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ID0205901600

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    2. Deutscher Bundestag — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Dezember 1954 3005 59. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Dezember 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . 3005 B, 3017 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfrage 128 betr. kriminalpolizeiliche Durchsuchung der Wohnung des Senators a. D. Dr. Klein in Bonn (Drucksachen 968, 1065) 3005 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 (Haushaltsgesetz 1955) (Drucksache 1100) 3005 C Schoettle (SPD) 3005 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 3017 B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . . 3028 D Dr. von Merkatz (DP) 3033 A Unterbrechung der Sitzung . 3038 B Dr. Eckhardt (GB/BHE) 3038 D Ritzel (SPD) 3043 D Niederalt (CDU/CSU) 3052 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 3058 A Dr. Gülich (SPD) 3060 B, 3066 A Dr. Luchtenberg (FDP) . . 3064 A, 3066 A Krammig (CDU/CSU) 3067 B Bauknecht (CDU/CSU) 3069 C Hartmann, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3073 C Überweisung an den Haushaltsausschuß 3075 D Nächste Sitzung 3076 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Rede von Heinrich Georg Ritzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit dem beginnen, womit mein Herr Vorredner aufgehört hat, mit dem erstaunlichen Interesse des Hohen Hauses für die Etatberatungen, einem Interesse, das nur noch übertroffen wird durch die vereinzelte Anwesenheit eines einzigen Bundesministers.

    (Zuruf: Zwei!)

    — Zwei? Wo?

    (Heiterkeit.)

    Immerhin handelt es sich um den Etat der Bundesregierung, und immerhin hätte das Parlament mit Recht erwarten können, daß die Bundesregierung bei der Behandlung ihres Etats im Hause anwesend ist. Nun, vielleicht gehen wir nicht irre, wenn wir in 'dieser nega.tiven Reverenz ,der Bundesregierung gegenüber dem Hohen Hause den Ausdruck der Wertschätzung erblicken, den die Bundesregierung dem Bundestag entgegenbringt.

    (Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

    Ich möchte mich weniger mit den Problemen aus der Zeit des Alten Fritz als vielmehr mit den konkreten Inhalten und im besonderen mit der Ausgabenseite des Bundeshaushalts befassen, darf aber zunächst auf einige Bemerkungen aus der Debatte von heute früh eingehen.
    Herr D r. Vogel hat das, was mein Kollege Schoettle in bezug auf die Nichteinbringung eines Nachtragsetats hinsichtlich der freigewordenen 1,8 Milliarden kritisiert hat, in gewissem Sinne


    (Ritzel)

    entschuldigt. Ich muß sagen, Herr Kollege Dr. Vogel, die Einbringung eines Nachtragsetats scheint mir — ganz abgesehen von den Grundsätzen der Reichshaushaltsordnung — vor allen Dingen deshalb begründet und eine Notwendigkeit — oder wäre es mindestens gewesen —, weil mit der Einbringung eines Nachtragsetats die Möglichkeit der Korrektur entsprechend dem Willen des Parlaments gegeben gewesen wäre.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das Parlament hat diesen seinerzeitigen Etat für 1953/54 — mit wechselnden Mehrheiten — in dem Bewußtsein gestaltet, daß das oder jenes eine notwendige Ausgabe sei. Wenn nun eine Ausgabe dieser Größenordnung in` Wegfall kommt, dann ist es mindestens ein Akt der Loyalität gegenüber dem Hause, wenn sich die Bundesregierung, in diesem Fallalso der Herr Bundesfinanzminister, daran erinnert, daß es zweckmäßig ist, das Haus zu informieren und erneut nach seinem Willen zu befragen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Herr Kollege Vogel, Sie sprachen auch von der Notwendigkeit einer gesicherten Währung. Das wird von uns allen restlos unterstrichen. Aber ich glaube, die Schlußfolgerung, daß die Voraussetzung für eine gesicherte Währung der Ausgleich des Haushalts sei, muß doch unter dem Gesichtswinkel betrachtet werden, daß der Bundestag veranlaßt sein sollte und veranlaßt sein muß, bei einer Haushaltsberatung zu prüfen, ob das Verteilungsproblem auf der Einnahme- wie auf der Ausgabeseite dem entspricht, was zur Sicherung der Währung und zur Sicherung einer gewissen sozialen Lebenslage wirklich notwendig ist.
    In Ihren weiteren Darlegungen, Herr Kollege
    Vogel, erwähnten Sie die Möglichkeit einer Planung der sozialpolitischen Maßnahmen auf mehrere
    Jahre hinaus. Ich finde, daß die Idee wert ist, mit
    aller Gründlichkeit besprochen zu werden. Nur
    wäre es unzweckmäßig, etwa einen Vergleich mit
    einer langfristigen Planung von Autobahnen zu
    ziehen; denn bei den sozialen Maßnahmen handelt
    es sich nicht um Autobahnen, sondern um Menschen,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    die in ihrer ganzen Lebenslage stets sein werden und sein müssen das Produkt der Entwicklung, das Produkt der Konjunktur, das Produkt irgendwelcher Zufälligkeiten des Lebens. Kurzum, gegenüber den Opfern des Krieges, gegenüber den Opfern der Arbeit muß eine lebendige Gestaltung und nicht eine auf Zeit und auf Jahre hinaus festgelegte Planung Platz greifen.
    Ein merkwürdiger Zug hat sich bis jetzt hinsichtlich der Militärlasten durch die Debatte gezogen. Wenn von Ihnen, Herr Kollege Dr. Vogel, mit Recht das Problem einer Planung in dem einen oder anderen Fall auf lange Dauer hinaus in Aussicht genommen wird, dann ist es um so erstaunlicher, daß eine Antwort von der Regierungsbank her, auch eine Antwort des Herrn Staatssekretärs Hartmann ausgeblieben ist in bezug auf die Frage der wirklichen und auf längere Sicht hinaus fällig werdenden Kosten für die Aufstellung eines 500 000-Mann-Heeres. Es ist die Zahl von 40 Milliarden DM über die 9 Milliarden DM, die im Haushalt 1955 vorgesehen sind, hinaus genannt worden. Es ist mitgeteilt worden, daß der Herr Bundesfinanzminister ein eisernes Nein gegenüber jeder Summe, die über 9 Milliarden DM hinausgeht, ertönen läßt. Wir nehmen das gerne zur Kenntnis, aber die Frage bleibt im Raum stehen: was ist mit den wirklichen Erstausstattungskosten, was ist mit den Kosten für die Kasernierung der 500 000 Mann, was ist mit ihrer Bewaffnung, was ist mit all den übrigen Ausgaben für Luftwaffe, für Seefahrzeuge und dergleichen mehr? Man kann doch wirklich einem Mitglied des Parlaments nicht zumuten, zu glauben, daß das mit den 9 Milliarden DM abzüglich der Stationierungskosten der ausländischen Soldaten und abzüglich der Abführung an die NATO zu finanzieren, zu decken sei.

    (Abg. Dr. Vogel: Sie können das ja auch nicht in einem Jahr machen!)

    — Aber wir haben als Parlament das Recht, beim Beginn einer solchen Sache von der Bundesregierung restlose Klarheit zu verlangen; darauf kommt es an!

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun zu der anderen von Herrn Kollegen Vogel angeschnittenen Frage in bezug auf die militärischen Notwendigkeiten für Exerzierplätze und dergleichen mehr. Ich habe mir einmal aus den Vorbemerkungen, von denen heute so oft die Rede war und von denen Herr Dr. Blank und Herr Dr. Eckhardt meinten, niemand habe sie gelesen — ich bekenne mich schuldig, daß ich sie von der ersten bis zur letzten Seite gelesen habe —,

    (Beifall — Abg. Dr. Vogel: Sie nicht allein!)

    einige Zahlen herausgeschrieben. Sie haben erwähnt, daß das keine nennenswerte Angelegenheit sei. Aus den Vorbemerkungen habe ich entnommen, daß wir bereits heute in Deutschland für militärische Zwecke 178 000 ha nützen und daß an unbebauten Grundstücken noch 28 500 ha zur Verfügung stehen. Vielleicht ist die Bundesregierung so liebenswürdig, uns auch darüber demnächst einmal eine etwas präzisere Äußerung zu geben; das muß nicht heute oder morgen sein.
    Über die Frage der Veräußerung von Bundesvermögen haben wir uns bereits im Haushaltsausschuß unterhalten. Es würde zu weit führen, heute im einzelnen darüber zu sprechen. Jedenfalls glaube ich für die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages sagen zu können, daß wir an die Veräußerung von Bundesvermögen mit allen Vorbehalten und mit aller Reserve herantreten und daß wir entschlossen sind, unsererseits alles zu tun, um einer Verschleuderung von Bundesvermögen zugunsten der Füllung der Taschen privater Erwerber zu begegnen.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte. — Abg. Dr. Dresbach: Wir auch!)

    Ich bin der Überzeugung: wir sind hier einer Meinung. Aber das Weitere wird die Praxis dann zeigen müssen.
    Nun aber ein sehr bedenkliches Wort zu den Kosten der Deutschen Lufthansa. Meine Damen und Herren, Sie können aus den Vorbemerkungen entnehmen, daß die Bundesregierung hier mit erheblichen Mehraufwendungen in der Zukunft rechnet. Wir sind jetzt schon genügend belastet. Ich befürchte, daß die Europäisierung — um dieses Wort in diesem Zusammenhang anzuwenden — der zivilen Luftfahrt noch sehr erhebliche Zeit auf sich warten läßt. Ich glaube, es wird notwendig sein, daß wir in der Bundesrepublik selbst nach anderen Mitteln und Möglichkeiten suchen, um den Bund


    (Ritzel)

    vor den Riesenlasten zu bewahren, die auf ihn zuzukommen drohen.

    (Abg. Dr. Vogel: Aber wie wollen Sie das bloß machen?)

    Zur Frage der Personalien: Es sind die Auslandsvertretungen erwähnt worden. Nun, kein vernünftiger Mensch wird sich der Notwendigkeit eines Aufbaus ausreichender und begründeter deutscher Auslandsvertretungen entziehen. Die Gestaltung des Personaletats wird natürlich weitgehend davon beeinflußt werden, wie viele alte, vielleicht ehemals in der NSDAP organisiert gewesene Diplomaten untergebracht werden müssen und wie viele Vertreter irgendwelcher politischen Interessen noch in die diplomatische Laufbahn berufen werden.
    In dem Zusammenhang der Personalkosten ein Wort zu der Frage der Länderpersonalkosten. Ich will die Zahlen nicht wiederholen, die bereits heute morgen hier genannt worden sind. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es notwendig ist, zu erklären, daß ein erheblicher Teil der Personalkosten in den Ländern die unausweichliche Konsequenz der Auftragsangelegenheiten ist, die den Ländern durch die Bundesgesetzgebung zuwachsen.
    Nun zu den Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. von Merk a t z wenige Sätze. Herr von Merkatz hat mit Recht darauf hingewiesen — was auch schon vorher gesagt worden ist —, daß in der Debatte hier ein anständiger Ton herrschen möge. Ich glaube, es ist richtig, das in jeder Hinsicht auch praktisch zu beweisen. Nur darf es nicht der Verpflichtung entheben, sich kritisch zu dem Etat zu äußern. Es darf nicht etwa dazu führen, in einer kritischen Haltung zum Etat eine unanständige Handlung zu sehen.
    Ich will in dem Zusammenhang zunächst Bemerkungen in bezug auf die Frage der militärischen Bedrängnis, die sich mir aufdrängen, unterschlagen, um in dem Rahmen zu bleiben, den ich mir selbst gesetzt habe. Aber gestatten Sie mir, daß ich die Etatberatung benütze, um an die Adresse des Hohen Hauses, dessen Mitglieder ja auch die Vertreter der in den Wahlkämpfen auftretenden Parteien sind, eine sehr ernste Bemerkung zu richten. Wir haben bei den letzten Wahlkämpfen, sowohl bei der Bundestagswahl im Vorjahr als auch bei den jüngsten Landtagswahlkämpfen — ich will nicht ausführlich auf das eingehen, was sich vor kurzem in Berlin ereignet hat; das wird das Haus noch beschäftigen —, Dinge erlebt, die uns veranlassen sollten, einmal samt und sonders zu prüfen, ob wir, wenn wir darauf aus sind, die Demokratie zu festigen, wirklich auf dem rechten Wege sind und ob wir, die wir uns im Bundestag gegenseitig als anständige Menschen begegnen und uns „Grüß Gott" sagen, wirklich verantwortlich handeln, wenn Dinge erfolgen können, wie ich sie mir notiert habe und wie ich sie an wenigen Beispielen zeigen will. So hieß es beispielsweise in bezug auf die Sozialdemokratische Partei in Berlin: „Wenn du sowjetische Uniformen tragen willst, dann wähle Ollenhauer!" oder: „Grotewohl, auch Ollenhauer, beide stehen auf der Lauer, möchten Deutschland östlich schalten, doch wir halten treu zum Alten" oder, wie auf den Plakaten der sozialdemokratischen Abgeordneten bei der Bundestagswahl 1953 aufgeklebt zu lesen war: „Von Moskau bezahlt". Das sind Dinge, meine Damen und Herren, die — das darf bei der Etatberatung, die dazu der rechte Ort ist, einmal ganz klar gesagt werden — unter allen Umständen unterbleiben sollten. Ich bin l fern davon, die Dinge zu verallgemeinern. Ich denke z. B. an die Erlebnisse im Berliner Sportpalast. Ich weiß, wir haben auf der Seite der DP sehr honorige Abgeordnete, die unser aller Achtung verdienen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sehr gut!)

    Aber dieselben Kräfte hätten Veranlassung, sich dafür einzusetzen, daß nicht etwa ein Bundesminister die drei Strophen des Deutschland-Liedes singt, sondern dafür Sorge trägt, daß er seine Umgebung reinigt, daß er mit seiner Umgebung im Urteil der Öffentlichkeit bestehen kann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun einige allgemeine Bemerkungen zum Etat. Hier möchte ich zunächst einmal ein Wort ehrlicher Anerkennung und Dankbarkeit aussprechen gegenüber den Herren vom Bundesfinanzministerium für die außerordentlich gründliche und detaillierte Arbeit — daß sie sachkundig ist, ist ohne weiteres vorauszusetzen —, auch im Rahmen der Allgemeinen Vorbemerkungen. Jetzt haben wir zu unserer Freude auch die Möglichkeit, zu konstatieren, daß das, was zum Wesenselement einer Etatberatung gehören sollte, erstmals möglich geworden ist, nämlich bei der Beratung des Haushaltsplans 1955 zurückzugreifen auf die Vergleichszahlen des Rechnungsergebnisses des vorvorhergegangenen Jahres, also des Jahres 1953.
    Der Etat trägt im ganzen doch unverkennbar ein dynamisches Gesicht. Die Frage ist, wer in der Hauptsache die Lasten trägt und wem in erster Linie die Ausgaben zugute kommen. Nun, wir kennen den Etat mit mehr als 9 Milliarden für die Sicherheit der Bundesrepublik. Bis zum Beweis des Gegenteils bleiben das Aufwendungen für eine fiktive äußere Sicherheit. Aber diese 9 Milliarden bedeuten zugleich — das zeigt der weitere Teil der Ausgabenseite — eine bedrohliche Senkung des Lebensstandards und damit die Herbeiführung einer unverantwortlichen Schwäche der inneren Sicherheit. Auch darüber ist heute schon gesprochen worden. Der Haushaltsausschuß und mit ihm der Bundestag werden sich bestimmt nicht der Verpflichtung entziehen, sehr genau und sehr gewissenhaft zu prüfen, was auf diesem Gebiete geschehen kann, um diesen unangenehmen Eindruck einer Senkung der sozialen Ausgaben zu berichtigen.

    (Abg. Dr. Vogel: Von einer Senkung der sozialen Ausgaben hat niemand von uns gesprochen!)

    — Ja, aber der Etat spricht davon. Ich werde Ihnen das zahlenmäßig beweisen.
    Nun habe ich mit einigem Erstaunen von Herrn Dr. B1 a n k gehört, daß die Fraktion der Freien Demokratischen Partei erneut daran denkt, die durch Gerichtsentscheid weggefallene Bestimmung des § 96 Abs. 3 und 4 der Geschäftsordnung in die Verfassungeinzubauen, also die Deckungsvorschriften. Ich will jetzt nichts darüber sagen. Ich will Ihnen nurankündigen, daß ,die sozialdemokratische Fraktion sich diesen Weg, der hier angedeutet wurde, sehr ernsthaft überlegen wird.
    Zur Frage des sozialen Gehalts darf ich auf einige Bemerkungen aus der Rede des Herrn Staatssekretärs zurückgreifen. Der Herr Staatssekretär hat heute morgen oder gestern erklärt, daß die innere soziale Ordnung des Bundes beginne, die Züge des


    (Ritzel)

    Versorgungsstaates anzunehmen. Herr Staatssekretär und meine Damen und Herren, die Notwendigkeit, einem Staat die Züge eines Versorgungsstaates zu verleihen, wächst im Verhältnis der Inanspruchnahme der Lebenskraft und des Lebens des einzelnen Individuums durch den Staat. Wenn der Staat von dem einzelnen Bürger verlangt, daß er selbst sein Leben für ihn einsetzt, dann hat derselbe Staat die Verpflichtung gegenüber dem Bürger, im Falle von Krankheit, Not und Elend seine Familie und seine Hinterbliebenen zu stützen und zu erhalten; und kein Mensch kann behaupten, daß das bei uns in genügendem Ausmaß der Fall sei.

    (Abg. Dr. Dresbach: Herr Ritzel, das war aber mehr eine technische Unterscheidung von Versicherung und Versorgung!)

    — Ich nehme das gern zur Kenntnis, Herr Kollege Dresbach.
    Vorhin ist davon gesprochen worden, daß der Herr Bundesfinanzminister mehr für die Publizität tun möge. Ich unterstütze das, was Herr Kollege Eckhardt gesagt hat. Der Herr Bundesfinanzminister hat aber schon einiges getan. Er hat uns Schaubilder gegeben, die ich in meinen Versammlungen draußen in dem großen Format, das ich dann in dem Versammlungslokal aufhängen lasse, benutze, um den Staatsbürgern, die ja die Steuerzahler sind, zu zeigen, wohin die Mittel gehen. Die Steuerzahler sehen dann auf der Ausgabenseite, daß dieses obere schwarze Feld die Verteidigungslasten sind und das untere die Soziallasten. Wenn sie dann fragen, wie das werden soll, wenn dieses obere Feld an Umfang gewinnt, woher die Deckung kommen soll, ist zu antworten: man muß entweder den Kreis durch neue Steuereinnahmen vergrößern, oder man muß das untere Feld schmälern, so daß die Sozialausgaben geringer werden. Solche Schaubilder sind für die politische Aufklärung von erheblichem Nutzen ebenso wie die effektiven Zahlen des Bundeshaushalts.
    Wir haben ja einmal eine Zeit erlebt, von der wir wissen, daß es hieß: Gebt mir vier Jahre oder zehn Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen! Ich habe mir den Etat auch unter diesem Gesichtswinkel angesehen. Für die Menschen draußen ist es doch nur nützlich zu wissen: was ist die Erbschaft, mit der wir uns hier und heute und noch für lange Zeit herumzuschlagen haben. Wir hatten im vorjährigen Etat einen Zuschuß für Berlin von 750 Millionen, jetzt einen von 800 Millionen. Meine Damen und Herren, das wäre nie notwendig gewesen, wenn das „Dritte Reich" nicht gewesen wäre.
    Aber die Steigerung in der Entwicklung der Zahlen gibt zugleich, Herr Dr. Vogel, ein Bild über die Entwicklung des Etats 1955 gegenüber 1954. Darf ich Ihnen einige Zahlen sagen. Für Wohnungsbau und Siedlung hatten wir im Vorjahr 1,029 Milliarden, in diesem Jahr nur 1,077 Milliarden.

    (Abg. Dr. Vogel: Aber wir werden im nächsten Jahr ohnehin mehr Wohnungen bauen als in diesem Jahr!)

    — Ich werde darauf zurückkommen. — Im Lastenausgleich hatten wir im Vorjahr 240 Millionen; in diesem Jahr sind es 536 Millionen, bei den allgemeinen Sozialleistungen 7,577 Milliarden im Vorjahr gegen 7,742 Milliarden in diesem Jahr, bei den verdrängten Beamten, ehemaligen Soldaten 1,2 Milliarden gegen 1,3 Milliarden jetzt, bei den Be-
    satzungslasten 9,4 Milliarden gegen neuerdings 9,186 Milliarden. Demnach ist bei Wohnungsbau und Siedlung nur eine Steigerung von 4,1 % der Endsumme des Etats auf 4,2 % festzustellen, beim Lastenausgleich eine Steigerung von 1 % auf 2,1 %, also mehr als eine Verdoppelung, und bei den allgemeinen Sozialleistungen nach diesem Etatsentwurf eine Senkung gegenüber dem Vorjahr von 30,1 % auf 29,8 %.
    Wir haben noch mit anderen angekündigten Ausgaben unbekannter Größen- und Rangordnung zu rechnen. Der Herr Staatssekretär sprach unter anderem von der Ausstattung des Bundesgrenzschutzes. Ich habe bis jetzt im Etat noch nichts für Steilfeuergeschütze, von denen in jüngster Zeit die Rede war, vorgesehen gefunden; aber vielleicht kann noch im Verlauf der Debatte gesagt werden, was im einzelnen noch weiter an Mitteln für den Bundesgrenzschutz verlangt wird.
    Ich will die Debatte nicht weiter mit den sozialpolitischen Problemen belasten, die hier in den letzten Tagen besprochen worden sind oder noch in den nächsten behandelt werden, möchte aber feststellen, daß die Annahme, möge man von einem gemäßigten Pessimismus oder von einem gemäßigten Optimismus sprechen, der Haushalt sei ausgeglichen, als irrig bezeichnet werden muß.
    In dem Haushalt ist nichts für die Erhöhung der Kriegsopferrenten vorgesehen. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns erklärt, daß dazu ein Nachtragsetat in Aussicht genommen sei. Meine Damen und Herren, Ausgaben haben die unangenehme Angewohnheit, Deckung zu verlangen, besonders wenn man Bundesfinanzminister ist. Es bleibt abzuwarten, woher der Herr Bundesfinanzminister für eine größere Ausgabe, die wir zugunsten der Kriegsopfer erwarten, die Deckung nehmen will, wenn nicht aus neuen Steuern oder durch Streichung an anderen lebenswichtigen Ausgaben.

    (Abg. Dr. Dresbach: Also, Herr Ritzel, der Antrag der FDP ist nicht so abwegig!)

    — Ja, ich weiß, daß man darüber reden kann.

    (Abg. Dr. Dresbach: Ja, ja!)

    Aber es kommt ganz darauf an, Herr Kollege Dresbach. Der Etat auf der Ausgabenseite wie auf der Einnahmeseite kommt mir immer vor wie der große Blechkuchen, den die Mutter zu Hause gebacken hat. Wenn sie mit dem Messer daran ging und den Streuselkuchen aufschnitt, dann dachte sie daran, jedem seinen gerechten Anteil zu geben. Der Etat ähnelt in der Form der Darstellung auf dem Schaubild solch einem schönen Kuchen. Die Frage ist: Wer führt das Messer? Wer bestimmt, wie das Messer zu führen ist?

    (Abg. Kunze [Bethel] : Wir! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der Bundestag!)

    Wie wird es gerecht verteilt?

    (Abg. Kunze [Bethel]: Wir!)

    — Ja, Sie haben ganz recht: S i e führen das Messer! Die Herren von der CDU haben es uns genügend vordemonstriert. Sie führen das Messer; das werden wir nicht vergessen, Herr Kollege Kunze.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Dresbach: Aber nur zum Kuchenschneiden, nicht zu anderen, tödlichen Zwecken!)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat in den Vorbemerkungen darauf hingewiesen, daß die Ergän-


    (Ritzel)

    zungsabgabe in Höhe von 1,5 %, von der auch schon die Rede war, dann erhoben wird, wenn es bis zum Abschluß — ich zitiere — der Haushaltsberatungen im Bundestag nicht gelingt, die haushaltsmäßige Lücke endgültig zu schließen. Der Herr Bundesfinanzminister weiß ganz genau: Die Rentenerhöhungen kommen auf den Haushalt zu, die Besoldungserhöhung kommt auf den Haushalt zu, andere Ausgaben kommen auf den Haushalt zu. Die Defizite sind nicht gedeckt. Der § 75 der Reichshaushaltsordnung wird erneut strapaziert. Mit anderen Worten: Wenn er dem Bundestag nun sagt, es komme darauf an, was bei der Etatberatung herauskomme, und davon hänge es ab, ob die 1,5 % Bundeszuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben würden oder nicht, dann schiebt er dem Bundestag den Schwarzen Peter zu. Wir werden es erleben!
    Sehr bedauerlich ist, daß in den Vorbemerkungen einmal davon gesprochen wird, daß Hoffnung auf eine Ertragssteigerung der Steuern aus Anlaß der Rüstungsaufträge besteht.
    Der Bundesrat hat sich mit dem Etat befaßt und hat eine Verbesserung von 442 Millionen DM her-ausgerechnet. Ich glaube, der Haushaltsausschuß und auch der Bundestag in seiner Gesamtheit werden diese Vorschläge des Bundesrates sehr ernsthaft zu prüfen haben.
    Zu bedauern bleibt in diesem Zusammenhang nur, daß der Herr Staatssekretär mit leise erhobenem Drohfinger davon sprach, man müsse eventuell an eine Verringerung der Bundesleistungen zum Nachteil der Länder denken. Wir sitzen, -so hat Schacht einmal gesagt, alle in einem Boot. Ich glaube, das Ansprechen des Verständigungswillens im Verhältnis zu den Ländern sollte auch seitens der Bundesregierung kräftig geübt werden.
    Die Schuld der Bundesrepublik, von der man draußen ebenfalls nicht genügend weiß, ist dem Hohen Hause in den Drucksachen nachgewiesen worden. Wir haben nach dem Stand vom 30. September dieses Jahres im Bund eine fundierte Schuld von 19 641 000 000, eine schwebende Schuld von 613 000 000 DM. Dazu kommen noch in gewissem Umfang Bürgschaftsbelastungen. Die gesamte Bürgschaftsbelastung beträgt am 30. September 449 000 000 DM.
    Meine Damen und Herren, ich möchte nun ein Wort zu der Aufblähung der Verwaltung sagen und glaube, namens meiner Fraktion feststellen zu dürfen: Wir haben zu viele Minister, wir haben zu viele Ministerien, wir haben vor allem zu viele Minister ohne Geschäftsbereich. Immerhin konstatiere ich, daß die Herren offensichtlich so beschäftigt sind, daß sie auch hier heute nicht anwesend sein können.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir finden, daß die Koalitionsarithmetik bei der Bildung von mehr Ministerien etwas zu weit getrieben worden ist, und wir sehen, daß die Gefahr einer fortgesetzten Überschneidung der Kompetenzen in den einzelnen Arbeiten der Ministerien tatsächlich immer wieder aufs neue besteht.
    Mein Freund Schoettle hat bereits darauf hingewiesen, daß wir sehr starke Bedenken gegenüber jedem Versuch einer weiteren Vermehrung des Bundespersonals anzumelden haben. Wir haben an planmäßigen Stellen im Etat 1954 eine Stellenzahl von 64 531, im neuen Haushalt von 66 808
    Stellen; Angestellte in 1954: 22 973, im neuen Haushalt: 23 746; Arbeiter 1954: 9696 gegenüber 10 033 im Haushalt 1955. Insgesamt also in 1954: 97 200 Kräfte gegenüber 98 557 im Etat 1955.
    Meine Damen und Herren, ich greife nur ein Amt heraus, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.

    (Zuruf von der SPD.)

    Da sind 7 neue Beamte, 32 neue Angestellte und 16 neue Arbeiter; und ich erinnere mich, daß der Herr Staatssekretär in anderem Zusammenhang allgemeingültig erklärt hat, es sei noch kein endgültiger Abschluß des Aufbaues der einzelnen Ministerien zu verzeichnen.
    Meine Damen und Herren, der Steuerzahler draußen fragt: „Was wird mit meinem Geld?" Ich komme in diesem Zusammenhang erneut und zum, glaube ich, dritten Male auf eine Frage zurück, die sich mit den Dispositions- und Geheimfonds der Bundesregierung beschäftigt. Ich verzichte auf eine Besprechung der umfänglichen Dispositionsfonds mit Rücksicht auf die Zeit. Aber die wenigen Zahlen in bezug auf die Steigerung der Ziffern der Geheimfonds möchte ich doch einmal in das Bewußtsein des Hauses rufen. Wir haben im Einzelplan 04 — Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — in Titel 300 — Zur Verfügung des Bundeskanzlers —200 000 DM. Das war schon im Vorjahr so viel. Das Ist-Ergebnis für 1953 beträgt 180 000 DM. Im gleichen Plan — Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — standen in Kap. 0403 Tit. 300 — Zur Verfügung des Bundeskanzlers zur Förderung des Informationswesens — meine Damen und Herren, darf ich Sie einmal einen Moment um Ihre besondere Aufmerksamkeit bitten — im Haushalt 1951, oder war es in der Rechnung, 3 058 250 DM; das Ist-Ergebnis von 1953: 4 500 000 DM.; im Haushalt 1954: 10 Millionen DM

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und im Haushalt 1955: 11 250 000 DM. Und das ohne jegliche Kontrolle durch das Parlament!

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir werden uns im Haushaltsausschuß und bei anderer Gelegenheit erneut und mit aller Schärfe dafür einsetzen, daß diese Geheimfonds kontrolliert werden. Es sind ja noch mehr da: im gleichen Haushalt des Herrn Bundeskanzlers — Zur Verfügung des Beauftragten des Bundeskanzlers für unvorhergesehene außerordentliche Ausgaben — 700 000 DM, der gleiche Betrag wie bisher; im Auswärtigen Amt geheime Ausgaben mit 3 Millionen DM, wie im Vorjahr; im Bereich des Bundesministeriums des Innern für Zwecke des Verfassungsschutzes 4 400 000 DM; 1951 waren es 3 Millionen DM, Ist-Ergebnis 1953: 2,9 Millionen DM, Haushalt 1954: 3,9 Millionen DM, Haushalt 1955: 4,4 Millionen DM.
    Bei allem Verständnis dafür, daß man derartige Dinge nicht auf dem Markt ausbreiten kann, bleibt das zwingende und berechtigte Verlangen des Bundestags bestehen — und ich hoffe, daß wir endlich einmal eine Mehrheit dafür in diesem Hause finden werden —, daß der Bundestag als die Vertretung des Volkes in einem kleinen Ausschuß eingeschaltet sein will, um zu wissen, wohin diese Gelder gehen, was mit ihnen gemacht wird und welche Verwendung die Kontrolle im einzelnen ausweist.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)



    (Ritzel)

    Meine Damen und Herren! In den Vorbemerkungen — oder war es in der Rede des Herrn Staatssekretärs? — wird einmal davon gesprochen, daß im Prinzip auf dem Gebiete des Sozialwesens keine Pflichtleistungen erwünscht seien. Wir wünschen Pflichtleistungen und nicht das, was angestrebt wird: Kannleistungen. Wir haben eine Reihe von Bemerkungen zum Sozialhaushalt zu machen; ich will sie hier nur in ganz beschränktem Umfange vortragen. Für Heimkehrer ist ein Ansatz von 150 Millionen vorgesehen. Dieser Ansatz ist um rund 100 Millionen zu gering. Die Bundesregierung weiß das, und trotzdem kommt dieser Ansatz in den Haushalt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir wehren uns gegen jedes Experiment, das gemacht wird, um Rechte, die gesetzlich festgelegt sind, irgendwie anzutasten. Vor allem wehren wir uns dagegen, daß die Grundrente der Kriegsopfer angetastet wird. Wir bedauern auch, bei dieser Gelegenheit feststellen zu müssen, daß bei dem Rentenanpassungsgesetz praktisch nur zirka 700 000 Berechtigte mit einem Betrag von voraussichtlich 1 bis 2 DM monatlich als Empfänger der großen Wohltat dieses Gesetzes in Frage kommen. In diesem Zusammenhang möchte ich vor der geplanten Wiedereinführung der Krankenscheingebühr sowie vor der Beteiligung der Versicherten und vor allem der Rentner an den Arzneikosten warnen.
    In bezug auf die Besoldungsreform sind in diesem Hause schon verschiedene Bemerkungen gemacht worden. Es ist eine alte Forderung der sozialdemokratischen Fraktion, die jetzt zur Debatte steht, endlich ein gründlich vorbereitetes Besoldungsrecht vorzulegen.
    Ein Wort noch zu einem besonderen Kapitel, dem Kapitel der Wiedergutmachung. In einzelnen Ministerien sind Wiedergutmachungsfälle aus dem eigenen Bereich der Bundesregierung noch erheblich im Rückstand Einzelne Ministerien, . so das Auswärtige Amt, haben ihr Soll auf diesem Gebiet meines Wissens schon längst erfüllt; aber in anderen Fällen sind erhebliche Rückstände zu verzeichnen. Auf der anderen Seite, glaube ich, ist die Feststellung notwendig, daß Menschen, die Opfer des Hitlerregimes sind und ein gesetzlich begründetes Recht auf Wiedergutmachung haben, seit Jahren warten und wahrscheinlich noch Jahre werden warten müssen, wenn das Parlament nicht dafür sorgt, daß diese Dinge endlich einmal erledigt werden, während mittlere und höhere nationalsozialistische Funktionäre, die vor 1933 Beamte waren, Generäle des Hitlerregimes usw., schon längst wieder im Besitz ihrer gesetzlich verbrieften Rechte und Bezüge sind.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Einige Bemerkungen zum Thema Wohnungsbau. Unser verehrter Wohnungsbauminister, Herr Dr. Preusker, hat einmal die sehr interessante Berner-kung gemacht, daß das Wohnungsbauministerium innerhalb von vier Jahren überflüssig werde. Wir haben Gelegenheit gehabt, seinen Staatssekretär im Haushaltsausschuß um eine authentische Interpretation zu bitten; der Herr Minister selbst hat uns nicht die Ehre seiner Anwesenheit im Haushaltsausschuß geschenkt. Der Herr Staatssekretär war unendlich viel vorsichtiger als sein Minister. Er hat nach dem Protokoll gemeint, der Herr Minister habe sich selbst, aber nicht das Ministerium gemeint.

    (Lachen bei der SPD.)

    Meines Wissens sind jedoch noch einige Millionen Wohnungen zu bauen. Es wird also zugegeben, daß das Ministerium noch eine gewisse Notwendigkeit darstellt, der Herr Minister dagegen nicht. Nun, das überlassen wir dem Urteil des Herrn Ministers.
    Die Baupolitik des Herrn Ministers Dr. Preusker geht praktisch darauf hinaus, weniger, aber teurere Wohnungen zu bauen. Diese Praxis läßt jedoch vergessen, daß unser Volk zu etwa 80 % aus Familien besteht, die im Monat weniger als 400 DM Einkommen zur Verfügung haben. Wir wünschen jedenfalls nicht, daß man beim sozialen Wohnungsbau in bezug auf teure Wohnungen jene Großzügigkeit beweist, die unter der Verantwortung der Bundesregierung seinerzeit und noch neuerdings bis in die jüngsten Tage hinein bei der Ausstattung der Bundeshauptstadt Bonn bewiesen worden ist. Der Herr Staatssekretär im Wohnungsbauministerium hat einmal erklärt, er habe ursprünglich nur den Auftrag gehabt, eine Arbeitshose zu beschaffen, schließlich aber habe man von ihm Maßanzüge verlangt. Nun, das Problem der Kosten von Bonn ist ja immer aktuell. Ich habe mir gerade heute eine kleine Zeitung gekauft. Darin wird etwas gemixt in bezug auf die Kosten von Bonn. Das scheint mir zwar sehr unverdaulich, aber wahr zu sein, um einmal von jener scherzhaft gemeinten Bemerkung abzuweichen, daß es entweder in der Zeitung stehe oder wahr sei. Hier ist ein leeres Hochhaus abgebildet: Deichmannsaue. Politisieren heißt auch voraussehen. Einigermaßen hätte die Bundesregierung gewappnet sein müssen, um einem solchen Fall zu begegnen. Man rät seit Monaten darum herum, was die eigentlichen Kosten von Bonn seien. Nun, vor einiger Zeit erschien eine illustrierte Zeitung. Sie wurde beschlagnahmt, sicher nicht, weil in ihr über die Kosten von Bonn berichtet wurde. Ich habe mir den Ausschnitt des betreffenden Exemplars geliehen. Da er sicher nicht Gegenstand der Beschlagnahme ist, bestehen wohl auch keine Sicherheitsbedenken dagegen, einmal einen kleinen Abschnitt — mit Erlaubnis des Präsidenten — daraus zu verlesen:
    Hier ist die Rechnung. Im April 1949 wird den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates mitgeteilt, daß die einmaligen Gesamtkosten für den Ausbau der Stadt Bonn zur Bundeshauptstadt 3,8 Millionen DM betragen werden.

    (Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Es war einmal! — Weitere Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Bis zum Mai 1954 hat die Bundesregierung für diesen Zweck jedoch 200 Millionen DM ausgegeben, darunter 80 Millionen DM für Verwaltungsbauten.
    Und dann wird im einzelnen nachgewiesen, wie sich die Kostenvoranschläge änderten. Ich will nur ein Beispiel nennen: Bundeskanzleramt 1949: 658 000, 1950: 1 567 000, Endkosten 3,2 Millionen DM.

    (Hört! Hört! bei der SPD.) Dann heißt es weiter unten:

    Zu den bisherigen 80 Millionen für Verwaltungsbauten kommen noch auf Kosten der Bundespost hinzu: für den Neubau des Bundespostministeriums 61/2 Millionen und für die Wohnungen der Beamten 15 Millionen. Nach Schätzungen des Finanzministeriums beträgt


    (Ritzel)

    die Summe der Gesamtinvestitionen in Bonn 600 Millionen DM.
    Mir war das ein bißchen zu dick, muß ich Ihnen offen gestehen. Ich habe mir daraufhin einmal die Mühe gemacht, das einigermaßen herauszuziehen. Ich fand dann folgendes; die Unterlagen habe ich. Am 17. Oktober 1949 schrieb der Herr Bundesfinanzminister an den Bundessitzausschuß — ich
    zitiere —
    Die Errichtung neuer Dienstgebäude in Bonn erscheint nicht erforderlich.

    (Lachen und Hört! Hört! bei der SPD.)

    Nachzulesen auf Seite 7 des ersten Berichts des Untersuchungsausschusses Drucksache Nr. 2275.
    Der Herr Bundeskanzler schrieb in einer elfseitigen Denkschrift am 3. November 1949, wenige Stunden vor der Abstimmung, an den Bundestag:
    Wenn Bonn Hauptstadt wird, kostet das nur noch 3,2 Millionen DM.
    Ich habe mich dann bei dem Bundesfinanzministerium erkundigt, nachdem höhere Gewalt unseren verehrten Ältestenrat — den zu kritisieren mir um Gottes willen fernliegt — bis jetzt gehindert hat, eine seit Monaten gestellte Frage — das ist keine böse Absicht des Ältestenrats — nach den Kosten der Bundeshauptstadt Bonn auf die Tagesordnung zu setzen, so daß sie wahrscheinlich erst in der nächsten Fragestunde behandelt und beantwortet werden kann. Ich habe mich also beim Bundesfinanzministerium erkundigt und habe sehr bereitwillig die Auskunft erhalten. Für Dienstgebäude sind in der Bundeshauptstadt Bonn bis heute — also bis Samstag vergangener Woche — 88,6 Millionen DM ausgegeben worden und für Wohnungen 110,7 Millionen DM, im ganzen 199,3 Millionen DM. Ich habe nun aus den Vorbemerkungen entnommen, daß noch etwa 14 Millionen DM für Wohnungsbauten sowie — das ist allerdings nur ein Darlehen, was ich jetzt nennen werde — ein Darlehen an die Stadt Bonn oder an Nachbargemeinden mit 6,5 Millionen DM, zusammen also 219,8 Millionen DM hinzukommen werden. Wenn diese illustrierte Zeitung — ich weiß nicht einmal ihren Namen — von 600 Millionen DM spricht, dann muß ich sagen, daß sich hier das Gesetz der Anziehungskraft auswirkt. Die Bundeshauptstadt wurde errichtet, und dann kamen die Barackengebäude der SPD, dann kamen die Landwirtschaftseinrichtungen und weiß Gott was alles noch mehr. In all diesen Faktoren ist die Begründung für die Summe von 600 Millionen DM zu suchen; aber ich lasse mich gern belehren.
    Ich verdanke nun auch diese Mitteilung über die Kosten des Bundespostministeriums der illustrierten Zeitschrift.

    (Abg. Dr. Dresbach: Herr Ritzel, in Frankfurt hätte es auch nicht viel weniger gekostet!)

    — Herr Kollege Dr. Dresbach, erlauben Sie mir dazu eine Bemerkung. Die Stadt Frankfurt ist eine reiche Stadt; sie hätte sich das was kosten lassen und was kosten lassen können. Sie sind Kommunalpolitiker wie ich. Mir tut die Stadt Bonn leid im Hinblick auf das, was hier angerichtet worden ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich sehe eine grauenvolle Zukunft für die Stadt
    Bonn voraus, wenn einmal die Wiedervereinigung
    vollzogen sein und die Bundeshauptstadt Berlin heißen wird.

    (Abg. Dr. Dresbach: Dann wird Bonn nach Köln eingemeindet! — Heiterkeit.)

    — Bonn nach Köln eingemeinden? Das ist auch schon in diesem X-Artikel erörtert. Man fragt sich nur, wie man dann die Entfernungen zu den Arbeitsplätzen abkürzen kann, wenn Bonn nach Köln eingemeindet wird. Aber wollen wir dieses Kapitel verlassen, so interessant es auch ist.
    Einige Bemerkungen zur Wirtschaftspolitik! Wir werden in der nächsten Zeit mehr als in der jüngsten Vergangenheit über das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer zu reden haben. Wir werden auch veranlaßt sein, unsere wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik illusionsfrei einzuschätzen. Wir hören soviel von Lorbeeren, die in einer bestimmten Richtung von den Bäumen der echten oder falschen Erkenntnis gepflückt werden. Wir vergessen dabei, daß es nicht nur die Produkte der sozialen Marktwirtschaft sind, die laut Herrn Professor Erhard höher einzuschätzen sind als nach Herrn Bundesfinanzminister Schäffer. Wir vergessen, daß vor allem die Tüchtigkeit unseres Volkes, die Enteignung unserer Sparer, die Dollarhilfe der Amerikaner und die Kreditaktionen der Bundesrepublik bei der Entwicklung Pate gestanden haben, die jetzt vor uns steht. Dann vergessen wir eins, was in den Vorbemerkungen dankenswerterweise nicht vergessen ist. Da heißt es: „Der eigentliche Auftrieb wurde erst durch den Ausbruch der Korea-Krise ausgelöst."

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es gab einen Tag, den Währungsstichtag des 20. Juni 1948, an dem wir alle mit 40 DM angefangen haben. Es ist erstaunlich, wieviel tüchtige Menschen wir in der Bundesrepublik haben. Wenn wir die Investitionszahlen einmal zugrunde legen und die Investitionskonjunktur Revue passieren lassen — natürlich stecken darin auch Bundesmittel; aber es sind auch in sehr erheblichem Umfange andere Gelder darin enthalten —, dann sehen wir, daß 1951 24,12 Milliarden, 1952 27,2 Milliarden und 1953 29,66 Milliarden DM investiert wurden.
    Teilen Sie nicht das Erstaunen, daß das möglich geworden ist? Verstehen Sie nun auch die Haltung unserer sozial bedrängten Volksschichten, wenn sie diese Zahlen zur Kenntnis nehmen oder wenn sie hören, daß neulich in einem nicht den deutschen Aktionären, sondern den Amerikanern gehörenden Betrieb — das wird besonders unsere Bankiers hier im Bundestag sehr interessieren — 66 % Dividende ausgeschüttet werden konnten? Die Steigerung des Bruttosozialprodukts wirkt sich durchaus nicht, wie es oft behauptet wird, zugunsten der unteren Schichten unseres Volkes aus. In bezug auf die Nutzanwendung aus der Steigerung des Sozialprodukts in der Bundesrepublik sind so erhebliche Differenzen in den Meinungen verantwortlicher Persönlichkeiten aufgetreten, daß es — ich möchte hier an etwas anknüpfen, was vorhin schon gesagt wurde — wirklich erwünscht wäre, einmal zu wissen bzw., nachdem laut Grundgesetz der Herr Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, einmal authentisch zu erfahren, ob bei der Bewertung der Steigerung des Sozialprodukts der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundesfinanzminister recht hat.


    (Ritzel)

    Wie mein Herr Vorredner möchte auch ich ein gutes Wort für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung einlegen, aber eine Frage an die Bundesregierung richten, um deren baldige Beantwortung, zumindest im Haushaltsausschuß, ich bitte. Die Angaben in den Erläuterungen genügen nicht. Die Bundesregierung sieht für einen bundeseigenen Betrieb, nämlich das Kupferbergwerk Sontra, im neuen Haushalt nur noch einen Zuschuß von 3,2 Millionen DM vor. Wir haben uns im Haushaltsausschuß wie oft schon über diese Dinge unterhalten, aber ich glaube, die Bundesregierung ist schlecht beraten, wenn sie meint, mit einer derartigen Hälftelung des bisherigen Bundeszuschusses dieses Werk irgendwie erhalten und der dort beschäftigten Arbeiterschaft gerecht werden zu können.
    Zum Thema Wirtschaftspolitik noch zwei abschließende Bemerkungen. Die erste zum Thema der Preispolitik. Es hat den Anschein, als ob die in Aussicht genommene Aufrüstung bereits sehr bedenkliche Schatten vorauswirft. Mir ist mitgeteilt worden, ,daß in der Armaturenindustrie heute bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit gearbeitet werde und daß trotz auskömmlicher Preise die Absicht weiterer Preiserhöhungen bestehe, um die Konjunktur auch im Hinblick auf die kommende Rüstungsindustrie auszunützen.
    Und eine weitere entgegengesetzte Bemerkung zu den Ansätzen im neuen Bundeshaushalt in bezug auf das Gewerbe und die Förderung des Gewerbes. Im Jahre 1953 waren 6 Millionen DM für Gewerbeförderung bewilligt, 1 Million im ordentlichen Haushalt, 5 Millionen im außerordentlichen. 1954 waren es wiederum 6 Millionen in der gleichen Weise. 1955 sieht die Regierungsvorlage für Gewerbeförderung nur 2 Millionen im ordentlichen und 2 Millionen im außerordentlichen Haushalt vor. Der Bundesratsbeschluß vom 3. Dezember 1954 wünscht 2 Millionen DM im ordentlichen Haushalt und 4 Millionen DM im außerordentlichen Haushalt. Ich möchte die Regierung einladen, sich doch darauf einzurichten, dem Haushaltsausschuß bei der Erörterung dieses Punktes des Etats eine vielleicht befriedigendere Regelung vorzuschlagen.
    Einige Bemerkungen zum Ernährungshaushalt! Der Herr Kollege von Merkatz sprach heute morgen von den Ernteschäden. Die Bundesregierung hat bisher — bis auf die furchtbaren Ernteschäden, die vor einigen Monaten in Bayern eingetreten sind — eine sehr große Zurückhaltung in bezug auf Ernteschädenregulierung aus Bundesmitteln bewiesen. Es liegt ein einstimmiger Beschluß des Bundestages vor, der die Bundesregierung auffordert, mehr zu tun und wirklich zu helfen. Ich wäre dankbar, wenn über den Stand der Dinge entweder hier oder demnächst im Haushaltsausschuß durch die Regierung nähere Aufklärung gegeben werden könnte.
    Im übrigen fällt im Ernährungshaushalt wieder diese peinliche Einnahme aus den Abschöpfungsbeträgen auf, peinlich deshalb, weil sich in dieser Zahl die Belastung der Verbraucher ausdrückt, welche mit der Durchführung der Marktordnungsgesetze verbunden ist. Wie sich diese Belastung entwickelt hat, ist in drei Zahlen zu sehen. Es wurden 1952 109 Millionen DM abgeschöpft, 1953 waren es 267 Millionen DM, jetzt erwartet man im Einnahmeteil des Haushalts 383 Millionen DM Abschöpfung zu Lasten des Brotgetreidepreises und des Zuckerpreises. Leider Iäßt der Haushaltsplan jeden Ausgleich dieser Belastung zugunsten der Konsumenten verrnissen, obwohl die Marktordnung nicht nur den Erzeugern, sondern auch den Verbrauchern dienen sollte und ganz bestimmt nicht als eine vollkommene Einnahmequelle für den Finanzminister gedacht war.
    In diesem Zusammenhang darf auch die Feststellung getroffen werden: Im Haushaltsplan sind leider keine Anzeichen dafür zu finden, daß die Regierung bereit wäre, der am Verfahren der Marktordnung, insbesondere an der Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen, geübten Kritik in durchgreifender Weise Rechnung zu tragen. Die Kosten für die Vorratshaltung sind um rund 20 Millionen höher und die Senkung für die Kosten der Bürokratie der Marktordnung in Höhe von rund 400 000 DM veranschlagt, eine Summe, die sehr fragwürdig wird, wenn man dazu die Berner-kung liest, daß es sich hier nur um vorläufige Zahlen handele, weil die endgültigen Haushaltspläne noch nicht vorlägen. Wenn man aber, was sich ebenfalls aus dem Haushaltsplan ergibt, zur Kenntnis nimmt, daß sich der Personalbestand um ganze 13 Arbeiter und Angestellte vermindern soll, dürften die endgültigen Zahlen wohl auch auf diesem Gebiet noch anders aussehen.
    In diesem Zusammenhang muß auch der Betrag für die Erstattungen erwähnt werden, der mit 14 Millionen DM ausgewiesen wird. Hier handelt es sich um die Erstattung solcher Kosten und Gebühren, die von den Dienststellen des Ernährungsministeriums ohne Rechtsgrundlage erhoben worden sind und die nun zum Teil im Klagewege mit sehr erheblichen Prozeßkosten für den Bund zurückgefordert werden. Bedenkt man, daß diese Kosten von den Importeuren natürlich in der Regel an den Letztverbraucher weitergegeben worden sind, dann hat man ein anschauliches Beispiel dafür, wer eigentlich die Zeche für eine Geschäftsführung zahlen muß, für deren Kennzeichnung man um einen parlamentarischen Ausdruck verlegen ist.
    Vergeblich sucht man im Haushaltsplan nach irgendwelchen Beträgen, die für die Realisierung der Forderungen erforderlich sind, die man landläufig unter dem Begriff „Parität" zusammenfaßt. Das ist um so bemerkenswerter, als sich doch neulich offenbar auch der Bundeskanzler gegenüber dem Dreier-Präsidium des Bauernverbandes zu dieser Parität bekannt hat. Wenn im Haushaltsplan keineswegs die erheblichen Mittel eingesetzt worden sind, die für die an sich berechtigte Forderung nach einer industriegleichen Bezahlung der in der Landwirtschaft tätigen Kräfte erforderlich sind, muß daraus entweder geschlossen werden, daß man sich die Finanzierung der Erfüllung dieser Ansprüche durch Erhöhung der Lebensmittelpreise vorstellt, oder aber — und das liegt bei allen Erfahrungen wohl noch näher —, daß man sich seitens der Regierung in Zukunft ebensowenig um die Erfüllung solcher Forderungen und Versprechungen bemühen wird, wie man es in den zurückliegenden Jahren getan hat. Um so mehr bedauern wir, daß für all die Maßnahmen, die für nachhaltige Besserung der landwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit der landwirtschaftlichen Rentabilität entscheidend sind, praktisch nur dieselben unzulänglichen Mittel aufgewendet werden, die im letzten Haushaltsplan standen. Auch wenn man dazu alles das addiert, was an sogenannten Förde-


    (Ritzel)

    rungsmitteln in kleine und kleinste Beträge zersplittert auf soundso viele Institute verteilt eingesetzt werden soll, und wenn man dazu noch die 20 Millionen, die für die Landwirtschaft durch die Verbilligung des von ihr verbrauchten Treibstoffes ausgeworfen werden, und schließlich die erhöhte Ablieferungsprämie addiert, ,die allerdings von rund 5 Millionen auf 32 Millionen erhöht werden soll, reicht das alles nicht aus, um in der kurzen Zeit, die dazu zur Verfügung steht, das nachzuholen, was gegenüber der Landwirtschaft in vielen Jahren versäumt worden ist. Ich kann also per Saldo nur das tiefe Bedauern des Herrn von Merkatz teilen, der auch nicht an einen nennenswerten Erfolg glaubt.
    Einige Bemerkungen noch zum Verkehrshaushalt. Wir alle erwarten die beschleunigte Verabschiedung des in Gang befindlichen Gesetzgebungswerks unter der Voraussetzung, daß wirklich gleiche Startbedingungen für Schiene und Straße geschaffen werden. Wir möchten auch wünschen, daß die Bundesregierung angesichts der steigenden Motorisierung eine ernste Aufmerksamkeit auf eine großzügige Lösung bezüglich der Radfahrwege lenkt. Wer Automobilist ist, der weiß, daß es für ihn kein größeres Grauen gibt als die Gefahr der Karambolage mit Radfahrern etwa in der Zeit des Zwielichts. Das sind Dinge, die nach Regelungen rufen und für die im Ausland — ich nenne nur die Schweiz — genügend gute Beispiele vorhanden sind.
    Meine Damen und Herren, wir erleben so viel — besonders im Haushaltsausschuß, aber selbstverständlich auch in dem dazu berufenen Fach-ausschuß — an Stellung von Anträgen auf Herrichtung der und jener Straße. Hier offenbart sich eine kleine Tragik des Hauses. Diese Anträge haben in der Regel das Schicksal, daß sie der Bundesregierung als Material überwiesen werden. Damit wird ein Zustand herbeigeführt, der praktisch bedeutet, daß die Bürokratie — ich sage es mit allem guten Willen und ohne böse Absicht — des Bundes bestimmender ist als der Wille des Parlaments. Was dann nicht als Material verwendbar erscheint, nun, das kommt zunächst nicht wieder, und die Gesetzmäßigkeit, die bei der Verabschiedung solcher Vorschläge und Haushaltspläne nun einmal obwaltet, bedeutet für viele derartige Anträge ein Begräbnis erster Klasse.
    In bezug auf die Bundesbahn habe ich nur einen Wunsch — ich will von den Einzelheiten absehen, die ich mir notiert habe —, und ich glaube, den teilt das ganze Haus: ich möchte wünschen, daß da, wo so horrende Mittel des Bundes eingesetzt werden, dem Hause auch mit mehr Klarheit über die Finanzgestaltung der Bundesbahn berichtet wird, als es bis jetzt vielfach der Fall gewesen ist. Bei der ganzen Gestaltung dessen, was auf dem Gebiete der Bundesbahn möglich ist, bleibt als Resümee zunächst doch nur ein Zustand des erheblichen Unbefriedigtseins. Notwendige Aufgaben können nach wie vor nicht gemeistert werden. Die Arbeiterzüge sind vielfach in einem verheerenden Zustand. Für die Sicherung der schienengleichen Bahnübergänge, die Errichtung von Warnvorrichtungen ist im ganzen Haushalt 1 Million DM vorgesehen. Das sind Zustände, die wirklich nach einer Änderung rufen.
    Aber abgesehen von der Bundesbahn beschäftigt uns ja auch die Straße in einem entscheidenden
    Ausmaß. Lassen Sie mich hierzu wenige Bernerkungen machen. Beim Straßenbau — und das ist ein praktischer Vorschlag für den Haushaltsausschuß — sollten die 10 % der Etatendsumme, über die nur mit Zustimmung des Bundesfinanzministers verfügt werden kann, zu Beginn des Haushaltsjahrs freigegeben werden, da nur dann zweckentsprechend über diese Mittel zur Unterhaltung von Bundesstraßen und Bundesautobahnen verfügt werden kann. Auch in bezug auf die Ausgabenansätze des außerordentlichen Haushalts sollen die Mittel sofort bei Beginn des Etatjahrs zur Verfügung gestellt werden; sonst besteht die Gefahr, daß wertvolle Wochen bester Bauzeit vergehen, die nicht mehr aufgeholt werden können.
    Für die Bundesfernstraßen sind unter Tit. 750 bis 800 des ordentlichen Haushalts zusätzliche 20 Millionen DM für die Bundesstraßen und 80 Millionen DM für die Bundesautobahnen vorgesehen. Hier ist eine wesentliche Erhöhung dringend erforderlich, da sonst niemals ein langfristiges Programm zur Durchführung kommen kann.
    Im Haushaltsausschuß sollte auch versucht werden, die Tit. 531 für Darlehen und 601 für Zuschüsse wesentlich zu verstärken, ebenso die Mittel für Zubringerstraßen der Bundesautobahnen. Die Deckung kann aus den Erträgnissen des geplanten Verkehrsfinanzgesetzes erfolgen.
    Ich sehe von allen Spezialwünschen und -vorschlägen ab. Aber in einer Hinsicht erbitte ich die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses für einen auf die Dauer unmöglichen und unerträglichen Zustand. Einige Mitglieder des Bundestages und der Herr Bundesverkehrsminister — auch der Herr Bundeskanzler — haben heute morgen bei Köln eine neue Brücke eingeweiht. Ein sehr erfreulicher Tatbestand! Es wäre sehr an der Zeit, daß ein Gefahrenherd erster Ordnung durch die Erstellung einer weiteren neuen Brücke, nämlich einer Brücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen, beseitigt wird. Hier herrschen unerträgliche Verkehrsverhältnisse, und die Brücke befindet sich in einem Zustand, der eines Tages zu einer Katastrophe führen kann.
    Ich habe nur noch zwei Dinge, über die ich sprechen möchte. Ein Wort zugunsten der Gemeinden! Die Gemeinden sind in unserem Grundgesetz — das hat Herr Kollege Dresbach vor einiger Zeit so beredt zum Ausdruck gebracht — entschieden zu kurz gekommen. Ich möchte sehr wünschen, daß in dem Verhältnis Bund, Länder und Gemeinden endlich ernsthafte Ansätze gemacht werden, um eine eigenständige Finanzverantwortung der Gemeinden und Gemeindeverbände herbeizuführen, und daß die Gemeinderechte auf Erhebung der Realsteuern einwandfrei und eindeutig gesichert werden. Man sollte auch der Tatsache Rechnung tragen, daß 1913 die Gemeinden am öffentlichen Gesamthaushalt mit 39 % partizipierten, heute dagegen trotz ihrer Riesenbelastung durch den Wiederaufbau der zerstörten Städte und Gemeinden nur mit 20 % daran teilhaben. Die riesige Belastung der Kommunen durch den Wiederaufbau muß durch geeignete Mittel und Maßnahmen des Bundes überwunden werden.
    Obwohl es sich nicht um eine Landessache handelt, möchte ich noch ein Problem ansprechen, das sich aus der Bundesgesetzgebung ergibt; ich meine den Bereich der Justiz. Es ist ein eminent politisches Problem, wenn ich feststelle, daß jeder, der aufmerksam .die Entwicklung auf dem Gebiet der


    (Ritzel)

    Rechtspflege verfolgt, nicht ohne Sorge beobachten kann. Gerade die Durchführung des Amnestiegesetzes hat gezeigt, daß oftmals bei Staatsanwaltschaften und Gerichten eine Haltung zu beobachten ist, die etwa sozialdemokratische Delinquenten nicht ganz so wohltätig behandelt wie Leute anderer Couleur. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In einem Fall wurde — und das ist gar keine Seltenheit — ein Verfahren, bei dem es sich um den Ehrenschutz eines Sozialdemokraten handelte, bis zur Dauer von zwei Jahren verschleppt. Als dann die Amnestie kam, wurde der Beschuldigte amnestiert. Wenn es sich aber um einen Sozialdemokraten handelte, dann wurde das Verfahren vielfach in einem erstaunlichen Umfang beschleunigt. Vor kurzem äußerte ein Sozialdemokrat irgendwelche Zweifel in bezug auf irgendwelche Kriegsauszeichnungen eines Dritten. Er wurde sofort angezeigt und mit Klage überzogen. Das Verfahren wurde mit größter Beschleunigung rasch vor der Amnestie durchgeführt.
    Es gibt noch andere sehr merkwürdige Dinge auf dem Gebiet. Einen ganz schlimmen Fall darf ich Ihnen kurz nennen. Da war ein Mann, Rechtsanwalt seines Zeichens, angeschuldigt des Totschlags. Eine Staatsanwaltschaft hat diesem früheren SS-Oberscharführer und SS-Richter, obwohl er Volljurist ist, in einem Verfahren wegen Totschlags bescheinigt, „ihm sei in Anbetracht seiner Dienststellung" — nun hören Sie bitte gut zu — „als SS-Richter zur Tatzeit eine Einsichtsfähigkeit nicht zuzumuten, die Straftat zu unterlassen".

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Es ist nicht mein Deutsch, das ich Ihnen hier vortrage. Und dann: „Da er keine Freiheitsstrafe von I mehr als drei Jahren Gefängnis wegen Totschlags zu erhalten habe, sei das Straffreiheitsgesetz auf ihn anzuwenden".

    (Erneute Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Abg. Krammig: War das in Hessen oder wo?) — Nein, das war in Bayern, Herr Kollege. —

    Das reiht sich würdig einem Vorgang an, der ein Mitglied dieses Hauses betrifft. Vor einigen Monaten hat das Hohe Haus sich — ich glaube, zum zweiten Mal — mit der Aufhebung der Immunität eines bestimmten Abgeordneten befaßt; ich nenne seinen Namen: es war der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete mein Freund Odenthal. Er war eines kriminellen Delikts angeschuldigt. Der Ausschuß befürwortete die Aufhebung der Immunität, die der Staatsanwalt angeregt hatte. Obwohl der beschuldigte Abgeordnete von der Regelung Gebrauch gemacht hatte, die der Bundestag seinerzeit einstimmig beschlossen hat, nämlich der Staatsanwaltschaft gegenüber seinen Standpunkt zu vertreten, ohne daß dadurch bereits in irgendeiner Weise die Immunität beeinträchtigt würde, hat die Staatsanwaltschaft zum zweiten- oder gar zum drittenmal die Aufhebung der Immunität gewünscht. Das Hohe Haus ist diesem Ersuchen aus Gründen der Objektivität nachgekommen. Schön! Was ist jetzt? Der Herr Staatsanwalt hat dem Herrn Abgeordneten Odenthal mit Datum vom 20. November 1954 lakonisch mitgeteilt: „Ich habe das Verfahren gegen Sie mangels Verdacht eingestellt".

    (Abg. Arnholz: Hört! Hört!)

    Meine Damen und Herren, keine andere Grundlage
    ist in den Akten als die, die schon vorhanden war,
    als der Herr Staatsanwalt zum wiederholten Mal
    die Aufhebung der Immunität eines sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gewünscht hat. Ich mache dem Bundestag keinen Vorwurf, daß er die Immunität aufgehoben hat. Aber ich mache der Justiz den Vorwurf, daß sie das, was sie vorher gewußt hat, erst noch benutzte, um einen Menschen, einen Volksvertreter, einen Bundestagsabgeordneten im Urteil der Öffentlichkeit madig zu machen, um ihm nachher mitzuteilen: „Ich habe das Verfahren mangels Verdacht eingestellt".

    (Abg. Arnholz: Was geschieht mit diesem Staatsanwalt? — Zurufe von der SPD: Befördert!)

    — Was geschieht mit diesem Staatsanwalt? Das ist eine Frage,

    (Abg. Krammig: Die gehört nicht in die Zuständigkeit des Bundes!)

    die an den Justizminister von Rheinland-Pfalz zu richten ist. Aber vielleicht kann sich der Bundesjustizminister, der leider nicht anwesend ist, der Sache einmal annehmen.
    Zum Schluß habe ich noch eine Frage an die Bundesregierung, die jetzt erfreulich zahlreicher vertreten ist.

    (Abg. Mellies: Zahlreich ist wohl reichlich übertrieben!)

    — Erfreulich zahlreicher, Herr Kollege Mellies,

    (Abg. Heiland: Sie hat sich vervierfacht!) ich habe mich nur relativ ausgedrückt.

    Ich möchte die Bundesregierung fragen — die Fragestellung ist ja bei einer Etatberatung erlaubt; sie hat mit dem Etat zu tun; sie hat nämlich mit der ganzen Politik der Bundesregierung bzw. mit ihrer Mehrheit zu tun —: Kommt das Wahlgesetz für die Wahl des nächsten Deutschen Bundestags früher als drei Monate vor dem Zu-Ende-Gehen der Kompetenz dieses Bundestages oder dient das Wahlgesetz dazu, so lange die Koalition an der Kandare zu halten?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir sind doch Menschen, die die Freiheit lieben, und wir möchten gerne unsere Willensbildung so frei und so unabhängig wie möglich gestalten. Es wäre sehr nett von der Bundesregierung, wenn sie die Liebenswürdigkeit haben wollte, das neue Jahr 1955 zu benutzen, um recht bald ein neues Wahlgesetz vorzulegen. Wie sagte doch der Herr Bundesinnenminister aus diesem Anlaß?

    (Abg. Heiland: Nie sollst du mich befragen!)

    Im Sommer 1954 sagte unser verehrter Herr Bundesminister, daß er bemüht sei, bis Weihnachten die Fragen um das Bundeswahlgesetz einer Klärung zuzuführen. Meine Damen und Herren, es ist kalendarisch nicht möglich; sonst wären wir gezwungen, die Weihnachten erheblich zu verlegen.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niederalt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Alois Niederalt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Fülle des Stoffes, der im Rahmen der politischen Aussprache zum Haus-, halt zur Verfügung steht, möchte ich nur einige wenige grundsätzliche Themen herausgreifen. Ich möchte mich insofern etwas anders verhalten als


    (Niederalt)

    mein verehrter Herr Vorredner, der, glaube ich, in einzelnen Dingen doch eine Debatte vorweggenommen hat, die nach meiner Ansicht vielleicht besser in die zweite Lesung, nämlich in die Beratung der einzelnen Etats, gehört hätte. Da wir hier so beinahe hätte ich gesagt: gemütlich — im kleinen trauten Verein einiger weniger Interessierter beisammen sind, muß ich doch tauf das zurückkommen, was heute im Verlauf der Debatte schon wiederholt angeklungen ist, nämlich auf die Kritik am Verhältnis zwischen Bund und Ländern, auf die Kritik am Bundesrat, an dem Verhalten der Länder. Es wurde einiges Schöne gesagt, es wurde aber überwiegend Kritik geübt. Der Herr Staatssekretär Hartmann hat gestern in seiner Etatrede, die er für den Bundesfinanzminister vorgetragen hat, in einem Satz ausgeführt, daß er sich, um das schwierige Verhältnis zwischen Bund und Ländern nicht noch mehr zu belasten, die größte Zurückhaltung auferlege. Wenn wir es also bisher nicht gewußt hätten, meine Damen und Herren, vom Zeitpunkt der Etatsrede ab wissen wir es authentisch und amtlich: das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ist, zur Zeit wenigstens, alles andere als eitel Glück und Sonnenschein.
    Trotz des Unmuts, der aus der wohlüberlegten Formulierung in der Etatrede spricht, glaube ich aber, daß wir alle von der Überzeugung ausgehen dürfen, daß zumindest der Bundesfinanzminister selbst nach wie vor dieses kritisierte Prinzip des föderativen Staatsaufbaus für das richtige hält. Der Unmut richtet sich also offensichtlich nicht gegen die Sache als solche, sondern gegen die Behandlung, gegen die Methode.

    (Abg. Dr. Dresbach: Jawohl!)

    Es kann in der Tat nicht geleugnet werden, daß die Handhabung dieses schwierigen Ordnungsprinzips, ,des föderativen Staatsaufbaus, in vielen Fällen in der jüngsten Zeit nicht immer recht glücklich war. Wer beispielsweise am vergangenen Freitag im Bundesrat drüben die Behandlung des Finanzverfassungsgesetzes erlebt hat, wer erlebt hat, daß der Bundesrat leider Gottes beschlossen hat, den Vermittlungsausschuß nicht anzurufen, also nicht zurückzugehen auf jenes verfassungsmäßige Organ, das mit Bedacht in das Grundgesetz eingebaut wurde, um Differenzen zwischen den beiden Häusern auszugleichen, um zu vermitteln, sondern einfach nein sagte, der kann — vor allem, wenn er mit ganzem Herzen und mit innerer Anteilnahme Föderalist ist — wenig erfreut sein über einen solchen Beschluß.

    (Abg. Dr. Willeke: Sehr richtig!)

    Erfreut können schon viel, viel mehr diejenigen sein, die grundsätzliche Gegner des Föderalismus, grundsätzliche Gegner des Bundesrats sind, weil sie wissen: wenn so gearbeitet wird, kommen die Dinge auf uns selbst zu.

    (Abg. Heiland: Wer hat denn die Mehrheit in dem Gremium?)

    — Herr Heiland, ich brauche Ihnen doch kein staatsrechtliches Kolleg zu geben. Die Mehrheit im Bundesrat ist verschieden, sie wechselt nach den Landesregierungen, das wissen Sie doch.

    (Zuruf von der SPD: Die ist sehr eindeutig!)

    -- Sehen Sie!
    Ich habe eben schon das Thema der Finanzverfassung angeschnitten. Der ganze Verlauf der
    Finanzreform war überhaupt nicht sehr glücklich; auch das möchte ich in aller Freiheit aussprechen. Wirkliche Konzeptionen, die da und dort sowohl auf der Bundesseite als auch ab und zu auf der Seite der Länder vorhanden waren, mußten während der Verhandlungen immer mehr zurücktreten und dem Jonglieren mit Zahlen ausweichen. Aus einer großen staatspolitischen Aufgabe wurde praktisch eine Rechenaufgabe, und eine Rechenaufgabe wird vermutlich auch wieder die Aufgabe sein, die uns im jetzigen Haushalt unmittelbar interessiert: die Lösung der Frage, ob 40 °/o Einkommen- und Körperschaftsteueranteil, wie der Bundesfinanzminister zugrunde legt, oder 36 01e, wie der Bundesrat fordert.
    Meine Damen und Herren, wenn wir Abgeordneten des Deutschen Bundestags hier einmal ganz ehrlich sind, müssen wir, glaube ich, zugeben, daß kaum einer unter uns ist, der sich 'ein eigenes Urteil in dieser Frage bilden kann; er müßte sich sonst monatelang ausschließlich mit dieser Materie befassen.

    (Zuruf links.)

    — Vielleicht gibt es Ausnahmen. Ich bin gerne bereit, die anzuerkennen. Ich meine, es ist doch so, daß wir uns im Grunde genommen nur entscheiden können, welchen Rechenkünstlern auf der einen oder auf der andern Seite wir mehr Vertrauen schenken. Das scheint mir das letzte Votum zu sein. Ich stehe nicht an zu sagen, daß das gerade vom föderativen Standpunkt aus ein unguter Zustand ist. Deshalb sind wir insoweit durchaus der Meinung, daß es, wie es auch der Bundesfinanzminister in seiner Etatsrede wieder betont hat, einen Fortschritt bedeutete, wenn wir aus dem jährlichen Tauziehen herauskämen und — ich habe schon im Frühjahr bei der ersten Haushaltsdebatte das gleiche gesagt — wenigstens in ein dreijähriges Stadium hineinkämen, wie es das Finanzverfassungsgesetz vorgesehen hat.
    Darüber hinaus erhoffen und wünschen wir eine verstärkte Rücksichtnahme auf beiden Seiten, auf seiten des Bundes und auf seiten der Länder. Wenn ich mir durch den Kopf gehen lasse, was die Ursache dieser Reibereien, wie man so bei uns zu Hause sagt, ist, so meine ich fast: daran ist mit schuld, daß diese Differenzen häufig nicht oben auf der politischen Ebene, sondern auf der Ebene der Ministerialbeamten ausgetragen werden.

    (Abg. Lücke: Sehr richtig! — Abg. Dr. Gülich: Der Länder?!)

    — Auch des Bundes, Herr Professor Gülich! Dort wird oft die Anwaltsmethode geübt. Das heißt also, um es mal ganz deutsch zu sagen: ein Ministerialdirigent des Bundesfinanzministeriums hat diese und jene finanzverfassungsrechtliche Theorie vertreten und auch mit Zahlen belegt usw.; nun muß natürlich sofort der Ministerialdirigent in irgendeinem Lande — das kann sich überall abspielen — den Nachweis führen, daß er die Materie doch noch etwas besser beherrscht und es dem andern wieder etwas „gegeben" hat. Das meine ich, wenn ich sage: ich habe das Gefühl—vielleicht täusche ich mich—, daß sich diese Auseinandersetzungen weniger auf der politischen Ebene unter den gesamten politischen Gesichtspunkten, sondern mehr mittelbar, manchmal sogar unmittelbar auf der Ebene der höheren Ministerialbürokratie abspielen. Daher scheinen mir gewisse Schwierigkeiten zu kommen.

    (Abg. Lücke: Das gilt insbesondere für den Bundesrat!)



    (Niederalt)

    Aus der Kritik, die schon den ganzen Tag durchgeklungen hat — ich habe sie absichtlich etwas eingehend behandelt —, sind nun Schlußfolgerungen gezogen worden, die mir — und da bitte ich um Verständnis, weil ich weiß, daß ein großer Teil des Hauses nicht meiner Meinung ist — zu weit gehen. Vor allem hat Dr. von Merkatz — wenn ich mich nicht täusche, auch Herr Eckhardt — die Schlußfolgerung gezogen, daß eine Bundesfinanzverwaltung kommen müsse, und auch Herr Dr. Dresbach hat gestern in einem andern Zusammenhang den Stoßseufzer nach einer Bundesfinanzverwaltung ausgestoßen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Er tut es gleich wieder!)

    — Herr Dr. Dresbach, Sie brauchen gar nichts zu sagen. Ich kenne Sie viel zu gut und weiß ganz genau, wie Sie über diese Dinge denken. Ich weiß ganz genau, daß Sie ab und zu Bonmots dazwischenstreuen, um eine gewisse Auflockerung zu erreichen, und ich halte auch diesen Stoßseufzer für ein Bonmot. Denn wenn ein so gewichtiger Mann wie Sie, Herr Dr. Dresbach, in einer nicht unbedeutenden Frage nur einen kleinen Stoßseufzer ausstößt, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß das Anliegen für Sie so eminent wichtig ist.

    (Abg. Dr. Dresbach: Was meinen Sie mit „gewichtig"?)

    — Ich meine doch, sonst hätten Sie nicht nur einen Stoßseufzer ausgestoßen, sondern vielleicht ein gewichtigeres Wort, Ihrer gewichtigen Persönlichkeit entsprechend, gesprochen.

    (Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, aber nun ernsthaft: Wir von der CSU lehnen die Bundesfinanzverwaltung ab, weil sie nach unserer Auffassung eine weitgehende Verschiebung des föderativen Aufbaus unserer Bundesrepublik in Richtung auf den zentralen Einheitsstaat bedeuten würde. Wir haben doch diesen Einheitsstaat schon erlebt!

    (Abg. Dr. Gülich: Vom Einheitsstaat ist damit ja gar nicht die Rede!)

    — Herr Professor Gülich, Sie können doch nicht leugnen, daß die Einführung der Bundesfinanzverwaltung ein weiteres Wegnehmen von Hoheitsrechten der Länder bedeutet. Sie können weiter nicht leugnen, Herr Professor Gülich, daß wir uns auf diesem Gebiet sowieso in der Defensive befinden.

    (Abg. Dr. Gülich: Denken Sie an die Haltung Bayerns in der Reichsfinanzverwaltung!)

    Meiner Ansicht nach — Sie können ruhig anderer Ansicht sein — ist das mit ein wichtiger Schritt hin zum Einheitsstaat. Und gerade heute angesichts der kommenden politischen Aufgaben möchte ich Sie doch bitten, meine Damen und Herren, nachzudenken, ob dieser Einheitsstaat wirklich so ersehnt werden muß. Wir haben ihn ja schon einmal erlebt.

    (Abg. Dr. Gülich: Herr Niederalt!) — Herr Professor Gülich?


    (Abg. Dr. Gülich: Die Bundesfinanzverwaltung ist vielleicht der Rettungsanker für den Föderalismus!)

    — Herr Professor Gülich, ich bezweifle nicht, daß Sie es vielleicht persönlich gut meinen.

    (Abg. Dr. Gülich: Das wäre ja noch schöner!)

    — Sie könnten es ja auch bös meinen!

    (Abg. Heiland: Er ist doch nicht aus Bayern!)

    Ich könnte vielleicht der Ansicht sein, Sie seien ein Zentralist, und wenn Sie dann diesen Einwand machen, könnte es vielleicht auch bös gemeint sein. Es muß also nicht unbedingt sein, daß Sie es gut gemeint haben.
    Meine Damen und Herren, ich möchte auf diese Dinge heute gar nicht mehr eingehen. Gott sei Dank ist heute — darüber freue ich mich — in diesem Zusammenhang nicht wieder der Einwand gekommen, die Bundesfinanzverwaltung komme viel billiger. Sonst hätte ich auf Gutachten hinweisen müssen, die Sie von der SPD sehr gut kennen und die von dem bisherigen bayerischen Finanzminister Friedrich Zietsch stammen. Aber lassen wir die Frage. Wir wissen doch alle miteinander, daß es in unserem Staatsaufbau Grundsätze gibt, die nicht finanziell einkalkuliert werden können, die jenseits der Frage von billig oder teuer stehen.
    Lassen Sie mich noch einen praktischen Gesichtspunkt anführen. Meine Damen und Herren, ich frage mich immer wieder, was es denn soll, wenn wir dieses Thema anschneiden. Wir kommen doch praktisch keinen Schritt weiter. Jedermann weiß, daß die Einführung der Bundesfinanzverwaltung eine Grundgesetzänderung ist. Die Grundgesetzänderung erfordert die Zwei-Drittel-Mehrheit, — die Zwei-Drittel-Mehrheit nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat. Nun unterstelle ich einmal, im Bundestag käme die Zwei-DrittelMehrheit zustande. Ich unterstelle es; ich glaube nicht daran, weil ich fest überzeugt bin, daß meine Freunde von der CDU im Ernstfall doch wüßten, um welche Frage es geht; aber ich unterstelle es einmal. Niemals jedoch wird auch bei dieser Unterstellung die Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat zustande kommen, und zwar gleichgültig, meine Damen und Herren, wie die jeweiligen Länderregierungen zusammengesetzt sind. Das haben doch die bisherigen Erfahrungen schon ganz eindeutig bewiesen. Deshalb die einzig mögliche Schlußfolgerung aus dieser Erkenntnis: Legen wir doch diese Forderung nach einer Bundesfinanzverwaltung endlich, sei es aus Einsicht — was mir am liebsten wäre —, sei es aus praktischen Gründen, ad acta!
    Weil ich gerade vom Verhältnis Bund-Länder spreche, möchte ich in diesem Zusammenhang zu einem weiteren Punkt Stellung nehmen, der mir wichtig erscheint. Wir haben hier im Bundestag in diesem Jahr die Debatte über den Antrag auf Errichtung eines Bundeskultusministeriums erlebt und haben auch sonst schon ein paarmal recht schöne kulturpolitische Debatten hier gehabt. Auf der andern Seite müssen wir feststellen, daß unsere Landtage da und dort sich plötzlich mit der Außenpolitik befassen.

    (Abg. Lücke: Das kann man sagen!)

    Wir halten diesen Zustand nicht nur für unrichtig, sondern für gefährlich und einer vernünftigen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern absolut abträglich. Stellen wir uns doch endlich einmal alle miteinander in Bund und Ländern auf den Boden des Grundgesetzes und lassen wir den Ländern ihre Kulturpolitik! Wenn Sie, meine Damen und Herren von links oder von rechts, an dieser Kulturpolitik in dem einen oder andern Land etwas auszusetzen haben, dann haben wir doch alle mitein-


    (Niederalt)

    I arider Einwirkungsmöglichkeiten genug und müssen das nicht in diesem Hohen Hause austragen, das nach dem Grundgesetz dafür nicht zuständig ist.

    (Abg. Lücke: Sehr richtig!)

    Wir sind doch hier nicht als Einzelgänger, meine Damen und Herren, wir sind Angehörige einer Partei, über die wir unsere Forderungen, wenn wir glauben, daß etwas nicht richtig ist, durchsetzen können. Ich sage aber ausdrücklich auch: Die Länderparlamente, die sich auf außenpolitisches Gebiet begeben, begeben sich auf Glatteis,

    (Abg. Dr. Vogel: Sehr gut! — Abg. Dr. Dresbach: Ausgezeichnet!)

    und zwar aus verschiedenen Gründen. Sie begeben sich auf Glatteis erstens, weil sie in der
    Materie gar nicht unterrichtet sein können und
    nicht unterrichtet sind — sie haben nicht die Unterlagen, wollen wir das doch einmal feststellen! —,

    (Abg. Dr. Dresbach: Ausgezeichnet!)

    und sie begeben sich auf Glatteis auch in einer anderen Richtung: sie sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen.

    (Abg. Lücke: Sehr gut!)

    In dem Moment, wo sie sich um solche Dinge kümmern, gießen sie Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ein Landesparlament weder über die Außenpolitik noch über sonst irgendein Thema debattieren lassen wollen, weil sie grundsätzliche Gegner der Länderparlamente überhaupt sind. Deshalb möchte ich gerade von dieser Stelle aus dringend davor warnen, solche Wege zu beschreiten.
    Ich möchte nun das Thema Bund—Länder verlassen und mich einem Thema zuwenden, das uns von der CSU allen sehr am Herzen liegt. Es ist die Frage der regionalen Wirtschaftsförderung, die Frage der Förderung der Gebiete am Eisernen Vorhang.

    (Abg. Dr. Gülich: Das liegt uns allen am Herzen!)

    — Ich sagte „besonders", Herr Professor Gülich. Selbstverständlich liegt es auch Ihnen am Herzen, das weiß ich aus unseren Beratungen im Haushaltsausschuß.
    Zuvor eine Bemerkung. Der Herr Staatssekretär hat irgendwo in seiner Etatsrede u. a. auch gesagt, daß bei Forderungen an den Bund plötzlich auch die überzeugtesten Föderalisten an den Bund denken, obwohl die Priorität der Länder gegeben sei. Sollte, Herr Staatssekretär, diese Feststellung etwa auf das Zonenrandgebiet bezogen sein, so möchte ich hier in aller Form auf Art. 120 des Grundgesetzes verweisen, den Sie und ich kennen und der die Priorität des Bundes ganz eindeutig feststellt. Ich hoffe, daß mir das Haus insoweit zustimmt. Wenn ich hier über diese Zonenrandgebiete spreche, so möchte ich meine Legitimation, gerade aus Bayern kommend, darauf zurückführen, daß das Land Bayern im Osten eine Grenze von 849 km hat, von insgesamt 1749 km fast die Hälfte, gegenüber 430 km in Schleswig-Holstein, 548 km in Niedersachsen und 247 km in Hessen. Das sogenannte Ostrandgebiet in Bayern, also der bekannte 40-kmStreifen entlang der Ostgrenze, umfaßt 23 % der Gesamtfläche und 22,7 % der Gesamtbevölkerung Bayerns.
    Aus diesen Zahlen mögen Sie, meine Damen und Herren, die politische und wirtschaftliche Bedeutung dieser Frage erkennen, und in dieser Sicht werden Sie es vielleicht auch verstehen, daß wir über die bisherigen sogenannten Zonenranddebatten in diesem Hohen Hause nicht unbedingt glücklich waren. Wir haben den Eindruck, daß es sich nach der Auffassung vieler Damen und Herren dieses Hauses dabei nur um eine Frage von örtlicher Bedeutung handelt, womöglich um eine Frage von interessierten Wahlkreisabgeordneten. Mag sein, daß die Debatte selbst ab und zu zu diesem Eindruck beigetragen hat, weil sie manchmal etwas auf der Ebene der Wahlkreisoptik geführt worden und vor allem auch ein paarmal in die Ebene der Parteipolitik hinabgerutscht ist, und das ist immer ein Schaden, der zu Lasten der betroffenen Bevölkerung geht. Das Problem der Zonenrandgebiete ist keine Frage mit Lokalkolorit;

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    es ist eine Frage, die die gesamte Bundesrepublik interessieren muß. Es geht praktisch um die Frage: soll die Gefahr der Verödung, die durch die künstliche Grenzziehung mitten durch zusammenhängende Wirtschaftsräume entstanden ist, für die Zukunft gebannt und das gefährliche West-Ost-Gefälle beseitigt werden? Es geht um die Frage: kann und soll die vielfach in der Wirtschaft noch herrschende Grenzscheu überwunden werden, und kann damit auch die seelische Belastung der Bevölkerung überwunden werden, die sehr leicht zu einem allgemeinen Verlassenheitsgefühl führen kann? So, meine Damen und Herren, bitte ich diese Frage der Zonenrandgebiete zu sehen, nicht vom Standpunkt des Brotneids, nicht vom Standpunkt der Wahlkreisoptik. Wenn hier die wirksame Hilfe des Bundes nicht weiter anhält, nach unserer Auffassung nicht weiter intensiviert wird, so kann aus der wirtschaftlichen und psychologischen Situation heraus das Zonenrandgebiet tatsächlich zur weichen Stelle in der Front des Kalten Krieges werden, und das geht uns doch alle miteinander etwas an. Dem können wir nicht gleichgültig gegenüberstehen, ob wir nun im Westen der Bundesrepublik unsere Heimat haben oder im Osten, ob wir dieser oder jener Partei angehören.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auf Einzelmaßnahmen möchte ich hier nicht eingehen. Herr von Merkatz hat heute schon darüber gesprochen, und seine Vorschläge scheinen mir, so wie ich sie gehört habe jedenfalls, ausgezeichnet zu sein. Es muß auch anerkannt werden, daß bisher vom Bund auf dem Gebiet der Frachthilfe, der Energiepreishilfe und der Förderung des Fremdenverkehrs schon etwas geschehen ist, und ich stehe nicht an, hierfür der Bundesregierung auch einmal zu danken. Auch das Danken sollte man im Leben nicht ganz vergessen.

    (Sehr gut! und Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich muß aber hinzufügen, daß wir hier noch lange nicht am Ende sind. Wir müssen für diese Gebiete, überörtlich gesehen, vor allem den Ausbau von großen und größeren West-Ost-Straßenzügen verlangen, beispielsweise ,der Autobahn FrankfurtWürzburg—Nürnberg—Regensburg. Wir müssen den Au sbau des Wasserweges Rhein-Main-Donau-Kanal verlangen. Vielleicht verstehen Sie jetzt, meine Damen und Herren, warum ich im vergangenen Jahr bei der Beratung des Haushalts des Verkehrsministeriums so intensiv für den Ausbau


    (Niederalt)

    des Rhein-Main-Donau-Kanals bzw. für die Erhöhung um eine Million DM eingetreten bin.

    (Zuruf von der SPD: Das kostet nur Geld und bringt nichts ein!)

    In diesem Zusammenhang eine Frage, die wenigstens mich und, wie ich annehme, auch meine Freunde von der CSU etwas beunruhigt hat. Herr Kollege Schoettle ist heute schon darauf zu sprechen gekommen. Es betrifft den Einsatz der Arbeitskräfte. Wir haben die Zeitungsmeldungen, wonach der Bundeswirtschaftsminister Erhard sich im Ausland da und dort um ausländische Arbeitskräfte bemüht haben soll, eigentlich nicht verstanden. Ich habe mich nicht erkundigt, und ich weiß nicht, was daran wahr oder nicht wahr ist. Aber auf jeden Fall möchte ich von hier aus feststellen, daß wir dafür kein Verständnis hätten, solange gerade in diesem Ostrandgebiet, übrigens auch noch in anderen Gebieten, eine relativ hohe Arbeitslosenziffer vorhanden ist.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wir dürfen die Arbeitslosenzahl — und dazu neigt man häufig — nicht immer nur nach der absoluten Zahl betrachten, sondern wir müssen sie in ihrer regionalen Bedeutung sehen, und da spielt sie gerade in diesen Ostrandgebieten noch eine große
    Rolle.
    Es ist für mich so selbstverständlich, daß ich es kaum auszusprechen wage: Der letzte deutsche Ar,beiter muß doch erst in Arbeit sein, bevor wir an diese Dinge denken, und wir müssen die Bundesregierung wirklich bitten, zunächst alle Anstrengungen zu machen, um unsere Wirtschaft und unsere Industrie zu bewegen, dorthin zu gehen, wo noch Arbeitskräfte sind, damit wir eine gesunde Dezentralisation auch in der Wirtschaft bekommen. Das müssen nach unserer Auffassung die ersten Bemühungen des Bundeswirtschaftsministeriums sein.

    (Abg. Dr. Gülich: Herr Niederalt, die Finanzminister der finanzstarken Länder sorgen dafür, daß keine Industrie im Zonenrandgebiet angesiedelt werden kann; die machen Extraangebote!)

    — Da gibt es aber Mittel und Wege, Herr Professor Gülich. Auch im gegenwärtigen Stadium, auch nach der gegenwärtigen Verfassung gibt es Mittel und Wege — und sie wurden teilweise schon beschritten —, dem Einhalt zu gebieten. Eine vernünftige Dezentralisation muß unser Ziel sein. Dadurch helfen wir der Wirtschaft und Industrie, dadurch helfen wir unserem Ostrandgebiet wohl am allermeisten.
    Nunmöchte ich noch zu einem Punkt Stellung nehmen, der meine Freunde und mich schon seit geraumer Zeit erheblich beunruhigt. Er betrifft die Frage der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung. Ich gebe hier den Ausführungen von Herrn Kollegen Schoettle weitgehend recht. Ich habe die Haushaltsdebatte im Frühjahr dieses Jahres genau verfolgt. Ich habe das Protokoll hierüber nachgelesen, und ich konnte die seltene Einmütigkeit in diesem Hohen Hause darüber feststellen, daß das Höchstmaß erreicht sein soll. Aber offensichtlich ist es leichter, zu einer Erkenntnis zu kommen, als die notwendigen Schlußfolgerungen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Darauf allein käme es aber an.
    Was die Bundesverwaltung anlangt, sind die Zahlen heute schon genannt worden. Ich erinnere nur daran, daß auch im Jahre 1955 wiederum eine Steigerung um etwa 1300 Kräfte vorgeschlagen wird. Dabei ist der Bundesgrenzschutz in dieser Steigerung noch nicht enthalten. Denken Sie daran, daß die gleiche Steigerungstendenz von Jahr zu Jahr auch in den Haushalten der Länder und Gemeinden festzustellen ist, und dann stellt sich uns die Frage so: Sollen wir uns von dieser, beinahe möchte ich sagen: lawinenartigen Entwicklung überrollen lassen oder nicht? Wenn wir das nicht wollen — und ich nehme an, daß wir es nicht wollen —, dann dürfen wir nicht bloß Kritik üben, dann müssen wir handeln.
    Ich möchte nur ein paar Beispiele aufzeigen, wie man etwa handeln könnte. Erstes Beispiel: Der gegenwärtige Bundestag — man muß immer bei sich selber anfangen, wenn man wirklich mit einer Sache Ernst machen will — besteht aus 509 Abgeordneten. Niemand wird behaupten wollen, daß Qualität und Quantität der Arbeit des gegenwärtigen Bundestages etwa Schritt gehalten haben mit der Vermehrung der Mandate.

    (Abg. Lücke: Sehr gut! Kehren wir zur alten Zahl zurück!)

    Ich drücke mich vorsichtig aus. Ich bin der Auffassung, daß ein Bundestag mit etwa 400 Abgeordneten, wie wir sie im 1. Bundestag hatten, die Aufgabe genau so gut erfüllen kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen — das verzeihen mir meine politischen Gegner —, daß die CSU im 1. Bundestag auch schon auf diesem Standpunkt gestanden und entsprechend abgestimmt hat.

    (Abg. Dr. Rinke: Auch in den Länderparlamenten!)

    — Länderparlamente, Herr Kollege Rinke, da sprechen Sie ein Thema an. Ich bin der Auffasung, wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen,

    (Abg. Lücke: Ausgezeichnet!)

    und dann mögen unter dem Druck der öffentlichen Meinung auch die Länderparlamente, die es angeht, das tun, was zu tun ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Die Schlußfolgerung, meine Damen und Herren, aus dieser Feststellung müßte nun ganz konkret die sein, daß wir von der Bundesregierung erwarten, daß das künftige Bundeswahlgesetz, das uns hoffentlich möglichst bald vorgelegt wird

    (Abg. Lücke: Richtig!)

    — da sind wir vollkommen einer Meinung mit Ihnen von der SPD —, von einer Höchstzahl von 400 Mandaten ausgeht. Sofern ein Initiativgesetz zustande kommt, müssen wir erwarten, daß alle politischen Parteien, denen es ernst ist mit der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit,

    (Abg. Lücke: Sehr gut!)

    sich an diese Höchstzahl von 400 Mandaten halten, und von dieser als richtig anerkannten Grundkonzeption sollte uns keinerlei parteiarithmetische Berechnung abbringen.

    (Beifall in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Wollen Sie damit anfangen zu sparen?)



    (Niederalt)

    I Ein weiterer praktischer Vorschlag! Wir haben uns im Haushaltsausschuß des öfteren wirklich ehrlich und redlich bemüht, dem ständigen Anwachsen der Bundesverwaltung entgegenzutreten. Ich glaube aber, wir haben dabei einen Fehler gemacht. Wir haben uns nämlich in eine Debatte über die Notwendigkeit dieser oder jener Aufgabe eingelassen, in eine Debatte über das Erfordernis dieser oder jener Stellenvermehrung. Auch ich war zu Beginn meiner Tätigkeit im Bundestag der Auffassung, daß man von der Aufgabenseite her an dieses Problem herantreten müsse. Ich bin inzwischen durch die praktische Erfahrung eines Besseren belehrt. In der Etatrede wurde sehr richtig gesagt: Die öffentlichen Aufgaben sind keine meßbare Größe; sie sind ihrer Natur nach unerschöpflich. Das ist leider Gottes richtig. Daraus ergibt sich, daß wir nicht von der Aufgabenseite her an dieses Problem herantreten dürfen, zumal wir in diesem Falle dann immer Experten, besonders sachkundigen Leuten gegenübersitzen, die uns mit tödlicher Sicherheit — die Praxis hat das schon gezeigt — den Nachweis liefern, daß morgen, bestimmt aber übermorgen eine große Katastrophe eintreten wird, wenn diese Aufgabe nicht in diesem gewünschten Umfange erfüllt wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Dr. Gülich: Wer so argumentiert, verdient ohnehin keinen Glauben!)

    — Ich habe gesagt, daß ich etwas übertreibe, Herr
    Professor Gülich. Aber Sie kennen das Problem genau so gut wie ich. — Aus dieser praktischen Erfahrung bin ich zu der Überzeugung gekommen,
    daß es am besten ist, rundweg ohne jede Debatte,
    ohne jede individuelle Prüfung, einfach ganz primitiv „nein" zu sagen. Ich glaube, wir kommen
    I sonst an dieses Problem nicht heran. Es ist eine
    Holzschlegelmethode, die mir absolut nicht gefällt,

    (Heiterkeit und Zurufe)

    aber ich glaube — ich wiederhole es —, daß uns gar nichts anderes übrigbleibt. Wir müssen uns auf den Standpunkt stellen, die Verwaltung des Bundes ist in allen Ressorts als endgültig auf gebaut anzusehen. Dort, wo noch auf irgendeinem Gebiet einmal echte Personalschwierigkeiten auftreten, mag es Sache der Bundesregierung sein, einen Ausgleich herbeizuführen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sehr gut!)

    Mit dieser Einstellung einer jeden weiteren Personalvermehrung ist natürlich gleichzeitig auch das Aufhören jeder weiteren Planung verbunden, die vielleicht noch irgendwo in den Gehirnen oder in den Schubladen oder auf den Schreibtischen von manchen Beamten, besonders hinsichtlich weiterer Dienstbauten, getrieben wird. Auch hier müssen wir auf dem Standpunkt stehen: es ist genug, reichlich genug! Wenn da und dort noch irgendwelche Schwierigkeiten auftreten, so muß man sich eben behelfen. Es ist auch im Leben, auch im Leben des Steuerzahlers, auch im Leben des Staatsbürgers nicht alles so, wie er es sich vielleicht ideal wünscht.
    Über dieses eiserne Nein hinaus müssen wir noch prüfen, ob es nicht möglich ist, künftig jede freiwerdende fünfte Planstelle einzusparen. Dieser Vorschlag ist schon einmal im Haushaltsausschuß erwähnt worden. Wir sollten diesen Vorschlag nicht in Vergessenheit geraten lassen. Ich habe mich inzwischen mit Sachverständigen über diese Frage eingehend unterhalten. Allseits ist mir bestätigt worden, daß diese Forderung nicht utopisch ist, daß diese Forderung sehr gut realisierbar ist. Nur dann, wenn wir dieser unsympathischen — wie ich gerne zugebe — und primitiven Methode des Neinsagens folgen, werden wir erreichen, daß dieser Perfektionsdrang, dieser Perfektionismus, dem wir doch heute allenthalben schon zu unterliegen drohen, etwas in die Schranken gewiesen wird. Ich glaube bestimmt sagen zu dürfen, daß unsere Verwaltung nicht darunter leidet. Es ist ein alter Erfahrungssatz — der Bundesfinanzminister hat ihn in seiner Etatrede im vergangenen Jahr klar ausgesprochen —, der da besagt, daß ein Zuviel an Personal weniger geeignet ist, mit einer Arbeitsbelastung fertigzuwerden, als ein Zuwenig an Personal. Vielleicht erreichen wir dadurch mittelbar auch noch, daß es irgendwo in unserem menschlichen Leben eine private Sphäre gibt, die noch nicht staatlich geregelt ist.
    Man muß gerecht sein, und wenn man gerecht ist, darf man die Schuld an dieser Aufblähung, wie ich sie nenne, nicht etwa dem Perfektionismus, dem Drang der Bürokratie nach Perfektionismus allein zuschreiben. Nein, das wäre nicht richtig. Wir müssen auch ein gerüttelt Maß an Schuld auf uns selber nehmen. Wir müssen „mea culpa" sagen, vielleicht sogar: „mea maxima culpa", weil wir immer wieder Beschlüsse fassen, die eben Arbeiten, Aufgaben verursachen.
    Deshalb mein ganz konkreter dritter Vorschlag, damit das nicht mehr vorkommt: vor jedem Beschluß des Bundestags auf irgendwelchen Sachgebieten, der eine Personalvermehrung in der Verwaltung des Bundes und der Länder zur Folge hat, ist die Bundesregierung verpflichtet, auf diesen Sachverhalt der notwendig werdenden Personalvermehrung und den Umfang derselben ausdrücklich hinzuweisen,

    (Abg. Dr. Vogel: Ausgezeichnet!)

    damit jeder Bundestagsabgeordnete sich auch insoweit seiner Verantwortung bei der Beschlußfassung und Abstimmung klar bewußt ist.
    Meine Damen und Herren, ich habe mir nun erlaubt, einige praktische Beispiele anzuführen. Ich möchte nicht etwa sagen, daß diese Beispiele den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wir müßten, glaube ich, in diesem Zusammenhang — ich persönlich möchte es jedenfalls tun — auch einmal die Frage prüfen: Ist die jetzige Zahl der Bundesministerien die allein richtige? Wir müssen uns ins Gedächtnis zurückrufen, daß nach dem Willen des Parlamentarischen Rats neun bis zehn Bundesministerien entstehen sollten. Wenn wir von Sparsamkeit reden und es ernst damit meinen, können wir an einer ernsthaften Prüfung dieser Frage nicht vorbeigehen.

    (Zuruf von der SPD: Reden Sie mal mit Ihrem Parteivorsitzenden!)

    Bei dieser Gelegenheit möchte ich es auch nicht unterlassen, eine Warnung auszusprechen, die Warnung vor allzu vielen Ministerien mit horizontalem Wirkungsbereich. Diese Ministerien haben es in sich. Wenn man damit beginnt, weiß man nicht, wo man endet. Ich erinnere an die Forderung nach dem Mittelstandsministerium. Ich erinnere an die Forderung, die jüngst irgendwo erhoben wurde, nach einem Kriegsversehrtenministerium. Wenn man mit dem horizontalen Wirkungsbereich beginnt, findet man schwer ein Ende. Deshalb Vorsicht bei diesen Ministerien!

    (Beifall links.)



    (Niederalt)

    Meine dringende Bitte an Sie alle, gleichgültig welcher Partei Sie angehören, wäre die: Helfen wir alle, damit wir auf diesem schwierigen Gebiet einen Schritt vorwärtskommen! Wie ernst es mir persönlich mit diesem Bestreben ist, mögen Sie daraus erkennen, daß ich meine Ausführungen nunmehr schließe mit einem Wort unseres — ich sage absichtlich „unseres" und meine „unser aller"
    — verehrten Bundestagspräsidenten, des verstorbenen Herrn Dr. Ehlers, der kurz vor seinem Tode
    — in einem anderen Zusammenhang, aber auch hier passend — gesagt hat: Wir sind uns einander nicht schuldig, bequem zu sein, sondern wir sind uns schuldig, unseren Weg zu gehen und unsere Verantwortung wahrzunehmen.

    (Beifall in der Mitte.)