Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle in diesem Hohen Hause darüber einig, daß die Pressefreiheit eines der Fundamente unseres Staates ist. Eine Demokratie ohne Pressefreiheit ist schlechthin undenkbar.
Nun hat Herr Kollege Arndt den Antrag der SPD hier vorgetragen und begründet. Dieser Antrag bezweckt die Änderung oder Ergänzung gewisser Vorschriften auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts und des Strafrechts. Diese Änderungen sollen dazu dienen, das Beschlagnahmerecht, wie es heute noch besteht, einzuengen.
Ich darf gerade in diesem Zusammenhang, wo ich von der Pressefreiheit sprach, darauf hinweisen, daß ja schon mein Amtsvorgänger und Freund Dr. Dehler eine ganze Reihe von Vorschriften eingebracht hart — die auch die Zustimmung des Hohen Hauses gefunden haben —, die sich mit einer Erweiterung der Pressefreiheit befaßt haben. Ich darf hinweisen auf das Vereinheitlichungsgesetz vom Jahre 1950, das für die ganze Bundesrepublik das sogenannte Redaktionsgeheimnis wiederhergestellt hat, d. h. das Zeugnisverweigerungsrecht der Redakteure, Verleger und Drucker über die Person des Verfassers oder Einsenders einer Veröffentlichung strafbaren Inhalts. Das Dritte Strafrechtänderungsgesetz 1953 hat das Zeugnisvetrweigerungsrecht über diesen Personenkreis hinaus auf. die Herausgeber und alle Personen ausgedehnt, die bei der Herstellung oder Veröffentlichung einer periodischen Druckschrift mitgewirkt haben. Gleichzeitig wurde eindeutig klargestellt, daß der Berechtigte nunmehr auch über die Person des sogenannten Gewährsmannes schweigen darf, der mündlich oder schriftlich Material für die Veröffentlichung, aber nicht die ;textliche Fassung geliefert hat. Durch eine Neufassung des § 97 der Strafprozeßordnung wurde entsprechend der Erweiterung dies Zeugnisverweigerungsrechts die Befugnis zur Beschlagnahme eingeschränkt.
Ich versage es mir, auf die einzelnen Vorkommnisse von Beschlagnahmen einzugehen, die Herr Kollege Arndt bereits vorgetragen hat. Es ist keine Frage, daß in den letzten Jahren eine Reihe von Beschlagnahmeverfügungen gegen öffentliche Druckschriften erlassen worden sind, die ich sehr aufmerksam verfolgt habe. Wir haben auch im Bundesjustizministerium den Eindruck gewonnen, daß das Beschlagnahmerecht einer Überprüfung und einer Neuregelung bedarf. Das Beschlagnahmerecht ist einer Reform fähig und einer Reform bedürfitig.
Die Frage ist nun: wann soll eine solche Reform durchgeführt werden? Soll sie etwa im Anschluß an die große Strafrechtsreform durchgeführt werden, oder aber sollen Sofortmaßnahmen ergriffen werden, die das Beschlagnahmerecht im Sinne eines größeren Schutzes der Presse ändern? Zu prüfen ist auch, ob der Weg, der in dem Antrag eingeschlagen ist, richtig ist, ob nicht eventuell andere Möglichkeiten offenstehen, um schließlich doch zu dem gleichen Ziel zu gelangen.
Ich gestehe ganz offen, daß ich der Auffassung gewesen bin, man sollte die Änderung des Beschlagnahmerechts, ,also eine Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes im Rahmen der großen Strafrechtsreform durchführen. Wir waren der Überzeugung, daß gerade im Rahmen dieser Arbeiten an der Erneuerung unserer Strafrechtsordnung eine echte Reform auch dieses besonderen Rechtes möglich wäre, eine Reform, die jede Frage aus der Sicht der großen Zusammenhänge prüft und sie in einheitlichem Geist zu lösen versucht. Eine Novelle ist ja dimmier mehr oder weniger ein Notbehelf, Stückwerk. Vor allem, muß ich sagen, verliert das Prozeßrecht im beson- deren Maße unter Teilreformen, die sich nicht harmonisch und widerspruchslos in sein System einfügen lassen.
Nachdem aber nun der Entwurf der SPD eingereicht und hier vorgetragen worden ist, glaube ich, daß ich meine Bedenken, die ich früher gegenüber einer sofortigen Änderung der Strafprozeßordnung im vorgeschlagenen oder in einem ähnlichen Sinne gehabt habe, aufgeben sollte und daß nunmehr doch die Frage überprüft und !bearbeitet werden müßte, ob nicht schon jetzt eine Änderung der Beschlagnahmevonschriften durchgeführt werden soll. Ich darf darauf hinweisen, daß auch in unserem Nachbarland Österreich gegenwärtig an einer Reform des Rechts der Pressebeschlagnahme gearbeitet wird. Es liegt bereits ein Entwurf vor, den 'wir sorgfältig studieren müssen und werden.
Lassen Sie mich nun zu der Reform selbst kurz folgende Ausführungen machen. Wir müssen davon ausgehen: Welche Fälle sind praktisch möglich? Wir müssen uns also über die Gruppen strafrechtlicher Verstöße, die zu Beschlagnahmen führen können, klarwerden. Es wird sich hierbei, von Einzelfällen abgesehen, in erster Linie um unzüchtige Schriften, zweitens um Schriften staatsgefährdenden Inhalts, also eines Inhalts, der die freiheitliche, demokratische Grundordnung gefährdet, und letzten Endes um Angriffe auf die Ehre handeln.
Ich machte in diesem Zusammenhang z. B. auf die verschiedenen Entgleisungen hinweisen, wie sie in Veröffentlichungen über ausländische Staatsoberhäupter und deren Familien in letzter Zeit bedauerlicherweise mehrfach vorgekommeen sind. Die Erklärung der Bundesregierung vom Dezember vorigen Jahres hierzu wird Ihnen ja wohl noch in Erinnerung sein.
Nun habe ich den Eindruck, daß der Antrag der SPD vorwiegend die Fälle der Beleidigung im Auge hat. Diese haben sicherlich ihre Besonderheiten, da hier vielfach die Beeinträchtigung der ,Individualinteressen im Vordergrund steht und die einander widerstreitenden Interessen einen anderen Rang haben als bei den Straftatbeständen auf dem Gebiete des Staatsschutzes. Herr Kollege Arndt hat darauf ja bereits hingewiesen. Jedenfalls aber muß die ganze Vielfalt der in Frage kommenden Verhältnisse und Interessen berücksichtigt werden. Vor allem darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Schwerpunkt jeder Änderung des Beschlagnahmerechts letzten Endes in seinen Auswirkungen doch nicht so sehr auf dem Gebiet der Beleidigung als vielmehr auf dem Gebiet des Staatsschutzes und vielleicht auch des Jugendschutzes liegen wird. Wir müssen vermeiden, daß gerade auf dem Gebiet des Staatsschutzes eine Schwächung des Rechtsschutzes eintritt.
Die Pressefreiheit kann natürlich nicht isoliert betrachtet werden. Echte Freiheit kann nur da sein, wo allen die Möglichkeit zur freien Entfal-
tung gegeben wird. Ich darf hier ein Wort von Jaspers zitieren, der einmal gesagt hat: „Ich kann nur frei sein in dem Maße, als auch die andern frei sind." Freiheit muß und kann sich nur in der Ordnung einer Gemeinschaft vollziehen. So findet auch die Pressefreiheit ihre Grenzen dort, wo Beschränkungen im Interesse der Freiheit aller nötig sind, um den Fortbestand der Freiheit zu gewährleisten und zu verhindern, daß die Freiheit zur Unfreiheit werde. Nach Art. 5 des Grundgesetzes liegen die Schranken der Pressefreiheit in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und zum Schutze der persönlichen Ehre. Von diesem grundsätzlichen Interessenausgleich, den das Grundgesetz getroffen hat, müssen wir ausgehen. Die zu erarbeitende Lösung muß einen gerechten Ausgleich aller dieser einander widerstreitenden Interessen bringen.
Es ist aber noch ein weiteres erforderlich. Die Regelung muß sich auch widerspruchslos in das gesamte Rechtssystem einfügen. Bei der Art der Materie ist dies in einer Novelle nicht ganz einfach. Im Beschlagnahmerecht bestehen insbesondere enge Wechselbeziehungen zum materiellen Recht. Der Gesetzgeber muß dafür Sorge tragen, daß diese Beziehungen harmonisch abgestimmt sind und nicht zu unerträglichen Spannungen führen. Der Antrag begegnet in dieser Beziehung Bedenken. So darf bei der Frage, ob die Vorschriften über die Beschlagnahme aufgelockert werden können, nicht außer acht gelassen werden, daß die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über die Unbrauchbarmachung — § 41 — zwingender Natur sind. Was vom materiellen Recht verlangt wird, kann nicht im Sinne der Beschlagnahmevorschriften unangemessen sein, oder es müßte auch das materielle Recht geändert werden. Man könnte z. B. nur schwer verstehen, daß in dem späteren Urteil eine Unbrauchbarmachung zwingend vorgeschrieben und durchgeführt wird, wenn andererseits in dem Vorverfahren, in dem Beschlagnahmeverfahren, die Beschlagnahme als nicht angemessen abgelehnt wird, da sie kein angemessenes Mittel des Rechtsschutzes sei. Das würde doch zu gewissen Widersprüchen führen. Diese Bedenken müssen bei der Neuformulierung der Beschlagnahmebestimmungen, die ja hier ins Auge gefaßt werden und an denen das Justizministerium sehr gerne mitarbeiten will, geprüft werden. Man muß versuchen, hier zu einer Lösung zu kommen, die einen eventuellen Widerspruch zwischen materiellem und Verfahrensrecht beseitigt; denn die Änderung der Strafprozeßordnung allein könnte darauf hinauslaufen, die Vollstreckung einer durch das materielle Recht zwingend vorgeschriebenen Maßnahme zu vereiteln.
Bedenklich erscheint mir auch die Formulierung „wesentlicher Inhalt der Druckschrift". Im Rahmen der Druckschrift kann etwas unwesentlich sein, was für den Verletzten lebenswichtig ist oder was vom Standpunkt der Allgemeinheit nicht hingenommen werden kann. Man denke an Inserate, Druckwerke unzüchtigen Inhalts oder dergleichen.
Unerwünschte Auswirkungen auf das materielle Recht können nach den Vorschlägen der Antragsteller vor allem auch durch den Schlußpassus des vorgeschlagenen § 94 Abs. 3 eintreten, nämlich durch die Worte: „und nicht lediglich bestimmt sein kann, öffentliche Interessen wahrzunehmen". Dadurch wird ein Gegensatz zu den berechtigten Interessen im Sinne des § 193 des Strafgesetzbuchs geschaffen und die Möglichkeit von Schwierigkeiten und Konflikten ausgelöst. So wäre es, wenn nicht zugleich die Voraussetzung des § 193 vorliegt, auch hier möglich, daß eine Druckschrift, die nicht beschlagnahmt werden dürfte, später unter Umständen kraft zwingender Vorschrift unbrauchbar gemacht werden müßte.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein kurzes Wort hierzu. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen. Ich bin ein Freund des offenen, des freien Wortes, der offenen Auseinandersetzung, der offenen Aussprache. Ich bin durchaus dafür, daß z. B. das öffentliche Interesse an der Aufklärung von Mißständen und Verfehlungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung im Gegensatz zu der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts als berechtigtes Interesse im Sinne des § 193 anerkannt wird. Mit Recht stehen die neuere Rechtsprechung und das Schrifttum überwiegend auf dem Standpunkt, daß die Presse als Sprachrohr der öffentlichen Meinung zur Kritik an Vorgängen des öffentlichen Lebens besonders berufen ist. Sie muß daher, wie auch die Gesetzgebung einiger Länder zum Presserecht bereits anerkannt hat, die Möglichkeit haben, nach gewissenhafter Prüfung — das ist natürlich die Voraussetzung — im Interesse der Sauberkeit des öffentlichen Lebens auf Übelstände hinzuweisen.
Vielleicht könnten statt des vom Antragsteller vorgeschlagenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insofern strengere Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Beschlagnahme geschaffen werden, als man einen erhöhten Grad des Tatverdachts und dringende Gründe für die Annahme verlangt, daß es später zur Einziehung oder Unbrauchbarmachung einer periodischen Druckschrift kommen wird. Auch in diesem Rahmen könnte man vielleicht von starren Bindungen für den Richter absehen und ihm einen gewissen Ermessensspielraum im Sinne eines Verzichts auf die Beschlagnahme einräumen. Ich könnte mir also denken, daß man eine Formulierung finden wird, die das Beschlagnahmerecht in diesem Sinne einschränkt, die aber doch nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen des Strafgesetzbuches steht und die entweder von dem von den Antragstellern vorgeschlagenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den man eben meiner Auffassung nach anders formulieren müßte, ausgeht oder, wie wir es für noch richtiger und besser hielten, einen erhöhten Grad des Tatverdachts voraussetzt.
Damit glaube ich dargetan zu haben, daß wir uns über das Ziel eigentlich einig sind, daß man aber über den Weg, über die Art, wie man zur Verwirklichung dieses Zieles kommt, vielleicht unterschiedlicher Auffassung ist, aber wohl doch eine Verständigung erzielen kann.
Nun ist zum Verfahrensrecht der Gedanke aufgetaucht, sachkundige Presserichter- zuzuziehen. Meine Damen und Herren, das mag auf den ersten Blick ein bestechender Gedanke sein. Ich glaube aber bestimmt nicht, daß er einer näheren Nachprüfung standhalten wird. Ich habe gegen diesen Vorschlag, der keine Parallele in unserem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz hat, schon deshalb Bedenken, weil seine Verwirklichung meines Erachtens zwangsläufig zu ähnlichen Forderungen anderer Berufsstände führen würde. Mit dem gleichen Recht könnten z. B. Ärzte, Kaufleute und an-
dere Berufsstände verlangen, daß zu Strafsachen, die ihr Gebiet berühren, Beisitzer aus ihrem Berufskreis genommen werden. Eine so weitgehende Differenzierung und Komplizierung in unserer Gerichtsbesetzung, die an ständische Unterscheidungen erinnern könnte, ist nach meiner Auffassung abzulehnen. Vor allem lassen sich auch keine Parallelen zu den Handelsrichtern ziehen, denn diese sollen ja 'bei der gerichtlichen Schlichtung eines Widerstreits der Interessen zweier streiten- der Parteien mitwirken, die meist beide ihrem Berufsstand angehören. Im Strafprozeß dagegen ist die Interessenlage eine völlig andere.
Nun zur Frage der Zuständigkeit. Da gehe ich mit den Antragstellern einig in der Beziehung, daß die Zuständigkeit zur Beschlagnahme einer sorgfältigen Überprüfung bedarf. Vor allem gilt dies für die Frage, welchen Wirkungsbereich eine amtsrichterliche Beschlagnahme im Vorverfahren haben soll. Gerade dies scheint mir ein Punkt zu sein, an dem eine Reform ansetzen muß und bei dem eine Klarstellung erforderlich ist. Es ist durchaus möglich, daß ein Amtsrichter aus den Gesichtspunkten seines Bezirks eine Druckschrift in seinem Bezirk beschlagnahmen zu sollen glaubt, weil bekannte Personen seines Bezirks darin beleidigt werden. Es geht aber meiner Auffassung nach nicht an — bzw. man sollte dies vermeiden —, daß eine derartige Beschlagnahme auf das ganze Bundesgebiet wirkt. Der Richter, der nicht zugleich für das Hauptverfahren zuständig ist, sollte im Vorverfahren grundsätzlich nicht mit Wirkung für die gesamte Bundesrepublik, sondern nur mit Wirkung für seinen Bezirk beschlagnahmen dürfen. Ich möchte jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen und mich insbesondere nicht des Näheren mit dem Vorschlag der Antragsteller befassen, für die Sofortmaßnahme der Beschlagnahme das Landgericht des Verlagsortes ausschließlich für zuständig zu erklären. Denn auch diese Fernwirkungen einer Änderung müssen sorgfältig überdacht werden. Wenn man diesem Vorschlag folgte, meine Damen und Herren, dann wäre der Erfolg der, daß z. B. sogar der Bundesgerichtshof und seine Ermittlungs- und Untersuchungsrichter in den so bedeutungsvollen Staatsschutzsachen von der Beschlagnahmebefugnis ausgeschlossen wären. Diese Folge ist, wie ich annehmen darf, von den Antragstellern sicherlich nicht beabsichtigt. Sie macht aber doch deutlich, welche eingehenden Überlegungen angestellt werden müssen.
Ich möchte zum Schluß der Hoffnung Ausdruck geben, daß es gelingen möge, bei diesem an sich durchaus berechtigten Wunsch nach einer freiheitlicheren Gestaltung und einer gewissen Einschränkung des Beschlagnahmerechts gegenüber der Presse zu einer Lösung zu kommen, die den Interessen des Staatsschutzes, aber auch den Interessen der persönlichen Ehre entsprechend Rechnung trägt. Ich hoffe, daß es gelingt, trotz sich widerstreitender Interessen zu einer Lösung zu kommen, die mit der freiheitlichen Grundordnung und mit den Grundsätzen, die in unserem Grundgesetz aufgestellt sind, in Einklang stehen.