Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Kleindinst, auch ich würde es bedauern, wenn Ihr Antrag auf Ablehnung der Überweisung an den Ausschuß tatsächlich angenommen würde, und ich möchte Sie bitten, als einen Akt der Freundlichkeit einer Fraktion gegenüber und um der Sache willen dem Antrag auf Ausschußüberweisung zuzustimmen.
In diesem Hause werden Schul- und Erziehungsfragen leider sehr selten erörtert. Wenn es geschieht, dann tun wir es alle mit dem ernsten Willen, für unsere Kinder die besten Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen: gesunde, gute Schulräume, ausreichende Lehr- und Lernmittel und die bestausgebildeten und berufenen Lehrer.
Meine Damen und Herren, in diesem Falle geht es doch darum: besteht im Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebung ein Bedürfnis zur bundesgesetzlichen Regelung, oder besteht dieses Bedürfnis nicht? Herr Kollege Dr. Kleindinst, Sie haben wiederholt den Herrn Professor Süsterhenn zitiert und gesagt, es bestehe gar keine Zersplitterung. Das sei überspitzt. Es handele sich natürlich um einige Unterschiedlichkeiten und um Kleinigkeiten. Ich kann nicht umhin, Ihnen einige dieser „Kleinigkeiten" zu schildern. In der Stadt Bonn wurde im April 1953 eine Wirtschaftsoberschule errichtet. Das geschah auf Drängen vieler Erziehungsberechtigten mit Unterstützung zahlreicher Wirtschaftsverbände durch einstimmigen Beschluß des Rates der Stadt Bonn. Nun versagte der Kultusminister von Nordrhein-Westfalen — es war eine Dame — für die Errichtung dieser Schule die Genehmigung. Sie erklärte, an dieser Wirtschaftsoberschule könne das Abitur nicht abgelegt werden. Daraufhin verhandelte die Leitung der Schule mit dem Lande Hessen und vereinbarte mit ihm: Zu der schriftlichen Abschlußprüfung kommt ein Vertreter aus Hessen nach Bonn, und die Schüler, die die schriftliche Prüfung bestanden haben, werden in Omnibusse gesetzt, nach Frankfurt gefahren und machen dort die mündliche Prüfung.
Das sind diese „Kleinigkeiten". Und wenn sie die mündliche Prüfung bestanden haben, können sie an einer Universität oder Technischen Hochschule im Lande Hessen studieren. Ob das an Hochschulen in solchen Ländern, in denen es noch Wirtschaftsoberschulen gibt, auch möglich ist, das weiß ich nicht. Aber wenn sie nun ein Semester an den Hochschulen im Lande Hessen studiert haben, dann können sie nach den Vereinbarungen der Länder untereinander auch an Hochschulen im Lande Nordrhein-Westfalen ihr Studium fortsetzen. Darüber hat die Presse berichtet: Es ist doch merkwürdig, daß ein solcher Umweg zum Ziele gegangen werden muß. Eine Zeitung hat seinerzeit auf einen Ausspruch nach Ibsens Peer Gynt verwiesen; da steht: „Gehe außenherum".
Eine andere Kleinigkeit. In dem sehr reformfreundlichen Staate Hamburg gibt es auch Wirtschaftsoberschulen. Dort hat ein Schüler die Oberschule absolviert, und in seinem Zeugnis hat er die Berechtigung zum Studium an einer Technischen Hochschule erhalten. Das will er hier drüben in Aachen tun. Da kann er es aber nicht, weil er hier das Abitur nachholen muß. Dann wendet er sich an die Technische Hochschule in Karlsruhe. Zuerst wird ihm gesagt: Du wirst angenommen. Aber nach einiger Zeit bekommt er auch von dort eine Absage, weil er in diesem Land nicht das Abitur gemacht hat. Ist das denn nötig?
Nun besteht die Ständige Konferenz der Kultusminister seit 1946. Hätte sie nicht die Zeit und die Möglichkeit gehabt, die Voraussetzungen und die Bedingungen zum Abschluß durch das Abitur für alle Länder abzustimmen? Dann wären derartige Vorkommnisse nicht möglich gewesen.
Herr Kollege Dr. Kleindinst, Sie haben auf die beiden Einrichtungen hingewiesen, die die Aufgabe der sinnvollen Vereinheitlichung unseres Schul-und Bildungswesens durchführen sollen, einmal der Deutsche Ausschuß und zum anderen die Ständige Konferenz der Kultusminister. Der Deutsche Ausschuß ist im April 1952 auf unseren Antrag hin geschaffen worden; er besteht nun seit September 1953, d. h. er ist ein Jahr tätig. Er hat einige ganz ausgezeichnete Empfehlungen an die Kultusminister gegeben. Aber das sind bisher doch nur Empfehlungen, und dieser Ausschuß hat keinen legislativen, sondern einen beratenden Auftrag. Außerdem ist er auch nicht Behörde. Es kommt darauf an, was die Kultusminister der Länder mit diesen Empfehlungen tatsächlich machen.
Die Ständige Konferenz der Kultusminister hat uns unter dem 13. Oktober 1954 eine Denkschrift übergeben. Herr Kollege Dr. Kleindinst hat schon nachgezählt, daß darin allein für das Schulwesen 23, für das Hochschulwesen 12 und für die Kunst- und allgemeine Kulturpflege 7, also im ganzen 42 einzelne Fragen gelöst sein sollen. Da handelt es sich aber doch auch um Empfehlungen. Wieweit sie verwirklicht sind, lassen Sie mich an einem Beispiel darstellen. Es steht unter diesen Empfehlungen: „Die Kultusministerkonferenz begrüßt, daß in allen Ländern das Schuljahr zeitlich gleich anfängt." Wir haben im 1. Bundestag auf Antrag meiner Kollegin Frau Dr. Ilk beschlossen, die Bayerische Landesregierung zu bitten, auch im Lande Bayern das Schuljahr zum Frühjahr beginnen zu lassen, und der Bayerische Landtag ist damals gefolgt. Er hat den Beschluß allerdings mit sehr wenigen Stimmen Mehrheit angenommen. Er hat ihn aber nicht durchgeführt, und in einer der nächsten Sitzungen des Bayerischen Landtages ist der Beschluß wieder aufgehoben worden. Der Beginn des Schuljahres bleibt nun für Bayern im Herbst.
Dann steht in den Empfehlungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister auch folgender Satz:
Wir vereinbarten in allen Ländern, daß die Prüfungen und die Zeugnisse für das Lehramt an höheren Schulen gegenseitig anerkannt werden.
Was nutzt es dem bayerischen Schüler, wenn sein Studienrat hinauf nach Schleswig-Holstein oder nach Nordrhein-Westfalen versetzt wird? Der Studienrat kann in seinem Beruf weiterarbeiten. Der bayerische Junge, der durch Versetzung oder Wegzug seiner Eltern hier hinkommt, ist einmal durch den zeitlich unterschiedlichen Schuljahrsbeginn gestört, und wenn er gar ein Junge aus der höheren Schule ist, dann hat er in Bayern mit Latein begonnen, während dort oben mit Englisch und hier oben meinetwegen mit Französisch oder Latein begonnen wird.
Diese Schwierigkeiten sind doch da. Die Ständige Konferenz der Kultusminister hatte tatsächlich acht volle Jahre Zeit —das ist fast die ganze Ausbildungszeit eines Schülers in der deutschen Volksschule —, und die Zersplitterung, die Schwierigkeiten sind bis auf den heutigen Tag nicht behoben. Wenn das Bundeserziehungsministerium geschaffen ist, wird es — wie Herr Kollege Dr. Brühler sagt — seine Aufgabe sein, Grundsätze zu geben. Eine ganze Menge dieser Grundsätze im Äußeren und im Inneren der Schule hat Ihnen mein Kollege Dr. Luchtenberg in einer Denkschrift, die Sie alle in Händen haben, in ganz ausgezeichneter Weise dargetan. Bei den Äußerlichkeiten geht es um den gleichen zeitlichen Beginn des Schuljahres. Es geht um die Frage, ob vier oder sechs Grundschuljahre, um die weitere Frage, wie ein Schüler aus einer Schulart in eine andere Schulart übergeht.
Bei den Grundsätzen im Inneren geht es zunächst einmal um die Frage — sie ist heute morgen schon einmal vom Herrn Kollegen Dr. Brühler angesprochen worden —: Wie ist es eigentlich mit unseren Lehrplänen? Ist es denn nicht an der Zeit, daß von einer Stelle die Lehrpläne einmal in aller Ruhe gründlich überprüft werden mit dem Ziel, alles Überflüssige hinauszuwerfen und wesentliche Erkentnisse aus der Naturwissenschaft und der Technik hineinzunehmen? Ich bin überzeugt, das wäre gerade für eine solche Stelle eine wirklich vordringliche und ausgezeichnete Arbeit.
Von einer solchen Stelle müßte doch auch einmal die Frage geprüft werden, wie es eigentlich mit der Ausbildung der Volksschullehrer steht, also der Leute, die immer noch 85 bis 90 % unserer deutschen Kinder die Bildung vermitteln oder den ersten Anfang auch für alle legen, die nachher durch die weiterführenden Schulen gehen. Wir haben im Bundesgebiet im Augenblick rund fünf Dutzend Ausbildungsstätten für den deutschen Volksschullehrer. Zum Teil werden sie ausgebildet an den Hochschulen, an pädagogischen Akademien, zum Teil an Instituten oder an alten Seminaren, an denen ein wenig mit der Kelle verbessernd gearbeitet worden ist. In einem Land werden Volksschullehrer vier Semester lang, im anderen sechs Semester lang ausgebildet. Hier werden Frauen und Männer getrennt, hier werden sie nach Konfessionen getrennt ausgebildet. Und nun stellen Sie sich vor, daß diese Leute her und hin versetzt werden sollen!
Ein weiteres besonderes Gebiet müßte sich diese Stelle angelegen sein lassen, unsere deutsche Berufsschule. Unsere deutsche Berufsschule war nach der Gründung durch Kerschensteiner, dessen Gedenktag wir in diesem Jahr gefeiert haben, eine Schule mit ausgezeichneter Wirkung. Sie ist heute weitgehend eine Schule in bitterer Not. Es fehlen ihr fast 3000 Lehrkräfte, so daß wir in der Lage sind, heute von den 8 Berufsschulstunden wöchentlich, die wir unseren Kindern geben, noch nicht einmal 50 % erfüllen zu können. Auch da sollte einmal eine solche Stelle hineinblicken. Wenn wir schon im Wettbewerb Qualitätsarbeit leisten wollen und müssen, müssen wir doch vorher Qualitätsmenschen ausbilden.
Eine zweite besondere Aufgabe für diese neu zu schaffende Stelle ist die Förderung der deutschen Forschung. Wir haben bei fast allen Bundesministerien Mittel für die deutsche Forschung in die Haushaltspläne eingesetzt. Dasselbe ist bei den Ländern der Fall. Wo wird nun geforscht, und wie werden diese Mittel nun wirklich sinnvoll, etwa bei einer Schwerpunktbildung, vornehmlich aber in der Forschung für unsere deutschen Geisteswissenschaften, angewandt? Sie alle wissen mit mir, daß wir zu allen Zeiten der Geschichte in der Forschung der Technik und der Naturwissenschaft Menschen, Material und Geldmittel in ausreichender Weise zur
Verfügung gestellt haben. Das ist auch in Ordnung. Mit Abstand geringere Mittel haben wir dann noch in die medizinische Forschung gegeben, weil es dort gilt, Leiden zu mildern oder zu heilen oder Schmerzen zu mildern. Aber ganz und gar zu wenig Mittel sind für die Geisteswissenschaften gegeben worden.
Es wäre doch dringend notwendig, viel mehr Mittel auf diesem Gebiet auszugeben, um durch die in den Geisteswissenschaften gewonnenen Einsichten Formen zu finden, wie die Menschen ohne Katastrophen und ohne gewalttätige Auseinandersetzungen zusammenleben können.
Alle diese Fragen sollten wir im Kulturpolitischen Ausschuß einmal miteinander besprechen. Heute ist ein Wort des von mir so hoch verehrten Professors Ludwig Raiser aus seinem Aufsatz vom 6. September 1954 zitiert worden. Dort hat er erklärt:
Kulturhoheit ist ein stolzes Wort. Die Länder mögen aber aufpassen, daß die Kulturhoheit nicht zu einer Monroe-Doktrin wird; denn dann führen sie den Föderalismus in seine schwerste Vertrauenskrise.
Im Grundsatz stimmen wir dem Gesetzentwurf und dem Antrag der DP zu. Wir bitten, uns diese beiden Vorlagen in den Kulturpolitischen Ausschuß zur näheren Erörterung zu überweisen, damit für unsere Kinder, das deutsche Volk von morgen, das Beste daraus gemacht werden kann.