Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich, wie ich wohl glaube, abschließend auf einige Gesichtspunkte hinweise, die mir in ihrem Gewicht erst so ganz durch die Ausführungen des sehr verehrten Herrn Kollegen Dr. Kleindinst offenbar wurden. Ohne Rücksicht darauf, wie das Schicksal der hier gestellten Anträge ausgehen sollte, sind wir auf einige grundsätzliche Fragen gestoßen und sind uns klargeworden, daß in diesen Anträgen Diskussionsgrundlagen beschlossen sind, die wert sind, wirklich bedacht und besprochen zu werden, um gegebenenfalls im Rahmen der gegebenen Situation noch manches Gute herauszuholen.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eines zu sagen. Ich komme aus dem Raum der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, aus dem deutschen Schuh und Bildungswesen des böhmischmährischen Raums, und ich glaube, dieser ehemalige Vielvölkerstaat barg zweifellos zwangsläufig eine noch größere Notwendigkeit in sich, föderalistisch aufgegliedert zu sein,
da es sich dort um verschiedene Völkerschaften, Volkstümer handelte, während es doch bei uns um deutsche Stämme einer Nation geht. Und doch hat es diese österreichisch-ungarische Monarchie — und solches hat im Schulischen nicht einmal die Tschechoslowakei als Nachfolgestaat später radikal angetastet — fertiggebracht, eine sinnvolle Synthese bezüglich der Verschiedenheiten der Volkstümer und der besonderen Aufgabe des Staats, eines Vielvölkerstaats, zu erstellen. Ich glaube, daß wir uns in dieser Richtung — ich bitte, auch in dem Ausschuß manchmal gerade nach dieser Richtung zu schauen und zu denken! — allerhand davon, wie man so sagt, „abschneiden" können; denn ich behaupte, daß die Aufgabe, die der deutsche Bundesstaat im Augenblick hat, viel gewichtiger und schwieriger und im Blick nach dem Osten noch viel bedeutsamer ist als die kulturpolitische Gesamtaufgabe etwa der österreichisch-ungarischen Monarchie. Diese Synthese ist noch viel notwendiger, als sie vielleicht im Vielvölkerstaat des alten Osterreich-Ungarns gewesen ist.
Darf ich, auch angeregt durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Kleindinst und in Erinnerung an die kulturpolitische Arbeit im Bayerischen Landtag, einmal auf Einzelprobleme hinweisen, die gleichfalls nach der Richtung einer gesamtdeutschen Aufgabe im Kulturpolitischen tendieren? Wer zum Beispiel soll das kulturelle Erbe, die kulturellen Kräfte und Mächte der aus dem deutschen Osten und Südosten vertriebenen Volksstämme am besten pflegen und übernehmen? Ich weiß aus der Länderarbeit genau, daß diese Fragen die Kräfte eines Landes finanziell und manchmal auch geistig und kulturpolitisch einfach übersteigen. Man kann von einem Lande etwa, das nur sehr wenige Heimatvertriebene aus dem deutschen Osten oder Südosten aufweist und das sehr weit von der Zonengrenze, vom Eisernen Vorhang entfernt ist, keineswegs vorweg annehmen, daß es sich für diese Fragen so entscheidend interessiert, wie es für die Gesamtheit notwendig ist, zumindest wahrscheinlich weniger interessiert als ein Land, das unmittelbar am Eisernen Vorhang liegt. Wir sind aber der Meinung, daß die Pflege, Erhaltung, Ausschöpfung und Fruchtbarmachung all dieser Kräfte nicht Aufgabe dieses oder jenes Landes sein soll, daß diese Dinge nicht der Stärke, der Macht und dem Willen dieses oder jenes Landes unterliegen sollen. Vielmehr handelt es sich hier um eine gesamtdeutsche Aufgabe von ganz besonderer Wichtigkeit und Dringlichkeit, für die es eben eine ordnende, das Gesamte überblickende und den Zukunftseinsatz auch im Kulturpolitischen überschauende Stelle geben muß.
Ein anderes. Wir erleben oft — ich sagte es schon einmal von dieser Stelle aus — im Gespräch zwischen der in der sowjetisch besetzten Zone erzogenen Jugend und unserer Jugend, daß unsere Jugend staatsbürgerlich, staatspolitisch und in gewisser Hinsicht auch staatsphilosophisch nicht so ausgebildet ist, daß sie der anders geformten Jugend der Sowjetzone Widerpart zu halten vermag und daß sie nach dem von uns allen erhofften Tage X prägend und formend der anders erzogenen Jugend den Stempel unserer freiheitlich demo-
kratischen Welt aufdrücken kann. Auch das sind Fragen, die die Kräfte und oft auch die Mittel eines Landes übersteigen, Fragen, die gesamtdeutsch und irgendwie unitaristisch überblickt, geformt und in Unterricht und Erziehung beantwortet werden müssen.
Etwas anderes, und zwar ganz praktisch Materielles. Alle Hochachtung vor den Bemühungen der Grenzkreise und derjenigen Länder, die an den Grenzen des Eisernen Vorhangs liegen! Aber wir wissen doch — und bei der Frage der Beurteilung der Zonenrandgebiete und ihrer Notstände haben wir es deutlich gesagt —, daß es über die Kräfte und die finanzielle Macht der Länder hinausgeht, gerade an diese Grenzstellen, an diese Wundstellen unseres Volkskörpers die notwendigen kulturellen Kräfte hinzusenden, die dortige Schulraumnot zu beseitigen und alles kulturpolitisch Notwendige nach dort zu tragen, so daß von dort aus bei der Wiedervereinigung eine gewisse Sprungbasis, eine gute Brücke besteht. Auch hier müßte erwiesenermaßen der Bund oder irgendeine zu schaffende Stelle wirksam werden. Ich wollte diese manchem vielleicht abseits liegend erscheinenden Grundzüge hier im Plenum einmal kurz für die Ausschußarbeit aufzeigen, weil ich glaube, daß man auch diese Dinge keineswegs übersehen sollte.
Im allgemeinen — und das hat mein Parteifreund Feller mit Recht betont — sind wir der Auffassung, daß man eine Synthese finden muß zwischen der schöpferischen Vielfalt kultureller Art in unseren Stämmen und der Notwendigkeit, in dieser Zeit und bei der Aufgabenstellung, die wir haben, eine Aufgabe zu erfüllen, die noch an uns herantreten wird. Gerade wir Heimatverjagten bejahen die Pflege der Stammeskultur, weil wir als vertriebene Volksgruppen wissen, daß die Erhaltung dieser differenzierten Kulturen eine Frage der Selbstbehauptung ist und daß letztlich unsere gesamte deutsche Kultur ihren Wert und ihre schöpferische Kraft gerade aus den Verschiedenheiten der Stämme, ja, aus den Spannungen der einzelnen Stämme gewonnen hat. Aber in der Situation, in der wir uns heute befinden, müssen wir, mehr noch als einst die alte österreichischungarische Monarchie, viele Dinge unitaristisch regeln, damit wir auch kulturpolitisch auf all das vorbereitet sind, was unser noch harrt.
In der Denkschrift, die hier durch Herrn Kollegen Dr. Luchtenberg herausgegeben wurde, ist mit Recht gesagt: Seit 1945 haben wir keine gesamtdeutsche Kulturpolitik mehr.
Seit 1945 sind wir leider von dem einen Extrem
zentralistischer Einheitskulturpolitik des Dritten
Reiches in das andere Extrem hinübergeschaukelt,
nämlich in das einer Zersplitterung und eines Nicht-sehen-Wollens der kulturpolitischen Aufgaben nach 1945.
— Sicher; aber, sehr verehrter Herr Kollege, wenn der Zentralismus als ein Übel erkannt wird, darf man meiner Meinung nach, um ihm zu steuern, nicht in das andere Extrem hinüberschwenken;
wir sollten vielmehr, nachdem wir uns so oft über einen Verlust echter Mitte beklagen, auch im Kulturpolitischen eine neue echte Mitte suchen, die die Vielfalt aller Stämme und organisch gewachsenen Kulturen zu einer schöpferischen Einheit vereint — auch, ja gerade im Hinblick auf unsere gesamtdeutsche Kultur und auf gesamtdeutsche kulturpolitische Aufgaben — jetzt und in der Zukunft!