Rede von
Heinrich Georg
Ritzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe volles Verständnis dafür, daß der Herr Bundesfinanzminister wegen seiner Beanspruchung durch die Kabinettssitzung der Beratung der Rechnungslegung des Bundes für das Rechnungsjahr 1951 nicht beiwohnen kann. Ich habe kein Verständnis dafür, daß nicht einmal der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums anwesend ist.
Ich glaube, daß die gesamte Bundesregierung Veranlassung haben wird, sich darüber klar zu sein, und daß der Bundestag Veranlassung haben sollte, darauf aufmerksam zu machen, daß die Rechnungslegung angesichts der Verantwortung, die die Bundesregierung dem Parlament schuldig ist, keine geringere Aufmerksamkeit der Bundesregierung verdient als etwa die Begründung und Verteidigung eines Etats.
Das Parlament hat bei der Rechnungslegung die Möglichkeit, die schönen Grundsätze von der Etatklarheit und Etatwahrheit durch einen Vergleich der Rechnung mit dem ursprünglichen Haushaltsplan zu überprüfen. Ich gebe zu, ich habe bei der Durchsicht der Rechnung 1951 und in den Beratungen des Rechnungsprüfungsausschusses wie des Haushaltsausschusses die Überzeugung gewonnen, daß das Jahr 1951 noch kein Normaljahr gewesen ist, daß es mit normalen Maßstäben nicht gemessen werden kann. Auf der anderen Seite enthalten der Bericht des Herrn Berichterstatters und seine gründliche Arbeit, die uns gedruckt vorliegt, Unterlagen und Tatsachen, die beweisen, daß der Grundsatz der Etatklarheit — um nicht von dem Prinzip der Etatwahrheit zu sprechen — in nicht wenigen Fällen zu den Rechnungsergebnissen in einem sehr peinlichen Gegensatz steht.
Ich möchte Ihnen da nur zwei Beispiele nennen. In dem Einzelplan XI — Bundesarbeitsministerium — sind die Sozialleistungen für das Haushaltsjahr 1951 in einem derartigen Ausmaß gegenüber den Rechnungsergebnissen zu hoch angesetzt, daß man den Verdacht haben kann, daß — wie heißt doch das berühmte Wort?: „so sozial wie möglich!" — dieser Ansatz im Etat eine gewisse Zweckbestimmung hatte, während die Tatsachen in der Rechnung nachher eine andere Sprache sprechen. Um- gekehrt hat man in dem gleichen Etat bei der Fixierung der mutmaßlichen Arbeitslosenziffer entschieden zu niedrig gegriffen und bei der Verabschiedung des Haushalts die segensreiche Wirkung der sozialen Marktwirtschaft durch die Annahme einer voraussichtlich sehr geringen Zahl von Arbeitslosen dargestellt. Die harte Wirklichkeit hat
die Dinge nachher ganz anders erscheinen lassen, die im Etat ausgesetzten Beträge haben in keiner Weise genügt.
Ein gewisses Erstaunen kann man auch bei der Durchsicht des Einzelplans XII — Bundesminister für Verkehr — nicht unterdrücken. Ich glaube, bei einer sorgfältigen und sorgsamen Verwaltung sollten Haushaltsüberschreitungen nicht möglich sein, wie sie beispielsweise bei der Unterhaltung und dem Betrieb der Seewasserstraßen eingetreten sind — mit mehr als einer Viertelmillion —, und bei der Unterhaltung und dem Betrieb der Seezeichen und Signalanlagen, wo entgegen dem Etatansatz mehr als 300 000 DM mehr verbraucht worden sind.
Der Herr Berichterstatter hat dankenswerterweise auf die Sorgen hingewiesen, die wir alle hinsichtlich der Bereinigung der Defizitbeträge haben sollten. Wir haben die Hoffnung — und ich glaube, das entspricht einem Wunsch des ganzen Hauses —, daß vom Rechnungsjahr 1955 an eine Bereinigung der Defizitabschlüsse in dem Sinne erfolgt, daß nur ein einziger Fehlbetrag in der Rechnung erscheint. Wenn Sie sich einmal der Mühe unterziehen, festzustellen, in welcher Verschachtelung der Fehlbetrag des Jahres 1951 teilweise gedeckt wurde, werden Sie diesen Wunsch durchaus verstehen.
Bei dieser Gelegenheit noch etwas anderes! Ich glaube, das ganze Hohe Haus wird dem Wunsch zustimmen, daß der Herr Bundesfinanzminister -
gerade angesichts der Berichte über die Gestaltung der Kassenlage ab Rechnungsjahr 1951 — einmal die Freundlichkeit hat, in bezug auf die wirkliche Gestaltung der Kassenlage des Bundes dem Hohen Hause so rasch wie möglich reinen Wein einzuschenken. Wir haben im Haushaltsausschuß wiederholt Hinweise darauf erhalten, daß die Kassenlage des Bundes gleich Null sei, wenn man die sogenannten Guthaben der Besatzungsmächte in Abzug bringe. Die Beratung der Steuer- und Finanzreform legt dem Hause nach meiner Auffassung zwingend die Verpflichtung auf, von dem Herrn Bundesfinanzminister auch in Vorbereitung des Abschlusses der Rechnung dieses Rechnungsjahres so rasch wie möglich Klarheit über diese Frage zu verlangen.
Ich will nicht auf weitere Zahlen eingehen, aber noch zwei größere Gesichtspunkte in gedrängter Kürze herausarbeiten, die mich aus diesem Anlaß wieder einmal beschäftigen. Nach dem Haushaltsplan erhält jeder Bundesminister jedes Jahr eine Verfügungssumme für außergewöhnlichen Aufwand aus dienstlicher Veranlassung. Das sind 20 000 DM für jeden Minister. Ich habe mir angelegen sein lassen, einmal für das Rechnungsjahr 1951 die Verwendung und die Höhe der verwendeten Beträge — soweit idas möglich ist — herauszuziehen. Ich will nur drei Zahlen nennen, keinen Minister und kein Ministerium; ich will damit einen kleinen Beitrag für die künftige Haushaltsberatung geben. Eines schickt sich nicht für alle. Ich glaube, daß der Herr Minister für Angelegenheiten des Bundesrates etwas weniger „Aufwand" benötigt — das tut er auch — als etwa der Herr Bundeswirtschaftsminister. Aber in einem Falle ist diese Aufwandsentschädigung von 20 000 DM sorgfältig verbraucht worden, bis auf 103,75 DM. In zwei anderen Fällen sind Beträge übriggeblieben, in einem Fall von 9365,21 DM und im zweiten Falle von 9781,61 DM. Ich kann mir vorstellen, daß
das Hohe Haus bei der nächsten Etatberatung, die nach den Ankündigungen des Herrn Bundesfinanzministers ganz besonders unter dem Gesichtspunkt der Sparsamkeit stehen wird, differenzierte Beträge für diese Aufwandsfonds der Herren Minister feststellen wird. Das Maximum des Vertretbaren sollte etwa bei 15 000 DM liegen, und man sollte, wie gesagt, nicht einen Minister 'behandeln wie den anderen; man muß auch hier gerecht, individuell urteilen.
Nun noch eine Bemerkung zu dem netten Thema Geheimfonds. Sie erinnern sich, daß von dieser Stelle aus wiederholt auf die parlamentarische Kontrolle der Geheimfonds, auf die nicht vorhandene Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle der Geheimfonds hingewiesen worden ist. Wir haben im Haushalt 1951 Geheimfonds mit einem Gesamtbetrag von 7 672 250 DM gehabt. Davon standen, um nur zwei, drei Beispiele zu nennen, zur Verfügung des Herrn Bundeskanzlers zu allgemeinen Zwecken 200 000 DM, Dieses Soll von 200 000 DM ist sorgfältig verbraucht worden mit einer Ist-Summe von 199 945,86 DM. Zur Verfügung des Beauftragten des Bundeskanzlers für außerordentliche und unvorhergesehene Ausgaben stehen im Haushalt 1951 364 000 DM; verbraucht sind 330 000 DM. Wir haben zur Verfügung des Bundeskanzlers zur Förderung des Nachrichtenwesens 3 058 000 DM. Wir haben damals für Nachrichten- und Informationsdienst noch relativ wenig gehabt. In der Zwischenzeit ist das ein Betrag von 10 Millionen DM geworden. Damals waren es bescheidenerweise 50 000 DM, die nicht ganz benötigt wurden. Für Zwecke des Verfassungsschutzes waren 3 Millionen DM vorgesehen. Und dann ein besonders interessanter Posten im Bereich des Auswärtigen Amtes: Einzelplan IV a, Tit. 45 — geheime Ausgaben — 1 Million DM; verbraucht sind 989 009,49 DM ohne Kontrolle des Parlaments. Nun, meine Damen und Herren, werden Sie sagen: Der Herr Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung oder der Herr Präsident des Bundesrechnungshofes — in Personalunion, also dasselbe — hat die Kontrolle auszuüben, und darauf dürfen und müssen wir uns verlassen. Die sozialdemokratische Fraktion wird das Haus immer wieder vor die Frage stellen, ob es sich nicht endlich damit einverstanden erklären will, daß ein wenn auch noch so kleines, sorgfältig ausgewähltes und seriöses Gremium aus der Mitte des Hauses an der Kontrolle dieser Geheimfonds mitwirkt. Dies um so mehr, als der zuletzt genannte Geheimfonds von 1 Million DM — verbraucht davon 989 000 DM — noch nicht einmal der Prüfung des Bundesrechnungshofes unterliegt. Ich glaube, das Haus ist es sich selbst schuldig, bei der Prüfung der Jahresrechnung 1951 auch diesen Dingen Aufmerksamkeit und Beachtung zu schenken.
Eine abschließende Bemerkung. Die Bundesregierung hat uns im Haushaltsausschuß zugesichert, daß künftig die Rechnungslegung beschleunigt erfolgen werde. In einer Haushaltsausschuß- und Rechnungsprüfungsausschußsitzung ist sogar ein Termin genannt worden. Danach hätte der Abschluß der Rechnung 1952 Ende Oktober vorliegen müssen. Er liegt leider heute, Anfang November, noch nicht vor. Nun, das ist keine große Zeitdifferenz. Das Haus hat ein brennendes Interesse daran, daß Etatjahr und Rechnungslegung und Verantwortung der Regierung dem Haus zeitlich
so nahegebracht werden, daß ein wirkliches Urteil, das nicht zu sehr in der Vergangenheit ruht, getroffen werden kann.
Die sozialdemokratische Fraktion hat die Dinge sorgfältig geprüft. Nach Lage der Verhältnisse sind wir außerstande, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten.