ein völkerrechtlicher Vertrag muß der jeweilig sich entwickelnden Situation Rechnung tragen.
Und wenn jetzt von Herrn Dr. Becker gesagt worden ist, daß die deutsche Öffentlichkeit irregeführt würde, weil die Leute an der Saar ja gar nicht das Recht hätten, jetzt darüber abzustimmen, ob sie zu Deutschland zurück wollten oder zu Frankreich oder selbständig bleiben wollten, hat er recht. Aber das ist doch bewußt und absichtlich geschehen. Vergessen Sie denn ganz, Herr Dr. Becker, daß wir doch schon auch im Interesse des Ostens ängstlich darauf bedacht sein müssen, daß eine territoriale Erledigung irgendeiner Streitfrage nicht jetzt, sondern durch den Friedensvertrag erfolgt?
Wenn wir jetzt, Herr Dr. Becker, etwa mit Frankreich dahin einig geworden wären, es solle jetzt eine Abstimmung darüber erfolgen, ob die Saar zu Deutschland innerhalb der Grenzen von 1937 zurückkommen oder ob sie zu Frankreich kommen soll, hätten wir ja doch den Russen den besten Vorwand gegeben, zu sagen: „Was ihr im Westen
jetzt macht an Änderungen der Grenzen, das gilt auch im Osten für uns."
Wir sind uns vollkommen darüber klar, Herr Dr. Becker, sowohl Herr Mendès-France wie ich, daß wir keine Doktordissertation schreiben wollten.
Und eines möchte ich Ihnen noch sagen: Wenn die Vereinigten Staaten und Großbritannien sich bereit erklären, für diesen Vertrag die Garantie der Durchführung zu übernehmen, dann können Sie glauben, daß diese Leute auch ein bißchen Grips im Kopf haben und wissen, was darin steht.
Im übrigen, meine Damen und Herren, hat Herr Dr. Becker gesagt, wir seien leidenschaftlich hinter dem EVG-Vertrag hergelaufen. Soweit ich mich erinnere, hat er das auch getan.
Ich bin mir allerdings jetzt nicht mehr klar, welche Europapolitik er überhaupt treiben will. Ich verstehe es nicht mehr.
Nun lassen Sie mich noch ein allgemeines Wort zu dieser Frage sagen. Man kann ihr nur gerecht werden, wenn man sie einmal in ihrer Entwicklung
und zweitens in dem allgemeinen Aspekt der Weltlage sieht.
Meine Damen und Herren! Amerika unf England haben dem Verlangen Frankreichs, daß die Saar zu Frankreich geschlagen werden sollte, im Jahre 1947 zugestimmt; Sowjetrußland hat dem damals in Moskau auf Grund der Vereinbarung, daß eine Änderung der Grenzen erst durch den Friedensvertrag erfolgen solle, widersprochen. Darauf haben Amerika und England Frankreich gesagt: Wir sind damit einverstanden, daß du dich für deine Kriegslasten aus der Saar befriedigst, und sie haben auf Verlangen Frankreichs die Zusage gegeben, beim Friedensvertrag — eben war ja schon die Rede davon — für die Wünsche Frankreichs mit Bezug auf die Saar einzutreten. Das ist die größte Hypothek — jetzt spreche ich auch einmal notariell —, die überhaupt von unserm Standpunkt aus auf der Saar liegt. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, wir kommen heute oder morgen oder übermorgen zu Friedensvertragsverhandlungen. Dann wäre die Sache so, daß Frankreich sagt: Ich verlange von euch, daß ihr mir die Saar gebt, und Amerika und England sagen: Wir sind damit einverstanden. Dann würde doch, Herr Dr. Becker, automatisch Sowjetrußland sagen: Und wir verlangen, daß das Land jenseits der Oder und Neiße an Polen kommt.
Was machen wir dann? Was soll Gesamtdeutschland, das dann da ist, demgegenüber machen? Entweder kommt dann überhaupt kein Friedensvertrag zustande, oder es wird gezwungen, dem zuzustimmen.
Und sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn Herr Dr. Becker in seinen langen Ausführungen wenigstens einen in etwa durchführbaren Gedanken gesagt hätte, wie man die Sache hätte machen können!
Er hat gesagt: Wir haben wirtschaftliche Vorschläge ausgearbeitet; die hätte man Frankreich machen sollen. Nun, ich will jetzt sagen, was das gewesen ist. Es ist der Vorschlag gemacht worden, wir sollten Frankreich, das in Schwierigkeiten sei, eine Geldsumme anbieten. Nun frage ich, was die Franzosen uns gesagt hätten, wenn wir, das besiegte Land, nach Paris gekommen wären und erklärt hätten: Ihr seid in finanziellen Schwierigkeiten; hier, wir geben euch was!
Aber ich habe trotzdem Herrn François-Poncet, der für seine Regierung mit den Vorverhandlungen beauftragt war, gefragt: Kann man das machen? Und er hat gesagt: Tun Sie das nicht!
Ich kann nur wiederholen, meine Damen und Herren: wenn wir, das besiegte Deutschland, das besetzte und geteilte Deutschland, hingegangen wären und den Franzosen Geld angeboten hätten, weil wir es haben und sie nicht, dann hätten Sie das machen sollen, Herr Dr. Becker, — ich nicht!
Nun war von den Vereinigten Staaten und Großbritannien die Saar Frankreich als Ausbeutungsobjekt überwiesen worden, und zwar in einer Zeit, Herr Dr. Becker, wo in Deutschland noch nichts existierte, wo sich kein Mensch dagegen zur Wehr setzen konnte, auch nicht die Leute an der Saar. Dann hat sich von 1946 bis jetzt, ungefähr acht Jahre lang, die Situation so entwickelt, wie sie an der Saar heute ist, eine Situation, die ich mindestens so tief bedaure wie irgendeiner im Hause hier. Aber man kann doch nicht einer solchen Situation Herr werden, indem man sagt: „So wird's gemacht, punktum, sonst spiele ich nicht mehr mit!" Was würde die Folge sein? Die Folge würde sein, daß Herr Grandval und der Herr Hoffmann dableiben — Ihre Politik verewigt die beiden! —,
während wir doch darauf ausgehen, die beiden zu entfernen, im Vertrauen darauf, daß dann das Saarvolk von den Freiheiten, die ihm zugesichert sind, den rechten Gebrauch macht, weil sie Deutsche sind.
Das ist unsere Politik. Wer das nicht glaubt, meine Damen und Herren, der gibt in Wahrheit die Saar auf.