Rede:
ID0207004200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Herr: 1
    2. Abgeordneter,: 1
    3. gestatten: 1
    4. Sie: 1
    5. eine: 1
    6. Frage?: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 70. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1955 3663 70. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. Februar 1955. Zur Geschäftsordnung — betr. Absetzung der Beratung der Verträge: Wehner (SPD) 3663 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3664 B, 3665 A Erler (SPD) 3664 D Absetzung abgelehnt 3665 B Fortsetzung der zweiten Beratung der Gesetzentwürfe betr. das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 1000, zu 1000), den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1060), den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag (Drucksache 1061, Umdruck 293), das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksache 1062, Umdruck 294); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 1200) Wiedervereinigung Deutschlands (Fortsetzung): Dr. Kather (GB/BHE) 3665 C Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/ CSU) 3668 A Saarabkommen: Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . 3669 B, 3670 B Dr. Mommer (SPD). . . . 3670 B, 3673 C, 3677 B, D, 3681 C, 3.68.4 C, 3704 A, 3716 B, 3720 D, 3722 A Dr. von Merkatz (DP) . 3677 B, C, 3681 B, 3689 B, 3696 B, C, 3700 C, 3704 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler. . 3683 C, 3684 D, 3690 B, 3692 C, 3719 A, 3721 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) 3684 D, 3698 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 3692 C Behrisch (SPD) (Persönliche Erklärung) 3692 D Unterbrechung der Sitzung . 3693 C Walz (CDU/CSU) 3693 C Feller (GB/BHE) . . . 3695 C, 3696 B, C Dr. Arndt (SPD) 3705 D, 3708 D, 3709 A, B Haasler (GB/BHE) . . . 3708 D, 3709 A, B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 3709 C Trittelvitz (SPD) 3710 C Schütz (CDU/CSU) . . . . 3712 A, 3713 D Dr. Kather (GB/BHE) 3713 D Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . 3714 D Ladebeck (SPD) 3716 A Sicherheit und Verteidigung: Erler (SPD) . . . . 3722 D, 3726 C, 3727 B, 3730 A, B, C, 3731 C, 3737 B, C, 3742 A, C Dr. von Merkatz (DP) . . 3726 B, 3731 C Euler (FDP) 3727 B Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . 3730 B, 3737 D, 3740 A, 3742 B, C Kiesinger (CDU/CSU) 3730 A, C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 3735 C, 3737 C, D Dr. Arndt (SPD) 3739 D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 3743 A, 3745 C, D Ritzel (SPD) 3745 C Weiterberatung vertagt . 3746 A Persönliche Erklärungen: Strauß (CDU/CSU) 3746 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 3746 D Nächste Sitzung 3746 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider eröffnet.
  • folderAnlagen
    Keine Anlage extrahiert.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Max Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich am 16. Dezember in der ersten Lesung dieser Verträge zu Ihnen sprach,


    (Dr. Becker [Hersfeld])

    da habe ich an die Spitze meiner Ausführungen über das Saarstatut die Bemerkung gestellt, daß bei der Beratung derartiger Schicksalsverträge und daß bei der Beantwortung von Gewissensfragen, die jeder sich vorlegen muß, jeder dem anderen die Achtung entgegenbringen muß, die die gewissenhafte Erforschung und die gewissenhafte Stellungnahme nun einmal von jedem anständigen Menschen erheischt.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Das will ich auch heute an die Spitze stellen, und ich hoffe, wenn ich diesen Satz in Erinnerung rufe, daß dann die Debatte, die stellenweise über Bord gegangen ist, doch wieder einmal in das ruhige Bett einer klaren und sachlichen Auseinandersetzung zurückfinden wird.
    Meine Damen und Herren, ich gehe gleich zu dem Hauptpunkt, der insbesondere wohl die Presse mit ihrem Wunsch nach Überschriften interessieren wird. Ich spreche gleich von der sogenannten Koalitionskrise. Wir sind seit 1949 in der Koalition hier, und seit 1949 haben wir auch das Saarproblem hier miteinander durchgesprochen. Seit 1949 ist dazu Stellung genommen worden. Seit 1949 bis in die jüngste Zeit hat dieser Bundestag und hat auch die Bundesregierung dazu Stellung genommen. Ich will Sie nicht mit allen Stellungnahmen aufhalten. Aber ich will eine wiedergeben, und das ist eine sehr authentische und autoritäre: es ist die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers in der Sitzung vom 30. Mai 1951. Er sprach damals davon, daß der damalige französische Außenminister „gegenwärtig die Lösung der Saarfrage in der Schaffung eines selbständigen, von Deutschland politisch getrennten souveränen Saarstaates, eines zweiten Luxemburg, suche" und daß die französische Regierung „den Wunsch habe, diesem souveränen Saarstaat die internationale Anerkennung zu verschaffen". Er hat dann hinzugefügt:
    Hierzu, meine Damen und Herren, möchte ich vorweg etwas Grundsätzliches vom europäischen Standpunkt aus sagen. Ich würde diese Lösung schon vom europäischen Standpunkte aus unbedingt ablehnen müssen. Wir streben auf ein vereinigtes Europa hin, in dem die Grenzen fallen sollen. Es erscheint mir antiquiert, in diesem Stadium der europäischen Entwicklung noch erst neue europäische Zwergstaaten schaffen zu wollen.
    Er fuhr fort:
    Ich kann mir auch nicht denken, meine Damen und Herren, welchen überzeugenden Grund die französischen Verfechter dieses Gedankens ins Feld führen könnten. Auf die Frage: „Warum soll ein selbständiger Saarstaat geschaffen werden?", gibt es keine Antwort, wenn die Elemente dieser Antwort nicht in den Vorstellungen einer Vergangenheit wurzeln, in denen man sich gegenseitig Landgebiete abnahm oder sich durch Puffer- und Satellitenstaaten schützen zu müssen glaubte.
    Das Protokoll verzeichnet hier „Beifall bei den Regierungsparteien".
    Es geht weiter: Das habe ich
    — so sagte damals der Herr Bundeskanzler —
    vom europäischen Standpunkt aus gesagt.
    Vom deutschen Standpunkt aus ist folgendes zu sagen. Ob das Saargebiet von Frankreich annektiert oder ob es zu einem zweiten Luxemburg
    gemacht wird, ist von unserem deutschen Standpunkt aus gesehen gleichgültig. Von unserem Standpunkt aus gesehen ist es immer nur die Separation, die Losreißung von Deutschland; und die Saarpolitiker, die sich für diese Lösung stark machen, können sich nicht darüber beklagen, wenn die Verfechter einer solchen Separation in unseren Augen als Separatisten gelten!

    (Hört! Hört! und Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Das war 1951. Der Bundestag hat, wie ich sagte, fortlaufend diese Linie beibehalten. Er hat noch am 3. Juli 1953, acht Wochen vor den letzten Bundestagswahlen, in einer einstimmig 'angenommenen Entschließung diesen Standpunkt bekräftigt. Unser verehrter Herr Kollege Dr. K o p f, dem ich auch heute wieder hoch anrechnen muß, in welch mannhafter Weise er einmal bei einer bestimmten Gelegenheit in Paris den deutschen Rechtsstandpunkt in dieser Angelegenheit vertreten hat, Herr Dr. Kopf hat das am 3. Juli alles miteinander bekräftigt, und auf dem Standpunkt stehen wir Freien Demokraten heute noch, d. h. wir stehen auf dem Grundsatz, der der Grundsatz der Koalition im vorigen Bundestag und auch bei den Bundestagswahlen war.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wer bricht die Koalition?
    Und nun weiter! Wir haben, als wir nach den Wahlen von 1953 diese Koalition eingingen, in einer Stipulation ausdrücklich unseren Standpunkt zur Saarfrage vorbehalten, d. h. wir haben erklärt: Wir bleiben bei unserem bisherigen Standpunkt, auch wenn im übrigen die Regierung vielleicht sich gezwungen sehen sollte — kann ja immer vorkommen —, davon abzuweichen. Wir bleiben dabei, wir halten unsere Vereinbarung. Wenn also wir von den Freien Demokraten, seien es Abgeordnete, seien es Minister, bei unserem Standpunkt bleiben, dann brechen nicht wir die Koalition, sondern wer etwas verlangt, was von dieser klaren Vereinbarung abweicht, der bricht seinerseits diese Vereinbarung.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des GB/BHE.)

    Die Entwicklung der •Saarfrage hat ihre Geschichte. Sie ist nicht immer außerhalb dieses Hauses so gradlinig verlaufen wie in den Entscheidungen, die dieses Haus selbst getroffen hat. Wir haben die EVG-Politik mitgemacht. Übrigens, Herr Kollege Lenz, in diesem EVG-Kuchen waren damals noch keine Saarrosinen drin.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Als sich dann herausstellte, daß mit diesem EVG-Programm praktisch nicht weiterzukommen war, das heißt auf deutsch, als es leider Gottes nicht möglich war, sowohl das Programm der europäischen Einigung wie auch das Programm der europäischen Sicherheit in einem Rechtsakt zum Zuge zu bringen, da gingen wir davon aus — und ich habe persönlich in Straßburg im Mai 1954 dazu gesprochen und mir hohes und höchstes Mißfallen zugezogen —, daß man schließlich, wenn man zwei Probleme auf einmal nicht lösen könne, das vordringliche Problem lösen müsse, und nach dem englischen Satz: safety first sei nun einmal das Sicherheitsproblem für Europa das dringlichste, und ich habe in dem Zusammenhang von der Koalitionsarmee gesprochen. Es wurde uns damals erwidert, es gebe gegenüber der EVG keine andere Alternative. Diese nicht existierende Alternative liegt uns heute zur Annahme vor.

    (Beifall bei der FDP.)



    (Dr. Becker [Hersfeld])


    (Präsident D. Dr. Gerstenmaier übernimmt wieder den Vorsitz.)

    Statt diese Entwicklung zu erkennen, sind wir hinter diesem Projekt, was ja ein ursprüngliches französisches Projekt war, so hinterhergelaufen, als wenn es unser eigenes wäre,
    Nun komme ich auf die Rolle der Opposition und auf die Rolle einer geschickten Verwendung der Oppositionsmeinungen, auch dann, wenn die Opposition sich manchmal im Schoße der Koalition rührt, zu sprechen. Die sattsam bekannte Abneigung m serer Jugend, wieder Militärdienst zu tun, wäre ein wundervoller Trumpf bei außenpolitischen Verhandlungen gewesen; wir hätten uns teuer machen können.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Statt dessen haben wir das französische Projekt der EVG, obwohl mit Händen zu greifen war, daß die Widerstände in Frankreich sich verstärkten, obwohl die Italiener, die in ihrer Art das politische Flair in besonderem Maße für das haben, was durchsetzbar ist oder nicht, sehr zurückhielten, weiter verfolgt, und ausgerechnet haben wir am 9. März 1954 den Naters-Plan in einer Besprechung mit der französischen Regierung als Grundlage der Saarpolitik ausdrücklich angenommen und haben im Mai 1954, in demselben Mai und in demselben Gebäude in Straßburg, in dem ich die vorhin erwähnte Rede über die Koalitionsarmee hielt, nun unsererseits noch Punktationen abgeschlossen, die allerdings — ich weiß nicht, ob sie dem Kabinett bekanntgeworden sind — dem Deutschen Bundestag und dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten nicht bekanntgeworden sind.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir kennen sie nur auf dem Umweg über den Europarat.

    (Erneute Rufe bei der SPD: Hört! Hört!)

    So ging die Entwicklung weiter, und es kam zu den Verhandlungen in Paris.
    Nun noch eine Erinnerung. Als der EVG-Vertrag und der Bonner Vertrag im Mai 1952 abgeschlossen wurden, da war von der Saar und von einer Regelung der Saar überhaupt noch keine Rede,

    (Zuruf von der Mitte: Immer!)

    und sogar in London im September 1954 war von der Saar auch keine Rede. Erst am 22./23. Oktober 1954 wurde sie in Paris wieder auf das Tapet gebracht. Und nun frage ich: Lag eine Verständigung im Kabinett darüber vor, daß dieses Abkommen, daß ein solches Abkommen nur erst abgeschlossen werden sollte, wenn sich das Kabinett vorher darüber hätte aussprechen können?
    Wir haben also nun dieses Saarstatut vor Augen. Was im einzelnen dazu zu sagen ist, habe ich am 16. Dezember gesagt. Ich will hier nur noch einige Punkte hervorheben. Zunächst: Was ist das eigentlich für ein Wesen, was da jetzt auf der Grundlage dieses Statuts an der Saar entsteht? Wir sind alle darüber einig, daß das Saargebiet nach wie vor Teil des Deutschen Reichs im Bereich seiner Grenzen vom 31. Dezember 1937 ist. Wir sind alle darüber einig, daß die Deutschen an der Saar deutsche Staatsangehörige sind, bleiben und bleiben sollen.

    (Beifall bei der FDP und SPD, dem GB/BHE und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Und die Tatsachen: Bekommen sie z. B. deutsche Pässe? Genießen sie im Ausland den Schutz deutscher Gesandter und Botschafter? Oder ist nicht eine Zollgrenze vorhanden? Oder zahlen wir nicht, wenn wir Briefe in das Saargebiet schreiben — ich erinnere an die Große Anfrage meiner Fraktion, die zu diesem Punkt vorliegt —, Auslandsporto? Sie sehen, die Fakten waren bis zu diesem Zeitpunkt anders, und die Frage ist: Werden die Fakten durch dieses Abkommen anders?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir wollen es in aller Klarheit untersuchen. Es bleibt also als erstes festzustellen: theoretisch deutsches Staatsgebiet, theoretisch deutsche Staatsangehörigkeit.
    Jetzt weiter: die Funktionen einer doch nun immerhin irgendwie etablierten Regierung. Der Kommissar, der dort eingesetzt wird, ist Europäischer Kommissar; aber von der Idee, wie sie im NatersPlan steht, die Saar zu einem europäischen Territorium zu machen, ist man abgekommen. Sie ist also kein europäisches Territorium; aber es gibt einen Europäischen Kommissar, und dieser nimmt die Geschäfte der auswärtigen Politik und die Geschäfte der Wehrpolitik wahr, letztere mit der Einschränkung, daß nach Art. IV ein besonderer Staatsvertrag zwischen Frankreich und Deutschland die Einzelheiten im Benehmen mit der Westeuropäischen Union noch festlegen soll. Faktum also: die auswärtigen Angelegenheiten und die Wehrpolitik sind von Deutschland abgetrennt — das ist das Entscheidende —; die nimmt jetzt ein anderer wahr.

    (Abg. Frau. Dr. h. c. Weber [Aachen] : Provisorisch!)

    — Ja, auf das Provisorium komme ich, sehr verehrte Kollegin, gleich zum Schluß in einer Reihenfolge, die i c h mir vorgenommen hatte.

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Rinke: Das sollte man am Anfang bringen! — Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Das ist aber untrennbar, Herr Kollege!)

    Welche Rechte hat Frankreich noch an der Saar? Frankreich hat die Währung, .hat die Devisenüberschüsse, hat die Zollverwaltung und hat die Aufsicht — offenbar auch noch künftig — über die Banken; denn ich habe ja den Briefwechsel gelesen und ich habe ihn schon das vorige Mal zitiert, in dem es steht, daß die französische Regierung damals zugebilligt hat, sie werde die französischen Behörden veranlassen, zu prüfen, ob deutsche Banken im Saargebiet wieder zugelassen werden sollen. Für die deutsche Öffentlichkeit darf man immer wieder daran erinnern, daß ja alle deutschen Versicherungen, alle deutschen Banken 1947 zunächst erst einmal aus der Saar überhaupt herausgetan worden waren. Französische Behörden sollen also prüfen, ob die paar deutschen Banken zugelassen werden. Daraus folgt doch wohl nach der Logik der Sprache und nach der Logik der Dinge, daß dann künftig noch französische Behörden die Aufsicht darüber haben, mit anderen Worten: die Aufsicht über das Kreditwesen; und das bedeutet ja doch wohl nun, daß dieses Gebiet, das von dem Segen der Milliarden der Marshallplangelder, die auch westlich unserer Grenzen niedergegangen sind, doch sehr, sehr wenig verspürt hat — die sind alle woanders hingegangen —, daß dieses Land in seiner Kreditbedürftigkeit in besonderem Maße wirtschaftlich auch abhängig bleibt.


    (Dr. Becker [Hersfeld])

    Und nun der Schluß: Alles andere, was nicht sonst geregelt ist, unterliegt einer autonomen, selbständigen Verwaltung und Regierung mit Parlament, mit Polizei und allem, was dazugehört, nämlich der Regierung des Saarlandes. Ja, meine Damen und Herren, das nenne ich doch nach wie vor dasselbe wie vorher, mit kleinen Unterschieden, auf die ich zu sprechen kommen werde, dieselbe Abtrennung wie vorher. Wie hieß es in der Proklamation von 1951, daß wir vom deutschen Standpunkt aus keine Separation dulden und daß wir vom europäischen Standpunkt aus die Schaffung neuer Grenzen nur bedauern können?
    Ja, es bleibt also eine Abtrennung. Wenn jemand einmal eine Doktordissertation zu schreiben hätte und versuchen würde, darzulegen, was jetzt staatsrechtlich und völkerrechtlich dieses auf diesem Statut aufzubauende Land, Ländchen, Territorium oder wie Sie es nennen wollen, nun eigentlich ist, vielleicht würde er bis zu den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges zurückgehen, wo ein Völkerrechtslehrer einmal von einem Monstrum gesprochen hat. Vielleicht würde er sich aber auch hochdeutsch ausdrücken, vielleicht würde er aber auch sagen — verzeihen Sie den etwas deftigen Ausdruck —: das ist staatsrechtlich und völkerrechtlich ein Wechselbalg.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Beifall bei der FDP.)

    Wie steht es nun mit der Freiheit an der Saar? Wir haben ganz ohne Frage etwas herausgehandelt — was Recht ist, soll Recht bleiben —, nämlich die Freiheit, daß neue Parteien sich auftun können, die Freiheit, daß sie Zeitungen gründen, sich auch sonst finanziell und personell organisieren und ihre Meinung sagen können. Gott geb's, daß es wahr wird!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber ich will einmal unterstellen, daß es wahr werden würde. Dann haben wir aber weiter den Paragraphen, daß von außen weder vom Westen noch vom Osten irgendwie da hineingeredet werden darf. Das liest sich auch schön. Jetzt lese ich aber gestern in der „Zeit" eine Notiz, daß ein Betrag von 100 Millionen französischer Franken durch die Regierung JoHo, Verzeihung: Hoffmann, außerhalb des Etats für die Vorbereitung der kommenden Wahlen bereitgestellt wird.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Dem Wortlaut des Statuts nach mag es richtig sein. Es gibt auch innerhalb des Saargebiets 100 Millionen Franken, aber wo sie herkommen — ich weiß es nicht. Ich kann auch die Richtigkeit der Meldung meinerseits nicht kontrollieren. Ich hätte die Bitte an 'die Bundesregierung, ihrerseits diesen Dingen doch mal auf den Grund zu gehen.
    Also ich unterstelle einmal, daß alles das in Ordnung geht und daß dort eine Freiheit der Meinungsäußerung so besteht wie hier auch. Nun gibt's aber eine Frage: Freiheit — wozu? Was können und was dürfen sie mit dieser Freiheit anfangen?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Da kommt man zunächst einmal auf die erste Abstimmung zurück. Diese erste Abstimmung habe ich damals einen Abstimmungstrick genannt, und ich habe davon nichts zurückzunehmen. Diese erste Abstimmung besagt doch nur, daß sie zu etwas, was hier angenommen, was zwischen Deutschland und Frankreich ausgehandelt worden ist, ja oder nein
    sagen dürfen. Der Glaube ist in der deutschen Öffentlichkeit noch weit verbreitet, der da meint, die Saarländer könnten jetzt wie 1935 sagen: Ich will entweder autonom oder französisch oder deutsch werden. Die Freiheit haben sie gerade nicht. Und deshalb nützen ja alle noch so schönen Rechtszüge gegen Unterdrückung der formalen Freiheit nicht viel, wenn sie mit der formalen Freiheit, selbst wenn sie im weitesten Maße bestände, nichts anfangen können und — nun komme ich zum zweiten Teil — nichts anfangen dürfen. Denn nun steht nämlich auch in diesem Saarstatut drin, daß sie für die Dauer dieses Statuts das Statut selbst nicht irgendwie in Zweifel ziehen können. Das heißt, was jedes andere Volk kann, nämlich über seine Verfassung selbst bestimmen, über sein Schicksal selbst bestimmen, gerade dieses Recht ist ihnen genommen.

    (Beifall bei der FDP, SPD und vereinzelt beim GB/BHE.)

    Und darüber hinaus sollen wir Deutschen und die Franzosen und Engländer und Amerikaner gerade die Aufrechterhaltung dieses Zustandes noch garantieren.
    Und dann die Freiheit beim Friedensvertrag! Nun, verehrte Kollegin, komme ich auf die Frage: Provisorisch oder definitiv? Jawohl, es ist provisorisch nach dem bekannten französischen Sprichwort: Le provisoire c'est le définitif.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Es ist nämlich provisorisch und besteht so lange, bis etwas anderes kommt; und dieses andere soll der Friedensvertrag sein,

    (Zuruf von der Mitte: Na also!)

    und dann soll in dem Friedensvertrag — und nun ist das Statut reichlich unklar —, soll in diesem Friedensstatut nochmal die Saarbevölkerung das Recht der Abstimmung haben. Worüber? Stellen Sie sich vor, da wird ein Friedensvertrag abgeschlossen, vielleicht globalen Ausmaßes, vielleicht auch nur kontinentalen Ausmaßes; denn darüber besteht ja nun nach dem Deutschlandvertrag kein Zweifel mehr, daß der Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland nur einheitlich, nur mit allen unseren früheren Gegnern abgeschlossen werden kann. Ein schwieriges Kapitel, schon damit fertigzuwerden und alle unter einen Hut zu bringen! Soll aber dann, wenn das alles unter einen Hut gebracht ist, ein großer Vertrag vorliegt, soll dann ein oder sollen zwei oder drei Paragraphen über die Saar zur Einzelabstimmung gestellt werden oder über den Vertrag im ganzen dort abgestimmt werden — letzteres wäre ja geradezu grotesk —, oder soll dann die öffentliche Meinung an der Saar vorher dahin befragt werden, ob sie nun autonom oder deutsch oder französisch werden will, und soll erst nach dieser Befragung der Friedensvertrag geschlossen werden? Das sind alles offene Fragen.
    Und die Frage, die der Herr Kollege Lenz vorhin angeschnitten hat: Wann kommt der Friedensvertrag? Gewiß, Herr Kollege Lenz, ich bin auch nicht der starre Jurist, der sagt: Was geschrieben ist, ist geschrieben. Wir Deutschen sind es überhaupt alle nicht leicht; aber ich kenne ein Volk, das einmal, weil einige tausend Telegrafenmasten nicht pünktlich geliefert waren, obwohl das schriftlich abgemacht war, in die Ruhr einmarschiert ist.

    (Sehr wahr! bei der FDP und SPD.)



    (Dr. Becker [Hersfeld])

    Und ich weiß, wie sehr man dort von der Heiligkeit der Verträge und der Heiligkeit des geschriebenen Wortes überzeugt ist, etwas, was wir uns manchmal zur Richtschnur nehmen könnten. Ich will es nicht absolut verurteilen; aber ich muß von der Tatsache, daß diese Auffassung dort besteht, hier ausgehen, ehe ich unterschreibe.
    Also, wann kommt der Friedensvertrag? Herr Kollege Lenz meint: wenn er nicht kommt, dann könnten wir in absehbarer Zeit neue Verhandlungen verlangen, um ein Ende festzusetzen. Verzeihung, Herr Kollege Lenz, warum haben wir das nicht am 23. Oktober gemacht

    (Sehr richtig! bei der FDP und SPD)

    und haben gesagt: Ei, da wollen wir gleich mal für die Zwischenzeit eine Frist — fünf oder acht Jahre oder, was weiß ich — festsetzen, dann haben wir, wenn bis dahin kein Friedensvertrag zustande gekommen ist, Klarheit?

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Abg. Dr. Lenz [Godesberg]: Erfolge sind manchmal langsam durchzusetzen! — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Ja, es gibt immer andere Situationen!)

    — Das weiß ich, daß es immer andere Situationen gibt; aber es gibt auch ein Sprichwort, das heißt: Principiis obsta, d. h. bleibe auf deinen Grundsätzen bestehen.

    (Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Das Gegenteil kann man bei Ihnen auch sagen!)

    Nun komme ich zu einer weiteren Frage, die auch im Laufe der Debatte angeschnitten worden ist: Ach Gott, ihr seid ja doch nur gegen das Saarstatut aus parteipolitischen Gründen; ihr wollt euch bei der Gelegenheit einmal etwas Besonderes besorgen; ihr wollt euch nur die Rosinen aus dem Kuchen holen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ach, meine Herren Kollegen, ich kenne sehr viele Abgeordnete auch der CDU, die gern gegen dieses Statut stimmen würden, es vielleicht auch tun aus derselben Gewissensüberzeugung heraus, deren Anständigkeit und deren Aufrichtigkeit ich Ihnen konzediere und für uns genau so in Anspruch nehme.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und SPD.)

    Um auf die besagten Rosinen aus dem Kuchen zurückzukommen: Ich sagte schon, der EVG-Kuchen hatte überhaupt noch keine Saarrosinen, und den jetzigen Kuchen akzeptieren wir, weil wir die Grundlagen der Politik des Kanzlers bejahen. Aber den Kuchen ohne die Saarrosinen? Also, wir wollen uns nicht Rosinen herausholen, sondern wir wollen das, was Sie Rosinen nennen, gerade herausgetan wissen.
    Weil wir von Süßigkeiten sprechen, meine Herren, vielleicht noch eine andere Bemerkung.

    (Zuruf von der Mitte: Was wollen Sie denn machen?)

    Es gibt einen Satz, der heißt: Man soll aus allen Blüten Honig saugen, auch aus den Blüten, die die Opposition, auch vielleicht die Opposition in der Koalition kredenzt. Wie wäre es, wenn bei internationalen Verhandlungen der amtierende Außenminister sagen könnte genau wie der französische: Meine Mehrheit ist in dem Punkte mehr als schwach; sie ist sehr wackelig. Ihr müßt mir das und das noch konzedieren.

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Meine Herren, ich gehe gar keiner Frage aus I dem Wege, ich habe mit der Koalitionskrise angefangen, habe die Frage der Parteipolitik erörtert und komme nun zu der Frage: Wie stehen Sie grundsätzlich zu dem Vertrag? Wollen Sie ihn überhaupt akzeptieren auch dann, wenn vielleicht etwas anderes dabei zu Bruch gehen könnte? Dazu sage ich Ihnen folgendes in vollstem Ernst: Dieser Vertrag ist innerlich widerspruchsvoll. Ich bin seit über 30 Jahren Notar. Ich hab's erlebt, daß Verträge, die geschlossen worden sind, später, auf Grund später eingetretener Tatsachen zu Streitigkeiten geführt haben. Aber einen Vertrag, von dem ich von vornherein weiß, daß er zu Zwistigkeiten, zu verschiedenen Auslegungen führt, nicht nur zu verschiedenen Auslegungen führt, sondern bei dem man von vornherein weiß, daß noch Klarheit erst hineingeschaffen werden muß — einen solchen Vertrag zur Grundlage eines ganz großen Vertragswerkes zu machen, ist doch sehr gefährlich, weil dann die Grundlage, nämlich die deutsch-französische Aussöhnung, eben nicht zustande gekommen ist.
    Wir laufen Gefahr, daß mit diesem in sich widerspruchsvollen Vertrag Jahr für Jahr Streitigkeiten entstehen, Streitigkeiten mit Instanzenzügen oder ohne sie, die auf dem Weg diplomatischer Verhandlungen ausgeglichen werden sollen, und daß damit nur Unruhe in das Saargebiet, aber Unruhe auch in die Beziehungen der beiden großen Völker hineingetragen wird.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ich gestatte mir, wieder mal den Herrn Bundeskanzler zu zitieren. Er sagte am 15. Dezember:
    Ich habe davon Kenntnis erhalten, daß die französische Regierung in diesen Tagen eine Begründung zum Saarabkommen an Mitglieder der französischen Nationalversammlung herausgegeben hat, die in einigen bedeutsamen Punkten nicht nur vom Vertragstext abweicht, sondern auch mit den allgemeinen Absichten und Zielen der beiden Vertragspartner nicht übereinstimmt.
    Anschließend kündigt der Herr Bundeskanzler an, daß er, um diese offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten auszugleichen, mit dem Herrn französischen Ministerpräsidenten, eventuell unter Hinzuziehung von Vertretern der beiden angelsächsischen Mächte, noch sprechen wolle. Er fügt dann als zweiten Teil weiter hinzu, daß dann auch noch die Funktionen des Saarkommissars, die Regelung des Plebiszits, die erforderlichen schiedsgerichtlichen Verfahren, die Sicherung der Freiheitsrechte usw. zu erörtern seien. Das zweite ist geschehen, in Baden-Baden, das erste nicht.
    Wir haben aus der französischen Kammer die gleichen Widersprüche gehört. Da ist z. B. der uns allen, die wir im Europarat sitzen, sehr bekannte, sehr angesehene Kollege Paul Reynaud. Der sagt, als er über 'den Bericht des Herrn Vendroux spricht:
    Wir finden in dem Vendroux-Bericht schließlich diese Formulierung: unter der Voraussetzung, daß die französische Textauslegung des Abkommens formell erhalten bleibt . . .
    Und er sagt weiter:
    Es kommt mir vor, als könne man diese Schlußfolgerungen kurz so zusammenfassen: Wir wollen natürlich ratifizieren, aber unter der absoluten Voraussetzung, daß das Abkommen das genaue Gegenteil von dem darstellt, was die Deutschen versichern, das es bedeute.


    (Dr. Becker So sagt der Franzose, und er sagt nun weiter: Aber wenn nun Deutschland nicht weniger formell erklärt, daß es die deutsche Auslegung aufrechterhalte, was wird dann geschehen? Und er kommt dann zu dem Schluß: Das Ganze ist ein Procès-verbal de désaccord, d. h. die Niederschrift einer innerlich unübereinstimmenden Absprache. Ich kann und ich muß sagen: Wenn ein Richter, der einen Vergleich zwischen zwei Streitteilen abschließt, um Frieden zu schaffen, sieht, daß dieser Vergleich von vornherein von beiden verschieden ausgelegt wird, daß er sofort zu Zwistigkeiten führen wird, wird er als ehrenhafter Richter einen Vergleich dieses Inhalts nicht unterschreiben. Ich bin überzeugt, daß ich das sowohl für einen deutschen wie für einen französischen Richter sagen kann. (Beifall bei der FDP, SPD und einem Teil des GB/BHE.)


    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir haben weiter auszusetzen, daß dieses Präjudiz, das hier im Westen geschaffen wird, psychologisch sehr, sehr unglücklich zu sein scheint, sowohl für den Europagedanken, dem ich immer noch anhänge, weil neue Grenzen geschaffen werden, wo keine waren, wie auch für unsere deutschen Menschen in der Ostzone, die ebenfalls ein Präjudiz befürchten könnten.

    (Abg. Dr. Weber [Koblenz] : „Wo keine waren?")

    — Jawohl, keine waren. Herr Kollege Weber, an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und dem Saargebiet gab es keine Zollgrenze.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nun werden Sie sagen: Ja, was wollt ihr denn nun eigentlich tun?

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen].)

    — Sie sehen, liebe Kollegin, ich gehe keinem Problem aus dem Wege.


Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Max Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Aber sehr gerne!