Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß ich der letzte Redner in einem bedeutungsvollen Abschnitt unserer Beratungen bin; und mir scheint, daß neben lebhaften und heftigen und scharfen Worten im Rahmen des Meinungsaustausches auch verständnisvolle und eine Annäherung suchende gefallen sind. Die Zahl der Argumente, die vorgetragen worden sind, ist so groß, daß es eigentlich unmöglich ist, noch etwas Neues hinzuzufügen. Die Meinungen stehen wohl weitgehend fest. Ich möchte mir aber doch als Vertriebener erlauben, auf einige Punkte, die mir wesentlich erscheinen, hinzuweisen.
Daß uns die Wiedervereinigung im gleichen Ausmaße am Herzen liegt, unterliegt doch bei objektiver Beurteilung auch des Andersdenkenden keinem Zweifel.
Aber ich glaube, wir sollten in aller Nüchternheit
die Realitäten betrachten und ihnen ins Auge sehen.
Wie stellt sich die Sowjetunion die Wiedervereinigung nach einer zehnjährigen Politik der grundsätzlichen inneren Trennung zwischen dem Gebiet hinter dem Eisernen Vorhang und dem Deutschland diesseits des Eisernen Vorhangs vor? Sie hat bereits das geschaffen, was wir anstreben. Sie verfügt ja bereits über eine Armee und diese Armee hat alles bis auf den Namen „Armee". Will sie diese Armee im Falle einer Wiedervereinigung auflösen? Will sie diese Menschen nach Hause schicken? Will sie sie in Sibirien garnisonieren lassen? Wie soll sie dieses Problem lösen? Die wirtschaftliche Verflechtung ist ja außerordentlich weit gegangen. Vielleicht gibt es im Urangebiet noch nicht, wie in Oberschlesien, Chinesen. Aber sie bildet bereits einen Teil des Ganzen der sowjetblocklichen Politik. Und schließlich das Wesentliche: Es sind ja nicht nur Trennungen geographischer oder wirtschaftlicher Art, wie man sie früher durchführte, sondern es sind letzten Endes die Bestrebungen, eine weltanschauliche Trennung zwischen uns im weitesten
Sinne und ihnen im engsten Sinne zu schaffen. Jeder Rückschritt, jedes Zurückgehen auf diesem Gebiete wäre die Anerkennung eines erstmaligen Mißerfolges nach fast 40 Jahren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Sowjetunion dieses vor sich und vor denen, die sie unter sich gebracht hat, irgendwie rechtfertigen würde.
Wir Deutschen sprechen, gleichgültig, wo wir stehen, mit gleich warmem Herzen immer wieder von den 18 Millionen, die von uns getrennt sind, die körperlich getrennt sind und die man trotz ihres heroischen Widerstandes auch seelisch und geistig von uns zu trennen versucht. Wir ,dürfen aber nicht vergessen, daß auf uns nicht nur die großen Mächte und nicht nur die großen Völker des Westens blicken, sondern auch die unterdrückten Völker des Ostens. Der Westen ist fr ei; der Osten ist unf r e i. Er kann seine Stimme nicht erheben; aber er lauscht dem, was wir hier sagen. Ob es sich um Esten, Letten, Litauer, Polen, Tschechen, Ungarn oder Rumänen handelt, kein einziger würde verstehen, daß ein Volk, das noch das Glück hat, sich im Falle der Not verteidigen zu können, auf diese Verteidigung freiwillig verzichten würde.
Wenn wir auch nicht im Namen dieser Völker sprechen können, so sollten wir doch, nachdem sie zum Teil uns Böses und wir ihnen zum Teil Böses getan haben, auch an diese Menschen denken, und wir sollten davon überzeugt sein, daß, je widerstandswilliger und innerlich stärker wir werden, wir auch ihren inneren Widerstand stärken. Diese Menschen kann man zusammenfassen unter dem Wort der Schrift: „Und die ganze Kreatur seufzt nach der Erlösung."
Dann gestatten Sie mir noch ein Weiteres. Die kaiserliche deutsche Politik ist außenpolitisch trotz aller militärischen Macht, trotz aller wirtschaftlichen Stärke und trotz allen äußeren, vielfach überschätzten Glanzes letzthin daran zusammengebrochen, daß sie in der Stunde der Entscheidung im Grunde genommen bündnislos dastand.
Es ist sehr die Frage, ob es überhaupt zum ersten Weltkriege gekommen wäre, wenn der Rückversicherungsvertrag nicht im Jahre 1890 gekündigt worden wäre und man sich vom Osten nicht gelöst hätte und wenn zu Beginn dieses Jahrhunderts die zweimaligen Möglichkeiten, sich mit England, der damals stärksten angelsächsischen Macht, zu verständigen, nicht aus Unentschlossenheit, aus Unfähigkeit, Folgerungen nach dieser oder jener Seite zu ziehen, verpaßt worden wären.
Wenn wir uns heute innerlich niemals, gleichgültig, wo wir stehen mögen, mit dem Osten verständigen können, so müssen wir den Mut haben, eine klare Entscheidung zum Westen zu fällen, möge sie auch so manchem — ich glaube, wohl jedem von uns — schwerfallen. Vergangenheiten kann man nicht ohne weiteres auslöschen; aber man muß den Mut zum Weitergehen haben.
Herr Dr. Kather hat von Vertrauen gesprochen. Vertrauen ist eine Pflanze, die man immer pflegen muß und die Zeit braucht, bis sie ihre Früchte trägt. Ich glaube, man kann unserer Bundesregierung ein unablässiges Streben dafür, trotz Schwierigkeiten,
trotz Rückschlägen, trotz Hemmungen Vertrauen zu gewinnen, billigerweise nicht absprechen,
und ich meine, sie hat auf diesem Gebiete so viel getan, daß wir nur wünschen sollten, andere täten das auch.
Zum Schluß noch eines! Man hat davon gesprochen oder die Sowjetregierung hat es angedeutet: Sind die Verträge einmal angenommen, dann reden wir nicht mehr mit euch. Vielleicht bedeutet das eine sehr hohe Einschätzung, vielleicht ist es sogar eine Überschätzung unserer Bedeutung. Aber die Praxis der letzten Zeit deutet auf etwas anderes hin. Seit dem Ende des unseligen großen Krieges hat es noch vier Kriege gegeben. Alle diese Kriege wurden mit altmodischen Methoden — wenn ich mich so ausdrücken darf, ich bin kein Soldat — geführt. Ein einziger dieser Kriege endete mit einem klaren Erfolg der abendländischen Welt. Das war die Auseinandersetzung zwischen dem kleinen Griechenland und den ununterbrochen 'aus dem Norden hereinströmenden Partisanenkräften. Dieser Krieg endete mit dem Erfolg Griechenlands und damit des Abendlandes, als Herr Tito die Grenzen sperrte. Er war der Mann, der der Sowjetunion die größte Niederlage zugefügt hat, die sie im Laufe der zehn Jahre erlitten hat. Er nahm Mittel und Waffen vom Abendlande, und er schloß Militärbündnisse mit den abendländischen Faktoren, — und die Beziehungen mit diesem Schismatiker, mit diesem Ketzer, um mich einmal so auszudrücken, sind wiederhergestellt worden und sind, sagen wir, korrekter — um mich sehr zurückhaltend auszudrücken — als vorher.
Daher, glaube ich, sollten wir diesen Dingen ganz nüchtern entgegensehen. Als Vertriebener kann ich nur sagen: es ist unsere Pflicht, alles zu tun, um zwischen verschiedenen Richtungen verbindend zu wirken, weil wir in diesen Richtungen überall vertreten sind.
Zweitens ist es unser Wunsch, daß dieses Restdeutschland, das das ganze Deutschland zu vertreten hat, seine Aufgabe in der abendländischen Welt mit allen Mitteln erfüllt. Dazu gehören die der militärischen Kraft, der Wirtschaft — wobei man auch an die Neuordnung von Wirtschaftsformen bei uns denken kann —, und gehört die Entwicklung der geistigen und seelischen Kräfte. Diese drei Dinge bilden, irdisch gesprochen, eine Dreieinigkeit.