Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem von meiner Fraktion eingebrachten Gesetzentwurf liegt Ihnen in der Drucksache 975 eine gedruckte Begründung vor. In dieser Begründung wird der Gesetzentwurf in rechtlicher Hinsicht erläutert.
Erlauben Sie mir gleichwohl bitte noch einige Worte zur politischen Begründung dieses Gesetzentwurfes. Man kann die Frage aufwerfen, ob es angebracht ist, an einem so grundsätzlichen Gesetz, wie es die Strafprozeßordnung ist und wie es das Gerichtsverfassungsgesetz ist, herumzudoktern und Einzelheiten zu ändern. Wir sind jedoch zu der Überzeugung gekommen, daß hier Änderungen und Verbesserungen der Rechtslage im Gesetz unabweisbar und dringlich sind, und zwar deshalb, weil die gegenwärtige Handhabung der Strafverfahrensvorschriften in Widerspruch gerät zu einer fundamentalen Bestimmung des Bonner Grundgesetzes. In Art. 5 des Grundgesetzes ist ein doppeltes Grundrecht verbrieft. Jedermann soll das Recht haben, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Ich bemerke, daß dabei ausdrücklich auch das Bild hervorgehoben ist als ein unserer Zeit besonders angemessenes Äußerungs- und Nachrichtenmittel. Zum anderen, und das wird oft verkannt, soll jeder sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten können. Also jedermann soll das Grundrecht haben, zur Presse kommen zu können, das Grundrecht, daß ihm die Presse nicht durch eine Zensur oder obrigkeitliche Maßnahmen vorenthalten wird.
Gewiß erleiden diese beiden Grundrechte Einschränkungen. Sie sind begrenzt dadurch, daß die allgemeinen Gesetze eine Schranke für die Meinungsäußerung bilden und insbesondere gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und 'des Rechts der persönlichen Ehre erlassen werden können. Wir stehen hier also insoweit vor einem echten Konflikt, da es gilt, mehrere miteinander nicht immer ohne weiteres vereinbare Rechtsgüter zu schützen. Es ist heute nicht der Augenblick, sich darüber zu unterhalten, ob das Recht der persönlichen Ehre in der Bundesrepublik Deutschband von dem Gesetz und den Gerichten hinreichend gewährleistet wird. Ich glaube es nicht. Aber darum handelt es sich nicht.
Es geht bei diesem Gesetzentwurf darum, ob in die Freiheit der Meinungsäußerung, in die Pressefreiheit eingegriffen werden darf mit einem ganz besonderen Mittel, von dem man zuweilen einen
recht übermäßigen und auch recht überflüssigen Gebrauch macht, nämlich mit dem Mittel der Beschlagnahme. Das ist ja nicht das einzige Mittel, um die Ehre zu schützen oder die allgemeinen Gesetze zu wahren; sondern eine Beschlagnahme hat einen sehr beschränkten Sinn. Sie kann einmal dazu dienen, ein Beweismittel sicherzustellen. Dazu wird in der Regel ein einziges Exemplar einer Druckschrift genügen. Oder sie kann auch dem Ziel dienen, eine spätere Einziehung der Druckschrift sicherzustellen, damit die Einziehungsmaßnahme nicht zu spät kommt.
Aber gegenwärtig ist es so geregelt, daß diese Beschlagnahme zur Sicherung einer häufig erst nach Jahren rechtskräftig ausgesprochenen Einziehung schon auf einen bloßen Verdacht hin angeordnet werden kann und sich durch die Art, wie man diese Bestimmungen handhabt, als eine Verdachtsstrafe auswirkt, eine Verdachtsstrafe, die in gar keinem Verhältnis zu den Fragen steht, um die es sich im Einzelfalle handelt.
Dadurch werden zwei rechtsstaatliche Grundsätze verletzt, einmal der Grundsatz, daß einstweilige Maßnahmen die endgültige Regelung nicht vorwegnehmen dürfen, und zum anderen der Grundsatz, daß das Mittel für den Rechtsschutz nicht mit der Aufgabe des Rechtsschutzes in Widerspruch stehen darf. Die Verletzung dieses Grundsatzes führt dazu, daß zwischen Mittel und Ziel kein angemessenes Verhältnis mehr besteht.
Aber gerade dem begegnen wir in der Praxis. Nach der Einbringung dieses Gesetzentwurfs hat es sich ereignet, daß sich in einer Wochenschrift, die 20 Druckseiten umfaßt, an einer einzigen Stelle, die dort angeblich unlesbar gemacht worden ist, ein unglücklicher Ausdruck befindet. In Wahrheit ist nichts anderes geschehen, als daß der Drucker vergessen hat, eine bestimmte Wendung in Anführungszeichen zu setzen und dadurch kenntlich zu machen, daß sie nur ironisch oder bildhaft gemeint war. Es handelt sich um die unglückliche Wiedergabe einer Äußerung, die in einer Stadtverordnetenversammlung gefallen ist. Dieser Streit zwischen dem Autor dieses Artikels und dem betroffenen Beamten ist ohne weiteres außergerichtlich erledigt worden, aber er hat dazu geführt, daß diese unter dem Datum vom 8. Januar dieses Jahres erscheinende Zeitschrift, die wie üblich schon einige Tage vorher herauskam, am 5. Januar beschlagnahmt wurde. Also wegen dieses einen winzigen Streitpunktes, der gar nicht von irgendwelcher öffentlichen Bedeutung war, hat man das betreffende Exemplar dieser Zeitschrift vernichtet. Das bedeutet: 500 000 Exemplare dieser Druckschrift sind wertlos geworden. In diesen 500 000 Exemplaren waren Anzeigen mit einem Anzeigen-auftragswert von 72 000 DM enthalten. Sie sehen an diesem einen Fall — und ich werde in der Ausschußberatung noch weitere vorlegen — das krasse Mißverhältnis zwischen dem Anlaß zu einer solchen Verdachtsstrafe und ihrem wirtschaftlichen Ergebnis. Durch den Mißbrauch der Beschlagnahme vernichtet man wirtschaftliche Werte! Man nimmt keine Rücksicht darauf, daß das Grundgesetz die Pressefreiheit und für den Bürger auch das Grundrecht gewährleistet, ungehindert zu den Presseerzeugnissen Zugang zu bekommen. Auch die Art, wie man dabei verfährt, ist einfach nicht erträglich. Diese unter dem 8. Januar erschienene Wochenschrift ist am 5. Januar von einem Gericht beschlagnahmt worden, das seinen Sitz nicht am Ort
des Verlages hat; und erst am 26. Januar ist dem
Verlag die Beschlußausfertigung zugestellt worden.
Ja, meine Damen und Herren, wenn man so arbeitet, dann ist das einfach noch die Zeit der Postkutsche, aber es ist nicht mehr die Zeit unserer modernen Presse!
In einem anderen Falle ist eine bekannte große Illustrierte beschlagnahmt worden, deren Auflagewert in die Hunderttausende von Deutschen Mark geht; in einer anderen Wochenschrift, die ich im Ausschuß vorlegen werde, ist dann geschildert welche Schwierigkeiten der Verlag, der überhaupt nur vom Buchhandel her erfuhr, daß eine Beschlagnahme ausgesprochen sei, dann hatte, um sich mit dem Richter in Verbindung zu setzen. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was in einer Zeitschrift darüber geschrieben steht, aber es ist nicht dementiert worden, — obgleich man auf Dementis auch nicht vertrauen kann; denn der Bundesgerichtshof hat ja kürzlich gesagt, daß Behörden nicht verpflichtet sind, Journalisten wahrheitsgemäße Auskünfte zu geben, eine Einstellung, mit der wir uns bei dieser Gelegenheit auch befassen sollten. Aber es ist dann --- wenn man annehmen darf, daß das richtig ist — zunächst einmal im Gericht gesagt worden, der Richter sei jetzt nicht anwesend, und dann wurde gesagt, der Richter schläft und darf nicht gestört werden, und ähnliches mehr. So kann man mit der Presse nicht umgehen, und so kann der Art. 5 des Grundgesetzes, der die Pressefreiheit gewährleistet, auch nicht durchgeführt werden! Darum, glauben wir, ist es erforderlich, gesetzgeberische Maßnahmen auf diesem Gebiet zu treffen, die die Beschlagnahme auf das Maß zurückführen, in dem sie dienen soll, nämlich nur dort eine vorläufige Anordnung zu sein, wo es zwingend geboten ist.
Dann fällt bei dieser Handhabung auch eins auf: Bei den Fällen, in denen die Handhabung kritisch geworden ist, handelt es sich grundsätzlich — ich glaube, ziemlich ausnahmslos, abgesehen von einigen Fragen, wo jemand an Bildern sittlich Anstoß genommen hat, die der Öffentlichkeit längst bekannt waren — um angeblich ungehörige Außerungen gegenüber einem Mitgliede der Bürokratie. Es waren dann gewöhnlich die Polizeivizepräsidenten oder die Mitglieder von städtischen Magistraten und ähnlichen Organisationen, die daran Anstoß nehmen und mit Hilfe der Beschlagnahme ihre angeblichen Rechte verfolgen, und zwar mit dem Mißverhältnis, daß die Beschlagnahme mit dem modernsten Rüstzeug durchgeführt wird. Da werden mit Hilfe von Funk und Funkstreifenwagen die Polizeien im ganzen Bundesgebiet in Bewegung gesetzt. Da sucht sie nicht nur alle Zeitungskioske ab; wir haben Fälle, wo die Polizei in die Wohnungen eingedrungen ist, um zu sehen, ob da nicht noch Exemplare dieser Zeitschrift vorhanden sind, durch die sich ein Polizeivizepräsident oder ein Magistratsmitglied angeblich gekränkt fühlt. Aber der Verlag, der erfährt erst nach Wochen etwas davon!
Das sind Zustände, die so nicht weitergehen können, und darum haben wir uns gezwungen gesehen, diese Frage aufzugreifen, um durch die erforderlichen Erneuerungen der Strafprozeßordnung der im Grundgesetz geschützten Meinungsfreiheit besser zu dienen, als es die gegenwärtige Beschlagnahmepraxis zuläßt.