Rede von
Reinhold
Rehs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Art und Weise, in der die Große Anfrage betreffend Nationales Minderheitenrecht von der Bundesregierung beantwortet ist, die Art und Weise, in der der Sprecher der CDU dazu Stellung genommen hat, zwingen mich, in einem Umfang darauf zu erwidern, den wir als nicht notwendig erhofft hatten. Zu dieser Hoffnung schien uns einige Berechtigung zu bestehen. Denn bereits der 1. Bundestag hatte sich mit dem Problem der parlamentarischen Vertretung der nationalen Minderheit beschäftigt. Mit der Bestimmung des § 9 Abs. 5 im Bundeswahlgesetz vom 8. Juli 1953 hatte er, insbesondere auf Grund der Ausführungen des Kollegen Onnen von der FDP, des früheren Abgeordneten Dr. Trischler von der FDP und meines Fraktionsfreundes Brandt, hierzu eine Stellung eingenommen, die geradezu als ein Durchbruch der politischen Vernunft, als ein verheißungsvolles Beispiel und als Richtungszeichen für die künftige Entwicklung in dieser in der Vergangenheit unter so erheblichen nationalen Verkrampfungen leidenden Frage angesehen werden konnte. Außerdem hatte sich der Herr Bundeskanzler nach Berichten auch der ihm nahestehenden Presse anläßlich der Sitzung des NATO-Rates am 22. Oktober dieses Jahres dem dänischen Außenminister gegenüber bereit erklärt, auf eine befriedigende Lösung in dem konkreten Falle hinzuwirken.
Deshalb muß die Art und Weise, in der unsere Große Anfrage -- die erste Gelegenheit zu einer unmittelbaren, offiziellen Bestätigung dieser von dem Herrn Bundeskanzler erklärten Bereitschaft — von der Bundesregierung jetzt behandelt wurde, einfach unbegreiflich erscheinen. Nicht nur, daß der Herr Bundeskanzler schon am Mittwoch bei der Beratung einer so schwerwiegenden, über den konkreten Fall weit hinausreichenden Frage nicht anwesend war, nicht nur, daß die Mehrheit des Hohen Hauses das heute gebilligt hat, daß wir also die persönlichen Absichten und Auffassungen des
Herrn Bundeskanzlers hierzu nicht hören, die Beantwortung erfolgte durch den Herrn Bundesinnenminister, dessen Art ja bekannt ist — vielleicht wurde er auch wegen dieser Art dazu beauftragt —, in einer Weise, die sowohl nach dem materiellen Inhalt der Ausführungen als auch nach der Form und dem Ton nur als für das Parlament verletzend und für die Sache nicht würdig empfunden werden kann.
Wenn es nur um die Opposition ginge — sie ist in dieser Hinsicht genug gewohnt; die Mehrheit des Parlaments, die solche Behandlung widerspruchslos hinnimmt, mag dies mit ihrem eigenen Selbstgefühl abmachen. Aber es geht hierbei um ein Problem, zu dem, wie ich bereits betont habe, der CDU-Redner selber feststellte, daß der Außenminister eines anderen Staates bei dem Regierungschef der Bundesrepublik interpelliert hat! Die Art und Weise, in der diese Frage hier von der Bundesregierung betrachtet und behandelt wird, muß also zwangsläufig den Anschein einer Bewertung nach dieser Richtung hin erwecken. Meine Fraktion legt Wert darauf, sich damit nicht zu identifizieren, und erwartet von dem Herrn Bundeskanzler eine entsprechende Erklärung.
Der Herr Bundesinnenminister hat die Beantwortung zu Punkt 1 der Anfrage mit der Erklärung begonnen: Der Bundesregierung ist nichts davon bekannt, daß die Regelung des Wahlrechts im Lande Schleswig-Holstein zu Spannungen mit Dänemark geführt hat. — Mir sind hierbei die Worte eines großen Mannes eingefallen: Man muß immer sagen, was man sieht; besonders aber muß man, und das ist weitaus schwieriger, auch sehen wollen, was man sieht.
Diese Erklärung des Herrn Bundesinnenministers zu Punkt 1 der Anfrage ist wirklich eine erstaunliche Erklärung. Weshalb hat denn eigentlich der dänische Außenminister sich veranlaßt gesehen, auf der NATO-Sitzung am 22. Oktober den Herrn Bundeskanzler zu interpellieren? Welcher Grad der Verstimmung, welche Ereignisse und welche Auswirkungen müssen denn nach Ansicht der Bundesregierung eintreten, um auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Nachbarstaaten als Spannungen zu gelten? Im übrigen darf ich die Frage stellen: Liest denn die Bundesregierung nur ihr eigenes Bulletin?
Lassen Sie mich nur ganz wenige Stimmen der dänischen Presse aus den letzten Monaten, die das Bild auf der andern Seite spiegeln, anführen.
Bereits am 3. Mai 1954 schrieb die „Information" in Dänemark, es bestehe die Möglichkeit, die Frage vor ein internationales Forum zu bringen. Einerseits könne die Minderheit, falls Klagen bei deutschen Gerichten erfolglos ausgehen würden, die Angelegenheit der europäischen Kommission vorlegen, die zur Überwachung der Konvention über die Menschenrechte eingesetzt werde. Andererseits — so fügte das Blatt hinzu — habe auch Dänemark selbst die Möglichkeit, in letzter Instanz vor den Vereinten Nationen zu klagen. — Ich meine, solche möglichen Konsequenzen dieses Zustandes sollten in der Tat ernst genug sein, Anlaß zu einer Regelung zu geben.
Am 12. August schrieb „Nationaltidende", die konservative Zeitung in Kopenhagen:
Die Überzeugung, daß ein bewußter Kieler
Versuch vorliegt, das Dänentum in Südschles-
wig von einer politischen Vertretung auszuschließen, auf die es durch seine zahlenmäßige Stärke Anspruch hat, wird daher als eine Belastung des Verhältnisses zwischen dänisch und deutsch weiterleben.
Am 24. Oktober schrieb — wieder von einer anderen politischen Richtung in Dänemark — die unabhängige Zeitung „Venstre":
Adenauer hatte versprochen, mit Kiel zu sprechen, und er hoffte auf eine positive Lösung. Aber erstens hofft er nur, und zweitens hat das Wort „positive Lösung" in diesem Zusammenhang immer eine ganz andere Bedeutung für die Deutschen als für uns gehabt. Gibt es jemanden, der glaubt, daß die Deutschen selber die jetzige Ordnung in Südschleswig schlecht und negativ finden? Nein, sie finden sie positiv und für sich gut. Sonst hätten sie sie nicht gemacht, -und folglich ändern sie sie auch nicht ab, ohne daß man sie dazu zwingt. Gerade jetzt, eben vor der endgültigen Aufnahme Deutschlands in Europas Verteidigungsgemeinschaft, war die Chance für uns wie für Frankreich, von deutscher Seite Rücksichtnahme zu erfahren.
Die Situation, in der wir uns befinden, wird also von der dänischen Seite in Konsequenzen gesehen, die uns hier auf der Bundesebene Anlaß genug zur Beschäftigung mit der Sache sein sollten.
Der frühere dänische Außenminister Ole Björn Kraft erklärte noch vor wenigen Wochen, im Monat November, Dänemark stehe jetzt vor der Ratifizierung der Vereinbarung über die deutsche Wiederbewaffnung und die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO. Deshalb müsse es auch im deutschen Interesse liegen, an der Ordnung der Verhältnisse mitzuwirken, die, wie er sagte, in Dänemark Bitterkeit erzeugten und das gute Nachbarschaftsverhältnis belasteten.
Meine Damen und Herren, ich meine, diese wenigen Stimmen zeigen bereits deutlich genug die Stimmung auf der andern Seite.
Aus der deutschen Presse will ich nur eine einzige Stimme zitieren. Die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung" hat bereits im Mai 1954 vor dieser Entwicklung gewarnt; sie hat damals geschrieben.
Die Dänen reagieren auf den Kieler Beschluß einigermaßen gereizt; sie reden von der Politik der harten Faust. "und dergleichen. Das ist zwar auch wieder eine Übertreibung. Aber wahrscheinlich wird die deutsche Minderheit in Nordschleswig den Kieler Beschluß ausbaden müssen und auf entsprechende dänische Kühle bei ihren Wünschen stoßen.
Meine Damen und Herren, Sie müssen aber bei der Beurteilung dieser Situation noch etwas anderes in Rechnung stellen. In der Verhandlung während des zweiten Karlsruher Prozesses hat der Vertreter des Schleswig-Holsteinischen Landtages laut den Berichten in der dänischen Presse, in den Zeitungen „Politiken", „Berlingske Tidende" usw., erklärt, daß die Südschleswigsche Wählervereinigung bei der Bildung einer neuen Regierung unter Umständen das Zünglein an der Waage sein könnte. Davor sei man bange, das sei das, was man verhindern wolle; das wäre ein Unglück.
Damit ist die Behandlung des Wahlrechts für die dänische Minderheit nicht nur als eine bewußte Maßnahme in der Auseinandersetzung des Volkstums, sondern ausdrücklich auch als ein Instrument im innenpolitischen Machtkampf, zur Sicherung der innenpolitischen Macht abgestempelt worden. Ich muß schon die Frage stellen: Welcher zwielichtige Hintergrund tut sich dabei auf, und wie erscheint vor ihm die Glaubwürdigkeit jenes Geistes einer großzügigen Minderheitenpolitik Ihrer Regierung in Schleswig-Holstein, von dem Sie, Herr Kollege Rasner, gesprochen haben? Vor einem solchen Hintergrund muß die anmaßende Selbstzufriedenheit und der hochfahrende Ton, mit dem Sie von der früheren Großmacht Dänemark und seiner nationalen Romantik gesprochen haben, doppelt verletzend und böse wirken.
Ihre Rede, Herr Kollege Rasner, war in ihrem Ton und in ihrer ganzen Mentalität das Musterbeispiel einer Rede aus dem Minderheitenkampf der zwanziger und dreißiger Jahre.
Sie haben mit diesen Ausführungen der deutschdänischen Sache und der deutsch-dänischen Verständigung den denkbar schlechtesten Dienst erwiesen.
Die dänische Regierung hat sich, das muß hierbei mit aller Anerkennung festgestellt werden, dieser Reaktion in der dänischen Presse und Öffentlichkeit gegenüber in vorbildlich besonnener Weise zurückhaltend und mäßigend gezeigt. Immerhin zeigt ja die Tatsache, daß sich ihr Außenminister schließlich veranlaßt gesehen hat, bei dem Herrn Bundeskanzler zu intervenieren, welchen Grad der Druck der Meinung im Lande erreicht hat. Es erschien uns daher dringend an der Zeit, um diese Stimmung bei unseren Nachbarn im Norden nicht weiter anschwellen zu lassen, die Bundesregierung auf die Gefahren hinzuweisen, die aus der Verschlechterung des politischen Klimas, nicht nur im Verhältnis zu Dänemark und dem ganzen skandinavischen Raum, sondern für unsere gesamte politische Lage dem Ausland gegenüber, auf die Dauer entstehen müssen, und dem Herrn Bundeskanzler offiziell Anlaß zu geben, das zu erfüllen, was er am 22. Oktober anläßlich der NATO-Sitzung erklärt hat.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich in ihrer Beantwortung durch den Herrn Bundesinnenminister im übrigen fast ausschließlich auf eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes an Hand der Karlsruher Urteile beschränkt. Dies zeigt, daß sie den politischen Sinn und die Zielrichtung unserer Großen Anfrage nicht aufgenommen hat oder nicht hat aufnehmen wollen. Wir haben in der Anfrage bewußt die Terminologie von dem nationalen Minderheitenrecht gebraucht. Wir sind uns — und dazu hat es der Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers nicht bedurft — durchaus klar darüber, daß dieses nationale Minderheitenrecht bis heute noch keine positive völkerrechtliche Gestalt gewonnen hat. Insofern ist die Feststellung der Karlsruher Urteile richtig. Aber Recht besteht nicht nur in normierter, kodifizierter Form; es gibt auch ungeschriebene Gesetze, und das Recht ist ein Strom,
der fließt und der immer wieder in seinem Lauf geregelt werden muß. Eine solch diffizile Frage, die diffizilste Rechtsfrage zwischen Nationen, ist nicht nur von dem Status der Vergangenheit aus zu sehen, nicht nur statisch, sondern von der dynamischen Entwicklung her. Insoweit ist nicht zu leugnen, daß bereits nach dem ersten Weltkrieg eine starke Bewegung im Rechtsdenken in dieser Hinsicht vorhanden gewesen und weitergeführt worden ist. Von dem großen Dänen Kierkegaard stammt das Wort, daß die Wissenschaft wie eine Schlange sei, die sich fortwährend häute; in die abgelegten Häute schlüpften immer die Dümmeren. Das gilt auch für die Politik, und das gilt ebenso für eine Beurteilung von Rechtsfragen wie der hier in Rede stehenden.
Lassen Sie mich aber für ihre Beurteilung noch einige wenige Bemerkungen machen. Es ist ja nicht so, daß bisher überhaupt nichts in dieser Hinsicht vorhanden ist, daß man alles das, was sich entwickelt hat, mit einigen leeren Bemerkungen abtun kann, wie es hier in der Beantwortung der Anfrage geschehen ist. Bereits im Jahre 1849, also vor über hundert Jahren, ist in der Reichsverfassung der Paulskirche der Grundsatz aufgestellt worden, daß den nichtdeutschen Volksstämmen ihre Gleichberechtigung, ihre volkstümliche Entwicklung und namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprache, der inneren Verwaltung, der Rechtspflege usw. zu gewährleisten ist. Dieser Grundsatz ist in Art. 113 der Weimarer Reichsverfassung übernommen worden, zu dem bereits im Jahre 1929 der Professor Gerber von Marburg ausgeführt hat, daß es sich dabei nicht nur um ein Programm, das der Ausführungsbestimmungen bedarf, handelt, nicht nur um ein geistiges Kampfmittel im außenpolitischen
B) Machtkampf, sondern daß damit ein Grundsatz für das innere Staatsleben aufgestellt worden ist, der nicht nur aus historischen Zufälligkeiten entstanden ist, sondern aus einer Wandlung des Rechtsdenkens von grundlegender Bedeutung.
Professor Gerber legt in diesem Zusammenhang ausdrücklich dar, daß gegen Splitterparteien gerichtete Maßnahmen, so erwünscht sie im allgemeinen für die Gesundung des deutschen parlamentarischen Lebens seien, als bedenklich bezeichnet werden müßten, soweit sie den Versuch von nationalen Minderheiten, zu einer eigenen Vertretung in den Parlamenten zu kommen, beeinträchtigten. Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder, ich bitte Sie, in diesem Zusammenhang das zu betrachten, was ich über die Erklärungen des Vertreters des schleswigholsteinischen Landtages in Karlsruhe vorhin angeführt habe.
Meine Damen und Herren, ich will Sie mit weiteren Einzelheiten über die Entwicklung des Minderheitenrechts nach dem ersten Weltkrieg verschonen. Es ist bekannt, daß diese Frage auf den -verschiedensten europäischen Kongressen, z B. im August 1926, Anlaß und Gegenstand ganz konkreter Resolutionen gewesen ist, Resolutionen, an denen auch deutsche Vertreter und Vertreter der deutschen Minderheit in Dänemark, damals der Pastor Schmidt-Wodder, teilgenommen haben. Ich bin also der Meinung, daß sich hier bereits genügend Recht substantiiert hat, das, auch wenn es noch nicht zu allgemeiner Gültigkeit kodifiziert, normiert worden ist, doch nicht mehr aus der Rechtsbetrachtung herausgenommen werden kann. Dieses Recht ist Bestandteil jener Überlegungen gewesen, die den 1. Deutschen Bundestag zu seiner
Regelung in § 9 Abs. 5 des Bundeswahlgesetzes veranlaßt haben.
Wenn jetzt also die Bundesregierung in ihrer Beantwortung als Rechtfertigung ausschließlich auf die beiden Karlsruher Urteile Bezug nimmt, wonach verfassungsrechtlich und staatsrechtlich keine Verletzung des nationalen Minderheitenrechts an der dänischen Grenze vorliege, dann müssen wir dies als ein bewußtes Ausweichen vor dem eigentlichen politischen Problem ansehen. Es ist sowohl von dem Herrn Bundesinnenminister wie von dem Herrn Kollegen Rasner hierzu erklärt worden: Wir sind ja bereit, mit Dänemark darüber zu reden, unter der Bedingung der Gegenseitigkeit, der Bedingung der Loyalität, des Grenzverzichts usw.
— Diese Erklärung, Herr Kollege Rasner, stellt in sich selbst eine solche eindeutige Bedingung dar. Sie gibt genau das wieder, was Ihr Ministerpräsident, Herr von Hassel, bereits im Juni 1954 mit ähnlichen Worten ausgedrückt hatte. Damals erklärte er: „Wir sind es ja gerade, die die europäischen Grenzen uninteressant machen wollen. Aber werdet ihr erst" — mit dem Finger auf die Minderheit und Dänemark — „Europäer! Wir beabsichtigen bis dahin nicht, in dieser Frage eine andere Entscheidung zu treffen." Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Krise der ersten Nachkriegsjahre dort oben weitgehend überwunden ist, wo das deutsche Bewußtsein weitgehend wieder stabilisiert ist, wo die Mitgliedschaft im SSW von Wahl zu Wahl rückläufig geworden ist, nun die Forderung nach einer ausdrücklichen Beteuerung des Grenzverzichtes auszusprechen, das halten wir wirklich nicht für die geeignete Voraussetzung für das von Ihnen Dänemark gegenüber angebotene Gespräch.
Nach meiner Meinung sollte vor diesem Gespräch, am Anfang dieses Gespräches die Gewährung der parlamentarischen Repräsentation an die Minderheit stehen. Das, Herr Kollege Rasner, wäre im Verhältnis zwischen Deutschland und Dänemark eine wirklich staatsmännische Geste und eine gute Grundlage für ein weiteres Gespräch. Aber davon abgesehen kann man nach meinem Dafürhalten die Frage der parlamentarischen Vertretung einer Volkstumsminderheit überhaupt nicht an Bedingungen knüpfen. Am allerwenigsten ist das Wahlrecht geeignet, Gegenstand von Verträgen zu sein, weil es eine interne Sache des Staates und der Verfassung ist.
Ich bin also der Auffassung, daß die Aufhebung dieser Beschränkung in Gestalt der 5-%-Klausel nicht an die ausdrückliche Versicherung des Wohlverhaltens geknüpft werden, daß man nicht erst Urfehde abzuschwören verlangen kann, wie Sie es praktisch getan haben. Solche Bedingungen fordern zwangsläufig zu Widerspruch heraus. Eine solche Einstellung zum Gespräch mit dem nationalen Partner auf der anderen Seite eröffnet eine Perspektive, in der man sich mit dem Rücken zur Zukunft stellt. Aus einem solchen Geist können Sie nicht überzeugen, und aus einem solchen Geist können Sie auch nicht das Europa bauen, von dem Sie immer soviel reden, ein Europa, in dem die Grenzen uninteressant werden.
Die parlamentarische Vertretung der Minderheit soll ja das politische Ventil sein, sie soll gerade der psychologische Faktor sein, der zur Beruhigung in den beiderseitigen Beziehungen 'führt.
Fragen Sie, Herr Kollege Rasner, doch einmal alle diejenigen Kollegen im Hause, die im Minderheitenkampf der früheren Jahrzehnte gestanden haben, die Sudetendeutschen und all Ihre Kollegen aus den deutschen Ostgebieten. Sie werden Ihnen schildern, wie bei der Behandlung solcher Vertragsfragen der Ungeist der nationalen Rechthaberei und des Ehrprestiges die Atmosphäre vergiftet und wie er geradezu zu einer Buchstabenreiterei geführt hat, die die Beziehungen nicht entspannt, sondern immer mehr belastet hat.
Vor allen Dingen kann man ja eine Vertragsregelung nicht gegen den Willen eines anderen beteiligten Staates herbeiführen. Das Verhalten der dänischen Regierung und der gesamten dänischen Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten hat Ihnen, glaube ich, eindeutig bewiesen, daß sie einen Minderheitenvertrag jedenfalls zur Zeit nicht wünschen. Wenn Sie Ihr Gespräch also an diese Voraussetzung knüpfen, wenn Sie die parlamentarische Vertretung der Minderheit von einer solchen Vertragsregelung abhängig machen, so bedeutet das praktisch nichts anderes, als die Bereitschaft zu einer Regelung von uns aus zu verneinen.
Aber ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsmehrheit, die Sie sich auf den Standpunkt gestellt haben, in diesem Problem lägen keine außenpolitischen Elemente, das sei nur eine innerdeutsche verfassungsrechtliche Angelegenheit, fragen, ob denn nicht all das, was Sie für die zukünftige europäische Gestaltung bei jeder Gelegenheit immer wieder mit großen Worten herausstellen, ob nicht das allein auch für die Lösung dieser konkreten Frage die einzige bestandsfähige Grundlage ist. Wo ist der Begriff der Toleranz bei Ihrer Auffassung, Herr Kollege Rasner? Allerdings muß man Toleranz im Herzen haben, als Ausdruck persönlicher Selbstüberwindung und persönlichen Selbstvertrauens, um die Forderung nach Toleranz auch im Verkehr mit anderen Nationen als unerläßlich anzusehen. Und wie, glauben sie, vereinigt sich Ihre Haltung mit all dem, was Sie unter dem Begriff der demokratischen Freiheit so oft im Munde führen? Unter diesen Gedanken steht doch die Zukunft Europas und der westlichen Welt.
Es gibt eine bessere Form, diese Fragen zu behandeln. Sie ist bei den Beratungen über das Bundestagswahlgesetz im 1. Bundestag zum Ausdruck gekommen. Durch das Vorbild wirken, auch in der Politik, auch zwischen Völkern, Herr Rasner! Allerdings ist diese Vorstellung vielleicht manchem etwas fremdgeworden. Wenn wir an die letzten innenpolitischen Beweismöglichkeiten für diese Haltung, an die Landtagswahlkämpfe denken, dann will es allerdings nicht unerklärlich erscheinen, daß Ihnen der Gedanke, mit einer solchen Einstellung an diese Frage heranzugehen, nicht gekommen ist. Man kann die Spannungen dort an der Grenze nicht durch vertragliche Absicherung in jedem einzelnen Punkt lösen. Stärken Sie die politische, die soziale, die kulturelle Anziehungskraft dort oben! Nach dieser Richtung hin haben Sie Schleswig-Holstein gegen-
über noch alles mögliche zu tun und nachzuholen. Erreichen Sie bei dem Herrn Bundeskanzler und bei der Bundesregierung, daß auch die insoweit ihren Willen beweisen. Diese Methode ist nach unserem Dafürhalten richtiger, als sich von dem Geschrei einiger überhitzter, national entzündeter Gemüter beeinflussen zu lassen und deshalb Verträge zu fordern.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nur noch auf eines hinweisen. Sie sind der Meinung, das sei hier eine einseitige Darstellung aus dem Blickwinkel der Opposition. Nun, vielleicht ist Ihnen, Herr Kollege Rasner und Herr Bundesinnenminister, entgangen, was u. a. in der Presse, die gerade dem Herrn Bundeskanzler nicht fernsteht, über die Art und Weise, in der Sie und Ihre politischen Freunde die Angelegenheit in Schleswig-Holstein behandelt haben, gedacht wird. Es ist Ihnen vielleicht entgangen, daß der „Rheinische Merkur" bereits im Frühjahr dieses Jahres einmal warnend seine Stimme erhoben hat. Und erst in jüngster Zeit, am 12. November 1954, hat er unter der Überschrift „Modellfall Südschleswig" folgendes geschrieben — ich darf es Ihnen mit Zustimmung des Herrn Präsidenten in ganz wenigen Auszügen entgegenhalten — :
Dem deutschen Ansehen dienlicher wäre es gewesen, man hätte unabhängig von außenpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen – um nicht zu sagen: von außenpolitischem Druck — Großzügigkeit zu rechter Zeit bekundet und gar nicht erst den Versuch gemacht, die Dänischgesinnten durch schematische Anwendung der Fünf-Prozent-Sperrklausel um ihre parlamentarische Vertretung zu bringen. Eine solche Art von „Volkstumspolitik"
— Herr Kollege Rasner — ist hoffnungslos antiquiert. Und weiter:
— die Regelung der Frage der dänischen Minderheit —
Dieses darf sich gerade in der Demokratie nicht auf die Kulturautonomie allein beschränken.
— wie Sie es immer wollen —
sie muß auch politische Mitbestimmung einschließen. Ohne Zugang zum Parlament und zu Parlamentsausschüssen und ohne das Recht, vor Regierungsbeschlüssen, die Minderheitsangelegenheiten berühren, befragt zu werden, bliebe auch die kulturelle Freiheit der nationalen Minorität höchst labil.
Das alles schreibt der „Rheinische Merkur" am 12. November. Wie weit ist diese Betrachtung von ,der Schau entfernt, die ich Ihnen eben entgegengestellt habe?
— Nein, es wäre aber gut, wenn Sie das Positive aus ihm für sich anwendeten. Es ist ja nicht nur der „Rheinische Merkur". Ich will noch auf die letzten Sätze in diesem Aufsatz hinweisen:
Die Regelung der dänischen Frage an unserer Nordgrenze ist keine bloß lokale Angelegenheit. Mit dem Maße, mit dem wir in Südschleswig messen, werden auch wir gemessen werden, dann nämlich, wenn es bei einer Neuordnung der deutschen Ostgrenzen und nach der Rückkehr der vertriebenen Deutschen darum gehen wird, die Rechte der so neu entstandenen deutschen Minderheiten zu bestimmen.
Ich glaube, Herr Bundesinnenminister, diese Art der Betrachtung sollte auch Ihnen möglich gewesen sein.
Aber, Herr Kollege Rasner, wenn Sie meinen, daß der „Rheinische Merkur" nicht unfehlbar sei, dann erlauben Sie mir den Hinweis darauf, daß der
Ihnen dem Alter nach vielleicht nicht allzu entfernt stehende Kollege von der Jungen Union, der zweite Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, in einem Vortrag vor der Volkshochschule in Einfeld am 20. November 1954 denselben Standpunkt eingenommen und erklärt hat, daß diese Handlungsweise hinsichtlich der Fünf-Prozent-Klausel eine unkluge Handlungsweise gewesen sei und daß die Gefahr vor allen Dingen darin liege, daß die Behandlung der dänischen Minderheitenfrage in Schleswig-Holstein nach einer Wiedervereinigung Deutschlands als Vorbild für die Lösung der Probleme deutscher Minderheiten innerhalb der Nachbarländer herangezogen werden könne.
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß diese wenigen Beispiele genügen, um ihnen zu zeigen, daß überall dort, wo nicht die machtpolitische oder parteipolitische, subjektiv beeinträchtigte Betrachtungsweise ausschlaggebend ist — wie bei Ihnen, Herr Kollege Rasner —, auch in Ihrem eigenen Lager die Situation und ihre Folgen durchaus richtig beurteilt werden.
Lassen Sie mich mit einem Hinweis darauf schließen, was anläßlich der Kieler Woche im Jahre 1951, der Herr Bundespräsident in dem öffentlichen Gespräch mit dem, glaube ich, damaligen Staatsminister Hedtoft ausgeführt hat. Er erklärte:
Aber in den Grenzgebieten ist auch immer — und das spreche ich ganz offen aus — die Gefahr vorhanden einer Verengung wegen der gepflegten Reibungsflächen eines militanten Nationalismus, der überall entstehen kann. Es ist notwendig, daß die Dinge eingeordnet bleiben im großen Rahmen, im großen Maß. Glauben Sie nicht,
— so schließt er —daß um des Räumlichen willen die Regelung dieser Frage klein sei. Ich möchte finden, daß sie wirklich groß werden möge als Übungsfeld einer europäischen Gesinnung, aus der eine beispielhafte Leistung hervorgehen kann und soll.
Das, Herr Bundesinnenminister, Herr Kollege Rasner, meine Herren von der Regierungskoalition, ist der Geist, auf dem man ein neues Europa und eine neue Haltung zwischen den Völkern aufbauen kann. Behandeln Sie bitte diese Frage so weiter, wie es Ihre eigenen Freunde in der Presse getan und wie es der Herr Bundespräsident geschildert hat. Dann werden Sie zu einer Bereinigung dieser Spannungen kommen, und Sie werden mit Ihrem Beispiel die Anerkennung und die Achtung als einer Leistung für die europäische Zukunft erhalten.