Rede von
Georg
Schneider
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Odenthal hat uns ein sehr eindrucksvolles Zahlenbild von der großartigen wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik in den letzten Jahren gegeben. Ich glaube, wir von der CDU/CSU haben allen Anlaß, ihm dafür zu danken. Der Bundesarbeitsminister hat uns eben ein sinngemäß ähnliches Bild von der Entwicklung von Berlin gegeben. Wir alle freuen uns, daß es selbst bei der gigantischen Größe des Berliner Problems doch immerhin gelungen ist, die Verhältnisse in einem gewissen Umfang zu bessern. Wir sind uns alle darüber einig, daß es damit natürlich nicht sein Bewenden haben kann, sondern daß es noch ganz besonderer, außergewöhnlicher Anstrengungen bedarf, um auch Berlin den wirtschaftlichen und damit sozialen Verhältnissen in der Bundesrepublik mindestens völlig anzugleichen.
Trotzdem, Frau Kollegin Schroeder, bin ich der Meinung, daß es sich bei der Bundesrepublik und bei Berlin um zwei sehr wesensverschiedene Probleme handelt, und daß man diese beiden Dinge nicht ohne weiteres miteinander vergleichen kann. Es hat also schon einen Sinn, wenn man zunächst einmal auch prozentual feststellt, wie groß die Arbeitslosigkeit hier in der Bundesrepublik und wie groß sie in Berlin ist.
Es sind eben zwei ganz verschiedene Probleme, die dargestellt sind. Wir können es leider im Augenblick nicht aus der Welt schaffen, daß Berlin, wirtschaftlich gesehen, eine Insel darstellt,
auch leider in bezug auf den Verkehr.
Nun sind wir, d. h. die Fraktion der CDU/CSU, der Meinung, daß es nicht möglich ist, die tatsächlichen oder vermeintlichen Äußerungen von Ministern, insbesondere des Bundeswirtschaftsministers Erh a r d so zu deuten, wie das hier nach der Anfrage und nach den Reden geschehen ist. Inzwischen hat ja Herr Minister Storch klargestellt, was in Wirklichkeit an dem wahr ist, was auch Zeitungen berichtet haben. Danach handelt es sich doch nur um vorsorgliche Gespräche, also um Gespräche für eine Situation, die möglicherweise kommen kann, die aber heute noch nicht da ist. Wir sind uns alle darüber einig, daß es im Augenblick noch nicht notwendig ist, ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland hereinzuziehen.
Darüber gibt es gar keinen Streit. Es ist von keiner Seite behauptet worden, daß diese Notwendigkeit jetzt schon besteht.
— Er hat das ja. nicht in dem Sinne gesagt, daß im Augenblick schon der Bedarf da ist; aber er möge sich selbst .verteidigen. Jedenfalls haben wir das, Herr Kollege Neumann, nicht so deuten können, und ich glaube, wenn man es sich objektiv ansieht, kann man es auch nicht so deuten.
Natürlich gibt es auch heute und hat es seit langer Zeit schon die Möglichkeit gegeben, ausländische Arbeitskräfte heranzuziehen. Ich erinnere Sie an die verschiedenen internationalen Abkommen, in denen wir einen begrenzten Austausch von Arbeitskräften vereinbart haben. Wenn sich also die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte im Rahmen dieser internationalen Abkommen bewegt, dann ist dagegen sicherlich von keiner Seite etwas einzuwenden. Weiterhin ist noch festzustellen, daß in dem einen oder andern Beruf tatsächlich ein Mangel besteht, der auch bei Durchführung aller vorgeschlagenen Maßnahmen in Deutschland nicht beseitigt werden kann. Denken Sie z. B. an die Terrazzo-Arbeiter, also einen Spezialberuf. Da ist es schon immer so gewesen, daß man ausländische Arbeitskräfte heranziehen mußte. Dabei handelt es sichzahlenmäßig allerdings um so geringe Arbeitskräfte, daß der deutsche Arbeitsmarkt nicht wesentlich belastet wird.
Sicherlich wird eines schönen Tages der Mangel an Arbeitskräften auch in Deutschland auftreten. Ein solcher Mangel kann natürlich nicht etwa einseitig von irgendeiner Stelle festgestellt werden, sondern nach Auffassung meiner Fraktion kann nur die dafür geschaffene Einrichtung, die Bundesanstalt in Nürnberg, solche Feststellungen im Einvernehmen mit den Sozialpartnern und damit auch im Einvernehmen mit den Gewerkschaften treffen. Selbstverständlich müssen einer solchen Feststellung, daß ein tatsächlicher Arbeitskräftemangel vorhanden ist und er nicht anders behoben werden kann als durch die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte, die verschiedensten Maßnahmen vorausgehen, indem man zunächst den Versuch macht, mit Hilfe der vorhandenen deutschen Arbeitskräfte, also in erster- Linie der ,arbeitslosen Arbeitskräfte, den Bedarf zu decken. Erst wenn allediese Mittel erschöpft sind und trotzdem weiter ein Mangel besteht, sowie das Bedürfnis, diesen Mangel im Interesse eines weiteren Aufstiegs unserer Wirtschaft zu beheben, erst dann würde die Frage akut sein, ausländische Arbeitskräfte hereinzunehmen.
Dieser Mangel wird sicherlich auftreten, wenn wir einen weiteren Aufstieg unserer Wirtschaft zu verzeichnen haben, wie wir ihn erfreulicherweise seit 1948 von Jahr zu Jahr feststellen konnten. Wir haben ja erst kürzlich hier die Zahlen gehört, daß auch 1954 das Sozialprodukt um weitere 8 oder 9 % zugenommen hat. Wir hoffen, daß auch in diesem Jahr ein ähnlicher Zuwachs festzustellen sein wird. Es bleibt uns ja auch nichts anderes übrig, als daß unsere Wirtschaft :sowohl an absolutem Umfang als auch in ihrer Produktivität von Jahr zu Jahr immer bedeutender wird. Denn wie sollen wir die gewaltigen sozialen Aufgaben, die noch vor uns stehen, lösen, wenn nicht aus der Wirtschaft das herauskommt, was nun einmal zur Durchführung der verschiedensten noch notwendigen sozialen Gesetze erforderlich sein wird? Wir müssen also in Deutschland einen immer weitergehenden Aufstieg unserer Wirtschaft wollen, daß heißt, immer mehr und mehr Arbeitskräfte beschäftigen, aber auch die Produktivität immer mehr steigern, also den Produktionsausstoß je Kopf immer größer machen.
Was für Möglichkeiten da noch bestehen, wissen alle Kundigen. Ich erinnere nur an die amerikanischen Zahlen, die unseren Zahlen gegenüberzustellen wären. Wir wissen, daß in Amerika der Produktionsausstoß je Kopf, die Produktivität, etwa das Dreifache der deutschen Produktivität beträgt. Eine Riesenaufgabe steht also vor uns, und wir werden noch die vielfältigsten Maßnahmen durchzuführen haben, um ebenfalls zu dieser Produktivität zu kommen und damit das Sozialprodukt entsprechend größer zu machen.
Wir werden zu dem Arbeitermangel auch deshalb kommen, weil die Geburtenjahrgänge, die in den nächsten Jahren in den Produktionsprozeß eintreten, wesentlich schwächer sind. Auch aus diesem Grunde also werden wir zu einem Arbeitermangel kommen.
Wir werden sicherlich auch die weiblichen Arbeitskräfte in noch viel größerem Umfange für unsere Wirtschaft heranziehen müssen, als das ohnehin bisher der Fall gewesen ist. Die Leistungen, die wir bisher auf sozialem Gebiet vollbracht haben, wären ja gar nicht möglich gewesen, wenn nicht unsere Wirtschaft sich in diesem wirklich wunderbaren Umfange entwickelt hätte; und diese Entwicklung wäre wiederum gar nicht möglich gewesen, wenn nicht in den Nachkriegsjahren in diesem Riesenumfange auch die weiblichen Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt gestoßen wären. Ob man das nun bedauert oder ob man das gutheißt — ohne den Masseneinsatz weiblicher Arbeitskräfte ist die deutsche Wirtschaft überhaupt nicht zu der Größe zu entwickeln, zu der sie weiterentwickelt werden muß, um die riesigen nationalen, insbesondere sozialen Aufgaben zu erfüllen.
Natürlich wird auch, bevor wir ausländische Arbeitskräfte hereinnehmen, ein Wechsel der Arbeitslosen von Gebiet zu Gebiet durchgeführt werden müssen. Selbstverständlich müssen die Arbeitslosen aus den Gebieten, in denen sich, vorerst wenigstens, keine Arbeitsmöglichkeiten anbieten, in die Gebiete umgesiedelt werden — das geschieht ja zum großen Teil auch schon —, wo eben noch Kräfte gebraucht werden. Wir wissen, daß damit auch die Wohnungsfrage verbunden ist. Aber auch das Wohnungsproblem muß dabei seine Lösung finden.
Es wird natürlich in einem größeren Umfange auch eine Umschulung erfolgen müssen.
Ich will die Maßnahmen nicht alle aufzählen, die zunächst durchgeführt werden müssen, um das deutsche Arbeitskräftepotential hundertprozentig auszunutzen, bis man dann schließlich ausländische Arbeitskräfte wird hereinführen dürfen; dabei werden alle beteiligten Stellen, auch die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, insbesondere die Gewerkschaften, mitzuwirken haben.
In jedem Falle sind wir uns alle wohl auch darüber einig, daß mit ,den Mitteln etwa einer Zwangsverpflichtung von Arbeitskräften niemals wird gerechnet werden dürfen. Einer solchen Entwicklung, solchen Bestrebungen würden jedenfalls auch wir von der CDU/CSU uns schärfsten entgegenstellen. Die Freizügigkeit des einzelnen Arbeitnehmers muß auch weiterhin erhalten bleiben; denn diese Freizügigkeit gehört ja zu den höchsten Rechten eines demokratischen Staatswesens.
Ich möchte zum Schluß noch sagen: Es ist zwar meiner Meinung nach kein Anlaß für die Große Anfrage gewesen, weil mit ihr — das ist mein Eindruck — offene Türen eingerannt werden. Ich habe
jedenfalls aus den Äußerungen der Minister nicht das lesen können, was die SPD daraus gelesen hat. Trotzdem ist es vielleicht ganz gut, daß auf diese Weise einmal Gelegenheit gegeben ist, hier in der breiten Öffentlichkeit, im Bundestag über das Problem zu sprechen. Ich kann nach dem gegenwärtigen Stand der Aussprache und nach den Erklärungen des Herrn Ministers Starch nur feststellen, daß wir uns in den Grundprinzipien, die bei dem Problem zu beachten sind, eigentlich alle völlig einig sind. Im übrigen wird — das ist die Auffassung meiner Fraktion — demnächst bei der Beratung der Novelle zum AVAVG Gelegenheit sein, in breiterer Form und auch noch etwas vertiefter auf das Problem, das heute mit der Anfrage angeschnitten worden ist, zu sprechen zu kommen, und meine Fraktion wird sicherlich auch dann ihren Beitrag dazu leisten.