Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird wohl niemand unter uns geben, der ernsthaft bestreiten könnte, daß der von der Fraktion der DP vorgelegte Antrag auf Errichtung eines Bundesministeriums für Erziehung und Unterricht einem Anliegen weiter Bevölkerungskreise entgegenkommt und daher zweifellos auch eine gewisse Popularität und Aktualität für sich in Anspruch nehmen kann. Diese beschränkt sich sicherlich nicht etwa auf die Vertreter unitaristischer oder zentralistischer Auffassungen und Tendenzen, sondern sie reicht weit darüber hinaus. Der Antrag hat — das geht doch aus der Begründung und den dabei angeführten Tatsachen einwandfrei hervor — eine unverkennbare sachliche Berechtigung angesichts der zahllosen Schwierigkeiten, die aus der differenzierten Entwicklung unseres Bildungswesens in den verschiedenen Bundesländern erwachsen sind. Die bisherige Aussprache und vor allen Dingen die Ausführungen des verehrten Herrn Kollegen Dr. Kleindinst haben aber ergeben, daß das Vorhandensein dieser Schwierigkeiten und auch ihre teilweise Anerkennung noch keinesfalls genügen, die auf föderalistischer Einstellung oder auf anderen Gründen beruhenden Vorbehalte gegen ein Bundesministerium mit kulturpolitischer Aufgabenstellung zu überwinden, auch dann nicht, wenn diese Aufgaben nur koordinierender Art hinsichtlich des Schulwesens sein sollen, wie in der Begründung von Herrn Professor Brühler ausführlich dargestellt wurde. Ich frage mich angesichts des Umstandes, daß die Mehrheitspartei des Hauses von vornherein erklärt hat, daß sie den Antrag ablehnen wird, ob es sehr sinnvoll ist, die Argumente für und wider eine solche Bundesinstanz hier noch ausführlich zu debattieren; denn in diesem Falle sind alle Reden zum Fenster hinaus gehalten. Andererseits ist ein längeres Reden deshalb völlig überflüsig, weil die öffentliche Meinung, wie es Herr Dr. Brühler gesagt hat, eindeutig feststeht.
Aber lassen Sie mich unsere grundsätzliche Einstellung zu diesem Antrag und zu dem damit aufgeworfenen Problem in einigen wenigen Sätzen umreißen, ohne daß ich dabei auf Einzelheiten eingehen möchte. Ich gebe ohne weiteres zu, daß eine reinliche Trennung zwischen nur koordinierenden Aufgaben und gestaltenden Aufgaben und Maßnahmen auf kulturellem Gebiet, insbesondere auch auf dem rein schulischen Sektor, kaum oder recht schwer durchzuführen ist. Ich glaube, daß eine so scharfe Trennung, wie Sie sie vorzunehmen versucht haben, Herr Professor Brühler, indem Sie sagen: „Hier nur Schulfragen und nichts anderes", dem Anliegen nicht in vollem Umfang entsprechen kann. Denn in der Kulturpolitik handelt es sich um einen in sich zusammenhängenden einheitlichen Komplex. Bei der Regelung von Teilfragen muß auch auf andere Teilgebiete dieses Komplexes Rücksicht genommen werden. Wir sind uns darüber klar, daß Volksschulfragen von der Regelung der Fragen des mittleren und höheren Schulwesens und Fragen des höheren Schulwesens wiederum von den Anforderungen und Notwendigkeiten der Universität abhängig sind. Ich glaube also, es würde dem Anliegen nicht ganz entsprechen, wenn man hier von Kompetenzen spräche, die ausschließlich für das Schulwesen gelten sollen und in keiner Weise darüber hinausreichen sollen. Es wäre vielmehr zweckmäßiger, von vornherein diesen Zusammenhang ins Auge zu fassen. Für die Schulfragen selbst ist eine Trennung der Kompetenzen auch deshalb schwierig, weil — wenn ich es einmal mit einem kurzen Wort sagen darf — im Schulwesen Gehalt und Gestalt immer eine Einheit bilden und aufeinander abgestimmt sein müssen. Ich darf andererseits darauf hinweisen, daß der uns allen bekannte und schon genügend gerühmte Reichtum, der in der Vielfalt der kulturell gestaltenden Kräfte liegt, sich auf dem Gebiet der Organisation von Schule und Bildungswesen auch vergeuden kann, wenn kein einheitliches Ziel gesetzt ist, auf das hin sie wirken sollen, und wenn keine ordnende Kraft ihnen die Richtung weist. Beide sind jedenfalls heute nicht vorhanden. Wer das bezweifeln wollte, braucht nur auf die hier schon dargestellten Versuche der kulturautonomen Länder selber hingewiesen zu werden, sich einen Ersatz dafür zu schaffen. Vom Königsteiner Abkommen des Jahres 1949, das den Mangel einer zentralen Ordnungsgewalt auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung auszugleichen versuchte, bis zu der Ständigen Konferenz der Kultusminister und den Beschlüssen der Ministerpräsidenten in München sowie der Kultusminister in Feldafing und in Hannover sehen wir eine einzige Kette von Bemühungen, auf dem Wege von staatenbündlerischen
Vereinbarungen das zu erreichen, was eigentlich des Bundesstaates Aufgabe sein sollte, aber nicht sein darf aus dem Mißtrauen, das die Glieder nun einmal gegen das Ganze haben.
Es wäre töricht, wenn man die in der Vergangenheit liegenden Ursachen dafür übersehen oder gar leugnen wollte. Aber ist es nicht doch beinahe so etwas wie ein Mißtrauen der Demokratie gegen sich selbst, wenn sie sich nicht traut, die notwendigen zentralen Ordnungskompetenzen zuzulassen, aus Angst davor, daß die dazu geschaffenen Einrichtungen eines Tages in undemokratischem Sinne mißbraucht werden könnten?
— Aber ich sage es, Herr Kollege, weil ich es so empfinde; und ich glaube, diese Empfindung ist nicht ganz unberechtigt.
Jedenfalls war der Erfolg dieser Länderbemühungen, die als solche von mir durchaus anerkannt werden — ich bin froh, daß sie unternonmmen werden —, sehr schwach. Es liegt eine Mappe von Beschlüssen der Ständigen Konferenz der Kultusminister vor. Wenn Sie sich einmal die Mühe nehmen, sie durchzusehen und die Erfolge bei der Umsetzung und Realisierung im Schul- und Unterrichtswesen der einzelnen Länder nachzuprüfen, werden Sie mir recht geben.
— Ja, so ist es! — Es zeigt sich dabei, daß die auseinanderstrebenden Entwicklungstendenzen eben immer stärker sind als der Wille zur Einheitlichkeit — vielleicht deshalb, weil der Wille von Regierung und Parlament in den Ländern wirklich echt und stark dahin zielt, es im Speziellen der Kulturpolitik möglichst richtig zu machen, während darunter oft die klare Erkenntnis leidet, wie man es im Interesse der Gesamtheit wirklich richtig machen sollte. Gewiß, manches ist durch freiwillige Vereinbarung der Länder geregelt worden, aber verbindlich doch immer nur im Sinne zwischenstaatlichen Verkehrs, wie etwa in der Frage der gegenseitigen Anerkennung der Reifezeugnisse, und immer dann unverbindlich, wenn es sich um grundsätzliche strukturelle oder kulturpolitische Fragen und um die Frage der Fortentwicklung von Erziehung und Unterricht und urn die Richtung dieser Fortentwicklung handelte.
Lassen Sie mich noch einmal sagen, daß auch wir nicht der Ansicht sind, daß das alles exekutiv verordnet werden könnte. Wir meinen das so wenig, daß wir glauben, auch den Kultusministern der Länder empfehlen zu müssen, weniger anzuordnen, als das Wachsende ordnend zu betreuen.
— Ich darf dafür, Herr Kollege Seffrin, auf das Beispiel England hinweisen. Wir haben dort den Tatbestand, daß alles Neue, alles Experimentieren, alles Fortschrittliche im, Erziehungswesen von unten aus den Schulen, aus den erzieherischen Institutionen herauswächst und trotzdem eine zentrale
Lenkung vorhanden ist, die nur für die Einheitlichkeit der Gesamtentwicklung Sorge trägt.
Auf die Gesamtordnung kommt es an, auf die Grundlagen und Prinzipien, die in sich etwas Einheitliches sind, während die Dinge, die sich daraus entwickeln, sich immer voneinander unterscheiden werden.
Was uns für den Auf- und Ausbau unseres Bildungswesens zu fehlen scheint, ist die verbindliche gemeinsame Grundlage. Ihr Fehlen wurde von der breiten Öffentlichkeit allzusehr und oft nur an den Symptomen abgelesen und empfunden. Ein Bundesministerium für Erziehung und Unterricht, wie es genannt wurde, könnte und dürfte daher auch nach unserer Auffassung nicht etwa eine Verwaltungsbehörde sein, wie es leider allzu viele unserer Ministerien sind, sondern, wie auch schon zum Ausdruck gebracht wurde, eine Instanz, die Grundsätze aufzustellen und über ihre Einhaltung zu wachen hätte. Warum sollte man das, was die Länder übereinstimmend als notwendig anerkannt, aber mit unzulänglichen Mitteln zu erreichen versucht haben, nicht vom Bund der Länder aus mit den geeigneten Mitteln zu erreichen versuchen? Das erscheint mir immerhin einer Erwägung wert.
Deshalb begrüßen wir den Antrag der Fraktion der DP, wenn wir auch nicht der Ansicht sind, daß es heute und hier schon zu einem endgültigen Ja oder Nein darüber kommen könnte oder auch kommen sollte. Wenn wir das jetzt hier in dieser Weise täten, würden wir wiederum den schon festgestellten ehrlichen Anstrengungen nicht ganz gerecht, die von den Ländern aus zur Überwindung des Elends, des deutschen Schul- und Bildungswesens gemacht werden, das zugegebenermaßen zu einem gewissen Teil auch auf Anordnungen der Besatzungsmächte zurückgeht, auf Vorbehalte, die hoffentlich im Zuge der Erringung der deutschen Souveränität nun bald verschwinden werden.
Wir möchten zum Ausdruck bringen, daß wir auch von den Ländern zunächst noch einiges in dieser Richtung erwarten, vor allen Dingen eine Vertiefung des Bewußtseins, daß die Freiheit in der Gestaltung der Einzelheiten immer ihre Grenze an den Forderungen der Gemeinsamkeit finden muß. Dann hätte auch ein Bundesministerium — Bundeskultusministerium oder Bundesministerium für Erziehung und Unterricht —, wenn die Entwicklung es uns eines Tages brächte, nur die großartige und ganz unbürokratische Aufgabe der anregenden und betreuenden Hilfestellung bei den gestaltenden und verwaltenden Arbeiten zu erfüllen. Solange es aber nicht da ist — und nach der Situation, die hier gegeben ist, wird es so schnell auch nicht da sein —, bleiben die Aufgaben in anderer Weise wahrzunehmen. Wir haben dazu einmal die Abteilung im Bundesinnenministerium, die für die Forschung zuständig ist. Wir sollten diese Kompetenz zur bundeseinheitlichen Förderung einer der für uns lebenswichtigsten Formen geistiger Arbeit nicht beargwöhnen oder beargwöhnen lassen, sondern alles tun, um ihre Möglichkeiten zur Wirksamkeit zu erweitern. Wir sollten uns darüber auch in den zuständigen Gremien dieses Hauses ausführlicher als bisher unterhalten.
Wir sollten auch alles tun, um Eifersüchteleien
zwischen einzelnen Ländern und zwischen Bund
und Ländern, wie sie bei der Finanzierung einzel-
ner Forschungsgesellschaften und einzelner Institute aufgetreten sind, zu unterbinden. Wir haben dazu durchaus und weitgehend Möglichkeiten in der Haushaltsgestaltung. Geld, das an keine anderen Bedingungen geknüpft ist als die einer entsprechenden Leistung, wird wohl von jedermann gern angenommen werden.
Wir haben ferner eine Reihe von kulturellen Organisationen, deren Tätigkeit sich über das ganze Bundesgebiet erstreckt und mit deren Förderung und Unterstützung viel zu einer bundeseinheitlicheren Kulturpolitik beigetragen werden könnte. Denn wenn sich geistig schaffende Menschen aus allen Bundesländern in gemeinsamer Aussprache und Arbeit treffen können, werden sie weniger die Unterschiede als das Ganze im Auge behalten.
Schließlich hat der Bundestag selber im April 1952 beschlossen, eine solche Gesprächs- und Arbeitsbasis mit der Bildung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen zu schaffen. Er arbeitet leider erst seit Ende letzten Jahres, hat aber doch schon mit einer Anzahl guter und gründlich erarbeiteter Empfehlungen auf die Vereinheitlichung unseres Schulwesens hinzuwirken unternommen. Ich habe im Verlaufe des letzten Jahres etwas den Eindruck gewonnen, daß der Bundestag dieses sein Kind ausgesetzt und vergessen hat. Wir sollten uns mehr darum kümmern, was es tut, und seine Entwicklung sowohl durch unser Interesse als auch durch unsere Hilfe fördern. Es ist hier nicht der Raum, im einzelnen darüber zu sprechen. Vielleicht kann es der Ausschuß für Kulturpolitik demnächst einmal tun, ohne damit in den Verdacht zu geraten, er wolle in die Hoheitsrechte der Länder eingreifen.
Meine Damen und Herren! Wer wie ich Gelegenheit gehabt hat, an der Vereinheitlichung und Angleichung der drei im Südweststaat vereinigten Länder Baden-Württemberg, Württemberg-Hohenzollern und Südbaden kulturpolitisch mitzuarbeiten, der weiß, wie rasch sich die Dinge auseinanderentwickeln können, selbst in Gebieten, die vorher einmal staatlich und verwaltungsmäßig zusammengehört haben und nur ganz vorübergehend getrennt worden sind. Ich denke also nicht nur an die Gegensätze zwischen Baden und Württemberg, sondern auch an die zwischen Nordbaden und Südbaden und Nordwürttemberg und Südwürttemberg, wenn ich feststelle, wie rasch sich die Dinge auseinanderentwickeln können und wie schwierig und mühselig es ist, sie wieder zusammenzubringen.
Ich habe als Mitglied des Kulturpolitischen Ausschusses im Baden-Württembergischen Landtag miterlebt, daß wir bei wöchentlichen Sitzungen anderthalb Jahre allein gebraucht haben, um eine Übersicht über die Verschiedenheiten, über die Unterschiedlichkeiten, über die Gegensätze zu gewinnen, gar nicht zu reden davon, ob wir damit schon etwas dazu beigetragen haben, sie zu überwinden,
also nur dazu, uns zunächst einmal zu orientieren. Deshalb gebe ich mich auch keinen Illusionen darüber hin, welchen Schwierigkeiten heute — nehmen wir an, es käme — ein Bundesministerium für Erziehung und Unterricht zu begegnen hätte, Schwierigkeiten, die sowohl bei den Menschen als auch bei den Fakten und bei den Institutionen
liegen. Wir brauchen uns wohl im Augenblick keine allzu großen Sorgen über die Sorgen des zukünftigen Bundesministers zu machen; denn wir werden ein solches Ministerium und einen solchen Minister — das hat die bisherige Debatte gezeigt zunächst noch nicht haben. Wir sollten uns jedoch — lassen Sie mich das auch noch sagen —, ob wir heute positiv oder negativ zu dem vorgelegten Antrag stehen, so verhalten, daß ein solches Bundesministerium, wenn wir es eines Tages erhalten sollten, eine leichtere Aufgabe zu bewältigen haben würde, als es sie heute vor sich sähe. Wir werden — das ist allerdings meine Überzeugung — so oder so ein solches Ministerium schaffen müssen, wenn Deutschland einmal wieder vereinigt wird. Niemand wird glauben, daß die dann entstehenden Aufgaben der kulturpolitischen Wiederangleichung allein aus der Kraft der Länder heraus gelöst werden können.
Hier liegt eine Verpflichtung, die auch im vorbereitenden Stadium — das sollte mein Zwischenruf vorhin zum Ausdruck bringen, Herr Dr. Kleindinst — nur vom Bund getragen werden kann. Wir sollten uns überlegen, daß auch nach der von mir durchaus erwarteten Ablehnung dieses Antrags irgend etwas geschehen muß, nämlich die Feststellung einer Zuständigkeit, damit die Wiederangleichung der getrennten Teile Deutschlands nach einer Wiedervereinigung auf schul- und kulturpolitischem Gebiet sofort und mit den richtigen Maßnahmen einsetzen kann.
Ich halte es in Übereinstimmung mit meiner Fraktion aus allen diesen Gründen für verfehlt, die Anträge auf den Drucksachen 621 und 622 einfach durch Abstimmung zu erledigen, und schließe mich dem Antrag des Antragstellers an, sie an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen. Insbesondere halte ich die Überweisung an den Ausschuß für Kulturpolitik für erforderlich. Damit wäre diesem Gelegenheit gegeben, in eine ruhige und sachliche Überprüfung der Verhältnisse im Erziehungs- und Bildungswesen der Bundesrepublik einzutreten und zu erörtern, wie man den in den Anträgen enthaltenen und nur zu berechtigten Anliegen auch dann, wenn ein Bundesministerium nicht gewünscht wird, am besten gerecht werden kann. Zumindest ist es aber erforderlich, den Eventualantrag auf Drucksache 623 so zu behandeln. Der darin enthaltene Gedanke einer staatsvertraglichen Sicherung und Regelung der Einheit unseres Erziehungs- und Bildungssystems erscheint mir an sich zwar etwas antiquiert und erinnert an die Zeit der deutschen Kleinstaaterei, ist jedoch für eine Ausweichlösung sicher nicht unbrauchbar. Ich kann mir schwer vorstellen, daß der Deutsche Bundestag, dem anzugehören wir 'die Ehre haben, sich von der Geschichte einmal wird nachsagen lassen wollen, er habe sich aus irgendwelchen, nicht immer nur in der Sache begründeten Erwägungen dazu verstanden, über eine für unser Volk und seine Zukunft so schwerwiegende Frage mit einer einfachen Abstimmung hinwegzugehen.