Meine Damen und Herren! Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich des heutigen 6. Jahrestages der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu gedenken. Heute vor sechs Jahren nahm die Hauptversammlung der Vereinten Nationen in Paris eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an. Diese Erklärung besagt, daß jeder Mensch, wo er auch lebe, welcher Rasse, welcher Farbe, welchem Geschlecht, welcher Sprache und welcher Religion er auch zugehöre, frei und gleich an Würden und Rechten geboren sei. Es dürfe auch keine Unterscheidung gemacht werden auf Grund der politischen, der rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehöre, ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig oder irgendeiner Beschränkung seiner Souveränität unterworfen sei.
Diese Erklärung der Menschenrechte ist von der Hauptversammlung der Vereinten Nationen mit 48 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen am 10. Dezember 1948 angenommen worden. Gegenstimmen wurden nicht abgegeben. Enthalten haben sich neben der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Polen auch Jugoslawien, Saudi-Arabien und die Südafrikanische Union. Alle anderen großen und kleinen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die in Paris vertreten waren, haben für diese Erklärung gestimmt. Sie haben sich damit feierlich zu Grundsätzen und Rechten bekannt, die alt wie die Menschheit sind, heiß umkämpft, aber selten verwirklicht wurden. Niemals standen diese Grundsätze auf der ganzen Erde in Geltung, niemals
wurden sie überall gleichzeitig praktiziert. Auch die Annahme der feierlichen Erklärung vom 10. Dezember 1948 hat das nicht zu bewirken vermocht. Es gibt heute noch weite Gebiete der Erde, in denen diese Erklärung kaum bekannt ist, geschweige gar daß nach ihr verfahren wird.
Dennoch kommt dieser Erklärung eine ungewöhnliche Bedeutung zu. Sie liegt nicht nur in dem sittlichen Rang und in der konsequenten Strenge rechtlichen Denkens, die sich hier einen unanfechtbaren Ausdruck gegeben hat, sie liegt vielmehr zugleich in der vielleicht weltgeschichtlich bedeutsamen Tatsache, daß 48 Staaten sich gegenseitig vor der Weltöffentlichkeit das Wort gegeben haben, sich diesem Recht und dem darin manifestierten sittlichen Gebot zu unterwerfen.
In einem alten Lied, meine Damen und Herren, hat ein unter schweren Erfahrungen Gebeugter einmal bitterlich geklagt:
Rechtschaffen hin, rechtschaffen her, Das sind nur alte Geigen.
Betrug, Gewalt und List vielmehr, Klag du, man wird dir's zeigen.
Nun, jener Sänger hat damit nur der landläufigen Erfahrung Ausdruck gegeben, daß die Macht vor dem Recht komme. Am 10. Dezember 1948 haben 48 Staaten der Welt sich feierlich dazu bekannt, daß für sie das Recht vor der Macht stehe, und sie haben erklärt, daß das nicht nur ein Grundsatz sei, den sie ihren eigenen Staatsangehörigen, den sie den Gliedern ihrer eigenen Völker gegenüber anzuwenden gedächten, sondern sie haben festgestellt, daß dieser Grundsatz von jedem Staat jedem Menschen gegenüber — und das muß in sich schließen: auch im Verkehr der Staaten untereinander — streng gewahrt werden müsse.
Wir Deutsche, meine Damen und Herren, haben an dieser Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht mitgewirkt; denn Deutschland ist bis heute nicht Mitglied. der Vereinten Nationen. Aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht nur mit dem Geist und dem Sinn dieser Erklärung der Menschenrechte in Übereinstimmung steht, sondern daß es über alle politischen Meinungsverschiedenheiten der heute in diesem Hause vertretenen Parteien hinaus der klare und einhellige Wille des Deutschen Bundestages ist, alles zu tun, was in seiner Kraft steht, um jeden friedlichen Beitrag, der von ihm gefordert und erbracht werden kann, dafür zu leisten, daß die Grundsätze, die heute vor sechs Jahren verkündet wurden, in ganz Deutschland, in ganz Europa, auf der ganzen Welt respektiert und verwirklicht werden.
Darüber hinaus aber, glaube ich, meine Damen und Herren, ist es unser Wunsch, daß die Gesinnung und der Rang dieser hohen Rechtsgrundsätze alle Staaten dazu bewegen möchten, aus den Vereinten Nationen eine durchgreifende internationale Instanz der Ordnung, des Friedens und der Gerechtigkeit zu machen. Wir wünschen den Vereinten Nationen jedenfalls, daß sie, mit ausreichender Macht versehen, den von ihnen als allgemeine Menschenrechte verkündeten Grundsätzen mit den Mitteln des Friedens auch dort Geltung und Nachachtung verschaffen können, wo heute noch Millionen Menschen nach Recht und Gerechtigkeit seufzen.
Wir treten dann in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Fortsetzung der Besprechung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Nationales Minderheitenrecht .
Die Debatte hatte in der 58. Sitzung am Mittwoch. bereits begonnen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jentzsch.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Rehs.